Romane & Erzählungen
Lerncharakter - Eine Erinnerung aus Kindertagen

Meine Eltern hatten sich in den Sommerferien1966 gerade selbststÀndig gemacht.

Da ein gemeinsamer Urlaub mit mir noch nicht in ihre Planung passte, wurde ich kurzerhand mit meiner Tante, meinem Onkel und meinem Cousin auf die Reise geschickt.

In einem blauen VW-KĂ€fer fuhren wir auf die Insel Fehmarn an die Ostsee.

Da das Wetter herrlich warm und sonnig war, verbrachten wir die meisten Ferientage am Strand.

Wir tummelten uns im Wasser, fingen Quallen, bauten Sandburgen, die wir mit gesammelten Muscheln verzierten.

Wir spielten gerade wieder am Wasser,

als sich uns langsam eine alte Frau mit zerlumpter Kleidung nĂ€herte. Als fĂŒhre sie SelbstgesprĂ€che, laut vor sich hermurmelnd, bĂŒckte sich die alte Frau immer wieder. Es sah so aus, als hebe sie etwas auf, das sie dann in einen Beutel steckte.

Besorgt riefen die Erwachsenen uns Kinder zu sich und verlangten von uns, dass wir uns von dieser komischen alten Frau fern hielten.

Doch immer wieder etwas auflesend kam diese wunderliche Frau nÀher.

Wir sahen, dass wĂ€hrend sie sich bĂŒckte, sie die Leute mit ihrem zahnlosen Mund anlĂ€chelte und mit dem Kopf nickte. Die Menschen drum herum

erwiderten ihren scheuen Gruß nicht.

Abends in unserer Pension erzÀhlten wir der Pensionswirtin davon und erfuhren, dass sie eine alte verarmte Witwe aus dem Ort sei.

Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Glasscherben und andere spitze, gefĂ€hrliche und kleine GegenstĂ€nde aufzusammeln, damit sich niemand an den bloßen FĂŒssen verletzt. Nicht nur wir Kinder, sondern auch meine Tante und mein Onkel waren sehr beschĂ€mt.

 Diese Erinnerung aus Kindertagen kam mir im Laufe meines Lebens immer wieder mal in den Sinn,nĂ€mlich dann, wenn ich versucht war, Menschen nach ihrem Äußeren zu beurteilen.