Beschreibung
Beitrag zur Storybattle 27
"Träume und Visionen"
Pflichtwörter:
Steine
Karteileiche
High Heels
Zauberstab
Kindheit
Verdammnis
Angstschweiß
Herbstlaub
Sibirien
Verlegenheit
Joker : ein Kinderreim
Die Kinder fegten kreischend durch die Wohnung. Im Gejohle ging meine Zurechtweisung verloren, sie sollten die Barbie-HIGH-HEELS aus rosa Hartplastik ausziehen, um Verletzungen am eigenen Körper und am Parkettboden zu vermeiden. Ein Poltern aus dem Nebenraum und die plötzliche Stille produzierten blitzartig kalten ANGSTSCHWEIß auf meiner Stirn. Einundzwanzig, Zweiundzwanzig… kein Geschrei, also keine gebrochenen Knochen und kein Spital. Ich wischte mit dem Ärmel die Stirn trocken und betrat seufzend das Kinderzimmer.
Die Bande stand rund um einen Haufen aus Scherben und Trümmern, der sich bei näherer Betrachtung als Überreste der Dekoration des Eckregals entpuppte. Eine bemalte Flasche, ein Stillleben aus HERBSTLAUB sowie einige weitere, für mich nicht mehr identifizierbare Objekte aus der Kunstschmiede des Kindergartens oder der Schule hatten das Zeitliche gesegnet. Die betroffenen Gesichter schreckten zu mir hoch, kleine Münder begannen sich zu öffnen und Hände hoben sich, um mit Fingern auf den Gegenüber zu zeigen.
Tatsächlich, kein Blut, keine Kratzer, keine sichtbaren Verletzungen. Schnelles Handeln war angesagt, wenn dem so bleiben sollte und ich gegenseitige Beschuldigungen und Streitereien vermeiden wollte. "Zicken" rief ich daher schnell und laut. Die Münder blieben offen aber kein Laut kam heraus, bloß die Augen bekamen einen fragenden Ausdruck. "Zicken kommen ins Arbeitslager nach SIBIRIEN!"
Meine Tochter lachte erleichtert auf. Ihre Freundinnen hatten offensichtlich keine Ahnung wovon ich redete. Um nicht in die VERLEGENHEIT langer Erklärungen und politischer Diskussionen mit 8-jährigen Mädchen zu gelangen, machte ich kurzen Prozess. „Raus in den Garten, ich lasse eure Leichen verschwinden!". Das verstanden auch die anderen Vandalen und schnell leerte sich das Zimmer. Schaufel und Besen fand ich hinter dem Mülleimer des Kinderzimmers, alles in Pastelltönen und mit Prinzessinenmotiven.
Die Türe zum Garten war scheinbar offen geblieben, denn noch während des Kehrens hörte ich kichernde Stimmen einen Auszählreim beginnen und dazu ein mehr oder weniger rhythmisches Klatschen. Ich setzte gerade an zu rufen: "Macht die Türe zu, sonst kommen wieder Fliegen ins Haus!", als ich den Reim erkannte. Dieses Mal erstarrte ich mit offenem Mund.
Am dam des
diese male press
diese male pumperness
am dam des
Ich hatte diesen Reim seit meiner KINDHEIT nicht mehr gehört. Bilder stürzten auf mich ein - die Kindergartenzeit, Pausenspiele in der Schule und diese Fernsehsendung. Der Reim war als Lied im Vorspann verwendet worden und ich hatte wahrscheinlich jedes Mal laut mitgesungen und - in perfektem Takt, ich hatte schließlich Rhythmusgefühl - mitgeklatscht oder -gehüpft. Die Schaufel mit den Trümmern der Erinnerungsstücke meiner Tochter sank unbemerkt tiefer, während in meinem Kopf immer neue Erinnerungen aus meiner Jugend hochkamen. Der Clown aus der Sendung hatte mich fasziniert. Wie war sein Name? Er konnte Unsinn machen, brauchte nichts ernst zu nehmen und konnte sich hemmungslos blamieren ohne dass es ihn kümmerte. Wahrscheinlich hatte ich ihn darum beneidet. „Enrico!“ tauchte eine weitere KARTEILEICHE aus meinem Gedächtnis auf. Ich wollte damals wie Enrico werden, ein Clown im Zirkus, unbeschwert und frei. Spaß machen und Spaß haben. Und was war aus mir geworden? Ein Beamter! Kein Spaß und gewiss nicht frei, sondern gefangen zwischen Vorschriften und Akten. Hatte ich meine Träume verraten? Bedrückung machte sich in mir breit und legte sich wie schwere STEINE auf den Magen.
„Papa!“ riss mich ein forderndes Kinderlachen aus meiner Grübelei. „Papa, komm in den Garten, ich muss dir meinen Zaubertrick zeigen!“ Durch die melancholischen Gedanken war mein mentaler Wall zur Abwehr derartiger Forderungen komplett niedergerissen worden und ich taumelte wehrlos in Richtung der gackernden Kinder. Ein Ast wurde als ZAUBERSTAB geschwungen, während mein Sonnenschein „Abrakadabra“ rezitierte. Schließlich zeigte sie mit dem Zauber-Ast auf die in der Sonne dösende Katze und rief „VERDAMMNIS!“. Ich nahm mir vor, einige Worte mit meinem Sohn zu wechseln und ihn auf seine Onlinespiele anzusprechen. Inzwischen war auf der Katze eine Decke gelandet, womit sie scheinbar für das Publikum als verschwunden zu gelten hatte.
Die Blicke der Kinder richteten sich auf mich, offensichtlich wurde Applaus erwartet. Ich schaute auf meine Hände herab und merkte erst jetzt, warum ich das Erwartete nicht liefern konnte. Ich war noch immer mit Kinderbesen und –schaufel bewaffnet! „Du hast ja sogar meine Socken aufgekehrt!“ schrie meine Tochter lachend. Ich rümpfte die Nase. „Ach soooo, deshalb bin halb betäubt!“, entlockte ich den Kindern einen weiteren Lachanfall.
„Dein Vater ist aber komisch!“, kicherte eine ihrer Freundinnen. „Ja, mein Papa ist ein Clown!“. In meinem Kopf echote das Wort nach „Clown, Clown, Clown“. Das Kreischen der Kinder bekam ich nicht mehr mit, weil in meinem Kopf ein höchst zufriedener Enrico zwischen Aktenbergen herumtanzte und Bocksprünge über Computermonitore übte, während er laut, falsch und völlig außer Takt Am Dam Des sang.