Mein Liebster!
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Ruhe ist nicht dasselbe wie Stille.
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Ein ruhiger Mensch ist nicht unbedingt auch ein stiller Mensch, wie auch ein stiller Mensch nicht unbedingt ein ruhiger Mensch ist. Man sagt „sei still!“ zu jemandem, den man nicht mehr hören will. „Lass mich in Ruhe“, sagt man, wenn man weder hören noch sehen noch fühlen will. Also hat Stille mit Geräuschen zu tun, Ruhe hingegen ist umfassender.
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Ruhe ist etwas, was nicht jedem beschieden ist. Ich glaube, jeder Mensch sehnt sich nach Ruhe. Nicht immer, aber hin und wieder sehnt man sich danach. Ich selbst kann es kaum ertragen, wenn ich unruhig bin. Wenn ich nicht schlafen kann, wenn ich herumtigere und nicht weiss wohin mit mir. Dir ging es auch so. Du mochtest es auch nicht. Wenn wir beide unruhig waren, dann war es für beide zum aus der Haut fahren.
Du warst ein ruhiger und stiller Mensch. Ich bin nur ruhig. Still sein ist nicht so meine Stärke. Dafür rede ich einfach zu gern. Es ist so meine Art, dass ich viel rede und dabei mehr sage, als es vielleicht auf den ersten „Blick“ aussieht. Ich verpacke das, was ich sagen will in vielen Worten, weil ich Worte einfach liebe. Du sagtest immer, dass ich so viel rede, dass man gar nicht mitbekommt, was ich eigentlich sage. Erst wenn man darüber nachdenkt, merkt man, dass ich sehr wohl viel gesagt habe. Du hingegen – hast wenig geredet. Wenn du deine Stimme gebraucht hast, war es wichtig, hinzuhören. Weil man sonst etwas verpasst hat. Das war nicht immer einfach, vor allem, weil du die Angewohnheit hattest, ausgerechnet dann etwas zu sagen, wenn es echt schwierig war, hinzuhören. Um dich hören zu können, musste ich ruhig sein. Bereit sein.
Als wir uns kennen lernten war ich nicht ruhig. Im Gegenteil. Ich war zappelig und musste immer an tausend Ecken gleichzeitig sein. Was sich negativ auf mein Schlafverhalten, ja auf mein ganzes Verhalten auswirkte. Durch dich gelangte ich zu Ruhe. Deine Ausstrahlung, deine Art hat mich beruhigt und das so umfassend, dass sich alles veränderte. Ich selbst erkannte die Ruhe als etwas, was von grosser Wichtigkeit für mich ist. Denn nur in der Ruhe kann ich mich selbst sein.
Unser zu Hause ist eine Oase in der hektischen Welt. Freunde und Familie kamen zu uns, um sich auszuruhen – selbst wenn wir wilde Partys feierten, war da Ruhe. Vielleicht auch Gelassenheit oder Harmonie. Wie auch immer man das nennen will.
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Ruhe ist nicht dasselbe wie Stille.
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Jetzt, wo du nicht mehr hier bist, ist es vor allem Stille. Diese Stille macht mich unruhig, ich tigere wieder herum, kann kaum fünf Minuten still sitzen und ich schlafe – ich schlafe viel zu wenig. Ich kann mich einfach nicht ausruhen. Ich bin nicht müde, weil ich so unruhig bin, dass ich es nicht schaffe etwas zu tun, was mich müde machen könnte. Das macht mich verrückt und ich denke einige Male am Tag, dass ich durchdrehe und ich könnte schreien und toben. Wo ist diese Ruhe hin? Wie konnte die Ruhe mit dir zusammen verschwinden? Wie kann es sein, dass meine eigene Ruhe einfach abgehauen ist? Mir stellt sich die Frage, wie ich die Ruhe wieder zurückbekomme. Wo muss ich suchen? Muss ich suchen? Oder muss ich warten? Ich weiss es nicht.
Ich weiss nur, dass die Ruhe nicht mehr so umfassend ist. Dass sie nur in wenigen Momenten an jedem Tag da ist. So habe ich es zu meinem Detektiv-Auftrag gemacht, herauszufinden, wann und wo ich Ruhe habe, Ruhe bin. Um es ausdehnen zu können. Um sie wieder zu haben. In mir. Dann kann sie auch um mich sein.
Je länger je mehr wird mir bewusst, wie sehr du mich beeinflusst hast. Wie sehr dein Wesen mich berührt und getragen hat. Wie viel ich von dir gelernt habe, von dir angenommen habe.
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Du warst so gut für mich! Du warst so gut zu mir!
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Du – du fehlst mir so sehr, dass es mich in Stücke reissen will.
Ich denke so oft, dass ich höre, wie du herein kommst, wie du heim kommst zu mir – dann sehe ich auf, mein Herz pocht und ich warte. Manchmal erwische ich mich, wie ich minutenlang auf die Türe starre. Manchmal drehe ich mich um, weil ich glaube du stehst gerade hinter mir. Oder dass du um die Ecke kommst. Manchmal glaube ich dich in der Ferne zu sehen. Ich sehe dich überall. Es ist wie mit dem Phänomen „rotes Auto“ – man kauft sich ein rotes Auto und plötzlich scheinen alle rote Autos zu haben. Nein, ich vergleiche dich bestimmt nicht mit einem Auto. Weil das bedeuten würde, dass es Menschen da draussen gibt, die dir so ähnlich sind, dass sie auf den gleichen Nenner kommen wie du. Nein. So ist das nicht.
Es ist eher so, dass da einer ist, der ähnliche Augen hat wie du. Ein anderer hat ähnliche Haare, wieder ein anderer einen ähnlichen Gang – ich müsste sie alle zusammen mixen um dein äusseres zu bekommen, ohne dass es wirklich dein äusseres wäre. Nur ich hätte nichts davon. Weil das Innere fehlen würde. Mir fällt ganz spontan das Buch „Das Parfum“ ein. Ich wäre wie Grenouille auf der Jagd und würde am Ende feststellen – es ist zwar perfekt, aber es befriedigt mich dennoch nicht.
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Friedrich Schiller, der Dichter der vor langer, langer Zeit lebte, schrieb die Zeilen, die am besten erklären, was Ruhe ist. Sie kommen der Wahrheit sehr nahe – diese Zeilen begleiteten uns beide und heute habe ich sie wieder herausgeholt, auf die Wand gemalt um sie immer präsent zu haben.
Wer weiss, vielleicht finde ich in ihnen meine Ruhe wieder.
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Ruhe, das höchste Glück auf Erden
kommt sehr oft nur durch Einsamkeit in das Herz.
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Die Liebe kennt nichts.
Sie kennt weder Tür noch Riegel
und dringt durch alles sich.
Sie ist von Anbeginn,
schlug ewig ihre Flügel
und wird sie schlagen – ewiglich.
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Friedrich Schiller
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Du warst so gut für mich! Du warst so gut zu mir!
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Mit all meiner Liebe