Kurzgeschichte
Die verlorene Heimat - Rückkehr in die Vergangenheit

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"Die verlorene Heimat - Rückkehr in die Vergangenheit"
Veröffentlicht am 21. März 2007, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Die verlorene Heimat - Rückkehr in die Vergangenheit

Die verlorene Heimat - Rückkehr in die Vergangenheit

Beschreibung

Ein erfolgreicher Banker kehrt an die Stätte seiner Jungend zurück.

Die verlorene Heimat

Jahrzehnte waren verflogen. Wolf hatte es beruflich bis zum Vorstandssprecher einer großen Bank gebracht. Während dieser Zeit war ihm für Privates kaum Zeit geblieben. Jetzt, wo Wolf Ruheständler war, entschloss er sich, seine Heimatstadt in Mitteldeutschland noch einmal zu besuchen. Wollte die Stätten seiner Kindheit und frühen Jugend wiederfinden. Mit leeren Händen war er damals gegangen. Als Porschefahrer kehrte er nun zurück. Allerdings ohne Familie. Die war ihm während des jahrzehntelangen Stresses als nationaler und internationaler Banker abhanden gekommen.
Den großen Bahndamm mit den Gleisen gab es immer noch.
„Auf uns fahren keine Züge mehr“, meinten die Schienen Wolf sagen zu müssen, „deshalb frisst uns der Rost, der Krebs des Stahles.“ Doch auch die morschen Holzschwellen in ihrem Schotterbett klagten Wolf ihr Leid.
„Auf uns wächst jetzt Unkraut. Aber wenigstens ist es grün. Ziegen und Schafe halten es kurz.“
Dann plötzlich stand Wolf vor der alten Tanne. Sein Baum. Ihre Nadeln waren gelb. Die Zweige bröselig. Als sie jedoch noch im vollen Saft stand, war Wolf ihr Eichhörnchen. Blitzschnell kletterte er hinauf und wieder herunter. Dabei ahmte er den Ruf des Tierchen nach: „Tschuk, Tschuk, Tschuk“.
Doch auch der kleine Wildbach war noch in der Zeit. Hier rastete Wolf erst einmal. Die Wellen trugen immer noch weiße Schaumkronen, schliffen Steine glatt und gestalteten das Bett des Flüßchens nach Vorgabe ihrer Natur. War es Traum oder Wirklicheit, was Wolf nun hörte?
„Da bist du ja wieder“, toste das Wildwasser, „haben dich die Wellen der Zeit noch einmal an mein Ufer gespült?“
„Haben sie, haben sie“, kommentierte Wolf. Dann jedoch stand er auf, hob seine Rechte und grüßte sein „Wässerlein“ zum letzten Mal.
„Dein Ziel ist der große Ozean, Flüsschen“, murmelte er dabei, „meines auch. Wir kamen aus dem Wasser, wir kehren dahin zurück. Bis später! Servus!“
Das Birkenwäldchen dagegen war verschwunden. Zurückgeblieben nur Baumstümpfe. Ihr moosgrünes Kleid ließ den Morgentau in der Sonne wie kleine Perlen glänzen. Die Pilze auf und neben dem Holz allerdings schienen Wolf zu warnen: „Finger weg von uns ...!“
„Ich hab's nicht vergessen, ihr Giftbolzen“, sagte Wolf jetzt laut und meinte, er würde schon verstanden.
Wolfs Füße brachten ihn schließlich zu dem Ort, der einmal eine große Wiese gewesen war. Hierher hatte er als junger Mann sein erstes Mädchen geführt. Irene!
An schönen Sommertagen lagen sie auf einem Teppich aus saftigem Gras, Butterblumen und Gänseblümchen. Hier küssten Wolf und Irene sich. Zuerst war es aber nur ein Probiererle. Später Leidenschaft. Von solchen Abenteuern brachte Wolf dann regelmäßig seiner Mutter ein Sträußchen aus Butterblumen, Gänseblümchen und einem vierblättrigen Kleeblatt mit. Sie sollte auch glücklich sein.
Eines Tages fand Irene, Wolf dächte zu oft an seine Mutter und formulierte: „Entweder ich oder deine Gebärerin ...!“
Wolf traf schon damals schnelle Entscheidungen. Seitdem hatte er die Wiese mit den Butterblumen, den Gänseblümchen und den vierblättrigen Kleeblättern für sich allein.
Ab und zu saß nun jedoch seine Mutter neben ihm. Das schonte auch die Wiese. Butterblumen, Gänseblümchen und mögliche vierblättrige Kleeblätter blieben dort, wohin sie die Natur gesetzt hatte, weil Mutter sich nun am ursprünglichen Standort an ihnen erfreute.
Doch das war Vergangenheit. Wolf fast ein alter Mann. Grüner Rasen wärmte jetzt seine Mutter, Irene war in den Bergen mit ihrem Gleitsegler tödlich verunfallt. Und die Wiese, mit den Butterblumen, Gänseblümchen und vierblättrigen Kleeblättern, war jetzt ein Ort auf dem sich Wohlstandsmüll versammelte, wie ungebetene Gäste auf einer Party: alte Kühlschränke, verrostete Fahrräder und Autokarossen, Fernseh- und Videogeräte. All dies war Bestandteil eines apokalyptisches Bildes vor den Toren der Stadt.
Doch wer glaubte, dieser Ort sei ein toter, Wolf wusste es besser. Das Leben sprießte hier wie Plankton im Meer. Gelbes, Weißes und Grünes lugte zwischen Blech und Kunststoff hervor. Sie waren einfach nicht umzubringen, die Butterblumen, Gänseblümchen und auch die vierblättrigen Kleeblätter.
Bald würde Wolf nun wieder nach Hause fahren. Seine frühere Heimat war nicht mehr seine wirkliche. Aber die Wiese mit ihrer Wohlstandsmülldeponie, würde bleiben und ihr Müllberg höher wachsen. Blieb nur zu hoffen, dass der Schrotthaufen den Menschen nicht plötzlich als der neue Turm zu Babel erschien. Vielleicht schlösse man die Deponie eines Tages und verstänisvolle Beamte ließen sie für immer verschwinden.
Doch weil auch seine ehemalige Heimatstadt wegen der neuen Finanzreform immer weniger Geld bekam, käme der Berg aus Wohlstandsmüll wohl kaum ins Wanken. Ersatzweise könnte er davon träumen, dass er schon bald ein geschlossenes, schönes und buntes Gewand trüge: aus Butterblumen, Gänseblümchen und hier und da einem vierblättrigen Kleeblatt.

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joLepies

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