Mucki
Mucki ist Zwei, ein bisschen schon auf Drei zu - und sie hat ganz tolle Eltern.
Doch an manchen Tagen hat sie einfach Pech.
Alles findet sie dann zum Weinen, und am schlimmsten ist, wenn Mama sie dafür auch noch ausschimpft, und der Papa konsequent zu allem "nein!" sagt.
Heute ist so ein Tag.
Am Anfang langweilt Mucki sich, und da will sie das "Unmögliche": Sie will alles selber machen!
"Ich mach das!" ruft sie fröhlich bei jeder Gelegenheit.
Im Kindergarten ist das so normal. Die Erzieherin lässt sie Dinge selber machen, die sie selber machen kann.
Aber dort ist dort, und zu Hause ist zu Hause....
Mucki hat nur wenig geschlafen. Ist spät im Bett und nun ganz früh wieder auf den Beinchen.
Es ist Wochenende,
Kein Kindergarten, und Papa liegt noch. Mama hat sich murrend und gurrend weggedreht, als Mucki sie wecken kommt.Und Mucki springt auf sie drauf, versucht, die Bettdecke von Mamas Kopf wegzuziehen.Mama lacht, weil Muckis kleines Händchen sie am Hals kitzelten.
Dann ist sie doch aufgestanden.
"Geh den Papa mal wecken!" sagt sie schelmisch, läuft dann zum Bad. Mucki sieht Papa immer noch feste liegen, hüpft dann lieber Mama hinterher.
Bis dahin war die Welt noch in Ordnung.
Wo Mama aus dem Bad kommt, schickt sie Mucki wieder den Papa wecken.
Die Kleine läuft also zu ihm hin, springt ihm auch auf den Bauch, und wird von Papa so herum gewirbelt, dass sie bald darauf neben ihm unter die Decke liegt.
Mucki ist so überrascht, dass sie quietscht und schreit, kitzelt und stößt, aber Papas Arm hält sie fest.
Und er macht seine Augen nicht auf. Mucki will aber nicht schlafen!
Sie wehrt sich mit Händen und Füßen. Ruft nach Mama.
Papa macht die Augen auf.
"Was ist denn? Komm kuscheln!" brummt er grinsend.
Mucki aber versucht weiter, seinen Arm wegzuschieben.Sie will nicht liegen, nicht kuscheln und sich nicht nichtbewegen können!
Da fängt Papa an, sie zu kitzeln. Er lacht dabei, und Mucki denkt, sie kann sich nun von ihm frei machen.
Aber Papa kitzelt weiter, und jedesmal, wenn Mucki von ihm weg will, hält er sie wieder fest.
"Du kleines Monster!" lacht er dabei.. "Den Papa wecken?! Warte du....!" und
er kitzelt sie von oben bis unten durch.
Mucki muss mehrmals nach Luft schnappen. Sie quietscht und lacht und zappelt... und kann nicht mehr.
Und dann weint sie.
"Jetzt lass sie doch auch!" sagt Mama da zu Papa. "Steh endlich auf, wir haben schon halb zehn!"
Mama und Papa sind mit Freunden unterwegs. Mucki bleibt daheim bei Oma.
Nicht, dass sie Oma nicht sehr mag - aber Oma ist eben nicht Mama.
Mucki vermisst Mama ganz doll.
Für sie sind die Momente mit Mama so selten geworden, seit sie in den
Kindergarten geht.
Und nun ist Mama schon wieder weg. Oma, die sie liebevoll "Engelchen" und "Schätzchen" nennt, hat viel Geduld, viel Aufmerksamkeit, leider manchmal auch viel zu tun.
Mucki merkt, wie sie mit Oma redet, die aber im Garten nur Kraut rupft und mit ihren Gedanken halb woanders ist.
"Ooma!" ruft Mucki.
Bis Oma reagiert, muss sie noch ein paar Mal rufen.
Mucki will ihr zeigen, wie sie mit dem Laufrad über die Terrasse fegen kann.
Oma lächelt, ruft ihr paar lobende Worte zu und ist schon wieder in ihre Arbeit vertieft.
Da geht Mucki in´s Haus, setzt sich im Wohnzimmer vor den Fernseher und läuft zurück zu den Spielsachen.
Sie redet mit den Kuscheltieren über irgendwelche Leute, kämpft heftig gegen große, gefräßige Bären, läuft quietschend vor gefährliche Krokodile davon -
Dabei erhascht sie sich einen Moment heitere Aufmerksamkeit von der Oma.
In allem scheint das Warten auf Mama´s Rückkehr zu stecken.
Mucki macht sich eigene Gedanken, und die befinden sich in der Erinnerung an die letzten Momente mit Mama und Papa.
Mama war ständig kurz angebunden, weil sie dauernd mit ihrem Handy beschäftigt war.
Papa saß vor dem Computer, weil er noch schnell ein paar "dringende" Sachen zu erledigen hatte.
Papa konnte stundenlang dringende Sachen am Computer erledigen.
Dazwischen sie, die kleine Mucki, die auch mal etwas sagen wollte.
Mama hörte ein bisschen zu, Papa ganz wenig.
Mucki aber hatte auch wichtige Sachen, die sie Mama und Papa erzählen musste!
Mucki wusste schon so viel. Außerdem hatte sie gestern gelernt, dass es Farben gibt, wie man mit dem Mund Geräusche
macht, und dass man ein Frosch ist, wenn man in die Hocke geht, wieder hoch hüpft, dabei "quak!" macht...
Mucki gab also ihr Bestes. Sie hüpfte und quakte, hüpfte... und merkte nicht, dass sie ihren Eltern damit überhaupt keinen Gefallen tat.
Sie strengte sich statt dessen noch mehr an, glaubte, Mama und Papa könnten sie nur nicht genug hören und sehen. Schließlich, wenn man beide Hände vor die Augen legt, dann ist man ja unsichtbar. Und alle müssen einen suchen, damit man die Hände wieder runter nehmen kann.
Also muss man nur ganz laut sein, wenn niemand guckt.
Mama hatte wieder nicht aufgepasst. Mucki lief zu ihr hin, stieß sie dafür an. Mama stieß lächelnd zurück und sagte zu ihr "Hey, hör auf damit!"
Und weil Mama lächelte, war Mucki übermütig, stieß noch einmal, aber heftiger.
Mama verzog das Gesicht, schob Mucki von sich und sagte, sie solle sie mal eben in Ruhe lassen.
Mucki verzog auch das Gesicht, aber Mama sah schon wieder auf ihr Handy.
Da fing Mucki laut zu weinen an.
Und je lauter sie weinte, desto mehr wurde Mama böse, und dann ließ sie Mucki auch nicht mehr auf ihren Schoss.
Mucki hatte angefangen, sagte Mama.
Mucki war schuld.
Und dann kam Papa. Der guckte Beide nur an, lief an ihnen vorbei in die Küche. Mama lief hinterher.
Da hörte Mucki sie Beide reden, und sie begriff, dass sie auch über sie redeten. Und sie weinte noch lauter.
Mama sah um die Ecke:
"Jetzt hör auf zu heulen! So schlimm war das nicht!" sagte sie zu Mucki.
Und Papa kam auch. Er sagte, Mucki nerve mit dem Gebrüll. Sie könne ja ein bisschen Fernseher gucken gehen. Aber nur, wenn sie aufhöre, so zu weinen.
Mucki trollte sich in´s Wohnzimmer und warf sich in ihren roten Sitzsack vor den Flimmerkasten.
Aber irgendetwas fehlte.
Umständlich wühlte sie sich wieder hoch,
Im Arbeitszimmer fand sie Papa. Sie zupfte ihm am Ärmel und piepste "Durst!"zu ihm hinauf.
Papa wirkte zerstreut. Ungewollt mürrisch hob er den Arm von Mucki weg und meinte fahrig:
"Ich hab hier nichts! Geh zur Mama!"
Mucki wusste, Papa war wieder dringende Sachen am machen und wollte nur nicht aufstehen.
"Duuurst!"ließ die Kleine sich nicht abwimmeln.
Da wurde Papa zappelig, aber wendete sich ihr zu:
"Mucki, hier ist nichts. Geh mal zur Mama, die hat Trinken!" versuchte er freundlicher, die kleine Maid zu locken. Und drehte sich wieder von ihr weg. Aber Mama war oben im Bad, und das konnte dann dauern, bis sie da heraus kam.
Mucki ging in die Küche,
Bald darauf hörte Papa ein Scheppern. Mucki war nicht an die Wasserflasche heran gekommen, hatte dafür einen Teller mit dem Arm erwischt.
Mucki ist sehr enttäuscht, als Mama nun endlich am Sonntagabend zur Türe herein kommt - und sogleich signalisiert, dass sie wieder fahren würde. Weil Papa
den Onkel "ganz schnell" nach Hause bringen wollte.
Mama will da mitfahren.
"Ich will mit Mama fahren. Mucki kuscheln" jammert die Kleine ihr noch lange hinterher.
"Mama ist aber jetzt weggefahren" sagt Oma, und es kommt Mucki vor, als sei sie ebenso traurig.
"Ich will aber mit Mama kuscheln" wiederholt Mucki leiser, als könnte sie doch damit einem Schicksal die Stirn bieten.
"Geht jetzt nicht!.Mama ist jetzt nicht da!" sagt Oma schroff. Dann lenkt sie ein, setzt sich neben die Kleine und legt ihren Arm um sie:
"Sie kommt doch nachher wieder!" versucht sie zu trösten."Magst was essen?"
Ja, Mucki mag Chips. Und Schokolade.
Aber erst ein Butterbrot, sagt Oma.
Dann hat sie ein Butterbrot auf ein Tellerchen getan, daneben noch zwei dicke Scheiben frische Gurke gelegt.
Als Mucki dann in Omas Bett liegt, mag sie von Oma den Rücken gekrault bekommen.
Plötzlich sagt sie: "Mama ist böse!"
Oma ist erschrocken. Ein bisschen. Aber vorsichtig fragt sie nach:" Warum ist Mama böse? Hat sie dir etwas getan?"
"Nein! Mucki hat getan!" erwidert die
Kleine leise.
"Was hat Mucki getan?" Oma glaubt es nicht: "Aber nein, Mama ist dir doch nicht böse. Mama hat dich sehr lieb!" versucht sie schnell zu beruhigen.
"Aber... aber...Mucki hat Mama ärgert! Mama ist böse. - Papa ist auch böse!"
"Nein, mein Kleines, Mama hat dich sehr lieb. Und Papa hat dich auch sehr lieb!" Oma ist erschüttert.
Mucki stockt und dreht sich ruckartig halb zu ihr herum:
"Jaa?" fragt sie ungläubig.
"Ja, Mama und Papa haben dich ganz doll lieb!" wiederholt Oma lächelnd.
"Sie sind nur weggefahren, damit Onkel Andy nach Hause kommt, Der hat ja kein
Auto, und bis zu ihm hin, ist es sehr weit - Sie sind bald wieder da." Omi sieht ihre Kleine an und spürt, wie ihr Herz sich bewegt.
Und mit einen mal sprudelt es aus dem Kind heraus: "Papa ist böse. Mucki hat ärgert! Papa nervt."
Oma muss unwillkürlich lächeln, bei dem Gedanken, dass Papa "nervt". Da hat die Kleine nicht unrecht, schmunzelt sie in sich hinein.
Mucki aber klang traurig.
Jetzt wirkt sie nachdenklich, hat sich auf den Rücken gedreht, lächelt auch:
"Mama sich manchmal steckt. Mucki dann `piep` sagt, Mama dann wiederkummen. Aber... manchmal....
Mama sich auch steckt, dann `buh` macht und dann... Mama wieder daa!" Die Händchen fröhlich ausgebreitet, lacht Mucki die Zimmerdecke an.
Mit einem schelmischen Lächeln zur Oma hin, erzählt sie weiter: "Mucki sich auch hat steckt. Mucki hat `piep´ macht. Mama hat Mucki dann funden! Das war lustig!..." Mucki lacht, dann meint sie traurig: "Aber jetzt....... alle weg!" und sie breitet wieder die kleinen Händchen aus, die leer waren.
Oma sieht ihre Kleine an, und hat unwillkürlich das Bild von "Heidi" vor Augen, das kleine Mädchen auf der Alm bei Großvater. Ein naturbelassenes Wunder. Diese Kleine vor ihr ist auch
ein solches Wunder!
Unsagbar im Herzen berührt und etwas durcheinander, korrigiert sie, weil sie denkt, etwas sagen zu müssen:
"Ja, sie sind ja weggefahren, den Onkel wegbringen. - .... Aber wenn die Mama sich versteckt, rufst Du ganz laut: `Mama piep einmal!´ dann macht die Mama `piep´ und du kannst sie finden .." Oma lächelt auch.
"Jetzt haben sie sich nicht versteckt. Onkel Andy wohnt ja nicht hier - wenn der bis zu sein Zuhause laufen müsste, hätte er wehe Füße! Gut so, dass sie ihn da hinfahren. - Sie sind bald wieder da!" fügt sie erklärend hinzu und streichelt der Kleinen eine Haarsträhne aus der
Stirn.
Die schaut Oma an und nickt.
Dann dreht sie sich wieder um auf den Bauch, meint noch im Halbschlaf:
"Ich hab Mama lieb! Und Papa auch!" Eine Weile später:"Gute Nacht Oma! Mucki müde!"
Und Oma liegt halb auf dem Bett, fragt sich, ob sie die Kleine nur müde geredet hat?
Und sie liegt, denkt an die vergangenen Minuten, an Eindrücke und Zweifel, an Licht und an Wärme. Ob das kleine Mädchen neben ihr auch wirklich keine Wunden davon getragen hat...?
Denn eigentlich steht da noch die Frage
offen, warum ..., ? ...ein Gefühl nur aus dem Bauch heraus... oder nicht.. ein Denken.... nicht zu greifen....
- da ist Oma auch eingeschlafen