Prolog
Schulen.
Mat hasste öffentliche Schulen.
Das hatte er schon immer getan, schon seitdem er eingeschult worden war. Er hatte seine Eltern gedrängt, ihn auf ein Internat zu schicken. Was sie dann auch getan hatten. Und das Internat hatte aus ihm das gemacht, was er nun war.
Einen standhaften, robusten und fast schon übermenschlich belastungsfähigen Mann, der ihm den Job eingebracht hatte, weswegen er nun hier war.
Junge Schüler rekrutieren, das war seine Aufgabe. Und er war darin ziemlich erfolgreich, wie er sein Chef ihm schon mehrmals gesagt hatte und ihn immer wieder losschickte.
  „Wie lang noch?“, fragte er Cate, die mit ihm und den Zwillingen Jo und Noah auf dem Gang im dritten Stock standen und warteten.
  „Es sollte jeden Moment klingeln ...“, meinte die junge Frau und schaute auf ihre digitale Armbanduhr. „Und zwar jetzt!“
Die Schulglocke läutete, Stimmen und Rufe wurden hörbar, Getrampel erklang und kurz darauf wurden die Klassenzimmertüren aufgerissen.
Mat trat zurück bis an die Wand, um nicht von einer Horde Fünftklässler umgerannt zu werden.Dann schaute er auf das Photo, dass er in der Hand hielt.
Braune Haare, schmales Gesicht, dunkle Augen … eigentlich ganz passabel, das Mädchen, dachte er sich und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Sie würde perfekt in sein Team passen! Wo blieb das Mädchen denn nur?
Eine Gruppe Mädchen kam gerade aus dem letzten Zimmer auf dem Gang und schlenderte in ihre Richtung. Cate stieß Mat an; das war sie!
Mat nickte und steckte das Photo weg, den Blick immer auf die Zielperson gerichtet.
Als die Mädchen an ihnen vorbeiliefen, rief er: „Caythiènne?“
Ein braunhaariges Mädchen drehte sich um. „Ja?!“
Mat lächelte. „Ich bin Mat Hanworth und würde gern mit dir sprechen. Am besten gleich jetzt, ich habe nicht viel Zeit!“ Er schaute auf seine Armbanduhr, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
Das Mädchen schaute ihr Freundinnen an, die nur mit den Augen rollten, aber stehen blieben.
  „Was wollen sie von mir? Ich kenne sie nicht und habe ihren Namen auch nie gehört!?“, meinte Caythiènne und verschränkte die Arme vor der Brust.
  „Das glaube ich gern. Allerdings ist es von äußerster Dringlichkeit und wie gesagt, wir haben nicht viel Zeit ...“
  „Also schön …!“ Die Braunhaarige setzte ihren Schulranzen ab, „Was gibt es denn?“
  „Könnten deine Freundinnen gehen? Es ist vertraulich!“, mischte sich Cate nun in das Geschehen ein und lächelte. „Hey Caythiènne, ich bin Cate!“
Das Mädchen warf den anderen einen fragenden Blick zu, diese verdrehten abermals die Augen, eine meinte: „Wir warten am Schultor auf dich!“ und gingen.
  „Danke!“, rief Mat ihnen noch hinterher und wandte sich dann wieder seiner Zielperson zu. „Ich habe gehört, du bist sportlich sehr … aktiv“, fing er an und lächelte warmherzig.
  „Hm, ja. Wenn sie das so bezeichnen wollen …!?“, antwortete das Mädchen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und?“
  „Wir wollen dir ein Angebot machen!“, meinte Cate, „Du bist nämlich eine unserer Favouriten für die drei neuen Teams auf dem Sportinternat in Fealnorth!“
  „Fealnorth, wo ist das denn?“, fragte Caythiènne und durchkramte ihre Geographiekenntnisse nach etwas, was so hieß; Ein Gebirge, ein Gebiet, eine Stadt …
  „Das ist erstmal unwichtig“, lenkte Mat das Thema um und machte eine beiseite schiebende Bewegung mit der Hand. „Am wichtigsten ist uns jetzt das Angebot, was wir dir machen wollen. Mein Chef, der Direktor des Sportinternats, hat mir deinen Namen und den Ort wo ich dich finde gegeben, und mit aufgetragen, dich zu fragen, ob du Interesse hättest, dieses Internat zu besuchen!“
Er schaute so vertrauenswürdig wie nur möglich drein und auch Cate und die Zwillinge versuchen einen Seriösen Eindruck zu machen.
Aber das Mädchen blieb misstrauisch: „Und da schickt er zwei Muskelpakete hier her?“ Mit argwöhnischer Miene musterte sie Jo und Noah und fragte sich, warum sie nicht einfach weitergegangen war, als dieser Hanworth sie angesprochen hatte. Sie schätzte ihn auf Ende zwanzig, Anfang dreißig und auch wenn er mit schwarzem Hemd und dunkler Hose, rasiertem Bart und einer Sekretärin, die von sich bestimmt etwas anderes behaupten würde, ziemlich seriös aussah, stimmte etwas nicht.
  „Und das soll ich Ihnen glauben?“, fragte sie und trat ein Schritt zurück, sodass sie hinter ihrem am Boden liegenden Schulranzen stand. Die Lehrerin, bei der sie eben noch Unterricht gehabt hatten lief lächelnd an ihr vorbei und warf den Besuchern nur einen flüchtigen Blick zu.
  „Ja, das sollst du!“, meinte Mat und lächelte wieder. „Es ist ja nur ein Angebot und wir wüssten nur gern, ob du theoretisch dran interessiert wärst. Alles andere würden wir natürlich noch besprechen ...“
War das eine Fangfrage?, fragte sich Caythiènne und schüttelte den Kopf. Es klang schon verlockend, ein Sportinternat. Sie liebte Sport, würde alles dafür geben …
  „Theoretisch hätte ich schon Interesse aber ...“, versuchte sie sich aus der Sache herauszuwinden, „wie Sie schon sagten, ich bräuchte genauere Informationen und kann Ihnen erstmal nichts weiter dazu sagen!“
  „Das wollen wir auch gar nicht!“, beschwichtigte Mat und lachte in sich hinein. Caythiènne war ihm sicher!
  „Gut!“, Das Mädchen setzte ihren Schulranzen wieder auf. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, meine Freundinnen warten unten!“
Mat nickte, hob die Hand und legte sie ihr auf die Schulter.
  „Dann freue ich mich, dich vielleicht wiederzusehen!“ , sagte er recht leise, drückte etwas aber zu fest ihre Schulter, sodass Caythiènn unwohl fühlend ein Schritt zurücktrat. „Auf Wiedersehen!“
Sie drehte sich um ging mit schnellen Schritten fort. Der Typ war ihr unheimlich.
Im ersten Stock angekommen, blieb sie kurz stehen um sie zu vergewissern, dass ihr niemand folgte. Sie fühlte sich seltsam und beschloss, sich Hände und Gesicht zu waschen.
In der Mädchentoilette lies sie ihre Tasche unachtsam auf die Fließen plumpsen und drehte den Wasserhahn auf.
Jetzt war ihr schon schlecht und sie schloss sich in eine Kabine, nur für den Fall, dass sie sich übergeben musste. Sie lehnte sich an die Kabinenwand und schloss die Augen, um das Schwindelgefühl zu vertreiben.
Was war plötzlich los?
Als sich ihr Magen wieder etwas beruhigt hatte, ging sie wieder zu dem noch laufenden Wasserhahn, wusch sich Hände und Gesicht. Als sie in den Spiegel sah, merkte sie, wie bleich sie war. Die Sommerbräune vom letzten Urlaub auf Mallorca war verschwunden und für einen Moment hatte sie das Gefühl, sie blickte in das Gesicht eines Geistes.
  „Ich muss zu meinen Freundinnen ...“, murmelte sie, raffte sich auf und hängte sich die Tasche über die Schulter. Den Kopf schüttelnd tastete sie nach der Türklinke, bekam aber nur die kalten Fließen der Wand zu fassen. Sie war fast blind, sah nicht mehr außer leuchtenden Punkten, die hin und her sprangen …
  „Ganz ruhig! Mädchen, setze dich erstmal hin! Beruhige dich!“, war das Letzte, was sie hörte, bevor sie zusammenbrach.