Heute ist ein wunderschöner Sonnentag und Robert genieĂt diesen vielleicht letzten warmen Tag, bevor der Herbst ins Land zieht. Er macht sich zu FuĂ auf den Weg nach Hause und setzt sich auf eine Bank um die Sonnenstrahlen zu genieĂen. Er lĂ€sst sich von der Sonne einhĂŒllen und sich von ihren Strahlen wĂ€rmen.
Da kommt ihm die zĂŒndende Idee. Er möchte nicht hier heiraten, hier wo ihn soviele kennen. Er hat gehört, das man auch an der KĂŒste heiraten kann. Er mag das Meer und er wĂŒrde gleich heute seinen Freund anrufen und ihn um Rat
bitten. Vielleicht gibt es ja in seiner NĂ€he so ein Angebot.
Sogleich macht sich Robert auf den Weg nach Hause, um seinen Plan in die Tat umzusetzen, denn schlieĂlich hat er ja den Urlaub von damals noch offen.
Damals, als es Edda noch so schlecht ging.
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Als Robert nach Hause kommt, schaut er sich verwundert um.
Wo ist Edda nur wieder?
Streuner Hugo ist auch schon ganz aufgekratzt. Aber Robert ist es heute egal. Er setzt sich ans Telefon und wÀhlt die Nummer seines Freundes. Obwohl er sich darauf freut ihn seit langer Zeit mal
wieder zu hören, so erschrickt er doch, als er die tiefe rauchige aber doch herzliche Stimme durch den Hörer hört. Zuersteinmal unterhalten sie sich ĂŒber die ganzzen NebensĂ€chlichkeiten, was bei jedem in der letzten Zeit passiert ist, bevor Robert zu seinem Anliegen kommt.
Clemens, Roberts bester Freund aus der Schulzeit ist von diesem Vorhaben hell auf begeistert und erklÀrt sich bereit alles vor Ort zu organisieren.
Ganz in der NĂ€he seines Wohnortes steht ein Leuchtturm auf dem Trauungen vollzogen werden.
"Zu dem Programm gehört dann noch mit einer Limousine vom Hotel abgeholt
und wieder zurĂŒckgebracht zu werden.", berichtet der Freund.
Dabei funkeln Roberts Augen. Er, der romantische Typ stellt sich gerade alles bildlich vor, als er hört, dass sich ein SchlĂŒssel im Schloss dreht.
"3 Tage Hotel mit Verwöhnprogramm mit Mehr- GĂ€nge-MenĂŒs, und die restlichen Tage, wĂŒrdet ihr ja wohl dann bei mir wohnen?", fĂ€hrt Clemens fort. Robert ist etwas abgelenkt und wĂŒrde am liebsten auflegen, unterĂ€lt sich jedoch stockend weiter mit Clemens. Gleich morgen will Clemens Robert Bilder vom Katalog der beteiligten BlumenlĂ€den, per Mail schicken, um einen schönen StrauĂ fĂŒr Edda bestellen
zu können. Alle anderen Informationen vom Standesamt ebenso. Robert freut sich und beendet das GesprÀch wiederum mit lauter NebensÀchlichkeiten, ehe er sich endlich von Clemens verabschiedet. Dann steht auch schon Edda vor ihm. Vorerst bleibt diese Aktion aber sein Geheimnis.
Edda jedoch geht gleich in die KĂŒche und beginnt das Abendbrot vorzubereiten. Als alles auf dem Tisch steht, begibt sie sich zu Robert, der gerade eben den Hörer aufgelegt hat, in das Wohnzimer, begrĂŒĂt ihn mit einem kleinen KĂŒsschen und beide gehen gemeinsam in die KĂŒche.
Edda mag diese gemeinsamen Stunden zu Tisch, dort lassen beide immer ihren Tag Revue passieren. Heute allerdings hat Edda mehr zu erzÀhlen als Robert. Allerdings weià sie nicht so recht wo sie anfangen soll.
Sollte sie mit diesem bewegenden
Erlebnis mit Miss Punk beginnen?
Oder sollte sie lieber von ihrem Vorhaben mit Iwan berichten
Sie entschlieĂt sich fĂŒr Miss Punk, denn allzusehr beschĂ€ftigt sie dieses Thema und ihr Robert hat immer so gute RatschlĂ€ge. Sie wĂŒrde am liebsten zur Polizei gehen und den Mistkerl anzeigen, aber muss das nicht von den Angehörigen und Betroffenen ausgehen?
Wie nur kann sie das MĂ€dchen davon ĂŒberzeugen?
Alles Gedanken, die sie nicht zur Ruhe kommen lassen.
Zaghaft beginnt sie zu erzÀhlen und bittet Robert damit um seine ehrliche Meinung und seinen Rat.
"Robert, heute hatte ich ein Erlebnis der besonderen Art!", beginnt Edda das GesprĂ€ch. "Mich besuchte heute ein Paradiesvogel - nennen wir sie einfach mal Miss Punk. Sie erzĂ€hlte mir ihren Traum von einem MangobĂ€umchen unter deren Blatt sich eine Spinne eingenistet hat. Als es dunkel wurde kam sie aus ihrem Versteck und begann das Zimmer zuzuweben, bis das Gespinnst ganz dicht wurde. Dann hĂ€ngt diese Spinne plötzlich ĂŒber ihr und fĂ€ngt an sie auszulachen. Und als sie ganz genau hinschaut erkennt sie das Gesicht ihrer Mutter.", fĂ€hrt sie fort. "Beim Deuten kamen wir auch auf Ăngste und Zweifel sowie Beziehungen zu sprechen",
bemerkte sie noch, "und dann verlieà sie nachdenklich mein GeschÀft. Aber schon bald tauchte sie wieder auf um mir ihre Geschichte zu erzÀhlen. Von ihrem Vater, der sie zwar liebt, aber nicht so wie andere VÀter ihre Töchter lieben. Immer wenn ihre Mutter Schicht hat,muss sie ihren Vater verwöhnen und an Stellen streicheln, die sie nicht mag. Und wenn alles steht, befriedigt er sich selbst. Ihrer Mutter darf sie aber nichts sagen, weil sie sonst ins Heim kommt, wie ihr ihr Vater immer sagt."
"Robert ich brauche deinen Rat!", fleht sie ihn an.
Robert ĂŒberlegt nicht lange, denn auch er ist der Ăberzeugung, dass alles von
den Betroffenen ausgehen sollte. Obwohl man ja verpflichtet wÀre, dies anzuszeigen.
"Edda, am besten ist es, das MÀdchen dahin zu bringen, dass nicht sie ins Heim muss, sondern ihr Vater eher Angst davor hat ins GefÀngnis zu kommen.", erwiedert Robert.
"Es gibt auch die Möglichkeit anonym beim Jugendamt anzurufen und dieses Problem darzulegen.", fÀhrt er fort.
"Aber ob die durchgefĂŒhrten Kontrollen, dann auch den gewĂŒnschten Effekt herbeifĂŒhren, ist höchst zweifelhaft. WeiĂ das MĂ€dchen aber, das ihr Vater Angst vor dem GefĂ€ngnis hat, hat sie schon eine Trumpfkarte in der Hand. Sie
kann ihren Vater durch ihr Wissen erpressen und mit Anzeige drohen, die hÀlt ihn vielleicht von diesen Taten ab. Sie wird sich aber sicher weigern ihren Vater anzuzeigen. Welche Kind möchte schon, das der Vater hinter Gitter kommt, vorallem wo er ihr nie wegetan hat. Vielleicht sollte sie auch einfach mal mit ihrer Mutter reden, obwohl es ein heikles Thema ist. Aber sie ist alt genug allein nach Lösungen zu suchen, man muss sie ihr nur aufzeigen.", hÀngt Robert noch hinten an.
Ein kleines LĂ€cheln huscht ĂŒber Eddas Gesicht, und sie fĂŒhlt sich um einiges erleichtert.
Robert ist froh, dass Edda soviel zu
erzĂ€hlen hat. Wenn er auch berichten wĂŒrde, dann kĂ€me auch sein heutiges Geheimnis ans Tageslicht. Er fĂŒhlt jedoch, dass Edda noch mehr quĂ€lt.
"Ich merke, es brennt dir noch mehr auf der Seele!", sagtRobert daraufhin zu Edda und diese senkt ihren Blick und nickt.
"Und was wÀre das?", will er von ihr wissen.
"Ich werde in der nÀchsten Zeit mehr Arbeit mit nach Hause bringen.", sagt Edda ganz kleinlaut, denn sie will Robert nicht zu sehr mit ihren Problemen belasten.
"Warum denn das?", bohrt Robert weiter nach.
Auf Eddas Wangen breitet sich Röte aus und sie beginnt zu erzĂ€hlen: "Ich habe heute versucht Iwans Traum zu deuten und es breitete sich ein einziges Wirrwarr vor mir aus. Ich muss mehr Zeit mit ihm verbringen um herrauszufinden was er von mir möchte. Ich spĂŒre das wir zusammengehören und auch er weiĂ es. Warum sonst hĂ€tte er zu mir kommen sollen. Ich muss so sehr viel herrausfinden, bevor ihn seine KrĂ€fte ganz verlassen."
"Wenn es dich so sehr danach drĂ€ngt, dann tue es und finde raus, was euch zusammenschweiĂt. Auch ich brenne schon vor lauter Neugierde. Stille endlich deine Neugierde und ich hoffe
fĂŒr dich, dass es diesesmal gut fĂŒr dich ausgeht.", sagt Robert zum Abschluss des Abends.
Stunden sind inzwischen vergangen und beide ziehen sich zurĂŒck und machen sich fertig fĂŒrs Bett. Zuviel ist heute auf beide eingeprasselt und will verarbeitet werden.
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Edda ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus, als Melanie ganz schlaf-trunken auf der BildflÀche erscheint. Tagelang hat sie niemand zu Gesicht bekommen und heute, heute wird Robert seine Chance ergreifen. Er wird Melanie zu einem klÀrenden GesprÀch bitten.
"Melanie, komm doch bitte einmal zu mir!", ruft er ihr zu.
Melanie kennt diesen Tonfall nur zu gut, ein klÀrendes GesprÀch steht an.Mit ihren riesen Felltiegerpuschen und dem schlab-brigen Overallschlafanzug tabbst
sie auf ihn los um sich schon bald auf einen der StĂŒhle fallen zu lassen. LĂ€ssig, halb hĂ€ngend und einen Arm ĂŒber die Stuhllehne gehĂ€ngt, wartet sie auf das, was dort kommen mag. Nicht einmal ein "Guten Morgen", bringt sie ĂŒber ihre Lippen. Doch Robert lĂ€sst sich nicht einschĂŒchtern, er muss seine Gedanken endlich einmal loswerden.
"Melanie, was ist nur los mit Dir? Seit Tagen haben wir Dich nicht gesehen.", beginnt Robert das GesprÀch.
Melanie zuckt nur teilnahmslos mit den Schultern.
"Hast Du Dich eigentlich schon um eine Wohnung gekĂŒmmert?", will Robert nun
wissen.
Melanie ist ihre MĂŒdigkeit förmlich anzumerken. Sie rollt die Augen und schĂŒttelt ihren Kopf.
Da Robert das Haus, in dem er auch wohnt, gehört, macht er Melanie einen Vorschlag.
"Melanie, was hĂ€lst Du davon, zwei Etagen ĂŒber uns in die Wohnung der Frau Lenz einzuziehen?", fragt er sie direkt.
Melanie zeigt keine Reaktion, sie zuckt einfach nur immer wieder mit den Schultern.
"Melanie, wir freuen uns wirklich auf unsere neue Rolle als GroĂeltern und helfen Dir sicher gern bei der Eziehung
Deines Kindes. Aber wann willst Du endlich mal erwachsen und selbstÀndig werden?" fÀhrt der sonst so ruhige Robert sie an.
Da endlich schaut sie ihn mit ihren leeren verweinten Augen an. Ihre BlÀsse macht ihm Angst, wie auch die tiefen duklen Augenringe. Anteilnahmslos sieht sie ihn an.
"Was ist los?", fÀhrt er sie an.
Da rollen ihr dicke TrĂ€nen ĂŒber die Wangen und sie beginnt stockend zu reden: "Es ist nicht mehr da! Einfach weg!"
"Was fehlt Dir denn?", möchte Robert wissen.
"Ich liege nur noch wach und warte, das
es mich wieder tritt, so wie noch vor fĂŒnf Tagen." antwortet sie mit trĂ€nenerstickter Stimme.
"Willst Du mir damit sagen, dass Du Dein KInd nicht mehr spĂŒrst?", will Robert von ihr wissen.
Sie nickt nur traurig.
Robert stĂŒrzt in ihr Zimmer und holt die Tasche, die schon seit Wochen fertig gepackt dort steht. In ein paar Wochen wĂ€re Termin gewesen.
Sollte sein Traum ihm dies gewiesen haben. Die Angst um seine Tochter, die fast sein Herz zerreiĂen lĂ€sst. Das gleiche GefĂŒhl wie im Traum, breitet sich gerade in ihm aus.
Gemeinsam mit Melanie verlÀsst er die Wohnung und geht mit ihr zu seinem kleinen roten Flitzer.
Auf der StraĂe starren sie alle an, denn Melanie sieht noch genau so aus, wie gerade eben beim GesprĂ€ch. Mit ihrem Overallschlafanzug und den Tigerfell-puschen hat sie eine ziemliche MĂŒhe ihrem Vater zu folgen. Mit einem Plumps lĂ€sst sie sich in die tiefen Sitze von Papas Wagen fallen. Auch ihr dicker Bauch stört sie dabei gewaltig. Schon geht es im rasanten Tempo in Richtung Krankenhaus.
Melanie lÀsst sich auf einen Stuhl in der
notaufnahme fallen und sieht ihren Vater wie er wild gestikulierend mit einer Schwester sprach. Und doch mussten sie warten. Eine Stunde verging und bald auch eine zweite, als Melanie endlich aufgerufen wird.
Sie muss bleiben.
Eine sofortige Notoperation wartet auf sie.
Robert wird ganz bleich.
Ab heute glaubt er an das Reale im Traum. Das Messer wird nun zum Skalpell, und der Schnitt wird Melanie von ihrem Kind trennen, welches sie nun schon seit Monaten in sich getragen hat.
Vor ihm scheint sich ein riesiges schwarzes Loch auszudehnen und er sackt in sich zusammen.
Als er erwacht, findet er sich auf einer der Pritschen des Krankenhauses wieder.
Ein wenig wird er noch liegen bleiben und sich von den soeben erlebten Strapazen erholen. Dann wird er sich auf den Weg zur Arbeit begeben.
Als er sich auf den Weg nach Hause macht, stöĂt er mit einer Frau zusammen, die gerade genauso gedankenverloren wie er, ins Krankenhaus kommt. Beide schauen sich mit groĂen Augen an und dann, kullern Robert erneut die TrĂ€nen ĂŒber seine
Wangen und er schĂ€mt sich nicht ein bisschen dafĂŒr. Edda schaut ihn fragend an und aus Robert kommt es mit trĂ€nenerstickter Stimme hervor: "Melanies Kind ist seit fĂŒnf Tagen tot und sie hat sich verkrochen, anstatt sich uns anzuvertrauen. Warum nur tat sie das? Jetzt liegt sie auf dem OP-Tisch. NotOP, weil Lebensgefahr besteht." Edda nimmt Robert tröstend in den Arm und fĂŒhlt sich genauso hilflos wie er. Ach wie sehr hatten sie sich doch alle auf den kleinen Sonnenschein gefreut. Und nun?
Alles aus?
Alles umsonst?
Edda denkt an ihr erlittendes Schiksal
und eine Traurigkeit macht sich in ihr breit. Sie scheint den Boden unter ihren FĂŒĂen zu verlieren, fĂ€ngt sich aber ganz schnell wieder. Eine kleine TrĂ€ne kullert ihr ĂŒber die Wange und dann löst sie die Umarmung.
Robert setzt nun seinen Weg fort und Edda geht zu Iwan.
Als Edda das Zimmer von Iwan betritt, beschleicht sie ein ungutes GefĂŒhl.Er schaut sie wie immer freundlich, aber doch mit leeren Augen, an und ein kleines LĂ€cheln, das gerade um seine Mundwinkel huscht, scheint ihm sichtlich Schwierigkeiten zu bereiten.
Edda beginnt wieder ihre Prozedur der Pflege und Iwan scheint sichtlich aufzublĂŒhen.
Edda hat sich immer die Zeit genommen ihren Patienten Liebe zu geben, auch wenn ganz anderes in den PflegeplĂ€nen stand. Und sie bakam diese Liebe tausendfach zurĂŒck. Sie ist immer in der
Aufgabe als Karnkenschwester aufgegangen und, hat sich ĂŒber die Kollegen geĂ€rgert, welche sich strikt an alles hielten, was auf den Papieren stand.
Als Iwan wieder in seinem Bett liegt, beginnt er zu erzÀhlen:
"Edda ich wollte zu Dir! Du hast sicher genau wie ich, versucht meinen Traum zu deuten und bist auch zu keinem Resultat gekommen. Hab ich recht? Zu verwirrend das Ganze. Ich erzĂ€hlte meinen ganzen Freunden davon und einer von ihnen hatte die Idee. Da ich ganz alleine lebe und plötzlich an einer Krankheit erkrankte fĂŒr die es keine Heilung gibt, dass mir mein Unterbewusstsein vielleicht sagen wolle,
dass es da noch jemand gebe, nicht hier sonder in Westeuropa. Und er begab sich auf die Suche. Er recherchierte in Ahnenforen und was weiĂ ich wo, bis er eine Spur fand, welche zu Dir fĂŒhrte."
Edda nahm seine Hand und streichelte sie ganz zart und sie getand Iwan, dass auch sie einen Traum hatte von einem Greis und einer Greisin. Sie verkĂŒndete ihm, dass sie gespĂŒrt habe, dass sie beide etwas miteinander zu tun hĂ€tten. Sie hĂ€tte auch geahnt, das er krank sei und nach ihr suche.
Iwan fĂ€hrt fort: "Die Geschichte beginnt zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Meine Mutter wurde in OstpreuĂen geboren. GroĂvater musste mit ihr fliehen, um
nicht als möglicher Spion verhaftet zu werden. Er ging mit meiner Mutter zurĂŒck nach Russland, wo er geboren wurde. ZurĂŒck zu seiner Familie, nach Sibirien, wo er viel UnterstĂŒtzung fand. Gemeinsam zogen sie meine Mutter groĂ.
Aber ich hatte keine Mutter und ich fragte mich immer, was mit ihr geschehen sei.
Wollte sie nicht mit nach Russland?
Haben sie sich auf der Flucht verloren?
Ist sie gar gestorben?
Mein Vater erzĂ€hlte nie darĂŒber und ich wagte mich nie danach zu fragen. Ich weiĂ nur, dass sie Deutsche war."
Seine Stimme wurde immer leiser und schon bald kam Edda nur noch ein
zischen zu Ohren - Iwan war eingeschlafen. Mitten in der Geschichte, die Eddas Neugierde stillen sollte. Aber morgen wird sie ihn ja wiedersehen. So
Gott will.
Edda fĂ€hrt mit der U-Bahn in Richtung ihres Ladens. Als sie aussteigt und ein paar Ecken zu FuĂ zurĂŒcklegen muss, eh sie ihren Laden erreicht, denkt sie ĂŒber all das gehörte nach.
Was hat sie nun damit zu tun?
Aber sie hat nicht lange Zeit darĂŒber nachzugrĂŒbeln. Als sie um die letzte Ecke biegt, kann sie vor ihrem Laden eine Ă€ltere Frau warten sehen
Eddas Schritt wird etwas schneller und die Frau winkt ihr aufgeregt zu.
Was wird wohl auf Edda zukommen?
Was wird die Frau so aufregendes erlebt haben - was sie so nervös macht?
Edda schlieĂt ihren Laden auf und bittet die Dame herein.
Als sie ihre Sachen abgelegt hatten und sich gegenĂŒbersaĂen, fĂ€llt Edda auf, dass diese Frau völlig verkrampft vor ihr sitzt.
Auf die Frage, was sie denn hier her brÀchte, starrt die Frau zu Boden und ihre Wangen erröten. Sie ringt förmlich nach Worten und beginnt leise zu sprechen.
"Ich habe getrÀumt.", beginnt sie ihr GesprÀch.
"Und darf ich auch wissen was?" fÀhrt Edda fort, wie immer mit ihrem Notizblock bewaffnet.
Wieder starrt diese Frau zu Boden und flĂŒstert fast unhörbar: "Ich weiĂ nicht ob ich darĂŒber sprechen kann!"
Edda ist verwundert.
"Aber warum sind Sie denn dann hier?", will sie wissen.
"Weil ich so gern wissen möchte, was mir dieser Traum sagen möchte!", erwiedert die Frau.
"Na dann schieĂen sie mal los, ich verrats auch keinem.", versucht Edda die Frau zu beruhigen und sie aus ihrem
Mauseloch zu holen.
BeschĂ€mt beginnt die Frau zu reden: "Ich fahre mit dem Zug in unsere Landeshauptstadt und gehe in einen Laden. Alles nur Holz. Ein kleiner Raum und quadratisch. An den WĂ€nden sind Holzbretter auf denen die Waren stehen. Die Kasse steht in de Mitte des Raumes. Die Schlange die sich gebildet hat, bewegt sich langsam durch den Raum, immer an den Regalen vorbei. Ich fĂŒhle mich bedrĂ€ngt, weil von hinten schon wieder geschoben wird. Meine Creme die ich kaufen wollte, finde ich nicht. Ich gehe zum Zug und fahre wieder nach Hause. Zu Hause steige ich in mein Auto und fahre zu dem Drogeriemarkt in
unserer Stadt und....", plötzlich lÀsst sie das GesprÀch verstummen.
Warum auch immer, aber sie kann nicht weiter reden.
"Und?", schaut Edda erstaunt auf, welche gerade in Schreiblaune ist.
Ersteinmal bleibt das GesprÀch stumm - denn unvermittelt platzt der Zackenbarsch Miss Punk herrein. Sie will wissen, ob ihr Bild schon fertig sei.
Edda hat noch nicht einmal begonnen zu malen. Einfach keine Zeit - zu viel strömt zur Zeit auf sie ein. Recherchiert hat sie schon genug, aber bis jetzt hat sie sich noch nicht an die Ausarbeit
gewagt. Zu kompliziert erscheint ihr die Genauigkeit der HÀrchenplatzierung. "Ich mach mich demnÀchst an die Arbeit.", sagt sie zu Miss Punk.
"Komm wie verabredet nÀchste Woche Dienstag wieder!", fÀhrt sie fort.
Wie ein Wirbelwind, dreht Miss Punk sich und verlÀsst den Laden.
Der Blick der Frau ist immer noch gesenkt. Plötzlich blickt sie Edda in die Augen und errötet. Sie öffnet ihren Mund ein wenig und beginnt wieder zu reden. "Ich stelle meinen Wagen auf einem Parkplatz ab und...", sie senkt wieder ihren Blick und flĂŒstert in Richtung
Boden weiter, "...ziehe mich, aus Protest nackisch aus. Dann begebe ich mich so wie ich bin in Richtung Drogeriemarkt. Leute starren mich an. Mir ist es egal. Ich streife durch den Laden, steh vor meiner Creme, da höre ich eine mir bekannte Stimme. Meine SchwĂ€gerin! Ich fliehe aus dem Laden und verstecke mich in einem Hauseingang. Meine Nichte ist auch dabei. Sie hat mich entdeckt. Meine SchwĂ€gerin hĂŒllt mich in eine warme Decke, wo auch immer sie sie gerade her hatte. Sie bringt mich zu meinem Auto und dann wache ich auf.", beendet sie das GesprĂ€ch. Edda begibt sich an ihren Computer und
beginnt zu deuten. Schon dabei beschleicht sie ein ungutes GefĂŒhl. Diese Frau scheint Probleme ĂŒber Probleme zu haben, die sie verarbeiten muss. Nur leider versteckt sie sich hinter einer Fassade die fĂŒr sie unerklimmbar zu sein scheint. Sie ist nicht fĂ€hig ihr eigenes Ich zu erkennen geschweige dann auszuleben. Sie sucht nach Anerken-nung - bei Mitmenschen oder gar beim Partner. Irgendwie oder irgendwo scheint sie sich in Abseits gedrĂ€ngt zu fĂŒhlen. Sie hat erkannt was ihr fehlt - ihr fehlt nur der Mut etwas zu Ă€ndern. Aber ob es was bringt, wenn man sich im Zentrum der Aufmerksamkeit sieht? Sie sollte sich
offensiv mit ihren Problemverursachern auseinandersetzen. Was es auch immer zu sein scheint, sie muss etwas dagegen tun, sonst richtet sie die ganze Sache zu Grunde. Mit einem nachdenklichen aber auch fragenden Gesicht kehrt Edda zu der Frau zurĂŒck. Sie beginnt zu reden: "Ihr Traum hat ihnen Ihre Einstellung zu sich selbst klar gemacht. Aber auch auf Beziehungen zu anderen Menschen und ihrem Sozialverhalten hingewiesen. Sie möchten etwas haben, was ihnen bisher verwehrt wurde. Um es gerade herraus zu
sagen - Sie suchen nach Anerkennung. Im Abseits zu stehen ist nicht angenehm. Es wurde zwar das Selbst erkannt, aber sie kommen nicht aus ihrer Haut herraus. Sie wĂŒnschen sich innerlich im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Aber bringt das fĂŒr Sie wirklich etwas? Sie verstecken sich hinter einer Fassade und verbergen ihr Selbst. Scheuen sie die Verantwortung? Wenn sie im Traum ein Auto selbst lenken, werden sie dazu aufgefordert, mehr AktivitĂ€ten zu entwickeln, um das Leben zu verĂ€ndern und neue Ziele anzustreben. Der Parkplatz warnt eindringlich davor, die Augen weiterhin vor Problemen zu schlieĂen. Der Platz ist
immer das Zentrum der Psyche. Sie haben den Wunsch, so gesehen zu werden wie sie sind und möchten ihr Wesen enthĂŒllen, ohne eine Fassade errrichten zu mĂŒssen. Zeigen sie mehr Offenheit und Ehrlichkeit. Legen sie falsche Hemmungen ab! TĂ€uschen sie andere nicht lĂ€nger! Legen sie ihre Angst vor BloĂstellung ab! So sĂ€en sie nur weiterhin ĂŒble Nachrede. Sie rennen in Ihrem realen Leben vor einer Entscheidung davon. Sie sind nicht konfliktfreudig! Wechseln Sie nicht stĂ€ndig ihre Einstellung oder Denkweise. Packen sie da Problem an der Wurzel an. Jagen Sie
so ihre vielen unnötigen Sorgen davon.
Sie haben ein groĂes BedĂŒrfnis nach Sicherheit.
ErgrĂŒnden Sie was sie vor sich selbst und anderen verstecken.
SchĂ€men sie sich dafĂŒr?
Empfinden Sie SchuldgefĂŒhle?
Packen Sie es an!
Sie haben ihr Ziel vor Augen."
Edda beendet das GesprĂ€ch und die Frau beginnt zu weinen. Dicke TrĂ€nen kullern ihr ĂŒber das Gesicht.
Schluchzend beginnt sie zu reden:
"Das habe ich mir fast gedacht. Der Traum hat mir alles gesagt, was zu tun
ist, um aus diesem Schlamassel heraus zu kommen. Seit Monaten lebe ich in mich zurĂŒckgezogen. Keine Anerkennung auf Arbeit. Man lĂ€sst mich auĂen vor stehen. Ich habe mir ein RĂŒckzuggebiet erschaffen und lass keinen mehr an mich heran."
Wieder schaut sie zu Boden und schweigt, um gleich wieder fast flĂŒsternd fortzufahren.
"Auch meine Ehe leidet zunehmend darunter. Selbst meinen Mann stoĂe ich ab. Ich habe um mich herum eine so hohe Mauer errichtet, das ich sie nicht alleine niedergerissen bekomme. Selbst
der Sex leidet darunter. Ich bin so verkrampft, das alles so sehr schmerzt.", sie schaut nach unten und traut sich nicht Edda anzuschauen.
Edda ist peinlich berĂŒhrt. Das hat der Frau sehr viel Mut abverlangt, dieses GestĂ€ndnis vor Edda abzulegen. Daher steht Edda auf und nimmt dieses HĂ€ufchen Elend liebevoll in den Arm. Ein kleines Strahlen huscht ĂŒber das Gesicht der Frau und sie fĂŒhlt sich endlich einmal verstanden.
Edda verabschiedet sich freundlich von der Frau und nimmt sie zum Abschied nochmals in den Arm. Sie gibt ihr noch mit auf den Weg sich professionelle
Hilfe zu suchen. Ein Psychologe und eine Paartherapeutin wÀren da empfehlenswert. Und sie solle sich mal die Fragen durch den Kopf gehen lassen, die Edda ihr vorhin gestellt habe. Vielleicht hilft ja auch schon ein klÀrendes GesprÀch zwischen den Kollegen aus diesem Teufelskreis heraus.
Dankbar hĂ€lt die Frau Eddas Hand. Sie ist froh ĂŒber all das erlebte gesprochen zu haben und macht sich etwas aufrechter auf den Heimweg.