Romane & Erzählungen
Gedankenmacht

 

Gedankenmacht

Mir steigt der Duft von Frischgebackenem in die Nase. Wenn er behutsam in meinem Innern seinen Weg sucht und in meinen Gedanken, die an diesem frühen Samstagmorgen noch zu schlafen scheinen, vorsichtig einzelne Lichter einschaltet. Langsam erhellen sich meine Erinnerungsräume und lassen Blicke auf meine aufgehängten Bilder vergangener Tage zu, gleichzeitig erfüllt der sich immer mehr entnebelnde Raum mit diesem Geruch und in meinem Mund breitet sich ein vergessen geglaubter Geschmack aus.

Jäh werden die Bilder von der Wand gerissen durch eine krächzende mit Unfreundlichkeit geschwängerte Stimme neben mir: „Fünf normale, nä.“ Noch etwas benommen schaue ich den Herrn neben mir aus den Augenwinkeln an, dann blicke ich kurz zur Dame, die diesen

 

 

 

 

Auftrag entgegennimmt und denke mir, die Arme muss sich tagtäglich mit solchen unfreundlichen Kunden zufriedengeben. Im Einzelhandel sollte man schon ein „dickes Fell“ haben oder sich zumindest eins aneignen. Ich finde einkaufen sollte Spaß machen und mit dem einen oder anderen Witz würden auch diese Tage erträglicher für so manchen Verkäufer werden.

Sie lässt sich nichts anmerken und verpackt alles ordentlich reicht es über die Auslage mit den freundlichen Worten:
„Das macht dann 95 Cent bitte.“
„Hm, hier, ja, tschüss“ kam es kratzend aus dem stoppeligen Mund. Der Mann griff grob nach der Tüte und einen kurzen Moment dachte ich sie zerreist. Falls das Papier letztendlich doch zerreißt, käme ich in eine Zwickmühle. Sollte ich anstandshalber einen gewagten halben Hechtsprung vorbereiten, um

 

den fallenden Backwaren einen ungewollten Bodenkontakt zu ersparen, oder sollte ich das Desinteresse wie eines jeden hier im Verkaufsraum anwesenden Kunden zur Schau tragen und mich innerlich über das ungeschickte Verhalten und die gerechte Strafe für sein muffeliges Verhalten freuen?

„Guten Morgen, Sie wünschen.“

Wieder wurde ich aus meinem Gedankenhaus herausgerufen, aber diesmal war es eine weiche Stimme, die in den Obertönen von einer beinahe unscheinbaren Melodie begleitet wurde und sie damit zu einer kleinen Ouvertüre erscheinen ließ.  Oh, das galt mir, ich drehte mich verwundert um und sah das Gesicht aus dem diese Worte kamen an. Das Lächeln das mir entgegenkam lies die trübe Stimmung die mein Vorgänger, als tieffliegende Regenwolke zurückgelassen hatte, hinwegtreiben, um einen Frühlingsmorgen den Weg zum effektvollen Auftritt freizuräumen.

 

 

 

In mir wurden die zerrissen geglaubten Gedankenbilder an ihren ursprünglichen Platz zurückgehängt, der Duft nach Gebackenem breitete sich abermals aus und der Geschmack fand auch seinen vor kurzem verlassenen Weg wieder.

Etwas verlegen schaute ich mich um, sah noch 5 andere Kunden hier im Raum die mich zum Teil erwartungsvoll musterten. Ein älterer Mann in einem hellen Anzug und einer lilagrün gestreiften Krawatte sah auch schon ein wenig gehetzt aus und seine Augen zuckten vor Nervosität, während er ungeduldig auf eine Reaktion meinerseits hoffte. Ich denke, wenn ich jetzt noch länger mit meiner Bestellung warte, dann würde er, in Anbetracht der Tatsache das ich nicht so ein griesgrämiger Nieselprim wie der unrasierte, in unvorteilhaft herunterhängender Sportbekleidung aus der Tür schlurfende letzte Kunde, mich antreiben,

 

um seinen viel zu schnell vergangenen Morgen, nicht noch mehr verlorene Stunden zukommen zu lassen.

Neben ihm wurde eine Rentnerin bedient, sie hatte sich,  wahrscheinlich wie schon seit vielen Jahren jeden Morgen einen blauen geblümten Kittel übergeworfen. Die Verkäuferin, die sie bediente, sah keinesfalls fröhlich aus, sie könnte meiner Meinung nach die Schwester des vorherigen Kunden sein. Ihre lustlos zusammengestopfte Bestellung ließ in mir die Vermutung erwachen, dass sie heute einen eher schlechten Tag angefangen hat. Auch sah ihr Gesicht mitsamt den Haaren aus, als wenn es alles achtlos zurechtgemacht wurde.

Vergleichbar mit Socken die, nach einem mit vielen endlos gelaufenen Schritten und wenig Ausruhmöglichkeiten bespickten arbeitsreichen Tag auf den Beinen, einfach ausgezogen und

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ohne weiteres Bemühen zusammengeknüllt in die Ecke geworfen wurden. 
Ich drehte mich zu meiner Verkäuferin, die immer noch erwartungsvoll lächelnd zu mir schaute, sah sie verschmitzt an und sagte:

„Ich hätte gerne 4 Paar Socken.“