Eine Liebesgeschichte wie jede andere? So hätte es sein können. Doch es kam anders, als sich die Liebenden je erträumt hätten... Verwirrend, zerstörerisch, kämpfend. Ob sie um Leben oder Tod kämpfen, wissen sie jedoch selbst nicht.
Sie umklammerte seine Hand mit ihren kalten, blutigen Fingern, ließ die Kälte durch seine Venen laufen, damit sie sein Herz zum erfrieren brachten und sagte: »Auch wenn ich dich nicht mehr sehen kann und deine Erinnerung schwindet, werde ich da sein. Weil ich immer da sein werde.« Er entgegnete mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen, dass er sie niemals vergessen könnte. Daraufhin musste sie schweigen. Mit diesem Worten hatte sie leider gerechnet.
Alleine leben werde ich immer. Ohne Glück, Freunde, Geld, Liebe, Hoffnung, Familie, Zukunft und der Rest, der den anderen wichtig ist. Aber leben werde ich. Und kämpfen. Selbst wenn es sich nicht lohnt, denn wofür bin ich schon da? Niemand braucht mich , niemand vermisst mich und niemand denkt an mich. Ich habe keine Bedeutung und trotzdem habe ich dieses Leben hier. Mit dieser Seele die ich nicht noch einmal verletzen will. Oder kann. Nein, umbringen kann ich mich nicht, den Grund weiß ich selbst nicht. Auf mich alleine gestellt heißt es. Obdachlos heißt es. Und ich habe kein Problem damit. Dass meine Eltern am dem siebzehnten Tag meines Lebens starben, ich elf Jahre lang in einem christlichen Waisenhaus lebte und dieses kurz vor meinem zwölften Geburtstag verbrannte. Ja, ich verbrannte das Kloster und somit das Heim, in dem ich mein Leben verbracht hatte. Sie wollten mich in die Psychatrie einweisen also taten sie dies auch. Immer wollten sie mit mir machen, was ihnen gefiel. Ich ließ sie es für 17 Tage. Also ein zwölfjähriger Flüchtling, hört sich toll an oder?
Da ich im Heim über Gott und die Welt gelehrt wurde und Grundschulenausbildung besaß und vor meinem Ausbruch die Kassen der Klinik geleert und mitsamt einiger Decken und nützlicher Dinge mitgenommen hatte, wusste ich, dass ich in dieser Welt überleben würde.
Hätte ich das damals nicht getan, würde ich dies jetzt, fünf Jahre später, nicht anerkennen können. Was in diesen fünf Jahren passiert ist, war viel zu viel und stolz bin ich darauf nicht. Ich kann nur eines von mir behaupten: Ich habe gelebt.
Good morning sunshine! Oder so. Wenn man meine Hüttenkonstelation kritisch betrachtet, stellt man möglicherweise fest, dass hier kein Architekt am Werk war. Aber ich bin trotzdem stolz darauf. Auf mein schäbige Unterkunft am Rande eines alten, jammervollen Waldes mit einem kleinen Teich in der Nähe. Teich oder Tümpel - wie man es nimmt - hauptsache man kann sich darin waschen. Wenn man es nicht selbst erlebt hat, wird man sicherlich daran zweifeln, dass dieser kleine Wald mich beschützt und noch viel mehr ist er mein Freund. Eigentlich der einzige den ich habe. Neben den Vögeln auf meinem Dach.
Ich mag diese Schuhe nicht, werde mir wohl heute Neue stehlen. Einerseits ist es langweilig, kaum Kontakt zu anderen Menschen zu haben, andererseits verletzen Menschen nur. Bevor ich noch einmal verletzt, belogen oder eingesperrt werde, meide ich Freundschaften. Und wer will schon mit jemandem wie mir befreundet sein? Ich habe keine Zukunft, keine Ahnung was ich machen werde und was auf mich zukommt. Dieses Leben ist schon verrückt.
Ah, er hat schon wieder eine neue Sicherheitsanlage, geiziges Schwein. Aber wenn ich in den Laden um die Ecke... der hat gerade Pause. Jetzt. Um das klarzustellen, ich bin kein Dieb. Ich lebe einfach nur. Mit neuen Converse Markenschuhen, okay okay. Aber die alten waren echt schon abgenutzt! Ach vergiss es, ein schlechtes Gewissen besitze ich doch schon lange nicht mehr.
So, raus hier und ganz normal weitergehen. Nächster Halt, Next stop - Nahrung. Brot, Obst, Gemüse, Fisch und Schokolade. Schokolade ist einfach das Hauptnahrungsmittel schlechthin! So, alles unter den Mantel gestopft, viel brauche ich ja nicht. Und... oh. Sie hat mich gesehen. Jetzt darf ich nicht auffällig wirken. Auch wenn ich weglaufen will. Komm nicht näher! Verdammt was hat sie vor?
»Zügel dich lieber bei dem Alten, er hört nicht auf über dich zu fluchen. Täglich ärgert er sich über die Ratten, die sein Obst in der Pause stehlen. Er hat viele Fallen aufgestellt. Gift. Du solltest die armen Ratten nicht für dein Handeln strafen.« Sie sieht mich so durchdringlich an, ich kann eigentlich nichts sagen. Na gut, irgendetwas muss ich hervorbringen sonst denkt sie ich wäre taub.
Langsam brachte ich ein »Es tut mir Leid.« heraus, selbst wenn das nicht der Fall war. Sie sah mich mit ihrem fesselnden Blick an, lächelte, beugte ihren Kopf nahe an mein Ohr und flüsterte »Okay, Verzeihung. Du kannst nicht anders und ich kenne das nur zu gut. Einen wie dich suche ich schon längere Zeit muss ich gestehen. Normalerweise sage ich das nicht so direkt aber...« »Aber?«
Sie redete in viel zu vielen Rätseln. Komm endlich auf den Punkt! »Komm mit.« Kaum hatte sie mich am Arm gepackt und zog mich eilend drei Gassen weiter. Bis wir vor einem alten und Friseursalon standen. »Na worauf wartest du? Herein mit dir!« Ich hatte noch nie zuvor eine solche Menge an Haarpflegeprodukten und Perücken gesehen. Nicht ungewöhnlich für einen Friseursalon aber dieser war ganz klar beängstigend...
Dieser Laden war mir nicht geheuer. Sie war es sowieso nicht. Aber ich blieb. Was habe ich schon zu verlieren? »Hör zu, ich bin das Schlechteste, das dir je passieren konnte. Wenn du dich jedoch gegen mich entscheidest, werde ich dich beim Händler anzeigen. Bei allen Händlern am Markt.« Welch Drohung, es würde mich keinesfalls stören. Ich kann überall entfliehen und vor dem Tod habe ich auch keine Angst. Wenn ich sterben sollte, bitteschön. Um mich weint niemand. »Worum geht es?« Auch wenn sie mir nicht drohen kann, ist sie eine Abwechslung in meinem Leben. Ob positiv oder negativ kann ich noch nicht sagen. Hauptsache etwas Neues erleben. »In einer der Flaschen, die am Wandregal stehen, befindet sich eine ätzende Textur. In welcher?« Ohne die Flaschen genau betrachten zu müssen, wusste ich die Lösung. An einer Flasche konnte man die Spur einer Flüssigkeit erkennen und am Ende dieser Spur, also am Holzregal selbst, war ein Teil des Holzes stark dunkel verfärbt und das Holz hatte eine Mulde gebildet. Ich lächelte trocken und deutete stumm auf die Flasche. »Du hast keine schlechten Augen, auch wenn das einfach war. Du kannst stehlen, bist schnell, koordiniert und siehst noch dazu nicht schlecht aus. Wo wohnst du?« Ich sah sie etwas irritiert an und meinte langsam »Im Wald.« Plötzlich grinste das Mädchen über beide Ohren und musterte mich von oben bis unten. »Du wirst mir noch sehr hilfreich sein, Junge.«
Was bildete sie sich eigentlich ein, so über mich reden zu können? So über mich urteilen zu können? Wieso sollte ich mir etwas von ihr gefallen lassen? Leider stellt man sich solche Fragen immer dann, wenn es zu spät ist. Wieso bin ich nicht einfach weggerannt? Es war das Abenteuer. Nein, sie war das Abenteuer! Ich muss sagen, sie fesselte mich mit ihrer einfachen Anwesenheit.
»Naja in Ordnung, denke ich. Und was hast du überhaupt vor?« Sie sah kurz verlegen zur Seite, blickte mich dann aber umso entschlosseber an und sagte ebenso überzeugend: »Das wirst du noch früh genug erleben. Grauenvoll und überwältigend.« »Du sprichst in Rätseln.« »Ach echt? Wäre mir niemals aufgefallen!« »Denk nicht, du könntest mit mir umgehen wie du willst. Ich lasse nicht so mit mir reden!« Ja, ab dem Satz standen wir auf der selben Stange. Sie hatte Respekt vor mir, zumindest ein wenig. »Entschuldige. Aber deine Worte beweisen mir nur immer mehr, wie nützlich du mir bist. Wie heißt du eigentlich?« »Nicht Nutztier.« Sie lachte. Naja, wie heiße ich? Ich meine, im Kloster gaben sie mir den Namen "Friedrich". Eine ekelhafte Mischung von Frieden und friedlich. Dabei bin ich keines von beidem. Aber was sollte ich ihr dann sagen?
Meine Lieblingsfarbe ist rot. Rot, rot wie tot. Red and died, okay das klingt mystisch, ist aber kein Name. Dann kam mir blitzartig der Name, den ich haben wollte: Reid. »Nenn mich Reid.«
»Nun gut, Reid. Aber du solltest jetzt von hier verschwinden, denn die alte Dame, der dieser Laden gehört, meine Tante, wird gleich wieder hier sein und sie traut niemandem. Ich muss dich für mich behalten.« »Was heißt das, du musst mich für dich behalten? Ich gehöre niemandem!« »Ja schon gut, aber du bist das Geheimnis das ich für mich behalten muss. Und jetzt geh bitte, ich meine es nur gut. Ich warte morgen um die selbe Zeit am Marktplatz. Ich bring dir auch was Gutes mit.« Das hörte sich nach einem annehmbaren Angebot an. »Bis morgen, ich werde da sein! Aber wehe dir, es ist ein Trick.«
Ich sah mich noch einmal um und verließ das Haus. Das würde noch spannend werden, dachte ich. Und hatte damit recht. Verdammt, ich hatte sie nicht nach ihrem Namen gefragt!
Verwirrter Dummkopf.
Neuer Tag, neues Glück. Hab ich einmal gehört. Nur ob ich von Glück sprechen kann, wenn ich daran denke, das mysteriöse Mädchen wiederzusehen? Zumindest ist sie hübsch.
Ich gehe meinen Weg so wie gestern. Bin an der ungefähr gleichen Zeit am Markt. Also ich orientiere mich an den Gewohnheiten der anderen Menschen. Wenn die alte Dame mit Dackel im Kaffeehaus sitzt und Tee trinkt, ist es 11 Uhr. Wenn sie ihren täglichen Zimtkeks isst, ist es 11:15. Es mag verrückt wirken, aber man kann sich tatsächlich nach den Gewohnheiten vieler Personen hier richten, jedenfalls meistens. Die Dame kaute genüsslich an ihrer Backware während ich mich ungeduldig nach dem Mädchen umsah. Kaum zehn Sekunden nachdem ich meinte, den ganzen Marktplatz durchsucht zu haben, zog mich eine Hand an meiner rechten Schulter zu sich. »Endlich bist du da Reid!« Dazu sage ich jetzt lieber nichts. Wir sahen uns an und bogen in die selbe Seitengasse ein. »Wie heißt du überhaupt, oder soll ich dich mysteriöses Mädchen nennen?« Sie kicherte. »Oh, ich finde den Namen nicht übel. Auch wenn in meiner Geburtsurkunde "Madeleine" hineingeschrieben wurde. Doch bitte nenn mich nicht so. Nenn mich anders, hauptsache nicht so.« »Nenn mir zwei oder drei Worte die dir spontan zu dir einfallen und ich habe einen Namen.« »Stark und tötend.«
Jetzt machte sie mir allmählich Angst. »Das sind kräftige Worte aber wenn du dir in ihnen sicher bist, soll es so sein. Strong und killing. Kill... wie wäre es mit "Still"? Das heißt auf Englisch außerdem so viel wie "noch immer".« »Ich habe zwar noch nie in meinem Leben Englisch gesprochen, aber wenn du es sagst, wird es wohl so sein. Still klingt seltsam aber vielleicht ist es genau das was ich suche. Und es passt. Ich bin noch immer am Leben und habe noch immer nicht aufgegeben.« »Aufgegeben womit?« »Mich zu rächen. Du brauchst mich jetzt nicht mit Fragen löchern, früher oder später wirst du alles wissen.« Sie war schrecklich mit ihren Geheimnissen aber schaffte es, mich damit zu fesseln. Wir gingen weiter und ehe ich mich versah, standen wir vor der zerfallenen Fabrik. »Wir sind da, merk dir den Ort. Jeder denkt, sie wäre komplett zugeschüttet seit dem Krieg, jedoch kann man sie von hinten noch betreten. Darum ist sie mein Zuhause.« »Du wohnst hier drin obwohl die Decke bröckelt?« »Zuhause ist nicht unbedingt wo man wohnt, sondern wo man sich wohl fühlt.« Überzeugt.
Wir betraten die Halle und ich staunte, als ich die ganzen Plakate und Aufzeichnungen sah, die überall hingen. Große Decken und Polster lagen am Boden, sodass es die Halle äußerst wohnlich aussehen ließ. An einer Seitenwand standen Töpfe und Geschirr neben Konservendosen und Vorratsschachteln. »Hast du schön hergerichtet.« Ins Schwarze getroffen. Diese Worte ließen ihre Augen glücklich strahlen. »Ich bin auch sehr froh darüber, mach es dir ruhig gemütlich hier!« Ich lächelte freundlich, setzte mich auf einen grünen Polster, sah mich um und starrte auf einen von Still auf die Wand geklebten Plan.
Der Plan, Menschen zu töten.