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Atemzug
Der Wind erstarb. Das Segel erschlaffte. Das Boot dümpelte. Es herrschte Flaute. Die Auferstehung eines unwirklichen Raubtieres begann.
Langsam unerbittlich atmete es die Geräusche ein, verschlang sie und hielt sie gefangen. Wütend bäumten sich die Gefangenen auf. Die Geräusche schlugen und kratzten mit ihren Obertönen an die alles umschließende Wand. Schrilles Pfeifen gemischt mit tosenden Winden suchten nach Schwachstellen in der Wand, lautlos klatschten Flügelschläge helfend herbei. Doch nichts, rein garnichts davon drang nach außen. Die Stille behielt alles in sich.
Atemzug für Atemzug
Zwei Männer lagen auf dem Boot, sie genossen diese Ruhe. Gedankenvertieft
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schaute der eine zum Horizont dann zum Zweiten, der im Traum versunken schlief.
Atemzug.
Das war das erste Mal, das sie mit einem Boot aufs Meer segelten und dann so weit, dachte er. Jürgen, ein Draufgänger, der kein Nervenkitzel ausließ, schlief den Schlaf des Unschuldigen. Er war es auch, der Paul immer wieder überredete, auf neue Abenteuer zu gehen.
Atemzug.
Letztes Jahr die Bergwanderung im Himalaya, zwar nicht der Mount Everest, aber ein Sechstausender schon. Kein Abenteuer wurde zweimal gemacht, das wär zu öde, sagt Jürgen. Wir brauchen den Kick, Neues lernen, ausprobieren, fertig, Nächstes. Extrem, immer extrem muss es sein, denkt Paul.
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Atemzug.
Dabei ist er der Besonnene, einer der vor dem Handeln zweimal überlegt. Aufmerksam registriert Paul die Anleitungen der Lehrer, sei es auch noch so eine Nebensächlichkeit.
Atemzug.
Dadurch sind Katastrophen ausgeblieben. Diese Reise, eine Spontanidee Jürgens, entstand bei einem Filmabend. „Kon-Tiki. Ein Floß treibt über den Pazifik.“ hieß der Film. Die Idee, mit einem Segelboot im Pazifik zwischen Costa Rica und den Kokos-Inseln war geboren.
Atemzug
Ein paar Tage später zeigte Jürgen die Flugtickets. Außerdem war ein Segelkurs sowie eine kleine Jacht telefonisch gebucht.
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Drei Wochen Später dümpelte das Boot im offenen Meer. Bisher hat jeder ihrer Handgriffe gesessen, dank eines alten brummigen Seebären als Lehrer.
Atemzug.
Der redete nicht viel, nur knappe Sätze. Die Worte seines gebrochenen Deutsch, ermüdeten Jürgen, er besann sich auf die handwerklichen Tätigkeiten und ahmte die gezeigten Griffe perfekt nach. Paul hingegen fragte immer wieder nachdem warum. Warum so und nicht so. Was wär noch zu beachten.
Atemzug.
Oft saßen Paul und der Seemann Stunden zusammen, wärend Jürgen sich an der
Strandbar vergnügte. So auch am letzten Abend, da sah ihn der Seemann tief in die Augen. „Die Meer, mein Jung, die Meer. Nicht dein Freund. Zwei Gesichter. Einmal freundlich, bringt dich überall hin. Gibt Essen. Aber Aufpassen, wenn es still ist. Man sagt: „Die Ruhe vor dem Sturm.“ Dann Meer nimmt sich immer was zurück. Laut und böse.“
Atemzug.
Gedankenvertieft sah Paul am Bootsrumpf hinab zum Wasser. Er lauschte. Still ist es. Sehr still. Totenstill.
Atemzug.
Zufrieden grinsend, sog die Stille wieder und wieder Geräusch um Geräusch ein. Das Meer lies seine Wellen am Boot entlanggleiten. Noch bevor die Ahnung eines Lautes entstand, hat die Stille raubtiergleich ihren Hunger gestillt.
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Atemzug.
Wut ergriff das Meer. Es begann, seinerseits nach Verbündeten Ausschau zu halten.
Atemzug.
Das Meer sucht die Fische, die tanzend und klatschend aus dem Wasser sprangen. Es zieht am endlegenden Ende an einem Wind.
Atemzug
Und Wieder ein Atemzug der Stille, wie immer lautlos für uns, für das Meer ein erschütternder Schrei.
Atemzug
Blindwütig bebend reißt das Meer einzelne Lüftchen mit, sammelte sie, treibt sie zusammen.
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Atemzug
Bäumt sich auf, Welle für Welle, schiebt Wasserberge zum Wind. Es packt das frisch geschmiedete Bündnis und stürzt tobend mit brachialer Gewalt auf die Stille zu.
Atemzug
Es reißt deren Wand ein und verbündet sich mit dem Gefangenen, schlägt jähzornig um sich, heult und schreit befreit.
Kein Atemzug mehr.
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