Beschreibung
Ein unfreiwilliger Ausflug in die Vergangenheit
oder
Wie werde ich das Phantom meiner Jugend los?
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„Hey Keule“, riefen sie wild durcheinander, „was treibst du denn da?!“ –
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„Kann ja wohl nicht wahr sein, knutscht der hier rum!“ –
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„Und dann auch noch mit unserem Mauerblümchen!“ –
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„Ach ja, er wollte sich ja bei ihr ‚entschuldigen’ “ –
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„Boah, aber dafür muss er sich doch nicht SO opfern!“
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Erschrocken wich ich noch weiter zurück und mein Gegenüber machte keine Anstalten, mich daran zu hindern. Er nagte statt dessen
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an seiner Unterlippe und schien sich zu schämen, ausgerechnet mit mir hier erwischt worden zu sein, so hektisch, wie sein Blick zwischen mir und seinen johlenden und feixenden Kumpel hin und her huschte!
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Soviel also zu meiner Hoffnung, das hier könnte mehr sein als eine nette kleine Wiedergutmachung.
Die Halbsätze und das Gejohle trafen mich wie Tiefschläge in den Magen und plötzlich durchzuckte mich eine lodernde Wut. Wahrscheinlich war das Ganze sogar so mit seinen Freunden verabredet, um mich endgültig vorzuführen! Um sich zu rächen!!
Mit einem roten Schleier vor dem Gesicht lachte ich auf und sagte dann so laut, dass es
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unmöglich irgend jemand im Umkreis von 20 m überhören konnte: „Verdammte Scheiße, JETZT weiß ich, warum du da drin niemanden küssen wolltest! Dient nur dem Schutz der Menschheit, was?! 'Labbriger Waschlappen' wäre noch ein geschönter Ausdruck für deine Kuss-‚Künste’!!“
Dabei fuhr ich mir heftig mit allen verfüg-baren Ärmeln über den Mund und funkelte ihn zornig an.
Die Reaktion seiner Kumpel war dement-sprechend. Dass ich den Spieß so umdrehte, brachte nun sie beinahe zum Durchdrehen und eine Menge Hohn und Spott ergoss sich über Pershing.
Sein Mund klappte auf, doch ich kam ihm zuvor.
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„Das hast du dir so gedacht, mich hier reinzulegen, du Arsch!“, zischte ich ihm zu. Dann spuckte ich einmal heftig auf den Boden und rauschte durch das Spalier seiner Freunde, von denen mir jetzt einige sogar applaudierten, davon.
„Na, die hat es dir aber gegeben“, hörte ich noch, „wie fühlt sich das an, Mr. Waschlappen?!“
Es war ein schaler Triumph, aber es war zumindest einer ...
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Oder wenigstens keine totale Niederlage.
Lieber wäre es mir zwar gewesen, wenn an seinen Küssen etwas dran gewesen wäre, aber so hatte ich wenigstens meine Blamage in seine umgewandelt und konnte hoch
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erhobenen Hauptes abziehen – schnurstracks in Richtung Bus, in dem ich mich dann ganz nach hinten verzog und meinen Tränen freien Lauf ließ.
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„Hallo? Frau Stier, ist alles in Ordnung?!”
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Blinzelnd tauchte ich aus meiner Erinnerung auf. Der große blonde Mann mir gegenüber sah mich fragend an. „Geht es Ihnen gut? Möchten Sie ein Glas Wasser?”
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Hastig schüttelte ich den Kopf. „Nein nein, alles ok, ich war nur einen Moment lang abgelenkt.” Von der Erinnerung an einen Abend, der auf seine Art der schönste und der schrecklichste meines Lebens gewesen war, alles wegen des Mannes, der mir jetzt gegenüber saß und immer noch skeptisch guckte. „Ähm, gut, waren das dann also alle Ihre Anforderungen?”, fasste ich um Professionalität bemüht noch einmal den Zweck seines Hierseins zusammen.
„Ja, genau, meinen Sie, das ist machbar?”
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Da musste ich wirklich grinsen. Unmögliches aus dem Boden zu stampfen war meine Spezialität! Ich möchte zwar nicht behaupten, dass mich dieser Abend damals gebrochen hätte, aber vorsichtig hatte er mich schon gemacht, jedenfalls privat.
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Beruflich dagegen war ich eine totale Durchstarterin, für gewöhnlich war es kein Problem für mich, ein komplett neues Büro für jemanden zu entwerfen, einzurichten und warm laufen zu lassen. So wie es wahrscheinlich auch im Fall des Sängers vor mir sein würde, der hier mit dem Wunsch nach einem Büro seiner eigenen Plattenfirma vor mir saß. Allerdings wollte er es am liebsten gestern fertig haben und das würde natürlich extra kosten ...
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Erschrocken über mich selbst hielt ich kurz inne und horchte in mich hinein. Waren da immer noch die alten Rachegedanken?
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Aber beschleunigtes Eröffnen würde einfach tatsächlich teurer werden.
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„Ja, Herr Z-”
„Privat bitte lieber Korrnel!”
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„Okay, Herr Korrnel, das ist auf jeden Fall machbar. Ich werde Ihnen meinen Kostenvor-anschlag gleich morgen früh zukommen lassen, okay?”
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Ein Leuchten ging über sein Gesicht und erinnerte mich daran, warum ich damals so auf ihn gestanden hatte. „Das ist prima, bitte tun Sie das. Ich werde Sie dann auch so schnell wie möglich wissen lassen, ob er in Ordnung geht.”
„Danke.” Jetzt guckte er irgendwie komisch. „Ist noch was?”
„Hm, ich … Frau Stier, ich frage mich gerade … ob wir uns von irgendwo her kennen?”
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„Ähm, nein, ich würde nicht sagen, dass wir uns kennen”, antwortete ich hastig, vielleicht eine Spur zu schnell, aber so richtig gelogen war es nicht – denn zum Kennen hätte er damals meinen Namen wissen müssen ...
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„Nicht dass Sie wüssten, hm?”, er blickte mit hochgezogener Braue forschend in mein Gesicht.
„Sie kommen doch in Ihrer Karriere bestimmt viel rum, da ist Ihnen sicher mal jemand begegnet, der mir ähnlich sieht. War's das dann? Dann würde ich mich gerne an die Arbeit machen!”, warf ich ihn dann mehr oder weniger raus und er stand gehorsam auf, grüßte freundlich und verließ mein Büro.
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Vielleicht nicht die schlaueste Art und Weise, mit einem potentiellen Kunden umzugehen, aber seine Gegenwart hatte mich nun doch gestresst, nachdem ich die 'Gefahr' der Entdeckung gerade noch umschifft hatte. Wär mir dann doch zu peinlich gewesen!!
Eine arbeitsreiche Nacht später hatte ich den Kostenvoranschlag fertig und ich wusste einfach, dass er ihn annehmen würde - der Preis war schlichtweg unschlagbar fair!
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Ein Bote brachte die Unterlagen zu Pershing, na gut, offiziell Herr Korrnel, und ich gönnte mir erst mal eine Mütze voll Schlaf und anschließ-end einen gutes Frühstück mit viel Kaffee – um vier Uhr am Nachmittag. Wenigstens ein Vorteil, wenn man allein lebte, kein Partner, der sich über unkonventionelle Arbeitsrhythmen aufregte.
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So ein Schlaf am Vormittag ist aber trotz allem nie ganz so erholsam wie der in der Nacht, jedenfalls ist das bei mir so. Und natürlich hatte sich mein künftiger Klient in meine ver-schwitzten Träume geschlichen. Wollte ich ihn eigentlich wirklich als Kunden haben? Nachdem er mich damals so rein gelegt hatte?!
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