1 - Cay
4:17 Uhr
Ich lag schon seit mindestens einer Stunde wach und starrte an die dunkle Decke. Die Hologrammanzeige in der Ecke über der Stahltür verriet mir, dass ich bis zum offiziellen Wecken von unseren Trainern noch knapp eine Stunde Zeit hatte. Eine Stunde zu schlafen - das war hier eigentlich der reinste Luxus.
Aber ich konnte nicht mehr schlafen. Ein Alptraum hatte mich geweckt und jeglichen Gedanken, der auch nur annähernd etwas mit Schlaf zu tun hatte, vertrieben. Ich war also wach.
Linn schlief neben mir, ruhig und ungestört. Sie hatte selten Albträume und war immer wieder eingeschlafen, nachdem ich sie beruhigt hatte. Sie hatte einen sehr festen Schlaf, man konnte neben ihr wahrscheinlich eine Großkaliberwaffe abfeuern, und sie würde es nicht bemerken … Ein Segen, wenn man bedachte, dass es hier nicht gerade ruhig zuging.
Ich drehte mich auf den Bauch und vergrub mein Gesicht in dem schwarzen Kissen. Es wurde erst gestern ausgetauscht, roch aber schon wieder nach Rauch und Schweiß. Ich hatte gestern Abend nicht geduscht.
Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass ich gestern früh morgens (um zwei Uhr) Wachdienst, dann Ausdauertraining, Schießübungen und zuletzt noch ein Koordinationstraining zu meistern hatte. Ich lag dann schließlich erst um zweiundzwanzig Uhr im Bett – ohne davor einen Stopp an meinem Kleiderschrank oder den Waschräumen zu machen. Ich lag also in voller Montur, ungeduscht und stinkend in meinem Bett. Das erste was Mat machen wird, ist, mich unter die Dusche zu schicken.
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5:04 Uhr
Das Piepen neben meinem empfindlichen Ohr, ich hatte erst vor einigen Wochen einen Trommelfellriss, riss mich aus dem erstaunlicherweise doch eingetretenen Schlaf. Ich rappelte mich erschrocken auf und sprang auf die Beine. Mat steht vor mir und grinst mich säuerlich an.
  „Verschlafen, Prinzessin?“, säuselte er und ich schaute zur Tür.
Okay, ich habe vier Minuten länger geschlafen als eigentlich erlaubt, dachte ich mir und wäge ab, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass er mich nachher eine Extrarunde rennen lies.
  „Verzeihung, Sir“, murmelte ich und wischte mir über das Gesicht, um endlich richtig wach zu werden.
  „Schon klar!“, Mat schnaubte und gab mir einen Klapps auf den Hinterkopf. „Wach endlich auf! Und dann geh duschen. Du stinkst ja entsetzlich!“ Damit verschwand er.
Ein kurzer Blick durch das kleine Zimmer sagt mir, dass Linn schon weg war. Sie war überpünktlich und wollte immer alles richtig machen – Eine Eigenschaft, die bei mir zu wünschen übrig lies. Wahrscheinlich befand sie sich schon schon im Waschraum befand.
Ich schnappte mir meine Waffe, die auf dem Regalbrett über meinem Bett lag, und beeilte mich, das Zimmer zu verlassen und dann den gang hinunterzujoggen.
Der Waschraum war voll, so wie immer, aber ich hatte noch Platz unter der Großraumdusche. Ich zog meine schwarzen Kleider aus, schob sie in den Wäscheschlucker und hüpfte dann neben Caitlin unter die Dusche.
  „Du bist ja dreckig!“, sagte sie und lachte, während sie sich einseifte. Sie anderen Mädchen, die auch unter den vielen kleinen Duschköpfen, die überall an der Decke befestigt waren und somit den ganzen hinteren Teil des Mädchenwaschraum 1 in eine riesige Dusche verwandelten, nickten mir als Begrüßung kurz zu. „Bist du gestern so ins Bett gegangen?“ Caitlin grinste.
  „Ja, stell dir vor“, meinte ich und lächelte, so gut es meine Lippe, die vor zwei Tagen beim Boxen aufgeplatzt war, eben zuließ. „Ich hatte gestern einen anstrengenden Tag!“
  „Hattest du Dienst?“, fragte Caitlin weiter und seifte sich dabei das feine, hellbraune Haar ein.
Dienst zu haben, war ein hohes Privileg und durften nur die, die mit guten Leistungen und ausgesprochen guter Führung hervortraten. Meine Führung war zwar nicht so gut wie meine Leistungen, aber da ich die einzige war, die nachts - ohne Fernglas - auf eine Meile eine in schwarz gekleidete Person sah, sie von Kameraden unterscheiden, sie treffen und töten konnte, durfte ich Wache auf der Außenmauer schieben. Nicht gerade der tollste Job!.
  „Ja, ich hatte Dienst. Auf der Außenmauer!“, seufzte ich und rubbelte mir mit einem dunklen Lappen über das Gesicht, um Ruß und Schmutz zu entfernen.
  „Cool!“ Das Mädchen grinste. Ich schüttelte nur meine kaum vorhandenen, nassen Haare und seufzte. Caitlin war mit die Jüngste hier und hatte noch wenig Gespür für den Unterschied zwischen Cool und Cool aber ätzend. Mein Wachdienst gehörte eindeutig der zweiten Kategorie an.
Als ich der Kleinen geholfen hatte, die Seife aus den Haaren zu spülen, mich selbst eingeseift und wieder abgespült und mir und Caitlin ein Handtuch aus den Schränken geholt hatte, verlies ich, eingewickelt in die Lage Froté, den Waschraum und ging zu meinem Kleiderschrank im Garderobenzimmer. Dort suchte ich mir ein frisches schwarzes Langarmshirt, eine dunkle Jeans und schwarze Stiefel heraus, gefestigte das Holster mitsamt meiner Kleinkaliberwaffe wieder an meinem Oberschenkel und steckte meine Hosenbeine und ein Messer in den Stiefelschaft. Dann trat ich wieder hinaus auf den Gang und wartete auf den Befehl zum aufmarschieren.
Es dauerte nicht lange, da tauchte Linn neben mir auf. Ihr nasses, schwarzes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und ich beneidete mal wieder sie darum. Schon oft hatte ich versucht, meine Haare lang werden zu lassen, aber sie waren zu brüchig dafür.
Sie stupste mich zur Begrüßung kurz an und stellte sich dann neben mich. Sie war, so wie alle, in dunklen Farben gekleidet, trug praktische Dinge und hatte ein Messer am Gürtel. Sie war fast so alt wie ich, allerdings größer - was keine Kunst war. Ich war mit 1,59 Meter die kleinste meines Alters.
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5:45 Uhr
Als zwei Wachen die Flügeltür zwei Gänge weiter öffneten und Mat uns mit einigen Befehlen befahl, in die große Halle zum Auftakt zu marschieren, trat ich vor, blickte ich von links nach rechts an den Reihen der bereitstehenden Kinder und Jugendlichen entlang und ging im Kopf schnell die Anwesenheit durch. Außer den Wachdiensten war es neben Magazinkontrolle auch meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass morgens alle pünktlich in der großen Halle erschienen. Kein anstrengender Job, aber man musste jeden mit Namen kennen, was nicht weiter schwer war, und wissen, ob er nicht etwa Wache hatte oder krank war. Ich schaute zu der Anzeige an der Wand über den Köpfen meiner Kameraden. Drei Krankmeldungen plus sechs Dienstabwesenden. Ergab fünfzig minus neun.
Ich zählte meine Kameraden durch. Alle Anwesend.
Mit einem Nicken bestätigte ich Mat, dass alle, die da sein mussten, anwesend waren und fügte mich wieder in die hintere Reihe der Marschierenden ein.