Beschreibung
Von einer, die an die bezaubernde Jeannie glaubte und erst als Oma mit den Füßen aus den Startlöchern startete.
Erzählung aus der fast typischen Kindheit und Jugend einer Babyboomerin. Wie es nach Jahren eines wiederum typischen Erwachsenen- und Berufslebens zum Wandel und einem neuen Start ins lebendige Leben kam. Vielleicht ein Mutmach-Buch für andere?
Die frühen Kindheitsjahre
Bezaubernde Jeannie – die Serie lief zu einer Zeit, in der ich nicht einmal die Hälfte der Folgen wirklich verstand. Mit 6 oder 7 Jahren könnten die alltäglichen Erwachsenen-Probleme nicht ferner liegen als so sagenhafte Orte wie Timbuktu oder Buxtehude. Zu weit weg, um sich damit zu befassen. Aber das Zaubern wirkte anders! Einfach Arme verschränken, blinzeln, und schon erfüllte sich ein Wunsch. Man musste nur lange genug üben. Also stand ich regelmäßig im Garten, verschränke die Arme, schloss feste die Augen und stellte mir vor zu fliegen. Und ich hob ab! Sekundenbruchteile genügten für meine Überzeugung „Ich kann fliegen!“.
Leider holten mich meine Freundinnen von dem Trip genauso schnell und gründlich herunter wie auch die Erwachsenen zuhause. Alle waren älter als ich, die Erwachsenen sowie und auch meine Freundinnen. Und natürlich wussten und konnten sie alles – zumindest besser als ich.
Es gab eine Stelle im Garten, an der wir Mädchen wenigstens zeitweise wirklich flogen: unsere Garage. Sobald im Frühjahr die Wärme ausreichte, um draußen zu spielen, folgten wir einem bestimmten Weg wie Ameisen ihrer Straße. Das hieß, neben der Garage am Kirschbaum hochklettern, über das Dach hüpfen bis zum hinteren Ende und dort (todes)mutig den 2-Meter-Sprung wagen. Wir mussten uns ordentlich abstoßen, denn direkt an der Garagenwand wuchsen noch ein paar Rosenbüsche. Zwei Meter nach unten fliegt man auf jeden Fall länger als bei einfachem Hochhüpfen vom Boden. Willkommen in der Realität.
Nahm ich Abschied vom Zaubern? Mitnichten! Solange es ging, schaute ich mir jede Folge der Bezaubernden Jeannie an – irgendwie müsste die Technik doch erlernbar sein. Ich bekam den Trick nicht heraus, dafür aber Bücher in die Hände, mit denen meine Fantasie weiterleben konnte. Lesen entwickelte sich schon früh zu einer Jederzeit-möglich-Beschäftigung, nicht immer zum Vergnügen meiner Eltern. Ich erinnere mich an etliche Abende, an denen ich die Nachttischlampe unter die Bettdecke zog, um weiterlesen zu können. Diese blöde Regel, dass um 20 oder 21 Uhr das Licht ausgemacht werden sollte, war eine der ersten, die ich mit Genuss umging. Ich glaube, meine Eltern drückten oft die Augen zu und „entdeckten“ mich nur hin und wieder, um mich zum Einhalten von Regeln zu bewegen.
Es folgten „Die kleine Hexe“ und „Räuber Hotzenplotz“. Selbstverständlich konnte die kleine Hexe hexen, da stellte ich nichts in Frage. Beeindruckend aber fand ich den Zauberer im Räuber Hotzenplotz, der in Buxtehude lebte. Das musste irgendwo im Zauberland liegen. Schon der Name konnte nicht wirklich sein. Hätte ich damals geahnt, dass ich 4 Jahrzehnte später Kunden in Buxtehude besuchen würde? In Deutschland, quasi um die Ecke? Ich traf denn auch keine Zauberer, sondern Software-Entwickler, von denen sich vielleicht einige für Zauberer hielten.
Zurück zum kleinen Mädchen. Schon während der Grundschulzeit lernte ich viele Rollen kennen und leben.
Erst einmal die Tochter, obendrauf Erstgeborene – sehr wichtig, als irgendwann meine kleine Schwester auftauchte. Durch den Altersunterschied von 7 Jahren nahm ich sie bewusst erst zu einem Zeitpunkt wahr, als ich sie endlich herumkommandieren konnte.
Unter meinen Freundinnen von der Straße dagegen war ich die Jüngste und wurde herumkommandiert. Wenn ich es nicht mehr aushielt, zog ich meine Masche ab und versteckte mich „beleidigt“ im Ziegenkeller, in dem sich schon lange keine richtigen Ziegen mehr aufhielten. Dort bockte ich so lange herum, bis die großen Mädels mich mit allen möglichen Versprechungen wieder herauslockten.
In der Schule gestalteten sich die Verhältnisse eher umgekehrt – ich war eine der ältesten in der Klasse und obendrein Klassenbeste. Zwar kannte ich das Sprichwort nicht, doch verbrachte ich meine Zeit getreu dem Spruch „Bescheidenheit ist eine Zier, doch besser lebt man ohne ihr.“ Meine Mitschüler nannten mich denn eine Angeberin. Dabei wollte ich doch bloß meine selbst gemalten Pferdebilder an alle verschenken. Es half auch nicht, dass ich mit den strengen Lehrerinnen gut klar kam. Wie konnte ich bloß!
Was auch immer meine Mitmenschen von mir erwarteten, trat in den Hintergrund, wenn ich meine Tiere beobachten konnte. Besonders spannend fand ich Ameisen. Die hielten Blattläuse! Und zappelten so schön, wenn man sie den Kreuzspinnen ins Netz warf. Von letzteren lebten mehr als genug in der Lorbeerhecke vor dem Haus. Ich testete alle möglichen Wurfwinkel, um zu sehen, wie die Spinnen ihre Beute einwickelten. Meine Aktivitäten brachten mir den Spitznamen „Ameisenprofessor“ ein. Gartenarbeit mit Oma oder Papa erledigte ich gerne, wenn auch mit Unterbrechungen, um irgendwelche wichtigen Beobachtungen anzustellen.
Dieses eher entrückte Zuschauen führte denn auch zu einer Episode, in der mein Geist offensichtlich wenig Bezug zu meinem Körper zeigte: An einem schönen Sommertag beschloss ich, wie Papa ein wenig zu schnitzen. Auf der Suche nach einem geeigneten Holz blieb ich schließlich bei einer unserer Trauerweiden hängen und versuchte, dort einen Ast abzuschneiden. Das Messer rutschte ab und fuhr mir in den linken Daumennagel. Etwa einen Zentimeter lang und einige Millimeter tief von oben. Erst als das Blut kräftig herausquoll, fand ich es an der Zeit, mal Oma um Rat zu fragen. Ihr Entsetzensruf „Das ist das Rasiermesser von Opa!“ hallt mir heute noch im Ohr, aber sie wickelte mir den Finger schön dick ein. Derweil tauchten meine Freundinnen auf und wir verzogen uns zum Spielen in den Garten. Nach einer Viertelstunde drückte sich das Blut durch den Verband. Sehr interessant! Ich rief meine Freundinnen und zeigte ihnen ganz begeistert, wie das Blut aus dem nach unten gehaltenen Daumen tropfte. Und erntete weibliches Ekelgeschrei! Mir tat der Finger nicht mal wirklich weh, er klopfte nur ein wenig. Das ganze Getue verstand ich nicht.
Die Jungs vom Sportplatz hätten es vielleicht cooler genommen. Aber mit denen pflegten wir Mädchen ja eine ordentliche Feindschaft. Der Anführer der Jungengruppe trat regelmäßig mit Margret, der ältesten von unserer Mädchengruppe, in heftige Wortgefechte. Worum es ging, weiß ich nicht mehr. Wenn der Junge und ich uns hin und wieder alleine trafen, waren wir eher Freunde. Außer, wenn sie unsere Äpfel klauten – da wurde ich doch sauer. Sie bissen nämlich nur einmal hinein und warfen die leckeren Äpfel danach auf den Boden. Und je öfter wir schimpften, desto lieber griffen sie sich noch ein paar mehr davon. Irgendwann wurde hinter unserem Brombeergebüsch, das bis dahin die Grenze zum dahinterliegenden Fußballplatz bildete, von der Gemeinde eine 2 Meter hohe Betonmauer gezogen und setzte dem Klauen ein Ende.
Für eine andere, sehr amüsante Aktivität bildete die Mauer dagegen den Startschuss. Im Garten standen ein paar Zwetschgenbäume, die jährlich nicht nur wunderschön blühten und ordentlich Früchte hervorbrachten, sondern zwischendrin jede Menge vertrocknete Früchte auf dem Boden hinterließen. Sag niemand, das sei Abfall! Für uns transformierten die trockenen Zwetschgen zu Munition, die wir eifrig sammelten und auf die Trauerweide mitnahmen, die direkt an der Mauer stand. Unser Spaß fand besonders an Wochenenden statt, wenn Fußballspiele liefen. Die Zuschauer auf der anderen Seite der Mauer boten wunderbare Zielscheiben für unsere kleinen Übungen. Und trafen wir wirklich mal, lachten wir die Schimpfenden aus, denn trotz aller Drohungen, sie würden uns versohlen, wussten wir ja ganz genau: über die Mauer kamen sie nicht!
Diese Trauerweide sollte – wenn es nach meinem Opa gegangen wäre – überhaupt nicht existieren. Er hatte wohl kurz nach Kriegsende eine andere Trauerweide im Garten abgeholzt und ein paar Äste „in den Graben“ geworfen. Da, wo unser Grundstück regelmäßig nach längerem Regen unter Wasser stand. So kam es, dass statt der einen Trauerweide irgendwann zwei ihrer Art im Garten wuchsen. Die Weide an der Mauer musste während meiner Kindheit um die 20 Jahre alt gewesen sein, ein recht junger Baum. Und trotzdem für ein weiteres Vergnügen hoch genug, nämlich eine neue Art von Fliegen, oder Tarzan Spielen. Ihre Äste ragten jenseits der Mauer bis über ein Geländer, das die Zuschauer vom eigentlichen Fußballfeld trennte. Wir kletterten auf das Geländer, griffen uns ein paar „Lianen“ und segelten so dem Boden entgegen.