Beschreibung
aus meinem Buch "Der Lauf des Jahres"
Ein Tag im August
Sommer, Sonne, blauer Himmel und Hitze. Das ist das Klischee für einen Tag im August. Ihr könnt nicht von mir erwarten, dass ich dieses Klischee bediene. Heute ist nicht so ein wunderbarer Tag und ich werde ihn deswegen nicht umschreiben oder schönen. Bildet euch das nur nicht ein. Auch ein wechselhafter Tag im August kann reizvoll sein und allemal interessanter als ein eintöniges Himmelsblau.
Heute ziehen die grauweißen Wolken im Galopp, wie eine Herde wilder Pferde, über das Himmelszelt. Die Sonne macht vor ihnen Platz und schaut nur ab und an hinter den Wolken hervor. Der Wechsel von Licht und Schatten malt Figuren auf die Wiese, mal große und bedrohliche, dann wieder kleine, wie kurze Wischflecken.
Auf der Wiese liegend beobachte ich die wilde Herde am Himmel. Um mich herum krabbeln Käfer, summen Bienen, brummen Hummeln und sirren Mücken; ein Konzert in Dur wird im Sommertheater aufgeführt. Der Dirigent ist der große blühende Grashalm vor mir, der sich wiegt, bewegt und sich vor seinem Orchester verbeugt. Die große Balletdiva tritt nun auf. Ein großes Tagpfauenauge. Der Schmetterling tanzt leicht durch die Lüfte, auf und ab, dreht seine Pirouetten.
Warum heißt es der Schmetterling, das Tagpfauenauge? Es ist eine »Sie«! Die Schmetterling, die Tagpfauenauge! Das würde den Tatsachen eher entsprechen. Nur eine Diva ist so prächtig und schön.
Mit mir sind als Zuschauer die Kleeblumen anwesend, kleine weißliche Köpfchen, manchmal etwas rosé geschmückt.
Auf meinem nackten Arm spüre ich ein Kribbeln. Kleine Beinchen dribbeln nach oben. Wer benutzt meinen Arm als Laufsteg? Der männliche Held tritt auf, ein Marienkäfer, rotberockt mit schwarzen Punkten wie militärische Ehrenzeichen. Er lupft seinen roten Rock, zwei zarte durchsichtige Flügel entfalten sich und fliegen der Diva entgegen.
Ein Wunder, dass dieser dicke Käfer von den zarten Flügeln empor getragen werden kann.
Der Held umflattert kurz die Diva und verschwindet mit ihr im Nirwana. Das Spiel ist zu Ende.
Ich erhebe mich, pflücke Kleeblumen und binde sie zu einem Kranz. Den Grundstock bilden zwei der Wildblumen, darum gewunden wird eine Blüte nach der anderen. Beim Blumensuchen reckt sich mir ein vierblättriges Kleeblatt entgegen. Ich greife nach dem Kleeblatt, welches mir Glück verheißen will.
Der Himmel hat sich inzwischen einheitlich grau eingefärbt. Dicke dunkle Wolken haben die grau-weiße Pferdeherde abgelöst. Sie segeln wie Piraten, die ihre schwarze Flagge gehisst haben, auf dem Ozean des Himmels.
Ein Tropfen fällt auf mein Haar. Langsam arbeitet er sich an den Haarsträhnen wie auf einer Rutschbahn voran, flutscht die Schläfen entlang. Er kitzelt und ich wische kurz mit meiner Hand darüber. Weg ist er.
Der Tropfen war der Vorbote einer großen Heerschar neuer Tropfen. Leise regnen immer mehr von ihnen vom Himmel herab. Plötzlich öffnet die schwarze Wolke ihr Tor und es gießt aus vollen Kannen.
Regentropfen entern die Erde und ich fliehe mit dem vierblättrigen Kleeblatt und dem Kleeblütenkranz in der Hand nach Hause. Hinter dem Küchenfenster beobachte ich, wie an diesem Tag im August Tropfen die Straße, die Bäume und Blumen blank putzen.