Beschreibung
Wie soll das nur weitergehen?
Warten auf Startfreigabe
Der schmucklose Warteraum des Arbeitsamtes erinnerte an eine Sardinenbüchse. Dicht gedrängt warteten Männer und Frauen auf baldige Starterlaubnis in einen neuen Job. Sie würden jeden akzeptieren, selbst wenn er nach Irgendwo ins Niemandsland ginge. Nur endlich tragende Luft unter die Flügel bekommen und wieder spüren, dass es aufwärtsgeht. Keine stickige Luft mehr atmen, keinen Schweiß mehr riechen müssen, wie an diesem Ort.
An der Eingangstür lehnte eine kleine, dünne Frau. Das Weiß ihres ausgemergelten Gesichtes glich dem Antlitz einer Gipsfigur. Große, dunkle Augen versteckten sich in tiefen Höhlen. Neben ihr lümmelte sich ein schlaksiger junger Mann auf einem Kunststoffstuhl. Die anderen Arbeitssuchenden schienen, statt lebendiger Gesichter Masken zu tragen, deren Augen der Schein des Beseelten fehlte. Genommen durch Sorgen und Ungewissheiten.
In diesem Warteraum schien Leben tiefgefroren. Zwischengelagert - zur späteren Verwendung. Vielleicht ...! Deshalb wohl das eisige Schweigen der Wartenden. Aber nicht nur sie waren stumm, auch die Wände. Wo einmal große Sprüche der verloren gegangenen Deutschen Demokratischen Republik prangten, wo Bilder der Staatsführer hingen, gab es jetzt nur noch rechteckige und quadratische schmutzig-weiße Flächen. Eine Ideologie war gestorben und die zukünftige noch fremd. Dieses Leben im Zwischenreich verlangte großes Vertrauen in alles.
Da erhob sich plötzlich jemand und trat von einem Bein aufs andere. Die alten Dielen knarrten dazu.
„Wir sind nicht mehr jung, tragen aber immer noch Lasten!“
Lasten trugen jedoch auch die Besucher des Arbeitsamtes. Zum Beispiel die Angst vor dem unwiderruflichen sozialen Abstieg. Und deshalb blieb es auch weiterhin bei der nervenden Sprachlosigkeit. Neben den schmutzig-weißen Flecken an der Wand gab es jedoch auch noch die Lautsprecher. Nun aber ohne: „Auferstanden aus Ruinen ...!“, ohne Worte von einer sieg- und ruhmreichen Armee, von Waffenbrüderschaft und unverbrüchlicher Freundschaft. Kein Siegen mehr, durch Lernen vom großen Bruder.
Statt wie früher kämpferische Parolen zu verkünden, riefen diese Lautsprecher jetzt eine Nummer auf und bestellten diese in ein Zimmer. Dann herrschte in dem Tiefkühlhaus der Gefühle wieder Stille. Als die aufgerufene Nummer nach geraumer Zeit den Warteraum wieder betrat, schien es, als wenn ihre Augen noch ein wenig tiefer in die Höhlen gerutscht, die Gesichtshaut von weiß nach grau gewechselt hätte und die Lippen noch blutleerer und schmaler geworden wären. Warte, warte noch ein Weilchen, schien die Nummer den Zurückbleibenden sagen zu wollen, als sie sich noch einmal umwandte. Dann verließ sie mit schnellen Schritten das Amt, das ihr auch dieses Mal keine Arbeit hatte geben können.