Romane & Erzählungen
Das Schloss - Kapitel 3

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"Das Schloss - Kapitel 3"
Veröffentlicht am 25. September 2013, 14 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Das Schloss - Kapitel 3

Das Schloss - Kapitel 3

Beschreibung

Die Veröffentlichung der Geschichte des Schlemil Hofmann, welche bisher ins Reich der Mythen verdrängt worden war in all ihrer erschütternden Wahrheit bei der die Erkenntnis folgt, dass es mehr gibt als das, was wir sehen und erklären können. Im Folgenden wird Schlemil ungeahnte Fähigkeiten offenbaren, die ihm selbst nie bewusst waren.

Je weiter wir in den Süden kamen umso dichter wurden die Wälder, umso bergiger das Land. Doch auf der großen Straße, welche wir befuhren, erblickten wir schließlich die große Messestadt Frankfurt. Schon am Stadttor hatte man uns erwartet und lotste die Kutsche, geführt von zwei Reitern auf stattlichen Pferden, hin zur Residenz des Grafen zu Darmstadt, welcher sich gerade zur Messe hier aufhielt.

Der Empfang war ein ins Gegenteil verkehrter zu dem beim Earl zu Hannover. Es trat uns ein älterer Herr entgegen, mit grauer Perücke, welcher uns ebenso freundlich begrüßte, jedoch ohne jegliche Affektion. Galant verbeugte er sich vor der schönen Reisebegleitung und mich begrüßte er mit festem und ehrlichen Händedruck. Einen Ehrenmann und Kavalier erkannte ich in ihm, was mir gefiel. Ich handelte schon in Hamburg nur mit Herren mit festem Händedruck, welcher wie eine Offenlegung des Inneren ist, ebenso die Augen. Erblicke ich einen ehrlichen Blick und festen Händedruck habe ich es mit einem soliden und guten Mann zu tun.

Er wies uns in das kleine Schlösschen, welches er für kurzfristige Besuche nutzte. Es war in der Tat von einem bescheidenen Wohlstand. Überall edle Holzvertäfelung, große Fenster, ein paar wenige Bediente. Er bat uns in die Bibliothek, wo wir uns um ein kleines Feuer im Kamin setzten. Er war sehr zuvorkommend. Man reichte uns Wein, ich lehnte ab und dieser Gastgeber nickte nur kurz, er war nicht erschrocken darüber, dass es Menschen geben sollte, die diesem Laster nicht stark frönten.

„Ich freue mich über ihren Besuch. Gräfin, Ihr wart schon lange nicht bei mir zu Besuch. Ich erinnere mich, dass Eure Frau Mutter noch dabei war, als Ihr zuletzt bei mir erschienen seid. Und ich darf bemerken, dass Ihr seitdem nichts an jugendlicher Schönheit habt eingebüßt“, sprach er das Kompliment, welches Elisabeth mit Dank erwiderte und leicht errötete. Ich war dieses Mal nicht erbost, er war ein Galan, ein großer Mann, das sah man ihm an.

„Sie beide kommen wahrlich zur besten Zeit, auch wenn der Anlass wahrlich nicht zur Freude anregt. Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen“, wandte er sich an mich.

„Ich danke Ihnen, Herr Graf. Aber Trauer will nicht recht aufkommen, da ich die Verstorbene bisher nicht kannte. Und was ich bisher musste hören, das hat mich zutiefst erschrocken, weil diese lächerlichen Behauptungen, welche der Earl of Kensington äußerte, nichts weiter sind als Rufschädigungen.

„Ja, es kamen mir auch Gerüchte zu Ohren. Aber ich muss gestehen, an meinem Hofe verkehrte sie selten. Ich erlebte sie als galante Dame, so war sie immer und sie hatte, das werden Sie ja gehört haben, immer von Verehrern umgeben. Sie hatte eine unwiderstehliche Wirkung auf das andere Geschlecht, aber das ist ja kein Makel. Und die anderen Dinge. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen sollte. Was habt Ihr infantiles gehört, ich will doch erst einmal so beginnen.“

Er blickte uns gespannt an.

„Ihr Leibarzt soll verrückt geworden sein bei seinem letzten Besuch bei der Toten“, sprach Elisabeth vollkommen ruhig.

„Ja, dies hörte ich, ebenso dass sich alle Priester weigerten ihr die letzte Ölung zu gewähren. Aber wer kennt schon die Gründe. Ich kann mich dazu nicht äußern und glaube, dass alles seine natürliche Ursache haben wird.“

Ich erhob mich erfreut.

„Ihr sprecht mir aus der Seele, Exzellenz!“

„Ich dachte mir schon, dass ein tüchtiger junger Mann wie Ihr, man erzählte mir von Eurem Handelsgewerbe zu Hamburg, mit beiden Beinen fest auf dieser Erde steht. Und ich finde die Spukgeschichten aus unserer Regionen schöne Zeitvertreibe für dunkle Herbst- und Winterabende, aber nicht für bare Münze zu nehmen. Ich finde unsere Zeit ist zu klug, als dass wir an solche Dinge noch glauben dürfen.“

Ich hatte in dem Grafen zu Darmstadt einen Bruder im Geiste gefunden. Umso mehr erfreute mich nicht das kommende Treiben an welchem wir teilnehmen sollten. Gerade jetzt sollte eine große Vogeljagd stattfinden.

Ich halte nichts von der Jagd. Wieso sollte man wilde Tiere schießen, da man alles züchten kann, was man braucht. In den Zeiten, da der Mensch noch keine Domestizierung des Wildes beherrschte, da war es eine Notwendigkeit. Doch nun, da wir nicht nur Pflanzen, sondern selbst Tieren Herr sind, da wird dieser sogenannte Sport zum Zeugnis längst vergangener Tage. Ich hatte niemals eine Waffe bei mir geführt und selbst niemals mit ihr etwas vollbracht. Ich focht als Student, das ist wohl wahr. Aber fechten, das ist ein Kampf der Intelligenz, der Reaktion. Das ist kein sinnloses Schlachten von Lebewesen, dessen wir nicht mehr bedürfen. Umso erschrockener war ich seinerzeit, als ich von britischen Handelskollegen hörte, die in den fernen Vereinigten Staaten handelten und dort berichteten, dass jeder Mann zum eigenen Schutze mindestens ein Gewehr bei sich führe.     

So schlug ich zuerst das Erbeten meines Gastgebers aus, ich wollte, genau wie meine Begleitung diesem Schauspiel lediglich als Zuschauer beiwohnen. Doch im nahen Fort wo man, so sagte man uns, gezüchtete Vögel, welch Hohn, in die Lüfte steigen ließ um sie dann zu schießen, da drückte mir einer der Wildhüter ein Gewehr in die Hände.

Was hätte ich tun sollen? Ich wollte mich nicht lächerlich machen, indem ich das Gewehr abschlug. Zudem drängte der Mann mich sofort dorthin, wo ich mich positionieren sollte. Er war ein großer und bulliger Herr, gegen den Man nicht ankommen konnte. So blickte ich die Herren neben mir an, wie diese schossen. Ich imitierte das Gesehene.

Was folgen sollte kann ich mir nicht erklären. Ich blickte auf einer der Vögel, den ich schießen sollte und drückte ab, der Vogel sank tot zu Boden. So geschah es auch mit den Folgenden, kein Schuss fehlte. Selbst die Wildhüter waren voller Bewunderung für meine Künste.

„Ihr seid wie Samiel in der Weberschen Oper vom „Freischütz“, so scheint es mir!“, rief der Graf lachend. Doch bei der Erwähnung dieses Namens erschauderte ich, damals noch vollkommend unwissend.

Die toten Vögel schaffte man in die Küche, wo man sie zubereitete für das Mahl am Abend. Die Stimmung im etwas erweiterten Kreise war angenehm, leicht ausgelassen, aber nicht ausschweifend oder gar dekadent. Auch ich fühlte mich an der Seite der Gräfin zu Würzburg, meiner Begleiterin, sehr wohl. Ich tanzte mit der sublimen Dame mehrmals.

„Ihr seid ein wahrlich guter Tänzer, Herr Hofmann“, bemerkte sie und war deshalb bereit mir die meiste Zeit auf der Tanzfläche zu widmen. Es schien sogar, dass sie froh war, wenn sie von der Hand eines fremden Tänzers wieder bei der Quadrille in die Meine geführt wurde. Aber auch ich fand nichts an der weiblichen Aristokratie um mich, bis auf Elisabeth, was ich aber auf die längere Zeit schob, die wir beide schon miteinander verbracht hatten.

Der Abend schritt voran und man ließ das Tanzen bleiben, unterhielt sich nun ausgelassen. Dabei blieb ich meist außen vor, denn viele Gespräche drehten sich um Entwicklungen in verwandten Königshäusern, von denen ich nie gehört hatte und zu denen ich mich nicht äußern konnte. Politische Entwicklungen, die man kurz ansprach, da verbarg ich meine doch recht revolutionären Gedanken. Meine einzigen Gesprächspartner waren Elisabeth, mit der ich ein wenig über die noch anstehenden Stationen der Reise sprach und der Graf, mit dem ich eine Leidenschaft für Kant, unseren Chinesen zu Königsberg, teilte.

Man spielte nun auch vereinzelt selbst Musik. Ein paar der Damen konnten singen, dass man ein Engagement an einem Opernhaus ihnen gerne antragen würde. Die Herren musizierten meist redlich bemüht doch ohne Genius. Ich selbst betrieb seit Jahren das Geigenspiel. Und da sich meine Vorgänger nicht besonders hervorgetan hatten so glaubte ich, könne ich mich zumindest mit ihnen messen.

Man reichte mir das Instrument, welches ich schon einige Tage hatte nicht mehr in Händen gehalten. Ich fühlte das Instrument in meinen Händen, den schlanken Hals, der perfekt in meiner Linken lag. Ich zupfte die Saiten der Reihe nach an, so als müsste man sie stimmen, was vollkommen ohne jeglichen Sinn war, aber so verfuhr ich ein jedes Mal mit meinem eigenen Instrument. Zaghaft strich ich über eine Saite, dann über mehr und entlockte der Geige erste Töne. Wohl schienen die ersten Gäste, ob meiner längeren Vorbereitungsprozedur, schon unruhig zu werden. Es interessierte mich nicht, da mich, ohne Vorwarnung, ein warmer Fluss durchströmte. Mein ganzer Körper fühlte sich seltsam enthemmt an, ich wusste nicht recht, was ich tat, nur, dass ich meine Finger auf die Saiten legte und zu spielen begann. Ein kurzes, ruhiges Interludium bis ich in immer größere Höhen stieg, andere Musiker stimmten ein. Die kleine Hofkapelle war bisher nicht aktiv gewesen, seit sie zum Tanze aufgespielt hatte. Nun beflügelte sie mein Spiel selbst zu waghalsigen Improvisationen, welche wie durch Zauberhand gelangen. Ich passte mich den Mitspielern an und sie sich mir. W8ir verschmolzen zu einer klanglichen Einheit, das hatte nichts mehr mit den Individuen zu tun, welche da die Klangkörper bedienten, sondern dass war etwas anderes, etwas Höheres, will ich meinen. Aber umso erstaunlicher war mein Finale. Es war ein Spiel von Feuer, anders kann ich es nicht nennen. Ich brannte wie alles um mich herum. Die anderen Musiker verstummten, weshalb ich umso lauter und eindringlicher spielte. Woher ich die Harmonien nahm wusste ich nicht. Es ähnelte weder dem, was ich spielte, noch dem, was ich jemals hatte gehört. Und wenn man mich fragt, ich kann nicht sagen, wie lange ich so, versunken in mein Spiel, es immer wilder trieb. Und dann, mit einem Tempo, welches unbeschreiblich ist und einem jeden Komponisten die Tränen in die Augen treiben würde, bei dem Gedanken daran, dass die niedergeschriebenen Noten nie von einem menschlichen meister könnten gespielt werden, ich vermochte sie an jenem Abend aus seinem Kopf zu entlocken. Und ich verstummte nach jenem Sturm wie der Baum, der niederfällt.

Die letzten Töne hallten nach. Und noch schlimmer als die Melodie, welche ich laut intoniert hatte, war die nun anhaltende Stille, welche mir in den Ohren schmerzte, dass ich dachte, die Stille würde meine Gehörgänge sprengen. Doch der erlösende erste Schlag kam von Elisabeth und alle stimmten ein in einen Jubel, wie man ihn von einer blaublütigen Gesellschaft nicht wäre gewöhnt. Man schrie aus Leibeskräften, klatschte, bis die Hände bluteten nur um mir Tribut zu zollen. Ich legte das Instrument zur Seite, widerstand den Rufen nach einer Zugabe. Es war leer in mir, ich war in diesen Augenblicken wie tot. Ich hätte keinen geraden Ton spielen können, das spürte ich tief in mir. Was da aus mir geflossen war hatte körperliche Züge, war unvermindert aus mir gekommen, wie sich der Fluss wild die Klippen herabstürzt. Und ich war zerschellt, zernichtet. Nichts in mir hatte die Kraft auch nur eine Sekunde länger in dieser Gesellschaft weilen zu können. Von der Gräfin zu Würzburg ließ ich mich dann auch auf mein Zimmer führen. Dort musste sie mein Fenster öffnen und mich zudecken wie ein kleines Kind, weil mir jegliche Kraft aus den Gliedern gewichen war. Jede Stufe eine Qual, jeder Schritt ein mehrfacher Tod.

Der kommende Morgen war für mich, nach einer traumlosen Nacht, erträglich. Noch schmerzten mir alle Glieder, aber ich konnte allein gehen, auch wenn es sehr merkwürdig aussehen musste. Meine Gastgeber fragte auch mehrmals, ob ich nicht noch einen Tag würde verweilen wollen, ich sähe wie ein lebendiger Leichnam aus. Doch ich verneinte, wichtige Pflichten erwarteten uns.

Er gab uns Wegzehrung für die anstehende Strecke mit, wir dankten höflich und fuhren weiter in Richtung des Königreichs Bayern.

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RogerWright
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