Sonnelicht
Manchmal sehe ich die Sonne hinter den Wolken nicht. Ich starre dann stundenlang nach oben und versuche verzweifelt sie zu finden, versuche sie hinter den grauen Massen auszumachen, um ihr schönes Licht zu finden. Und manchmal, bei den finstersten Stürmen vergesse ich sogar ganz, dass es sie gibt. In der Dunkelheit, hat man mir gesagt, leuchtet kein Licht. Wie kann es denn sein, dass sie da ist, wenn es dunkel ist? Wer sagt mir, dass sie nicht einfach vom Himmel gefallen ist? Wie kann sie hinter den Wolken sein, unsichtbar, versteckt, wenn ihr Licht doch so hell und golden ist?
Ich habe doch nicht mehr als die Sonne, hier in meinem kleinen Käfig, umgeben von Stangen und Dunkelheit, die die Sonne nicht durchdringen kann.
Ich habe doch nicht mehr als dieses kleine Fenster, das mir die Welt zeigt und das so unerreichbar fern ist.
Wieso steht die Sonne nur immer soweit weg, frage ich mich, warum kommt sie nicht zu mir? Warum kommt sie nicht zu mir in meinen Käfig und setzt sich zu mir? Warum erhellt sie die Welt da draußen aber nicht die hier drinnen?
Ich habe Angst vor der Finsternis in den Ecken und an den Wänden. Ich habe Angst vor dem Schwarz, das zwischen den Stangen und den Fugen im Fußboden klebt.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Dunkelheit immer mehr wird. Manchmal fürchte ich, dass sie nach mir greifen und mich verschlingen wird und das die Sonne mich nicht beschützen kann, nicht dort hinten. Wenn ich in die Finsternis fiele, was würde dann wohl passieren? Würde ich je wieder Sonnenlicht sehen?
Wäre der Fall wie die Nacht? Vielleicht würde ich fallen und fallen durch Dunkelheit und Angst und dann würde am Ende des Falls die Sonne aufgehen und mich anlachen. Vielleicht wäre ich näher an ihr dran, vielleicht auch weiter weg.
Aber die Gedanken sind hoffnungslos, weil mein Käfig unbezwingbar ist. Die Stangen sind fest im Boden und reichen unendlich weit nach oben, bis sie auch dort in Dunkelheit verschwinden. Ich habe versucht an ihnen hinaufzuklettern, hoffnungslos. Ich habe versucht das Fenster zu öffnen, hoffnungslos. Und ich habe versucht mich zwischen den Stangen hindurch zu drängen, hoffnungslos. Es ist diese Dunkelheit, die mich jedes Mal aufhält, die wie eine kalte Mauer ist, an der ich immer wieder abpralle.
Es gibt keinen Weg hinaus. Es gibt keinen Weg hinein.
Nur das Licht der Sonne findet seinen Weg in meine Einsamkeit, nur ihr Licht erhellt mir die Tage und das Mondlicht die Nächte. Ohne sie wäre ich in Dunkelheit gefangen, ohne sie wäre mein finsterer Käfig noch schwärzer.
Wenn ich zu der Sonne singe, ob sie dann kommt? Wenn sie meine Stimme hört und hört wie ich nach ihr rufe, vielleicht kommt sie dann zu mir.
Aber sie kommt nicht wenn ich singe, egal wie laut ich singe, oder wie leise, egal wie traurig meine Stimme dabei klingt, oder wie froh, sie kommt nicht. Und sie kommt nicht, wenn ich nach ihr rufe, wenn ich schreie, wenn ich weine.
Sie steht nur da, ganz weit weg und wirft mir ihr goldenes Licht ins Gesicht. Sie steht einfach nur da, fern und nah zu gleich und manchmal verschwindet sie hinter den Wolken.