Diese Geschichte entstand aus der
Verwendung eines Kinderreimes
und 10 Wortenvorgaben
(siehe Fettdruck im Text)
"Du bist raus“, sagt Ralf Reichardt der neue Personalchef zu Susanne Halder, die im Schaufenster die neue Kollektion auspreist.
Vor Verlegenheit stochert sie mit der Spitze ihres linken Fußes in den Dekosteinen der „RAMI-Schuh –Filiale“ ihres Heimatortes.
„Warum ich“, fragt sie und der Angstschweiß tritt ihr auf die Stirn. „Ich brauche das Geld. Muss jeden Monat die Miete, Essen, Kleidung und den Kindergartenbeitrag für meine Tochter Lisa bezahlen. Was hab ich falsch gemacht, dass es mich als alleinerziehende Mutter trifft?“
„Nichts“ antwortete Ralf Reichardt lakonisch. „Wir sortieren im Büro gerade alle Karteileichen aus und machen auch personell gleich Nägel mit Köpfen.
Du bist jung, Deutsche, siehst gut aus und eine
Veränderung hat für beide Seiten etwas Gutes. Arbeitsamt bedeutet ja nicht Verdammnis oder Sibirien.So eine wie dich nimmt man doch überall mit Kusshand. Bei deiner Figur und deinem Aussehen werden dem neuen Chef die Augen rausfallen.“
„Das lass ich mir nicht gefallen, werde mich an den Betriebsrat wenden. Schon seit meiner Kindheit wollte ich Verkäuferin werden. Für diesen Traum hab ich hart gebüffelt, lange Wege in Kauf genommen, wochentags im Wohnheim gelebt und meiner Mutter das Baby anvertraut. Einfach war das nicht als minderjährige Mutter“, rief Susanne erbost.
„Traum hin, Traum her, nur der Umsatz ist wichtig. Der stimmt nun mal nicht bei dir.
Außerdem hat sich gestern wiederholt ein männlicher Kunde bei der Geschäftsleitung darüber beschwert, dass du dich weigerst den Rock ein bisschen höher zu ziehen. Er wollte sehen wie die roten High Heels, die er für seine Frau kaufen wollte, am Bein wirken. Wie willst du die Dinger eigentlich an den Mann bringen, wenn du die Kerle nicht animierst? Ein bisschen Entgegenkommen kann RAMI –Schuh schon von dir erwarten. Was glaubst du denn, weshalb bei Rita und Monika der Umsatz meistens stimmt“, fragte Ralf Reichardt süffisant und legt ihr dabei seine Hand jovial auf die Schulter.
„Fassen sie mich nicht an, sonst verklage ich sie wegen Belästigung am Arbeitsplatz“ schrie Susanne und stieß ihn unsanft von sich. Sie
zieht den Kittel aus, legt den Stift zur Seite und holt ihre Tasche.„Na dann eben nicht, hab es gut gemeint, ein Versuch war es jedenfalls wert“, sagt Ralf Reichardt wie nebenbei, dreht sich um, hebt die Hand und zieht seine Krawatte zurecht.
Susanne Halder holt auch an diesem Nachmittag wie immer gegen 14:00 Uhr ihre kleine Tochter Lisa aus dem Kindergarten ab. Schon von weitem hört sie das Kind rufen:„Mama, Mama, ich hab heute beim Spielen meiner Freundin Lotta für ihr Puppenkind grüne Schuhe verkauft. Das hat Spaß gemacht und Fräulein Müller hat mich gelobt.
Komm lass uns in den Zirkus gehen. Der
Zauberer soll mich dreimal bespucken und mit seinem Zauberstab berühren, damit ich schnell groß werde. Ich möchte dann, genau wie du, den ganzen Tag schöne Schuhe verkaufen.
Mama bitteeeeeeeee, bitteeeeeeeee, werde auch morgen ganz bestimmt mein Zimmer aufräumen.“
Gemeinsam gehen Mutter und Tochter durch den Park zum Zirkuszelt. „Mama, ich hab diese Nacht geträumt der schöne König Drosselbart aus dem Märchenbuch zieht bei uns ein. Er heiratet dich und ich tanze als Prinzessin im rosa Kleid mit weißen Schuhen auf eurer Hochzeit. Wir sind dann eine richtige Familie, genau wie die von Lotta. Der Traum war toll. Nur das wir dann Drosselbart heißen, finde ich nicht
schön.“, sagte Lisa nachdenklich.
„Na dann heirate ich eben das Rumpelstilzchen“, rief lachend Susanne. “Das kann Stroh zu Gold spinnen und ist sicher froh darüber, lieber Halder statt Rippenbiest oder Hinz und Kunz zu heißen.“
„Oh ja“, rief Lisa, „dann haben wir genügend Geld und können endlich mit Oma an die Ostsee fahren. Seine olle Zipfelmütze verstecken wir im Keller und ohne Spitzbart und mit schicken schwarzen Schuhen sieht es sicher wie ein richtiger Papa aus.“
Es ist ein schöner windstiller Spätsommertag. Die Sonne scheint am wolkenlosem Himmel. Das erste Herbstlaub fällt raschelnd von den Bäumen. Als der Zauberer im Zirkuszelt alle
Kinder um Unterstützung beim Zaubern bittet, spricht auch Susanne Halder laut mit: „Hokuspokusfidibus, dreimal schwarzer Kater“ und dann leise nur für sich: “ich wünsche mir Gesundheit, eine vernünftige Arbeit und statt Drosselbart und Rumpelstilzchen lieber den Hans Glygs aus dem 5. Stock im Nachbarhaus.“ Verträumt zupft sie sanft ihre Tochter an den roten Schleifen ihrer Zöpfe und spuckt dabei heimlich dreimal über ihre linke Schulter.
© Martina Wiemers
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