Meles 5. Geburtstag stand kurz bevor. Die Kleine, mit ihren goldblonden Locken sah allerliebst aus.
Mama hatte ihr, für diesen tollen Tag, extra ein neues Kleidchen kaufen wollen. Es war - natürlich - rosa. Mama liebte rosa. Und es hatte eine blassgelbe, kleine Schleife, die einen winzigen, am Kleid angenähten Bolero vorne zusammen hielt. Mele fand rosa auch schön. Aber das andere Kleid, es war grün und hatte so einen glänzenden, schimmernden Stein, umgeben von ganz vielen kleinen, dass es aussah wie eine lachende, stolze Blume auf dem Oberteil, gefiel ihr auch sehr gut.
Eigentlich noch viel mehr, als dieses Neue. Leider war es nicht rosa, und Mama meinte, dieses sei fröhlicher.
Mele ging in ihr Zimmer, nahm eine kleine Schachtel aus der Schublade von der Kommode und sah verträumt die vielen bunten kleinen Edelsteine an, rosa, gelb, grün, blau - einer gefiel ihr ganz besonders. Er war fast durchsichtig und schimmerte in vielen Farben.
Mele liebte diesen Schatz.
Als kleines Kind hatte sie für fünf Meter fünf Minuten gebraucht, weil sie am liebsten alle Steine auf dem Weg mit nach Hause genommen hätte.
Doch Mama hatte ihr mit der Zeit
erklärt, dass manche davon überall herum liegen und manche ganz selten sind.
Auch wenn Mele am liebsten alle haben wollte, sah sie dann doch ein, dass ihr Zimmer viel zu klein für alle ist.
Endlich war der große Tag gekommen. Mele war nun 5 Jahre alt!
Schon früh klingelte Tante Jule, nahm lachend ihre Nichte in die Arme und wirbelte erst einmal mit ihr ausgelassen durch den Flur.
Mit einem dicken Schmatzer auf die Wange, gratulierte sie ihrer Kleinen, wünschte ihr die herzlichsten Wünsche für alle Zeiten und hielt Mele eine kleine
Schachtel, verziert mit einer grünen Schleife, hin.
Mele strahlte. Und während sie sich mit dem Geschenk zur Sitzgruppe verzog, verzog Tante Jule etwas schmerzhaft das Gesicht, blickte Mama an und erklärte leise stöhnend:
" Habe heute etwas früher Schluß machen können - aber meine Füüße! Das hältst du im Kopf nicht aus!" dabei humpelte sie zurück in den Flur und streifte die High Heels vorsichtig ab. Während sie langsam und bedächtig mit ihren Zehen wackelte, erzählte sie von der Teambesprechung im Betrieb:
"Der Chef kam natürlich, wie immer, fast eine halbe Stunde zu spät. Und der
Schendler, der ja schon seit langem nicht mehr wirklich bei uns ist, mußte sich natürlich in der Zeit vor allen hervor tun. Dieser Klugsch..." Tante Jule hielt inne und lugte hinüber, wo sie Mele vermutete. Dann verbesserte sie sich, schimpfte verhalten weiter:
"Diese olle Karteileiche - immer alles besser wissen wollen! Als hätten wir nicht schon genug Stress auch ohne ihn!"
Jule blickte auf, sah Mama an und fragte unvermittelt:
"Was gibt´s denn heute Schönes - kann ich dir irgendwo helfen?" Damit verschwand sie mit Mama in die Küche.
Mele hatte ihr kleines Geschenk erst einmal andächtig und von allen Seiten betrachtet.
Die grüne Schleife, daran ein winzig-kleiner Glückskäfer hing, gefiel ihr besonders gut. Aber auch das Papier war lustig. Lachende Teddys mit Konfetti und Luftballons winkten ihr zu.
Mele zog vorsichtig an ein Schleifenende, löste das Band von der Schachtel, öffnete den Deckel und starrte auf eine kleine, goldene Elfe mit goldenen Flügeln und einem kleinen, goldenen Zauberstab in einer winzigen Hand.
Auf der Brust des Elfchens glitzerte ein winziges, funkelndes Etwas - alles
wurde von einem zarten, goldenen Halskettchen getragen...
"Ich dachte, Du bist jetzt schon so groß und kannst ein Kettchen gebrauchen." Tante Jule war plötzlich hinter Mele, und ihre pragmatische Art riß das kleine Mädchen aus einer seltsamen Verzauberung.
Tante Jule, die Mele´s Blick als eine Art Enttäuschung deutete, erklärte rasch:
"Als ich den glitzernden Strass sah, dachte ich sofort an dich. Du magst doch Steine so.. Sieh mal, wie der funkelt!"
Die Tante nahm das Kettchen aus der Schachtel, hielt Mele den Anhänger vor die Augen und lachte für Mele gleich
mit.
Mele nickte nur mechanisch. Ließ sich von Tante Jule das Kleinod um den Hals hängen - es passte wunderbar zu Meles goldblonden Lockengesicht, dem neuen rosa Kleidchen, mit dem kleinen Bolero und dem blass-gelben Schleifchen.
Mele fühlte sich erwachsen.
Ein besonderer Tag war heute für sie - das spürte sie ganz genau.
Dann klingelte es an der Haustüre.
Onkel Dom kam, brachte Cousin Kevin und gleichzeitig einen Schwung Herbstlaub, der vom Wind herein geweht wurde, mit.
Onkel Dom hielt ein riesiges Geschenk
vor den Bauch. Als Mama die Haustüre zu machen wollte, fuhr Oma Eli´s alter Kadett zweimal kurz hupend vor.
Mele stand brav an der Wohnzimmertüre. Sie war heute chic und erwachsen und hatte ein ungewohntes Gefühl, seit Tante Jule ihr dieses Kettchen um den Hals gelegt hatte.
Das Geschenkeauspacken verlief diesmal weniger andächtig. Onkel Dom freute sich kindisch auf den Kuchen, Cousin Kevin hatte seines erst gar nicht eingepackt, und Oma Eli´s Geschenk befand sich praktischer weise in der gleich mitgeschenkten, neuen Kindergartentasche.
Immer wieder sah Oma Eli nachdenklich auf Mele.
Nach dem Kaffee und Kuchen meinte sie plötzlich:
"In meiner Kindheit hatte ich auch einmal eine kleine Elfe geschenkt bekommen. Es war kurz nach dem Krieg ..." Onkel Dom stöhnte.
Oma Eli sah ihn kurz an, erzählte aber unbeirrt weiter:
"Ich war da noch ganz klein, ungefähr so alt, wie du, Mele."
Zu Onkel Dom gewandt: "Keine Angst, den Krieg selber habe ich ja nicht mehr mitbekommen. Aber meine Mutter noch, und sie wusste viel von der Verdammnis damals zu berichten - sei froh, dass sie
jetzt nicht hier ist!"
Dann sah sie Mele wieder an.
"Meine kleine Elfe habe ich immer mit mir getragen, und sie konnte wirklich zaubern!"
Onkel Dom fiel der Kaffeelöffel aus der Hand. Cousin Kevin starrte Oma mit weitaufgerissenen Mund an, und Mele entfuhr ein ungläubiges "Jaa??".
Oma lächelte. Dabei sah sie nicht aus, als würde sie sich einfach eine Geschichte ausdenken.
"Ja, wirklich," sagte sie mit einem Blick, der weit zurück in die Erinnerung schweifte.
"Meine Eltern hatten damals ihre liebe Not, jeden Tag etwas Warmes auf den
Tisch zu bringen, um uns alle satt zu bekommen. Ich weiß noch, wie meinem Vater oft der Angstschweiß auf der Stirn stand, weil es keine Arbeit gab. Besonders im Winter, wo es manchmal so kalt war, dass wir alle dachten, wir wären in Sibirien."
Mama sah Oma mitleidig an. Sie kannte die Geschichte schon von Oma, und doch nahm es sie jedesmal mit, wie hart die Zeit damals gewesen schien.
"Und was hat die Elfe da gezaubert?" wollte Mele wissen.
Mit großen Augen sah sie erwartungsvoll Oma Eli an. Um sie herum hatte sie alles vergessen, hing mit dem Blick an Omas
Mund und ihre Händchen strichen über den kleinen Anhänger an ihrem Hals.
Oma räusperte sich, griff nach der Kaffeetasse - die war leer, und wieder huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Heiter meinte sie, während sie die leere Kaffetasse zu studieren schien:
"Meine Mutter schickt mich her,
ob der Kaffee fertig wär......?!
Wenn er noch nicht fertig wär,
sollt er bleiben, wo er wär - - Ich hätte gerne noch einen!!" Sie blickte auf und lachte Mama an.
Mele sah irritiert von Oma zu Mama, die sich schnell beeilte, Oma neu einzuschenken.
"Was hat die Elfe gezaubert?" fragte
Mele noch einmal.
"Ja, was hat sie gezaubert? Es gibt doch keine Elfen und zaubern kann niemand!" mischte sich Cousin Kevin laut ein. Er klang herausfordernd und ein wenig altklug. Mele verzog enttäuscht die Mundwinkel.
Hilfesuchend wandte sie sich an Mama. Doch die zuckte ratlos mit der Schulter, und man sah ihr an, dass sie etwas in Verlegenheit geraten war.
Eben wollte Onkel Dom dem ganzen Spuk ein Ende setzen, da fuhr Oma mit ihrer Erzählung fort.
" Mein Elfchen hatte ich von einer sehr lieben, alten Frau bekommen. Die hatte mir gesagt: `Wenn du einmal sehr traurig
bist, dann wird diese kleine Anan dich aufheitern.´ "
Onkel Dom ließ ein belustigtes Brummen von sich hören. Oma warf ihm einen spöttischen Blick zu.
"Meine kleine Anan hatte auch einen Zauberstab, genau wie Dein Elfchen," wandte sie sich wieder Mele zu, legte behutsam ihre Hand unter den kleinen Anhänger und fuhr fort, während sie Tante Jule freundlich zublinzelte:
"Anan und ich wurden richtige Freunde. Wenn ich abends im Bett lag, wurde sie lebendig und wir unterhielten uns über alles mögliche.... Über Mama, die immer so fleißig war ... und über Papa... und
ich erzählte ihr dann auch, dass er so gerne Arbeit gehabt hätte, aber keine fand,"
Oma sah Mele tief in die Augen. Mit sanfter, etwas geheimnisvoller Stimme erzählte sie weiter:
"Und da schwang Anan ihren Zauberstab, lachte mich an und sagte: `Morgen hat er welche!´ Ja, wirklich, das hat sie gesagt! Als ich da am nächsten Morgen in die Küche kam, waren meine Eltern beide sehr aufgeregt. Mein Vater hatte einen Brief bekommen, darin stand, dass er sich bei einer Firma in der Stadt melden sollte. Ganz dringend.
Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr wir alle uns mit ihm gefreut hatten! -
Aber nur ich wußte, dass das meine Anan gemacht hatte!"
Als Mele am Abend glücklich und völlig ermüdet in ihrem Bettchen lag, hörte sie nebenan die Erwachsenen noch reden. Ihr Papa war auch dabei, der hatte länger arbeiten müssen - kein frei bekommen. Aber er brachte ihr das langersehnte Unicorn mit, das so eine herrliche grüne Mähne hatte, wie das von Lea im Kindergarten ..
Und Meles Händchen fühlte nach dem Anhänger um ihren Hals, sah noch, wie ein goldener Schimmer sich um ihr Bettchen erhob. Dann war sie eingeschlafen. -