Frei wie der Wind
Verwirrt sah Bitterschokolade auf das Bündel Scheine, das ihm der Teufel - Verzeihung, der Oberarzt Prof. Dr. Teufel gerade in die Hand gedrückt hatte. Damit hatte er mehrere Probleme gleichzeitig:
Erstens: So viel Geld auf einmal hatte er bisher noch nie auf der Hand gehabt.
Zweitens: Womit sollte er sich dieses Geschenk verdient haben?
Drittens: Welch verteufelte Bedingungen waren möglicherweise daran geknüpft?
Viertens: Was zum Teufel sollte er nur damit anfangen, er hatte noch nie Wünsche gehabt, die mit viel Geld zu
erfüllen waren.
Der Doktor erklärte es ihm:
Er habe grosse Hochachtung vor ihm, da es bisher keiner der Ärzte geschafft habe, Sonnenblume unter einem Monat aus dem für ihr Gehirn gefährlichen Komazustand zu holen.
Deshalb sei er der Meinung, er sei auch der Richtige, sich darum zu kümmern, dass sie weiterhin auf ihre Gesundheit achte, ihre Medikamente nehme und so weiter.
Da er ja auch nicht viel Geld habe, wolle er ihm ein wenig unter die Arme greifen, damit er sich auch sonst ein bisschen um sie kümmern könne. Er wisse ja, dass sie
praktisch auf der Strasse lebe.
Als Bitterschokolade weiter entgeistert auf das Geldbündel starrte, lachte der Arzt, und meinte er könne es ruhig annehmen, und wäre ihm auch keine Rechenschaft schuldig, sondern nur sich selbst.
“Das krieg’ ich hin!”, murmelte Bitterschokolade. “Ähm, vielen Dank!”
“Nichts zu danken, junger Mann - ich habe hier schließlich etwas wieder gut zu machen, was Kollegen von mir verbockt haben!” Während dieser einigermaßen rätselhaften Worte, schob er den Jungen gegen Ausgang seines Arztzimmers, in
das er ihn für die Nachuntersuchung bestellt hatte.
Bitterschokolade verstand intuitiv. Das war eine persönliche Angelegenheit, die dem Herrn Dottore doch etwas peinlich war. Und so ließ er sich hinaus in den Gang katapultieren, knüllte die Scheine kurzerhand in seine Umhängetasche und verschwand so schnell es sein mangelnder Orientierungssinn zu ließ aus der Klinik.
Draußen angekommen atmete er erleichtert auf. Er war froh dem penetranten Geruch nach Desinfektionsmittel, der Neonbeleuchtung und dem übrigen
sterilen Ambiente entkommen zu sein. Bitterschokolade liebte es mehr gemütlich. Er brauchte sein kleines Heim, das aus einer Dachstube im Gemeindehaus bestand, wo er sich zurückziehen konnte, und es sich mit Kerzen, Tüchern, Kissen und allem möglichen Krimskrams so kuschelig wie möglich gemacht hatte.
Jetzt musste er nur noch auf Sonnenblume warten, die gleich nach ihm entlassen wurde, und dann konnten sie… tja, was konnten sie dann eigentlich?
Zu ihm heim gehen? War nach dem Skandal mit dem Segelboot ein bisschen
kritisch seine angebliche Sexaffäre mit ins evangelische Gemeindehaus zu nehmen.
Zu ihr? So viel er wusste, bestand ihre ‘Wohnung’ aus einem Werkzeugschuppen hinter der Kfz-Werkstatt, die an die Tankstelle angeschlossen war, wo Sonnenblume arbeitete.
War wohl nicht so gemütlich, wie er es jetzt brauchte, aber vielleicht weniger blamabel.
Egal, er würde einfach Sonnenblume fragen - vielleicht wollte sie ja auch überhaupt nicht mit ihm zusammen irgendwo hin gehen, sondern lieber allein sein?
Das marode Boot am See wäre auch noch eine Alternative, und keine schlechte. Zumindest für die Nacht. Andererseits wusste inzwischen durch die Zeitung das gesamte Universum, dass dort ihr geheimer Platz war. Gewesen war, vielmehr. Bitterschokolade seufzte.
Wenn er nur wüsste, ob er Sonnenblume von dem Geld erzählen sollte, mit dem der Teufel sich irgendwie von etwas los gekauft hatte. Er beschloss, es bleiben zu lassen. Sie würde sich nur in ihrer Freiheit bedroht fühlen, und ihm womöglich böse sein, weil er es genommen hatte.
Da fiel ihm auf einmal ein, wofür er es
verwenden könnte. Erleichtert atmete er auf. Das war die Lösung! Er würde…
In dem Augenblick wurde die Glastür des Klinikeingangs aufgerissen und Sonnenblume stürzte nach draußen.
“Freiheit!”, juchtzte sie und warf die Arme in die Höhe. “Frischluft!” - sie atmete, beziehungsweise schnaufte, wie ein Walross ein und aus. “Bitterschokolade!”, rief sie als Drittes, stürmte auf ihn zu, riss ihn in ihre starken Arme und wirbelte ihn herum bis ihm ganz schwindelig wurde.
Dann ließ sie sich mit ihm auf den Rasen fallen, wobei er unter ihr zu liegen kam.
Selbst wenn sie ihn nicht mit ihrem Gewicht an den Boden genagelt hätte, er hätte kein Glied seines Körpers rühren können, so hypnotisiert und berauscht war er, durch die plötzliche, unerwartete körperliche Nähe.
Warm und weich und duftend, pulsierend von überbordender Weiblichkeit, drückte ihr Körper sich an ihn, presste ihn an die Erde, seine Arme wie gefesselt an seine Seite, und seinen Atem aus den Lungen. Beim Fallen hatte sich bei ihr ein Hemdknopf gelöst und ihre Brüste, die kein BH hielt, landeten wieder mal vor seiner Nase.
Zwischen ihnen baumelte das goldene Amulett. Den Ring hatte sie wieder
hinein getan, um ihn nicht kaputt zu machen, wie sie ihm später erzählte.
Bitterschokolade wusste nicht genau, worüber er sich mehr freuen sollte, über ihre Art ihm so unverhohlen ihre Reize ins Gesicht zu schmeißen, oder darüber, dass sie ihm gleichzeitig zeigte, dass sie mit dem Amulett seine Liebe angenommen hatte und erwiderte.
Sonnenblumes Aquamarin-Strahler bohrten sich aus nächster Nähe in seine Augen und schmolzen sein Herz zu einer kleinen Pfütze. Ihr süßes Sonnenblumengesicht neigte sich ihm noch näher zu, so dass ihre Lippen sich fast berührten. Obwohl ihr Mund einen Fingerbreit vor Seinem Halt machte,
glaubte er bereits ihre samtweichen, feuchten Lippen auf sich zu spüren.
“Willst Du...dass ich...dich... küsse?”, fragte der Mund langsam und unglaublich lasziv.
Bitterschokolade gab sich Mühe, nicht in Ohnmacht zu fallen, um nichts zu verpassen, aber antworten konnte er auf diese Frage wirklich nicht.
“Das war...eine rein...rhetorische...Frage!”, klärte ihn der über ihr hängende Mund noch lüsterner auf, kam dabei näher und versenkte sich in Bitterschokolades vor erotischem Schock weit offen stehenden Lippen. Bitterschokolades Körper wollte sich vor Lust aufbäumen wurde aber
durch Sonnenblumes Gewicht am Boden gehalten. Sonnenblumes Zunge drängelte sich zwischen die offen gehaltenen Zahnreihen und schien ihm seinen ganzen Leib auszufüllen, vom Scheitel bis zu den Zehen.
Bitterschokolades Widerstand brach komplett, mit dem letzten Gedanken, der ihm noch möglich war: ”Morgen stehts in der Zeitung, Sex-pärchen aus dem See, sofort nach Klinikaufenthalt vor Krankenhauseingang weiterge*****.!”
Kurz bevor Sonnenblume ihren Geliebten mit ihrem Körpergewicht und ihrem Kuss erstickt hatte, drehte sie sich lachend mit ihm auf die Seite und rollte mit ihm
im Arm im Gras herum.
Bitterschokolade ließ alles mit sich gefallen, es war ja so wahnsinnig schön, und zur Not war ja die Klinik nicht weit.
Schließlich blieb sie wieder auf ihm liegen, setzte sich auf und nahm seine Hände. “Tut mir leid, Sweety, aber Niederknutschen ist bei mir im Programm, wenn ich schon einmal meine ganz große Liebe gefunden habe. Für den Rest verschwinden wir dann doch lieber: Zu mir oder zu Dir, darling?
Bitterschokolades Herz klopfte derart heftig bei diesem Satz - welcher Liebeserklärung, Sexankündigung und Zusammenbleib-Bestätigung in einem war
- dass einem angeschlossenen EKG sicher die Sicherungen raus geflogen wären.
Da er immer noch zu keiner Antwort fähig war, entschied Sonnenblume dass sie zu ihr gehen würden, zog ihn beim Aufstehen an beiden Händen empor, und rannte mit ihm an der Hand mitten durch den Klinikpark davon.
Fortsetzung folgt