Beschreibung
Die Sonne ist am verlöschen, eine neue Eiszeit breitet sich über die Erde aus. Die Menschen fliehen in eine neue Heimat - Terra Nova. Könnte der Anfang von mehr sein ...
Exodus
Der Planet Erde. Wir schreiben das Jahr 3525. Nördliche Hemisphäre. Südkuppel Delta. Lara stand an einem lukenähnlichen Ausblick und schaute hinaus in die verschneite Welt. Ein eisiger Sturm fegte übers Land, malte Muster in das Weiß, türmte es auf und trug es wieder ab. Die großen Schneeflächen verwischten die Konturen der Berge und Hügel. Sie wuchsen jedes Jahr höher und ebneten die Hügel ein und die Berge. Der Orkan fauchte, zitterte und prallte an der Stahlglaskuppel ab. Schneeflocken griffen mit ihren Fingern aus Eiskristallen nach ihr. Draußen war nichts, nur weiße Starre.
Lara Bondartschuk, noch nicht 30, eine zierliche ruhige Frau, mit großen fragenden braunen Augen und kurzem brünetten Haar, lebte in dieser Kuppel seit ihrer Geburt. Sie ist eine von vielen Erdenbewohnern, die hier und in anderen Stahlglaskuppeln siedelten, über die ganze Erde verstreut, verbunden durch ihre Holokommunikatoren und Energietransporterstrecken.
Draußen erschütterte in großen Abständen ein Fauchen und Jaulen die weiße Stille, Feuerstrahlen warfen gebündeltes Licht auf die Eisflächen. Im großen Raumhafen in der Nähe der Kuppel, durch Energieschilde vor Schnee und Stürmen geschützt, hob ein weiteres Raumschiff ab und strebte dem Weltraum entgegen, wie viele andere vor ihm und nach ihm. Im Innern schliefen Menschen in ihren Stasiskammern ihrem Ziel entgegen: Terra Nova. Der letzten Hoffnung der Menschen.
Lara erinnerte sich daran, wie alles anfing. Die Bücher sprachen davon. Sie hatte sich mit der Geschichte vertraut gemacht, alte Texte auf ihre Positronik geladen, adaptiert in ihre moderne Sprache. Sie erzählten von einer Vergangenheit tausende Jahre zuvor, als der Golfstrom versiegte, die Sonne sich von der Erde abwandte und nur noch ein milchiges und blasses Antlitz zeigte. In dieser Zeit kämpfte die Spezies Mensch um ihr Überleben in der beginnenden neuen Eiszeit.
Langsam, am Anfang fast unmerklich, rückten die Gletscher vor, versanken die Wälder, Berge, Felder und zuletzt die Wüsten im Weiß des Schnees. Bedeckten mit einem Totentuch, was Menschen liebten: Blumen, Bäume und Tiere. Ihnen blieb nur der Mut zum Neuanfang und ihr Erfindungsreichtum.
Es entstanden zuerst auf den virtuellen Reißbrettern, dann überall auf der Erde die ersten Kuppeln aus Stahlglas. Riesengroß recken sie sich heute über die schlohweiße Welt in den Himmel, wo graue Wolkenformationen Fantasiegebilde auftürmen und wieder abräumen. Wie ein überdimensioniertes Auge einer Fliege versperrt die spiegelnde facettenreiche Glaskonstruktion der Kälte den Weg ins Innere. Es gibt für den brüllenden Sturm kein Durchkommen. Die Erbauer hatten ihm eine Grenze gesetzt. Drinnen sicherten sie mit ihrem künstlichen Klima und der künstlichen Sonne das Überleben der Menschen.
Der Bau der Kuppeln war damals ein Wettlauf mit dem Tod. Viele der Menschen sahen diese Inseln in ihrer surrealen Schönheit nicht mehr, starben an Hunger und Kälte, an den Entbehrungen, bevor sie ihre Ideen verwirklichen konnten.
Lara kannte viele dieser Menschen aus Erzählungen. Sie waren die Helden ihrer Jugendzeit. Sie konnte nicht oft genug ihre Geschichten hören. Die Taten jener Männer und Frauen inspirierten sie, Terraforming zu studieren. Sie war beseelt von den Gedanken, dabei zu sein, wenn eine neue Welt, eine bessere Zukunft für die Menschen, erschaffen werden wird.
Lara dachte gern an ihr Studium zurück. Sie waren eine kleine verschworene Gemeinschaft: Boris, Tanja, John, Jannis, Elena und noch andere Weggefährten. Sie büffelten ihren Lehrstoff, diskutierten darüber, wägten Sinn und Unsinn ihrer manchmal verrückten Ideen gegeneinander ab. Sie fieberten mit allen Fasern ihres Körpers dem Tag entgegen, wo Ihre Ideen der Wirklichkeit standhalten mussten.
Wissenschaftler suchten damals angestrengt nach einer neuen Erde, begleitet von den sehnsüchtigen Wünschen aller Menschen, die in den Kuppeln hausten.
Lara hatte nicht vergessen, wie grenzenlos die Freude ihrer kleinen Truppe war, als Forscher einen Planeten fanden, auf dem sie ihr Terraformingprojekt verwirklichen konnten. Sie fassten sich bei den Händen, tanzten nach alten Weisen, lachten und umarmten sich. Niemand konnte glücklicher sein als sie. Die kleine Gemeinschaft arbeitete in dieser Zeit mit Feuereifer an der Verwirklichung ihrer Visionen.
Nächtelang brütete Lara über wissenschaftlichen Büchern. Literweise trank sie starken schwarzen Kaffee, um nicht einzuschlafen und Barrieren im Denken niederreißen zu können. Wie berauschend und prickelnd, fast wie Schmetterlinge im Bauch, waren diese schöpferischen und verrückten Stunden damals.
Unerbittlich wie eine Uhr, lief ihre Überlebensfrist in den Kuppeln langsam dem Ende entgegen. Die Refugien wurden zu klein für die vielen Menschen, die Nahrung kärglicher und die Energievorräte waren endlich.
Einige Jahre sind seither vergangen. Lara sah die Vergangenheit vor sich, als ob es gerade gestern gewesen wäre. Unbeugsam hatten die Menschen bis heute durchgehalten.
In Gedanken versunken, stand sie an der Öffnung der Kuppel, tippte einige Daten in ihren Portabel am Handgelenk, einer Positronik mit neuester bioneuraler Chiptechnik. Ein grünliches Licht tränkte die Wand neben ihr. Lara wendete sich dorthin und korrigierte das Holobild. Auf ihm erschien Terra Nova, die neue Erde, viele Lichtjahre entfernt von hier, in einer anderen Spiralgalaxis. Terra Nova umkreiste in einer weiten Umlaufbahn die noch junge Sonne. Die große Entfernung des Planeten zu ihr behütete das neue Leben, damit es nicht im Schmelzofen des Sternes verbrannte. Sechsunddreißig lange Stunden dauerte ein Tag auf diesem Planeten. Zwei Monde erhellten die Nächte. Vor ihren Augen breitete sich eine liebliche Landschaft, mit Wiesen und Auen, Feldern und Wäldern aus. Ein kleiner Teil von ihr steckte in diesem Grün. Voller Stolz vertiefte sich Lara in den Anblick. Ihr Herz schlug schnell und freudig. Hoffnung war in ihr, Hoffnung auf ein besseres Leben. Träumerisch schaute Lara noch einmal auf das Holobild. Dort wird sie wieder frische Luft atmen und werden keine Kuppelwände ihren Lebenswillen bremsen können. Mit einer Fingerbewegung verschwand das Hologramm, verlor sich im Datenstrom der Positronik.
Lara stand immer noch an ihrem Ausguck, starrte in die weiße Ödnis. Sie dachte an ihre Großmutter zurück, die ihr Legenden über die Schönheit der Erde anvertraut hatte. Damals. Es waren alte Geschichten, leise und voller Traurigkeit erzählt: Von dem satten Grün der Wiesen und dem Gold der Felder, dem lauen Lüftchen des Windes und dem lebensspendenden Regen. Für Lara nur ein Mythos. Graue Vorzeit.
Sie tippte neue Befehle in ihren Portabel, vernetzte sich mit dem Raumhafen und verbandt sich mit ihrem Sternenschiff „Perseus“. Sie übergab ihre persönlichen Daten und ihre DNA-Sequenz der großen Schiffspositronik. Das war Laras letzte Handlung auf der Erde.
Ihr Blick wandte sich noch einmal kurz den weißen, frostigen Bergen und Hügeln zu, ihre Ohren lauschten ein letztes Mal dem donnernden weißen Sturm, todbringend und kalt wie der Weltraum, den sie nun durcheilen wird. Lara brannte alles in ihr Gedächtnis ein. Ihre Seele fror. Abrupt drehte sie sich um, wollte nicht mehr in den Ozean des Schmerzes schauen.
Lara hastete davon, löste sich von ihren Erinnerungen und Gedanken. Ihr Blick ging nach vorn. In drei Stunden wird sie an Bord ihres Raumschiffes gehen und mit ihr die Letzten der Südkuppel Delta in der nördlichen Hemisphäre. Ihr Ziel wird Terra Nova sein. Der Glaube an eine bessere Zukunft wird sie begleiten, die letzten der Menschen auf ihrer Reise in die Unendlichkeit ...