Wachsam studiere ich die Umgebung, die mich mit einem warmen Duft von Schokolade, süßem Honig und kandierten Früchten zu verführen versucht.
Die Hektik der letzten Minuten ist vorüber. Gerade eben wurde ich noch von einer Ecke in die andere gestoßen. Nun kehrt wieder Ruhe ein, denn dem Fürst und seinen Gästen wurde soeben der letzte Hauptgang serviert. Klöße, Kartoffeln, Kroketten, Erbsen, Möhren, Spargel, Rotkohl und Tomaten. Ich schnuppere und vor meinem geistigen Auge erscheinen der riesigen Fasan, die gefüllten Hasen und das Schwein wieder.
„Maarteeeen!!!“, brüllt jemand. Ich schiebe mich zwischen den Köchen hindurch, die ihren Lehrlingen Töpfe an den Waschtrögen auftürmen. In der Konditorei sieht es ganz anders aus. Hier erlaubt sich keiner eine Pause, alle bereiten die verschiedenen Desserts vor. Der Fürst hat insgesamt 3 süße Gänge angeordnet.
„Wo hast du so lang gesteckt, du solltest doch nur die Nüsse holen!!“, schreit mich mein Chef an. Verwundert ob des schroffen Tons ducke ich mich und bahne mir meinen Weg durch die vielen durcheinanderwuselnden Menschen. An der Wand hängende Kupferkessel spiegeln das Licht, als ich mein Ziel ansteuere. Am Ofen sollen die Haselnüsse in eine
Butter-Honigmischung gerührt werden. Anschließend werden sie kurz aufgekocht und in flache Formen gegossen. Diese backen im Ofen ein paar Minuten goldbraun. Nussknacker nennen sie das hier. Auch wenn ich erst seit ein paar Tagen Lehrling in der Küche des Fürsten bin, das wusste ich bereits.
Es war nicht leicht gewesen, aber durch einige Empfehlungen hin durfte ich nun Koch und Konditor werden. Das habe ich allein meinem Patenonkel zu verdanken, ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier! Vorsichtig schiebe ich mich zwischen den anderen Arbeitern durch, die emsig Teller dekorieren. Immer mehr werden sie angetrieben. Schnell, schnell, bald muss
alles fertig sein!
Die Gesellen am Ofen warten schon und schauen mich böse an. Nun fange auch ich an zu drängeln, damit ich mir keine Ohrfeige vom Meister fange, so wie Sepp, der die Zwiebeln zu grob geschnitten hat. Noch während ich an den rauen Umgangston und das schlechte Arbeitsklima denke, stürze ich auf meinen Arbeitsplatz zu.
Ein Schneebesen fällt zu Boden. Ich kann erkennen, dass Schokolade daran klebt, wie er vom Boden abfedert und kleine Schokoladentropfen von sich schleudert. Aber bremsen, bremsen kann ich nicht mehr. Der Griff rollt in meine Richtung, kurz bevor ich auf ihn trete. Es geht ganz
schnell, aber für mich passiert alles in Zeitlupe, vielleicht habe ich eine Chance die Haselnüsse zu retten! Mein rechter Fuß gleitet mit dem metallenem Küchengerät nach vorn und mein linker Arm schließt sich krampfartig um den Topf, während ich mit dem rechten Arm, nach Balance suchend, wild umherrudere. Das Mädchen, das den Schneebesen fallen ließ, dreht sich um und sieht mich fallen, greift nach mir in der Hoffnung helfen zu können. „Nein!!“, will ich noch schreien, aber es ist zu spät. Unsanft zerrt sie meinen Arm nach oben. Zwar schlage ich nicht auf dem Boden auf, aber der Topf entgleitet mir und gleitet durch die Luft. Ich kann die kleinen hellbraunen Kugeln sehen, die
weiter aufsteigen, während der Behälter zu Boden geht. Die Nüsse fliegen weiter, steuern ein anderes Ziel an als das Gefäß. Als dieses klappernd auf den Kacheln aufschlägt, läuft die Zeit wieder normal voran. Wieder auf den Beinen bemerke ich das volle Ausmaß meines Ungeschicks. Die meisten Haselnusskerne schwimmen nun in den Schokoladenschüsseln meiner Lehrmeister, die mich wütend anstarren. Jemand packt mich am Kragen und zieht mich fort. Ein Geselle am Ofen kommt auf mich zu, mit hoch erhobener Hand. Ich kneife die Augen zu und senke den Kopf, so wie Sepp, als er seine Schelle erhielt. Doch es passiert nichts.
„Warte!“, sagt ein Meister und hält seine
Hand fest. „Hol die Dinger da raus und lass sie trocknen. Wir haben ohnehin keine Zeit mehr für die Nussknacker. So muss es auch gehen.“, weist er ihn an und schaut anschließend zu mir herab, „Und du lässt dir besser schnell einen Namen einfallen. Und besorg die eine saubere Schürze, denn du wirst das servieren! Den Ärger darfst du dir vom Fürst persönlich abholen!“. Wut schnaubend eilt er zu der Schüssel. Mit langen Zweizinkigen Gabeln stochern mehrere Personen in dem Behälter herum und befördern die Nüsse zu Tage. Was war das französische Wort für „klein“? Hastig klopfe ich den Staub von meiner Hose und tue wie mir geheißen.
Ein silbernes Tablett mit kleinen
Braunglänzenden Kugeln wird mir entgegengehalten. Ich ergreife es und werde hinausgestoßen. Auf wackeligen Beinen und sichtlich nervös strauchle ich zu unserem Herrn. Es heißt er sei eine leicht zu erzürnende Person. Vom berauschenden Festmahl etwas versöhnlich gestimmt schaut er mich abschätzig mit schräg gelegtem Kopf an.
„Und was bringst du uns?“, fragt er argwöhnisch.
Ich senke meinen Arm, damit er einen Blick auf das Silbertablett werfen kann. Ãœberrascht starrt er auf die kleinen Kugeln, die unscheinbar und schmucklos auf der Platte drapiert sind. Das ist mein Ende, da bin ich mir sicher. So etwas
Einfaches, Banales würde er sicher als Beleidigung auffassen. Es ist still im Saal, als sich alle Blicke zu uns wenden und er sich eine Kugel nimmt und in den Mund steckt. Ein kleines Lächeln umspielt seine Züge.
„Wie heißt das, mein Junge?“, will er nun wissen.
 Ich schlucke einen Kloß im Hals herunter und stottere: „P-praline!“