Eine leichte Brise wehte durch das offene Fenster. Eine angenehm kühler Windhauch,
der das Sommergewitter ankündigte, dass nach 3 Tagen sengender Hitze ein wenig
Abkühlung versprach.
Erik stand in der Mitte des kleinen Raumes. Er schaute in Richtung des Fensters, das
er soeben geöffnet hatte. Sein vom Schweiß durchnässtes T-Shirt klebte an
seiner Haut. Auch wenn der Stoff des T-Shirts zu dick für einen so heißen
Sommertag war, war es sein Lieblings Shirt. Der schwarze Stoff, auf dem auf
der
Brust ein weißer Stern mit den Buchstaben „TFK“ klaffte. Das Logo seiner
Lieblingsband „A Thousand Foot Krutch“.
Seine krausen, schwarzen Haare trug der 21 jährige stets gegelt und diverse Lederarmbänder
rundeten das Erscheinungsbild eines begeisterten Rockfans ab.
Der kühle Wind fühlte sich gut auf seiner Haut an. Vielleicht konnte er heute Nacht
wenigstens ein bisschen besser in den Schlaf finden. Die Luft hatte sich in den
letzten beiden Nächten so sehr
aufgeheizt, dass es beinahe unmöglich war, ein
Auge zu zumachen.
Von seinem Zimmerfenster aus konnte Erik die große Eiche im Garten sehen. Laut der,
sich ewig wiederholenden Erzählung seiner Mutter, hatte sein Uhr-Uhr-Großvater
sie gepflanzt, als er selber noch ein kleiner Junge war.
Erik konnte den Stolz seiner Mutter auf diesen Baum nicht nachvollziehen. Vor allem
dann nicht, wenn er im Herbst die Unmengen Laub weg harken musste, die der
Baum
jedes Jahr aufs Neue im ganzen Garten verteilte.
Faul war er nicht, ganz im Gegenteil: Er half seinen Eltern gerne.
Besonders bei der Gartenarbeit. Aber das Aufsammeln der Blätter, die meist vor lauter
Feuchtigkeit fest am Boden pappten war einfach eine müßige Arbeit, die Erik
absolut nicht leiden konnte.
Ein dumpfes Donnergrollen riss ihn aus seinen Gedanken und erinnerte ihn daran,
dass er noch die Sitzkissen der Gartenstühle vor dem heran nahenden Regen in
Sicherheit bringen musste. Bevor er sich
auf den Weg in den Garten machte, warf
er einen schnellen Blick auf die Uhr.
In knapp 10 Minuten würden Paula und Tim kommen.
So wie es aussah, würde das Gewitter ihren Plan einer kleinen Grillparty
zunichtemachen. Glücklicherweise hatte Erik heute Vormittag noch zwei Filme aus
der Videothek ausgeliehen.
Zufrieden schnappte er sich die DVD-Hüllen und lief zügig die Treppe hinab ins
Untergeschoß.
Nachdem er die Sitzkissen gerade rechtzeitig vor den ersten Regentropfen, in
den
Vorratsraum gebracht und auf dem Rückweg ein paar kalte Getränke mitgebracht
hatte, kramte Erik hastig im Wohnzimmerschrank, auf der Suche nach einer Tüte
Chips und ein paar anderen Leckereien, die er seinen Gästen anbieten konnte. Noch
bevor er die Tüten auf den Wohnzimmertisch gelegt hatte, läutete es an der
Haustür.
Fünf vor Acht.
„Das muss Paula sein“, dachte Erik, der sich absolut nicht an diese
übermäßige
Pünktlichkeit gewöhnen konnte.
Er selbst war schon froh, wenn er einmal weniger als 10 Minuten zu spät zu einem
Termin kam.
Als er die Türe öffnete schaute er in Paulas breit grinsendes Gesicht und da fiel
sie ihm auch schon schwungvoll um den Hals.
„Schön, dass du wieder da bist“ rief sie und Erik
konnte sich grade noch auf den Beinen halten. „Wie geht es dir? Wie war dein
Urlaub? Wie geht es deiner Mum? Und wo ist überhaupt Chaz?“
„Hey, nicht so stürmisch“, lachte er.
Auch er freute
sich, Paula nach den zwei Wochen, die er bei seinen Großeltern verbracht hatte, wiederzusehen.
Dieser Empfang rührte ihn. Er hätte nicht damit gerechnet, dass Paula sich so
sehr freuen würde, ihn wieder zusehen. Und wenn, dann hätte er nicht gedacht,
dass sie es so offen zeigen würde.
„Der Urlaub war super, meinen Großeltern geht es
gut. Opa hat sein Boot bald fertig und ich habe ihm die ganzen zwei Wochen
geholfen!“ antwortete er und versuchte dabei all ihre Fragen zu beantworten.
„Mum geht es ebenfalls gut. Sie freut sich riesig, dieses Wochenende mit
Dad
allein sein zu können. Chaz hat sich wahrscheinlich im Badezimmer verkrochen, immerhin
gewittert es“, sagte er grinsend und richtete dabei seine Brille, die ihm bei
der Begrüßung von der Nase gerutscht war.
Chaz, Eriks vier jähriger Labrador, war sein ein und alles. Der quirlige Vierbeiner
war immer vorne mit dabei wenn es darum ging zu toben und lauthals bellend hinter
seinem Spielzeug herzu stürmen oder es zu verteidigen, aber bei einem
herannahenden
Gewitter verzog er sich am liebsten in das kleine Badezimmer, in dem er sich
gemütlich auf den Teppich legte und durch die sichere Fensterscheibe die Blitze
beobachtete.
„Soll ich dir die Jacke abnehmen?“ fragte er höflich und streckte ihr seine Hand
entgegen.
„Oh, sehr freundlich“ erwiderte sie mit einem kecken Augenzwinkern.
Grade als Erik die Haustür hinter sich schließen
wollte, hörte er eine sehr vertraute Stimme rufen: „Hey Holzkopf, lass
mich
auch noch rein. Ich hab keine Lust nasser zu werden.“
„Tim, dieses Mal pünktlich?“ begrüßte Erik seinen besten Freund. Er hasste es wenn
Tim ihn Holzkopf nannte. Aber immer wenn er ihn darauf hinwies, stachelte es
seinen Freund nur weiter an.
Erik empfand sich nicht als Holzkopf. Klar, Tim war in der Schule um einiges besser als er und kannte sich mit Dingen wie Computer
und Biologie aus, aber dumm war er trotzdem nicht. Ihn interessierten einfach
andere Dinge. Er nutzte seinen Computer, zum Beispiel dazu, im
Internet zu
surfen, Musik zu hören oder Online Rollenspiele zu spielen.
„Du sollst mich nicht immer Holzkopf nennen. Kann ja nicht jeder so ein Nerd sein
wie du.“ zischte er in der Hoffnung, dass Paula nichts mitbekam. „Beim nächsten
Mal lasse ich dich wirklich draußen im Regen stehen.“
„Hör auf zu memmen, alter Holzkopf.“, stichelte Tim „Ist Paula schon da?“
„Natürlich. Oder glaubst du im ernst das WIR beide den Tag noch erleben, an dem Paula Weiss,
alias Stempeluhr, zu spät kommt?“ fragte
Erik stirnrunzelnd.
„Lästert ihr etwa über mich?“ schallte Paula, aus dem Wohnzimmer, die die Begrüßung der
beiden Freunde nur teilweise verfolgt hatte. Sie hatte sich bereits mit Chaz
auf den Teppich im Wohnzimmer geworfen, nachdem dieser aufgeregt aus dem
Badezimmer gerast kam um den Besuch in Empfang zu nehmen. Chaz hatte sich
beinahe mehr darüber gefreut Paula zu sehen als Erik es getan hatte und Paula
genoss es die gesamte Aufmerksamkeit des Hundes zu haben.
Chaz erging es nicht anders. Endlich hatte er
wieder
ein freiwilliges Opfer zum Spielen gefunden.
„Als wenn wir jemals schlecht über dich reden würden.“ brüllte Tim zurück.
Tim und Erik waren zusammen aufgewachsen. Seitdem sie sich im Kindergarten kennengelernt hatten, war kaum ein Tag vergangen an dem die beiden keinen Kontakt hatten.
Auch das Klassenzimmer der Grundschule hatten die zwei gemeinsam unsicher gemacht.
Trotzdem sich ihre Wege nach der Grundschule trennten, Erik ging auf die Realschule, Tim selbstverständlich aufs
Gymnasium,
haben Sie sich nie aus den Augen verloren.
„Und du hast also schon wieder vergessen deine Schuluniform auszuziehen“ sagte Paula,
die sich von Chaz gelöst hatte und wieder zu den beiden in den Flur gekommen war.
„Haha, nur weil du dir keine vernünftigen Klamotten leisten kannst“ erwiderte Tim und
hing seinen Stoffmantel an die Garderobe.
Der schwarze Pullunder über dem weißen Hemd sah zwar
schick aus, verlieh dem blonden Jungen
aber tatsächlich einen Hauch von
Schuluniform wie Erik zugeben musste.
Er kannte seinen Freund nicht anders und hatte sich
an den Anblick gewöhnt. Tim war immer etwas schicker gekleidet. Sein Vater, ein
erfolgreicher Geschäftsmann, legte immer viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres.
„Ist ja nicht jeder mit stinkreichen Eltern gesegnet“ fauchte Paula.
„So, und jetzt begeben wir uns ganz in Ruhe ins Wohnzimmer.“ unterbrach Erik die beiden
um die Situation nicht eskalieren zu lassen.
„Was möchtet ihr trinken?"
„Wenn du ein kühles Bier anbieten kannst bin ich dabei“ sagte Tim und bediente sich
freudestrahlend an den Chips.
„Aber natürlich.“ bedeutete Erik mit einem Gesichtsausdruck als wäre die Vorstellung
vollkommen unmöglich, dass er seinem Gast kein kühles Bier anbieten könne. „Und
was darf‘s für dich sein?“ fragte er an Paula gewandt.
„Ich nehme eine Cola. Vielen Dank.“
„Da das
Grillen wohl ins Wasser fällt, würde ich vorschlagen eine Pizza zu bestellen.
Ist das OK für euch?“ schlug Erik
vor.
Tim, der trotz seiner schlanken Figur immer essen
konnte und vor allem auch immer Hunger hatte willigte unverzüglich ein. „Für
mich nicht. Meine Finanzen sehen grade leider ziemlich schlecht aus.“ sagte
Paula.
„Kein Problem. Zur Feier des Tages lade ich dich ein.“ fiel Erik ihr ins Wort.
Lächelnd nahm sie sein Angebot an.
„Und was ist mit mir?“ beschwerte sich Tim. Erik erstickte seinen Protest im Keim.
„Jetzt werd mal nicht unverschämt. Du bist doch der reiche Schnösel der
UNS
einladen sollte.“
Paula konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Ja ja, das ist der Vorteil wenn man Brüste hat“ zischte Tim sie an.
„Jetzt sei nicht so ein Idiot. Wir wollen doch heute einfach einen netten Abend
verbringen und du gehst mir mit deiner Laune jetzt schon auf den Keks. Reiß
dich doch bitte einmal zusammen.“ fuhr Paula ihn an.
Erik musste grinsen. Die gelegentlichen Zickereien
der beiden konnten zwar auf Dauer anstrengend werden, doch nach
den
letzten zwei Wochen fand er es äußerst amüsant zu merken, dass alles beim alten
war.
„Willkommen zuhause“ dachte er und wählte die Nummer der Pizzeria.
Während draußen das Gewitter immer stärker wurde,
saßen Erik, Paula und Tim auf der Couch im Wohnzimmer von Eriks Eltern und
schauten DVD. Der dritte Film an diesem Abend. Die leeren Pizzakartons und
Chips Tüten lagen wild über den Tisch verteilt.
Anfangs hatte Erik darüber nachgedacht den Fernseher
aufgrund des Gewitters abzuschalten, aber wenn er wegen diesem Wetter schon auf
das Grillfleisch verzichten musste, dann würde er sich zumindest nicht
den
DVD-Abend verderben lassen. Da seine Eltern für den Rest des Wochenendes im
Ferienhaus seiner Großeltern geblieben waren, war immerhin niemand in der Nähe
der sich beschweren konnte.
Chaz hatte sich zwischen Erik und Paula auf die
Couch gequetscht und genoss die zärtlichen Streicheleinheiten die er von Paula
bekam.
Erik schaute zu den beiden rüber. In den Film
vertieft, pustete Paula eine Strähne Ihres langen braunen Haars aus
ihrem
Gesicht.
Er musste sich zwingen sich nicht von ihren braunen
Augen und dem hübschen Gesicht in den Bann ziehen zu lassen und wand den Blick in
Richtung Fernseher, in dem Versuch sich auf den Film zu konzentrieren.
Tim, der neben ihm bereits vor einer halben Stunde
eingeschlafen war, hatte sich anfangs noch darüber beschwert, dass er keinen
Frauenfilm gucken wolle. Nachdem Sie aber zwei Actionfilme angesehen hatten,
konnte Paula sich durchsetzen. Erik war es relativ egal welchen Film
sie
schauen würden. Er war einfach froh wieder bei seinen Freunden zu sein und
genoss den gemeinsamen Abend.
Grade als er sich wieder auf die Geschichte
konzentrieren wollte, hörte er von draußen ein lautes Surren.
Paula schreckte zusammen und Chaz, der sich fragend
im Wohnzimmer umschaute, sprang von der Couch auf und trat den Gang in Richtung
seiner Toilettenfestung an.
Das Surren wurde mit jeder Sekunde lauter. Sogar
Tim, der Meister des Tiefschlafs wurde
wach und schaute sich in dem spärlich
beleuchteten Raum um.
„Was ist das?“ fragte Paula verängstigt.
„Ich weiß es nicht. So etwas habe ich noch nie gehört.“ sagte Tim.
Eriks ganzer Körper spannte sich an. Seine Gedanken
rasten. Ihm war klar, dass dieses Geräusch nichts Gutes verheißen konnte.
Er war nicht in der Lage seinen Gedanken zu Ende zu
bringen, als ein lauter Knall und eine anschließende Erschütterung die durch das
Wohnzimmer drang. Die Fenster wackelten, das Geschirr in den
Vitrinen
klapperte. Er konnte die Vibration der Druckwelle in seinem Bauch spüren.
Im selben Moment wurde es im gesamtem Haus stock
finster.
Paula kreischte vor Panik. Ihre Schreie vermischten
sich mit dem lauten Bellen von Chaz, der ins Wohnzimmer stürmte um seinem
Herrchen zur Hilfe zu eilen.
Erik stürmte in Richtung Terrasse. Er riss die Türe
auf und blickte in den Garten. Für einen kurzen Moment mussten such seine Augen
an die Dunkelheit gewöhnen.
Erik hatte den Eindruck, als würde er aus Richtung
der alten Eiche ein leichtes Glimmen vernehmen.
Er schaute genauer in die Richtung und erkannte,
dass ein Teil des Baumes auf dem Rasen lag. In dem großen Stamm klaffte ein
riesiger Riss. Der Ast, an dem Erik als Kind das Klettern gelernt hatte, lag
auf dem Boden. Von der Stelle, an der er für gewöhnlich aus dem Baumstamm
herausragte, bis knapp über dem Boden war die Rinde des Baumes aufgerissen. Das
Glühen, an der Stelle an der noch vor wenigen Sekunden der Ast hing,
ließ
langsam nach.
„Paula, beruhig dich. Es war nur ein Blitz. Ein Blitz ist in die alte Eiche eingeschlagen“ sagte Erik.
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Außer dem Baum ist nichts und niemandem etwas passiert.“
Er stand in der geöffnete Terrassentür und starrte auf den Baumstamm.
„Cool.“ rief Tim und wollte in den Garten stürmen.
„Sei vorsichtig.“ warnte Erik.
Tim, der seine Begeisterung kaum verbergen konnte,
quetschte sich, wie ein aufgeregter kleiner Junge, an Erik vorbei in
den
Garten.
„Endlich mal ein bisschen Aufregung hier.“
Erik musste grinsen. „Dann lass uns mal schauen ob
sonst noch was kaputt gegangen ist.“ sagte er und folgte seinem Freund in
Richtung der Eiche.
„Hey Junge!“ krächzte eine raue Stimme durch die Nacht.
Im ersten Moment zuckte Erik zusammen. Er hatte
nicht damit gerechnet dass Herr Schulz etwas von diesem Theater mitbekommen
hätte. Der 86 jährige ist zwar noch fit für sein Alter, aber seine
Ohren
machten nicht mehr so ganz mit. „Das einzig Gute an dem Kerl“ dachte Erik, für
den die Hörschwäche des Nachbarn eine willkommene Einladung war, seine Musik
ein wenig lauter aufdrehen zu können.
„Nur weil deine Eltern nicht da sind, müsst ihr mich doch nicht mitten in der Nacht mit eurem
Partylärm wecken!“ brüllte er.
„Nein Herr Schulz! Hier ist ein Blitz eingeschlagen.“ antwortete Erik entschuldigend.
„Was?“ fragte der alte Mann.
„Ein Blitz ist
eingeschlagen.“
„WAAAS?“ erwiderte der alte Mann erneut und drehte sein linkes Ohr in Eriks Richtung um
den Jungen besser verstehen zu können.
„Ein Blitz! Hier ist ein Blitz eingeschlagen Herr Schulz!“ schrie Erik.
„Um Himmels Willen“ rief der Mann empört. „So einen Lärm veranstalten und mich dann
auch noch anschreien.“ Kopfschüttelnd drehte er sich um und trat Rückweg in sein
Haus an.
„Unglaublich diese verzogenen Blagen heutzutage. Wenn ich das deinen Eltern
erzähl…“
Noch bevor der Mann zu Ende geflucht hatte, hörte Erik ihn die Türe zuknallen.
Tim, der das Genörgel des alten Mannes immer sehr
belustigend fand, lag vor Lachen beinahe auf dem nassen Rasen.
„Hier ist soweit alles in Ordnung.“ sagte Erik. „Lass uns wieder rein gehen“ grinsend
schloss er die Tür hinter den beiden.
„Unglaublich dieser Typ.“ lachte er. „Und was ist mit dir? Alles wieder gut?“ fragte er an
Paula gewandt.
„Ja, aber ich habe mich ganzschön erschrocken. Zum Glück hatte ich Chaz,
der auf mich
aufgepasst hat.“
„Typisch Frauen, immer Panik vor allem.“ mischte Tim sich in die Unterhaltung ein.
„Ach halt doch die Klappe“ blaffte Paula ihn an und streichelte sanft über Chaz Kopf, der
sich beschützend und Schutz suchend zugleich an ihre Seite drückte.
„Jetzt hört bitte auf euch wie Kinder zu benehmen.“ fuhr Erik die beiden an, während er
sich daran machte eine Taschenlampe zu suchen und den Strom wieder einzuschalten.
Nach einer guten Stunde hatte Paula sich
wieder beruhigt.
„Ich glaube ich werde jetzt nach Hause fahren“ sagte Sie „Mein Bett ruft schon ganz
laut nach mir.“
Erik stand auf und holte Ihre Jacke.
„Sehen wir uns morgen?“ fragte er.
„Klar, wir können uns ja im Mocca treffen und einen Kaffee trinken“ schlug sie vor.
„Das klingt gut“ antwortete er.
Paula überlegte einen Augenblick.
„Aber zuerst muss ich ausschlafen. Also nicht vor 11 Uhr.“
„Oh ja, ausschlafen klingt gut. Immerhin werden meine Eltern mich mal nicht
Gott
weiß wann aus dem Bett schmeißen“
„Wunderbar, also dann morgen um 11 im Mocca?“ erwiderte sie.
„Ich werde da sein.“ sagte Erik zufrieden.
„Tschüss Schnösel“ rief Paula lauthals in Richtung Tim, der im Wohnzimmer sitzen
geblieben war.
„Ach hau schon ab“ hallte es zurück.
Kopfschüttelnd stand Erik in der Haustüre.
„Ich werde euch nie verstehen“ sagte er verzweifelnd.
Breit grinsend verließ Paula das Haus.
„Hey Alter, kommst du mit nach
draußen?“ fragte Tim der mitten im Wohnzimmer stand und in
seiner Tasche kramte. „Jetzt, wo Paula und der alte Greis nicht mehr nerven,
will ich mir nochmal in Ruhe den Baum anschauen. Außerdem kann ich mir bei der
Gelegenheit auch schnell eine rauchen“
„Ich dachte du wolltest das Rauchen dran geben“ antwortete Erik anklagend.
„Du klingst wie meine Mutter“ nörgelte Tim. „Beeil dich lieber. Grade hat der Regen
ein wenig nachgelassen.“
Der Regen hatte tatsächlich nachgelassen, es hatte
zu donnern aufgehört und das einzige
Zeugnis der Aufregung war ein großer Ast
auf dem Rasen und der breite Riss in der Rinde der Eiche.
„Mum wird ausflippen wenn sie das sieht.“ sagte Erik, während sie sich dem Baum näherten.
Gut zwei Meter vor dem Baum beschlich ihn ein mulmiges
Gefühl. Sein Instinkt riet ihm davon ab, sich dem Baum noch weiter zu nähern.
Ihm war als wäre ein Schatte vom Baum in Richtung der Büsche gehuscht.
„Hast du das gesehen?“ fragte er.
„Was denn?“
Sein Freund blickte ihn fragend an.
„Ach nichts.“ wimmelte Erik
ab.
„Mensch bei dieser Dunkelheit erkennt man ja garnichts“ sagte Tim. Während er sich
wieder in Richtung Haus umdrehte sagte er „Ich geh mir eine Rauchen und schau
mir das Ding morgen an, wenn es hell ist. Wie war überhaupt dein Urlaub?“
Die angenehm kühle Luft genießend, standen die beiden auf der Terrasse. Tim rauchte seine Zigarette und Erik berichtete von
seinem Urlaub.
„Und was ist hier in den letzten zwei Wochen passiert?“ fragte er.
„Na das übliche, NICHTS. Alles stink langweilig.“ erwiderte Tim. „In
diesem Kaff
passiert doch niemals etwas.“
„Das stimmt.“ musste Erik zustimmen.
Während Tim seine Zigarette im Aschenbecher
ausdrückte, hallte ein Kreischen durch die Nacht.
„Was war das?“ fragte Tim. „Hast du das auch gehört?“
„Ja.“ antwortete Erik. Im selben Moment fingen die Blätter des großen Rosskastanienstrauch
an zu rascheln. „Das kam aus dem Gebüsch dort drüben.“ Erik zeigte in die Ecke
des Gartens, aus der er die komischen
Geräusche vernommen hatte.
„Bestimmt nur eine Katze.“ sagte Tim und ging lachend zurück ins Haus.
Während Erik die Terrassentür von innen verschloss, ließ er einen skeptischen Blick über den Garten schweifen. Als er nichts
Ungewöhnliches feststellen konnte, zog er die Vorhänge zu und folgte Tim in den
Flur.
„So Erik, das war ein echt cooler Abend. Vor allem die Special Effects fand ich geil.“
gackerte Tim „Wie du den Baum in Schutt und Asche gelegt hast. Echt klasse.“
„Ja, für seine Freunde nur das
Beste.“ lachte Erik zurück.
„Trotzdem werd‘ ich mich jetzt ebenfalls auf den Heimweg machen.“
„Ich muss auch langsam ins Bett. Komm gut nach Hause.“
„Ja, und penn du dich morgen mal so richtig aus.“
Mit diesen Worten verließ Tim das Haus.
Als er die Haustür hinter ihm geschlossen hatte,
drehte Erik sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür.
Während sich der Schock und seine Anspannung über
die Geschehnisse des Abends in Müdigkeit verwandelten, glitt er
erschöpft an
der Haustür herunter.
Kaum das er eine leicht hockende Position erreicht
hatte, fühlte er etwas Feuchtes auf seiner Wange. Er öffnete die Augen und
schaute in das Gesicht seines treuen Freundes. Chaz stand hechelnd vor ihm und
stupste ihm mit der Nase ins Gesicht.
Für Erik gab es nichts Besseres um sich von
schlechten Gedanken abzulenken. Manchmal fragte er sich was er getan hatte,
bevor dieser Hund in sein Leben getreten ist.
Er streichelte Chaz am Kopf, dann schwang er sich
hoch und sagte „So dicker…was meinst du…sollen wir ins Bett gehen? Also ich bin
tierisch müde.“ Schwanzwedelnd warf Chaz ihm einen Blick zu. Mit vor freude
strahlenden Augen drehte er sich um, um ihr allabendliches Ritual zu Starten.
Nachdem Erik sich Bettfertig gemacht hatte, betrat
er sein Schlafzimmer, in dem Chaz sich bereits in Eriks Bett gekuschelt hatte.
Für beide war dies der schönste Abschluss eines
ansträngenden Tages. Einfach durchatmen. Genießen das jemand da ist,
der einen
versteht und einen trösten kann, wenn man niedergeschlagen ist.
Erschöpft ließ sich Erik zu seinem Hund ins Bett
fallen und zog den warmen Körper des geliebten Vierbeiners nah an sich heran.
Andere Menschen erklärten ihn regelmäßig für verrückt seinen Hund mit ins Bett
zu nehmen. Erik störte das nicht. Das waren ihre Minuten. Ihre Zeit des Tages.
Ihr Zeichen sich gegenseitig zu zeigen „Ich bin für dich da.“
Mit diesem Gedanken wurden Eriks Augen schwer und er
schlief tief und fest ein.
Die ersten Sonnenstrahlen des Tages weckten Erik aus
einem angenehmen Schlaf. Von draußen vernahm er das bunte Treiben auf der
Straße. Menschen, die sich laut unterhielten, Autos, die gemächlich durch die
Straße fuhren.
Langsam öffnete er die Augen um einen verträumten
Blick auf den Wecker zu werfen. Mit leuchtend roten Buchstaben strahlte ihm die
Uhrzeit entgegen. 9:34 Uhr.
„Ach verdammt“, dachte er. „So viel zum Thema Ausschlafen.“
Genervt drehte er sich auf die andere Seite, um
einen Blick durch die halb geöffneten Vorhänge zu werfen. Der strahlend blaue
Himmel, an dem keine Wolke zu sehen war, ließ die Ereignisse der letzten Nacht
unwirklich erscheinen.
Für einen Moment spielte Erik mit dem Gedanken,
nochmal die Augen zu schließen. Doch dann fiel ihm seine Verabredung ein.
Mühsam ließ er seine Beine aus dem Bett auf den Boden fall und setzte sich
aufrecht auf die Bettkante. In dieser Position verharrte er einen Moment und
rieb sich den Schlaf aus seine Augen. Danach reckte er die Arme nach oben und
stand gähnend aus seinem Bett auf.
Während er sich schlaftrunken in Richtung Badezimmer
aufmachte, mischte sich ein gleichmäßiges Klopfen in das Geräusch seiner
Schritte. Chaz, der vor dem Bett auf dem Schlafzimmerboden lag, wedelte mit dem
Schwanz. Durch das Aufstehen seines Herrchens wachgeworden, fehlte ihm noch
jede Motivation um mehr als einen verträumten Blick und das langsame
Schwanzwedeln, die Ursache des gleichmäßigen Klopfen, hervorzubringen.
Im Badezimmer angekommen, spritzte Erik sich eine
Hand voll kaltem Wasser ins Gesicht. Die Erfrischung weckte seine
Lebensgeister. Langsam drängte sich die Erinnerung an die letzte Nacht in sein
Gedächtnis. Er hatte den Blitzeinschlag noch immer nicht bis zur Gänze
realisiert.
Er Griff nach seiner Zahnbürste, schmierte einen Klecks Zahnpasta darauf und ging,
mit der Zahnbürste im Mund zurück in sein Zimmer, um einen Blick aus dem
Fenster auf die Eiche zu werfen.
Bei Tageslicht konnte er das gesamte Ausmaß des Schadens sehen. Der große Ast und
ein Teil des Stamms hatten sich aus dem mächtigen Baum gelöst. Die Rinde
unterhalb der Einschlagstelle war, bis kurz über dem Boden, aufgerissen. Der
abgetrennte Ast lag einen halben Meter vom Baum entfernt auf dem Rasen. Um
Haaresbreite hatte er die Gartenlaube verfehlt. Am helllichten Tag wirkte die
Szenerie nicht annähernd so bedrohlich, wie noch vor wenigen Stunden.
Während er darüber nachdachte, wie er das Chaos am besten beseitigen könne, schwang er
sich unter die Dusche und machte sich für den Tag fertig. Frisch geduscht und
gut gelaunt lief Erik die Treppe herunter, kramte die Hundeleine aus der
obersten Schublade der Garderobe und rief seinen Hund zu sich.
Chaz, der mittlerweile ebenfalls wach geworden war, ließ sich geduldig sein Halsband
anlegen. Erik griff seine Haustürschlüssel und verließ das Haus, um mit seinem
Hund eine Runde durch die Nachbarschaft zu gehen.
Es war ein schöner Morgen. Das Gewitter der letzten Nacht hatte die Luft auf eine
angenehme Temperatur abgekühlt. Die Sonne fühlte sich angenehm warm auf der
Haut an. Erik hörte, wie sich die Nachbarn über den Lärm der letzten Nacht
unterhielten. Offensichtlich hatte der Blitzeinschlagt den Strom des gesamten
Häuserblocks kurzzeitig unterbrochen. Als die beiden ihre Runde beendet hatten,
machte Erik sich auf den Weg in den Garten. Er wollte sich den Baum aus der
Nähe ansehen und seinen Gedanken zu Ende bringen, wie er den Ast beseitigen
konnte.
Aus der Nähe betrachtet sah das Problem noch ein wenig größer aus, als aus seinem
Schlafzimmerfenster. Erik holte tief Luft um die aufsteigende Aufregung zu
verdrängen. Er war nicht grade glücklich darüber, dass das alles ausgerechnet
an diesem Wochenende passieren musste. Ausgerechnet wenn seine Eltern mal nicht
zuhause waren. Trotzdem konnte er sich den Ärger seiner Eltern vorstellen, wenn
er nicht zumindest anfangen würde für Ordnung zu sorgen.
„Aber das muss bis heute Nachmittag warten.“, dachte er und warf einen Blick auf die
Uhr. Er wollte nicht zu spät zu seiner Verabredung mit Paula kommen. 10:40 Uhr.
Perfekt. Wenn er in spätestens fünf Minuten los fahren würde, würde er es noch
pünktlich schaffen.
Als er die Begutachtung des Baumes beinahe beendet hatte, fielen ihm merkwürdige
Kratzer an seiner Rinde auf.
Die Kratzer schienen sich aus dem Riss, den der Blitz verursacht hatte, über die
Rinde des Baums zu ziehen. „Wie die Klauen einer Katze. Aber diese Kratzer sind
zu Groß. Viel zu groß für eine Katze.“, dachte Erik. Er merkte, wie das
unbehagliche Gefühl der letzten Nacht, langsam wieder Besitz von ihm ergriff.
„Du wirst langsam verrückt.“, sagte er sich und ging zurück ins Haus, während
er versuchte das Unbehagen abzuschütteln.
Die Zeit im Nacken, lief Erik zügig zurück ins Haus und füllte Chaz‘s Wassernapf
mit frischem Wasser.
„Du musst hier bleiben“, sagte er und verließ das Haus, um sich auf den Weg zum Mocca zu
machen. Als er das Garagentor öffnete spielte er kurz mit dem Gedanken mit dem
Fahrrad zu fahren. Da er aber nach dem Frühstück bei Tim vorbei fahren wollte,
in der Hoffnung die Kettensäge seines Vaters ausleihen zu können, entschied er
sich das Auto zu nehmen. Außerdem fand er den Gedanken, in einem klimatisierten
Auto zu sitzen ansprechender als auf seinem Fahrrad durch die Hitze zu radeln,
die der Wetterbericht für heute angekündigt hatte.
Am Café angekommen, ergatterte Erik den letzten
Parkplatz der Parkreihe, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag. Die
laute Musik in seinem Auto zog ein paar skeptische Blicke von Passanten auf
sich, die vor den Fensterscheiben der schönen Boutiquen standen. Die enge Gasse
aus Kopfsteinpflaster, halb Fußgängerzone, halb Straße, zog sich zwischen alten
Fachwerkhäusern durch den Stadtkern. Einige der urigen Häuser waren zu kleinen
Läden umgebaut worden, ohne das anmutige Stadtbild zu beeinträchtigen, andere wurden
als Kneipe oder als Wohnhauser genutzt.
Im Mocca konnte er Paula sitzen sehen. Das hübsche
Mädchen hatte ihn bereits erblick und winkte ihm grinsend zu.
„Hi, hast du gut geschlafen?“ begrüßte sie ihn.
„Ja, obwohl es gerne noch ein Bisschen länger hätte sein können. Und du?“
„Ich habe nicht ganz so gut geschlafen. Das Gewitter gestern Nacht hat mir einen riesen
Schrecken eingejagt.“, sagte sie und musste ein Gähnen unterdrücken.
„Ich war so frei und habe schon einmal das Frühstücksbuffet für uns bestellt. Ich hoffe
das ist dir recht.“
„Nein, eine gute Idee. Ich habe einen Bären Hunger.“, versicherte Erik.
„Das Gewitter heute nach hat mich auch ganzschön erschreckt“, musste er zugeben.
„Ich habe schon überlegt meine Eltern anzurufen, aber weil nichts weiter kaputt
gegangen ist, möchten ich sie nicht im Urlaub stören.“
„Das ist lieb von dir.“
Eine Kellnerin unterbrach die beiden, um ihre
Getränkebestellungen aufzunehmen.
„Sollen wir uns schon mal was zu futtern holen?“, schlug Erik vor.
„Gerne. Geh du vor, ich folge dir“, antwortete Paula.
Den beiden wurde am Buffettisch einiges geboten.
Es gab verschiedenste Sorten frischer Brötchen, Brote, Müsli, Obst und eine
Auswahl an Aufstrich und Aufschnitt, so wie frisches Rührei mit Speck und warme
Würstchen. Zusätzlich standen am Kopf des Tisches ein Tablett mit Gläsern und
drei Glaskrüge. Kleine Pappschilder, die vor den Krügen aufgestellt waren,
wiesen den Inhalt als Orangensaft, Multivitaminsaft und Wasser aus.
Erik ergriff eins der Brötchen und konnte dessen
Wärme in der Hand spüren, während ihm der leckere Duft in die Nase stieg.
Der Geruch der frischen Brötchen vermischte sich mit
dem Geruch von frisch gebrühtem Kaffee.
„Ein schöner Start in den Tag“, sagte Erik an Paula gewandt. „Soll ich dir auch ein
Glas Orangensaft mitbringen?“
Sie nickte und packte einen großen Löffel Rührei neben das Brötchen auf ihrem Teller.
Erik nahm zwei Gläser vom Tablett und füllte sie mit
Orangensaft. Nachdem er Paula ihr Glas gereicht hatte, nahm er seins und die
beiden machten sich auf den Weg durch den Speisesaal zurück zu ihrem Tisch.
Zu ihrer Freude stellten sie fest, dass die
Kellnerin ihre Bestellung bereits an ihren Platz gebracht hatte. Neben Paulas
Besteck stand eine Tasse Cappuccino, an Eriks Platz stand sein Latte Macchiato.
Der Unterteller des Cappuccino wurde von einem eingepackten Keks geziert.
„Oh wie praktisch“, sagte Paula und begann mit ihrem Frühstück.
„Was hast du heute noch vor?“ fragte sie.
„Zuerst einmal muss ich mich gleich daran machen den Ast im Garten zu entsorgen. Wer
weiß wie lange das dauert. Weitere Pläne hab ich noch nicht. Und du?“
„Ich habe noch gar nichts vor heute. Wenn es dich nicht stört kann ich dir ja im Garten
helfen.“, bot sie an. „Das ist auf jeden Fall besser als mich zuhause zu langweilen.“
„Das klingt gut. Ich hoffe Tim kommt auch und hilft mir. Ich wollte mir die
Kettensäge seines Vaters ausleihen, aber er hat noch nicht auf meine SMS
geantwortet.“
„Würde dir die Arbeit auf jeden Fall erleichtern. Kannst du denn mit einer Kettensäge
umgehen?“
„Klar. Du weißt doch, dass ich meinem Opa bei seinem Boot helfe. Dafür mussten wir
natürlich auch Holz organisieren. Das haben wir bei meinem Opa im Wald selbst
gefällt und zurechtgeschnitten.“, sagte Erik mit einer leichten Spur von Stolz
in seiner Stimme.
„Na dann ist ja alles klar.“
Nachdem die beiden ihr Frühstück beendet hatten, machten
sie sich gemeinsam auf den Weg zu ihren Autos.
„Ich fahre dann direkt zu dir.“, sagte Paula und stieg in ihren grünen Opel Corsa.
„Ok“, rief Erik „Ich fahre noch schnell bei Tim vorbei und schau mal ob ich die Säge bekomme.
Bis gleich dann.“
Mit der Kettensäge im Kofferraum und Tim auf dem Beifahrersitz, bog Erik auf die Einfahrt seines Elternhauses. Paula wartete bereits vor der Tür.
„Hi Paula“, begrüßte Tim das Mädchen.
„Oh, heute mal aus der Schuluniform raus gekommen?“, antwortete sie mit einem freundlichen Grinsen.
Tim, der in freudiger Erwartung den großen Ast mit der Kettensäge zerlegen zu dürfen, alte Klamotten angezogen hatte, öffnete den Kofferraum des Autos und nahm die Kettensäge.
„Erik, nimmst du den Benzinkanister?“, rief er und machte sich auf den Weg durch das kleine Gartentor. Ein schmaler Weg führte am Haus vorbei in den Garten, der hinter dem Haus lag.
Erik schnappte sich den Benzinkanister, war Paula ein zufriedenes Lächeln zu und folgte seinem Freund.
Noch bevor er um die Ecke bog, konnte er ein erstauntes „Das sieht ja übel aus“ vernehmen. Tim hatte die Kettensäge neben dem Ast abgestellt und begutachtete voller Begeisterung den Riss im Baumstamm.
„Ich hätte nicht gedacht, dass der Ast so groß war.“, sagte er.
„Ja, ich habe heute Morgen auch ganz schön gestaunt.“
Erik stellte den Benzinkanister neben die Kettensäge und ging zum Haus, um Chaz in den Garte zu lassen.
„Dann hat Paula auch was zu tun und Chaz freut sich“, sagte er.
Rasant stürmte Chaz auf Tim zu und bemerkte dann Paula, die sich unter der Laube in den Schatten gestellt hatte. Er wechselte schlagartig die Richtung. Paula machte sich bereit jeden Augenblick von den Beinen gerissen zu werden, aber er konnte wenige Zentimeter vor ihr stoppen. Schwanzwedelnd drückte er sich gegen sie. Paula wollte ihn zur Begrüßung streicheln, musste sich aber erstmal darauf konzentrieren, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
„Immer mit der Ruhe.“, lachte sie.
Erik hatte bereits eine Schubkarre aus einer Ecke des Gartens geholt. Als Tim den Benzinstand der Kettensäge kontrolliert hatte, zog er mit aller Kraft am Anlasser. Nach dem dritten Versuch, lief der Motor an und die Umgebungsgeräusche wurden vom lauten Knattern der Säge verdrängt.
Das Vergnügen stand Tim ins Gesicht geschrieben, als er die ersten kleinen Äste von dem Großen abtrennte. Er arbeitete sich immer weiter voran. Erik sammelte währenddessen die kleineren Stücke auf und legte diese auf die Schubkarre. Als sie die erste Schubkarre gefüllt hatten, brachte Erik die Holzreste hinter die Laube, neben den Komposthaufen. Hier sollte genügend Platz für das meiste Holz sein und es lag keinem im Weg. Nach einer knappen halben Stunde wurde Chaz müde. Es war einfach zu warm, um noch länger mit Paula Ball zu spielen. Hechelnd legte er sich unter der Laube in den Schatten und schielte Paula an. Das Mädchen wollte sich grade neben ihm auf den Boden setzen, als ihr die ungewöhnlichen Kratzer im Baum auffielen. Sie näherte sich dem Baum. Tim, der sie im Augenwinkel sah, stellte die Kettensäge aus. Er musste dringend etwas trinken.
„Möchtest du weitermachen während ich eine Pause einlege?“, rief er Paula zu.
„Nein danke, ich würde mir nur ein Bein absägen oder so.“, erwiderte sie. „Hast du die Kratzer hier gesehen?“
Tim schüttelte den Kopf.
„Was für Kratzer?“
„Na da neben dem Riss.“
Tim warf einen Blick auf den Baum. Die Furchen waren ihm vorhin nicht aufgefallen. Er war viel zu vertieft darin, den Ast mit der Kettensäge zu zerlegen. Sein Vater ließ ihn sonst nie mit der Säge arbeiten. Jetzt hatte er es nur gestattet, weil er wusste, dass Erik dabei war.
In dem Moment, als Erik mit der Schubkarre zurückkam, erreichte Paula den Baum. Vorsichtig strich sie mit den Fingerspitzen über die Rinde. An der Stelle, wo die Kratzer ihren Weg, aus dem Riss über die Rinde nahmen. In dem Moment, in dem sie den Baumstamm berührte wurde die Luft von einem ohrenbetäubenden Surren durchflutet. Im ersten Moment dachte Paula, dass Tim die Kettensäge wieder angemacht hatte. Doch sie als sie sich umblickte, sah sie Tim wie versteinert hinter sich stehen.
Erik, der vor Schreck die Schubkarre fallen ließ und in ihre Richtung rannte, hatte den Eindruck, dass die Luft um Paula zu flirren anfing.
Einen Moment hielt er inne. Das Geräusch wurde immer lauter. Es war dasselbe Geräusch, das sie in der Nacht zuvor gehört hatten, kurz bevor der Blitz eingeschlagen war.
Erik, sein Zögern überwindend, rannte weiter in Paulas Richtung. Auch Tim hatte sich aus seiner Starre gelöst und rannte los, um dem Mädchen zur Hilfe zu eilen.
Eriks Sinne mussten von dem Lärm und der Hitze vollkommen durcheinander gebracht worden sein, denn es schien ihm, als würde Paula durchsichtig werden. Noch bevor er sie erreichen konnte, wurde ihm schwindlig. Er spürte wie seine Beine unter ihm nachgaben. Dann wurde alles um ihn herum schwarz.
Langsam kam Erik zu sich. Sein Schädel brummte. Er fühlte sich, als wäre er mit voller Wucht und dem Kopf voran gegen den Baum gerannt. Es dauerte einige Sekunden, bis er seine Gedanken wieder sammeln konnte. Stöhnend rieb er sich mit der Hand über seinen schmerzenden Kopf und öffnete langsam die Augen. Sein erster Blick fiel in das Geäst des Baumes, auf dessen harten Wurzeln er lag. Erst bei seinem zweiten Blick wurde ihm klar, dass etwas nicht stimmte. Der Himmel, den er durch die Äste sehen konnte, war dunkel. Hatte er so lange hier
gelegen?
Er versuchte aufs Neue sich zu orientieren und langsam wurde ihm klar, dass er nichtmehr im Garten seiner Eltern war. Bei dieser Erkenntnis vergaß er den Kopfschmerz. Er war hell wach.
„Wo…Wo bin ich hier?“, fragte er, mehr an sich selbst gewandt. Als ihm seine Freunde einfielen wurde das mulmige Gefühl, dass in ihm aufstieg noch schlimmer. „Paula? Tim?“, schrie er aufgeregt.
„Seid ihr hier? Paula? Tim? Kann mich jemand hören?“
„Ja!“, brummte eine raue Stimme, die Erik fremd war.
„Deinen Freunden geht es gut. Sie
schlafen noch.“
Erik blickte sich erschrocken um. Hinter dem Baumstamm kam ein alter Mann hervor. Das lange schneeweiße Haar hing über seine Schultern herunter. Erik konnte kaum erkennen wobei es sich um Kopfhaar, und wobei um den Vollbart des Mannes handelte. Auch wenn der Bart die meisten Gesichtszüge verdeckten, so kamen Erik die Augen des Mannes liebevoll vor. Er hatte etwas Beruhigendes und gütiges in seinem Blick, dass Erik auf eine seltsame Weise vertraut vorkam.
„Wo sind wir?“, fragte Erik. Der Mann kniff skeptisch die Augen
zusammen.
„Du weißt nicht wo ihr seid?“
„Nein, eben waren wir noch im Garten meiner Eltern und dann...“, Erik brach ab, in dem Versuch sich zu erinnern.
„Dann war da dieses Geräusch. Ich wollte Paula helfen. Und jetzt sind wir hier.“
Ein heiserer Schrei ließ die beiden aufschrecken. Paula war wachgeworden. Verängstigt setzte sie sich auf. Erik, der ebenfalls noch auf dem Boden saß sprang auf und lief um den Baum herum zu ihr.
„Paula, beruhige dich.“, sagte er mit einer beruhigenden Stimme.
„Erik, Was ist passiert?“ noch bevor Erik antworten konnte, fing auch Tim
langsam an zu sich zu kommen.
„Ich weiß es nicht.“, sagte Erik. „Aber geht uns gut. Das ist erstmal das wichtigste.“
Tim stöhnte auf. „Verdammte scheiße, was war das denn?“
Es dauerte eine Weile, bis auch er realisiert hatte, dass sie nichtmehr im Garten von Eriks Eltern waren.
„Wo zur Hölle sind wir?“, fluchte er.
„Hey, junger Mann. Lass das Gefluche in meiner Gegenwart“, fuhr der alte Mann ihn an, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. Tim und Paula fuhren erschrocken zusammen, als sie die Anwesenheit des Mannes
bemerkten.
„Wer sind sie?“, fragte Tim.
„Eins nach dem anderen. Zuerst einmal werdet ihr euch beruhigen, dann werdet ihr mir sagen wer ihr seid und dann werde ich euch helfen eure Fragen zu beantworten.“
„Ok, ich bin Tim, Tim Harenburg. Bevor sie fragen, Ja, Manfred Harenburg ist mein Vater.“, sagte Tim störrisch. „Und wer zum Geier sind Sie?“
„Man nennt mich Olaf.“, erwiderte der Mann.
„Als gut Olaf, wo sind wir?“, fuhr Tim ihn an. Olaf drehte sich zu Erik um. „Ist der immer so?“, fragte er. Paula musste sich ein schmunzeln
verkneifen.
„Ich muss mich für ihn entschuldigen.“, sagte Erik „Wir sind alle sehr aufgebracht. Wir würden einfach nur gerne wissen was hier los ist. Und vor Allem, wo wir hier sind.“
„Ihr scheint wirklich nicht zu wissen wo ihr seid.“, bemerkte der Mann.
„Ihr seid in Robingen, am Rande der weiten Ebenen.“, sagte er.
Tim und Paula standen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. Erik starrte den Mann fassungslos an. Er verstand.
„Sie wollen sagen wir sind in…“, erneut musste er seine Gedanken sammeln.
„Gultanadra.“, flüsterte er
ehrfürchtig.
„Aber natürlich seid ihr in Gultanadra. Wo wollt ihr denn sonst sein?“, lachte der Mann, den das Erstaunen der Fremden äußerst zu amüsieren schien.
„Wo sind wir? Wovon redet ihr da?“, schrie Tim genervt. „Kann mir mal bitte jemand erklären was hier los ist?“
„Gultanadra, die Zwischenwelt“, schrie Erik aufgebracht. „Das kann nicht sein. Ich kann nicht…WIR können nicht hier sein.“
„Warst du denn noch nie hier?“ fragte Olaf.
„Nein“
„Gultanadra? Erik, sag uns verdammt
nochmal was hier los ist. Von was für einer Zwischenwelt faselst du da?“, unterbrach Tim die beiden erneut.
Der Augenblick zog sich wie die Ewigkeit, bis Erik zu dem Schluss kam, dass er seinen Freunden eine Erklärung schuldig war. Er musste sie einweihen.
„Ok, ich muss euch beiden einiges erklären.“, sagte er schließlich. Langsam setzte er sich auf den Rasen unter der Eiche.
„Bitte, setzt euch zu mir.“
Paula, die sich das erste Mal seit Tims Erwachen in das Geschehen einmischte, setzte sich neben ihn.
„Du machst mir Angst.“ Erik konnte das Zittern in ihrer Stimme deutlich
hören. Er hoffte, dass sie die Wahrheit verkraften würde. Tim würde wahrscheinlich vor Freude einen Luftsprung machen. Aber Paula. Er wusste nicht, wie sie die bevorstehenden Nachrichten aufnehmen würde.
„Also gut.“ Sein Blick schweifte von Olaf, über die Gesichter seiner Freunde, die gebannt zuhörten. Nachdenklich senkte er den Kopf, unschlüssig wo er beginnen sollte. Die Augen auf den Rasen vor seinen Füßen gerichtet begann er schließlich.
„Ihr wisst, dass ich jedes Jahr zu meinem Opa fahre.“
Paula und Tim mussten sich anstrengen, die leise Stimme zu
verstehen.
„Ich habe euch jedoch nie gesagt, was ich dort eigentlich mache.“ Er zögerte.
„Wie meinst du das?“, fragte Paula mit einem skeptischen Blick.
„Ich meine, ich fahre nicht nur dort hin um Urlaub zu machen. Hauptsächlich bin ich dort um zu trainieren.“
„Trainieren?“ Tim verzog das Gesicht.
„Ja. Es ist eine Art Trainingslager. Ich weiß nicht wie ich es erklären soll. Ich trainiere und lerne.“
„Und was bitte trainierst und lernst du? Und was hat das hiermit zu tun?“
„Ich lerne die Wesen. Welche Wesen es gibt und trainieren, wie man sie bekämpft. Ich lerne gute und böse Wesen
zu unterscheiden und mich in dieser Welt, der Zwischenwelt, Gultanadra zurechtzufinden.“
„Ich verstehe Garnichts mehr.“, unterbrach Tim.
„Es gibt eine Welt. Sie ist bevölkert von Wesen, die im Verborgenen leben. Monster, Dämonen, nenn sie wie du willst. Es gibt sie. Und das hier ist ihre Welt. Unsere Welt ist mit dieser verbunden. Es gibt Portale, durch die man zwischen den Welten wandern kann. Das ist es was ich lerne. Das ist es was ich trainiere. Seit ich sechs Jahre alt bin. Ich studiere diese Welt und ihre Wesen. Alles zu einem Zweck. Um unsere Welt zu
schützen.“
Paula und Tim starrten ihn gebannt an. Keiner der beiden war in der Lage irgendetwas zu sagen. Olaf schien unter seinem Bart zu grinsen.
Erik wartete einen Moment. Dann fuhr er fort.
„Ich bin ein Portalwächter.“, sagte er. Als er diesen Satz aussprach, lag sowohl Stolz, als auch Unsicherheit in seiner Stimme. Er schaute Paula direkt in die Augen.
„Es gibt viele von uns. Unsere Aufgabe ist es, die Portale zwischen den Welten zu bewachen. Wir bekämpfen das Böse, das versucht in unsere Welt einzudringen. Es ist eine unendlich lange
Familientradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Nur selten werden unwissende in diesen Kreis eingeweiht.“
Als Erik aufsah, sah er Paulas Hand auf sein Gesicht zu schnellen. Die Ohrfeige, die er lautlos über sich ergehen ließ, war das einzige Geräusch, das zu vernehmen war. Das unerträgliche Schweigen wurde durch ein Schluchzen beendet. Schuldbewusst sah Erik zu Paula. Seine Wange schmerzte. Er sah wie Tränen über ihr Gesicht liefen. Er konnte sie verstehen. Er hatte sie angelogen. Seine besten Freunde. Er hatte ihnen diese Welt verschwiegen. Die Welt, die ein großer Teil seines Lebens war. Auch
wenn es nur zu ihrem Schutz war, so hatte er sie in gewisser Hinsicht unendlich verraten.
„Es tut mir so unendlich leid. Aber…“, seine Stimme stockte,
„…Ich konnte euch nichts sagen. So sehr ich es auch immer wollte. Ich hätte euch nur in Gefahr gebracht. Die Unwissenheit war euer einziger Schutz.“
„Bis jetzt“, ergänzte Olaf.
„Du meinst also, wir sind in so etwas wie einer Dämonenwelt?“ fragte Tim mit einem Leuchten in seinen Augen.
„Ja.“
„Und Monster und den ganzen Kram gibt es wirklich?“
„Ja.“
„Und du bist ein übermenschlicher Krieger aus einem Computerspiel. Der diese Dinger bekämpft?“
„Nein. Ich habe keine speziellen Kräfte. Ich studiere lediglich, wie ich gegen die Wesen dieser Welt kämpfen kann und lerne den Umgang mit Waffen, die speziell für diesen Kampf gefertigt wurden.“
„Das ist der absolute Hammer“, grinste Tim. Paulas Begeisterung hielt sich merklich in Grenzen. Sie mühte sich sichtlich, die Fassung zu wahren.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte sie. „Wie kommen wir wieder nach
Hause?“
Olaf räusperte sich.
„Nun, das wird nicht so einfach.“, sagte er. „Das einzige freie Portal, das ungehindert genutzt werden kann liegt in Taladri. Es ist ein weiter Weg von hier und es lauern viele Gefahren.“
„Aber Erik hat doch gesagt, dass es viele Portale gibt.“, erwiderte sie aufgebracht.
„Das stimmt. Aber die meisten Portale stehen unter dem Schutz des Ordens. Jeder Kreatur ist es bei Todesstrafe verboten, die Portale zu nutzen. Sie werden streng bewacht. Sowohl in dieser, als auch in eurer Welt. Das einzige Portal, mit dem der Übergang in die
Menschenwelt gestattet ist liegt in Taladri. Die Stadt der Seelen. Heimat des Ordens.“
Erik versuchte sich an die Karten aus seinem Unterricht zu erinnern und die Entfernung abzuschätzen.
„Taladri? Taladri liegt mindestens 12 Tagesmärsche entfernt und wir haben weder Proviant noch ein Verkehrsmittel.“
„Vielleicht gibt es einen leichteren Weg. Nicht weit von hier, in Robingen, gibt es ein Reiseportal. Es führt euch direkt nach Taladri. Eigentlich steht es nur Mitgliedern des Ordens zur Verfügung. Aber vielleicht machen sie für euch eine Ausnahme. Unwissende in der Zwischenwelt sind immer eine
Gefahr für den Frieden.“
„Einen Versuch ist es wert.“, sagte Erik.
Die vier richteten sich auf. Olaf wandte sich in Richtung Sonnenuntergang.
„OK, dann folgt mir.“
Die Vier machten sich auf den Weg in die Stadt Robingen. Paula, Erik und Tim bestaunten die Landschaft, von
der sie umgeben waren. Um sie herum waren weite Felder, auf denen vereinzelt
keine Wäldchen standen. Das warme Sonnenlicht wurde durch einen seichten Nebel
getrübt. In den Unterrichtsstunden hatte Eriks Großvater ihm davon erzählt.
Dieser Dunstschwaden liegt über ganz Gultanadra. Manche behaupte es wären die
Schwefeldämpfe der Hölle, die hier hinauf steigen.
Der Dunst verlieh der Landschaft eine fast schaurige Schönheit und erinnerte an einen verträumten Herbstmorgen, an
dem sich die Sonnenstrahlen im Dunst der Gräser brechen.
Am Horizont ragten, wage sichtbar, die Berge von Valonien auf. Das Gebirge zog sich ein langes Stück an
den weiten Ebenen entlang. Erik studierte die Karte in seinem Kopf. Mit den
Bergen Valoniens und den weiten Ebenen im Rücken, mussten sie sich nördlich der
Stadt Robingen befinden.
„Wie lange brauchen wir bis nach Robingen?“ fragte er.
„Es ist ein Fußmarsch von ungefähr einer Stunde.“, informierte Olaf ihn.
„Junger Portalwächter, du hast mir noch immer nicht deinen Namen verraten.“
„Mein Name ist Erik Demleitner.“
Abrupt blieb Olaf stehen. Die
drei Freunde schauten ihn erwartungsvoll an. Er musterte Erik mit einem
skeptischen Blick, dann fingen seine Augen an zu funkeln und ein Lächeln zog
sich über sein Gesicht.
„Erik Demleitner“, wiederholte er würdevoll.
„Ich habe lange gebraucht, aber jetzt erkenne ich die Ähnlichkeiten in deinem
Gesicht. Du hast die Augen deiner Mutter, junger Erik.“, sagte Olaf.
„Sie kennen meine Mutter?“
„Ja, ich kenne deine Mutter, ich kenne deinen Vater und deine Großeltern. Und ich
hoffe, dass sie dir von mir erzählt haben. Vor vielen Jahren, als ich etwa so
alt war wie du es jetzt bist, habe ich einen Weg gefunden ein Portal zu
blockieren. Ich pflanzte eine Eiche am Rande des Portals. Als der Baum größer
wurde und seine Äste in das Portal wuchsen, hat sich seine Lebensenergie mit
der des Portals vermischte, wodurch der Energiefluss des Portals auf den Baum
konzentriert und der Durchgang für alle Wesen versperrt wurde. Die Energie des
Portals wurde an den Baum gebunden und hat es anderen Lebewesen unmöglich
gemacht, durch das Portal zwischen den Welten zu wandern. Der Baum hingegen ragt
durch das Portal hindurch und existiert als Spiegelbild in beiden Welten.“
„Die Geschichte kenne ich.“, sagte Erik.
„Aber Ihr könnt diesen Baum unmöglich gepflanzt haben. Der Baum ist über hundert
Jahre alt.“
„143 Jahre, um genau zu sein“, erwiderte Olaf.
„Und außerdem…“, Erik stockte der Atem. Wie seinem Gesicht zu entnehmen war,
versuchte er die verschiedenen Informationen in seinem Kopf zu verknüpfen.
„Uropa Olaf?“ fragte er.
„Wie er leibt und lebt“, rief der alte Mann überglücklich.
„Aber das kann nicht sein. Du müsstest älter sein als die Eiche in unserem Garten.“
„Stolze 163 Jahre und so fit wie am ersten Tag“, lachte er.
„Wie ist das möglich? Und warum haben meine Eltern mir nicht erzählt, dass du noch
lebst?“
„Um dich nicht in Gefahr zu bringen. Weißt du mein Junge, es gibt einen Grund warum
ich noch lebe. Als der dunkle Herrscher Rasmus erfuhr was ich getan hatte,
belegte er mich mit einem Fluch. Der Fluch lässt mich nur langsam altern und
hält mich in der Zwischenwelt gefangen. Aus lauter Wut über seine Niederlage
hat Rasmus Rache geschworen. Er wollte das ich sollte so lange leben, bis er
meine ganze Familie und alle die mir nahe stehen gefunden und getötet hat und
ich soll hilflos dabei zusehen müssen. Da seine Armee kurz nach diesem Fluch in
die Flucht geschlagen wurde und Rasmus den größten Teil seine Macht eingebüßt
hat, bin ich seit 129 Jahren in der Zwischen gefangen und warte, bis ich einen
Weg finde den Fluch zu brechen. Da seit seiner Niederlage niemand mehr etwas
von Rasmus gehört hat und nicht bekannt ist, ob er noch lebt oder ob wo er sich
aufhält, wurde das Gerücht verbreitet, ich wäre in der Schlacht gefallen. Nur
wenige kennen die Wahrheit und diejenigen die sie kennen haben einen Eid
abgelegt meine Existenz zu verschweigen.“
Von diesen Neuigkeiten überwältig war Erik nicht in der
Lage ein weiteres Wort hervor zu bringen. Auch die anderen verfielen in
Schweigen. Bis sie Robingen erreicht hatte sprach niemand mehr ein Wort.
Es war bereits Nachmittag, als die vier Robingen erreichten. Die Sonne stand tief am Horizont und das Licht,
das sich im Nebel Gultanadras brach, hüllte die Stadt in einen mystischen
Schleier. Paula und Tim hatten die Stadt erst auf den zweiten Blick als solche
erkannt. Erik hingegen wusste, dass Robingen so in die Bäume des Waldes gebaut
war, dass beide mit einander verschmolzen.
„Wie wunderschön.“, sagte Paula, als sie die einzelnen Häuser in den
riesigen
Baumstämmen erkannte. Je stärker sie sich konzentrierte, umso mehr Details der
Stadt fielen ihr ins Auge. Die grazilen Arbeiten. Über Jahre in den dichten
Walt eingearbeitet. Liebevolle Details, die jedem Haus eine Individualität
verliehen und doch im Einklang mit der Natur mit den Bäumen und dem Wald
verschmolzen.
Je näher sie der Stadt kamen, desto nervöser wurde Olaf. Von dem Mann ging eine seltsame Anspannung aus.
„Was ist los, Olaf?“ fragte Erik.
„Irgendetwas stimmt nicht.“
„Wie meinst du das?“
„Ich weiß es nicht. Etwas ist anders. Etwas Untypisches für Robigen. Ich bin mir nur noch nicht sicher was.“, sagte er mit einem rüfenden Blick auf die Stadt gerichtet.
„Na dann lasst uns herausfinden, was es ist.“, erwiderte Erik mit fester Stimme.
Wenige Momente nachdem sie Robingen erreicht hatten wusste Olaf woher das komische Gefühl kam. Die gesamte
Stadt war in Aufruhr. Leute liefen hektisch umher. In weißen und grauen Roben
gekleidete Gestalten wiesen die Leute an die Straßen zu verlassen. Bei jeder
einzelnen Robe war die Kapuze bis weit
über den Kopf gezogen, so dass kein
einziges Gischt zu erkennen war.
„Die Brüder des Orden.“, sagte Erik.
„Richtig.“, stimmte Olaf zu.
„Es ist selten, dass sie sich so offen in die Belange der Bürger einmischen. Wir müssen den Grund dafür rausfinden.“
„Warum fragen wir sie nicht einfach?“
Noch während Tim sprach, hielt er direkt auf eine Person in einer grauen Robe zu.
„Nein, nicht.“ Olaf packte den Jungen mit einem festen Griff am Arm.
„Sie könnten dich ohne zu zögern
töten.“
„Was? Warum sollten sie das tun, nur weil ich frage was hier los ist?“
„Du bist ein fremder. Ein Mensch, der Gultanadra ohne Erlaubnis betreten hat. Über
ein Portal, dass seit Jahrzehnten verschlossen war und offensichtlich nicht
unter der Kontrolle des Ordens stand. Die Chancen stehen groß, dass sie den
Befehl haben erst zu handeln und dann zu fragen. Vor Allem die Brüder der
unteren Dale.“
„Die untere Dale?“
„In eurer Welt nennt man es Rang. Die Position im Orden, an der ein Brüder
oder
eine Schwester steht. Sie äußern sich in der Farbe ihrer Roben.“
„Und die grauen sind die Laufbuschen?“, fragte Tim.
„Nicht ganz. Aber jetzt ist nicht die Zeit um zu lernen. Wir müssen herausfinden was
hier los ist. Aber das überlasst ihr mir.“
Olafs feste Stimme ließ keinen Platz für Widerworte. Tim warf einen letzten Blick auf Paula und Erik, bevor er
Olaf unsicher in die Augen schaute.
„Ok.“, sagte er und nickte Olaf verlegen zu.
Erik ließ seinen Blick über die umherirrenden Leute schweifen. In den
Gesichtern der Bewohner konnte er
Nervosität ablesen. Nur einige wenige hatten einen entschlossenen Blick. Sie
schienen sich nicht viel um die Anweisungen der Ordensbrüder zu scheren. Es
machte den Eindruck, als wären sie fest entschlossen ihre Stadt und ihr Zuhause
zu verteidigen. Egal welcher Gegner ihnen gegenüber stünde. Die Ordensbrüder
schien das nicht zu stören. Im Gegenteil. Sie begegneten den Leuten mit
Respekt. Als würden sie sich freuen Verbündete in einem Krieg zu haben, dessen
Grenzen noch nicht abgesteckt waren.
Olaf musterte die Brüder eine Weile. Von einem Moment auf den anderen streckte er seinen Körper durch, nahm
eine entschlossene Haltung an und ging auf einen Mann in einer weißen Robe zu,
der wenige Meter von ihnen entfernt stand und das Treiben zwischen den Bäumen
zu beobachten schien.
„Seit gegrüßt edler Herr.“, begrüßte Olaf den Mann. „Sagt, darf ich euch einen kurzen
Augenblick eurer wertvollen Zeit stehlen?“
„Ein Portalwächter. Wie kann ich euch helfen?“, fragte der Mann. Seine Stimme
klang
lieblich. So lieblich, dass Paula und Tim direkt in ihren Bann gezogen wurden.
Olaf und Erik konnten dem Klang der Stimme wiederstehen. Auch wenn es Erik
ausgesprochen schwer fiel, so hatte er viele Lehrstunden bei seinem Großvater
absolviert, in denen er gelernt hatte sich gegen solche Zauber zu wehren. Olaf
hingegen war so routiniert, dass er wahrscheinlich nicht einmal merkte, dass
der Bruder einen Zauber auf seine Stimme gelegt hatte.
„Könnt Ihr uns sagen was hier vor sich geht? Warum ist die Stadt in einer solchen
Aufruhe?“
„Wir haben Grund zu der Annahme, dass ein Portal ohne die Erlaubnis des Ordens benutzt
wurde. Unsere Magier haben eine verdächtige Energiequelle in der Nähe von
Robingen wahrnehmen können. Erschreckender Weise stehen alle Portale in diesem
Gebiet unter Beobachtung. Da keines der bekannten Portale betroffen ist, gehen
wir davon aus, dass die Stadt in Gefahr ist. Bis wir wissen um welches Portal
es sich handelt und was genau geschehen ist, wird die Stadt unter besonderen
Schutz gestellt.“
Olaf schluckte und überlegte. Nach
einer Weile beugte er sich zu dem Mann in der weißen Robe hinüber und
flüsterte ihm etwas zu. Erik und seine Freunde konnten nicht verstehen was
genau er sagte, aber der Blick des Mannes verfinsterte sich.
„Verehrter Herr“, sagte er mit fester Stimme. „Ich habe großen Respekt vor der Arbeit der Portalwächter, aber ich glaube nicht, dass ihr den Ernst der Lage richtig einschätzt. Das ist weder die richtige Zeit, noch der Richtige Ort für ein Pläuschchen.“
„Ich würde euch nicht von euren Aufgaben ablenken, wenn mein Anliegen nicht von
äußerster Dringlichkeit wäre.“, erklärte
Olaf. „Ich weiß, der Zeitpunkt ist
ungelegen, aber wir müssen dringend vertraulich mit euch sprechen.“
Der Mann schaute zwischen den Bäumen vor ihm umher und schien seine Ordensbrüder zu beobachten. Nach einer
Weile ergriff er das Wort.
„Also gut. Aber ich hoffe für euch, dass Ihr die Dringlichkeit eures Anliegens richtig einschätzt. Folgt mir.“
Die Hochnäsigkeit des Mannes ging Tim ziemlich auf die Nerven, doch als wenn er einen siebten Sinn hätte,
stieß Erik ihm in die Seite und vermittelte ihm mit einem Kopfschütteln, dass es
nicht ratsam wäre einen dummen Spruch
abzulassen. Also biss Tim sich auf die
Lippen.
Die vier folgten dem Mann ein kurzes Stück durch die Stadt in eine kleine Gaststätte, die in den Stamm einer
riesigen Trauerweide gebaut war.
„Ich wusste gar nicht das Bäume so groß werden können“ murmelte Paula erstaunt. „Diese Stadt ist so wunderschön.“
Das innere der Gaststätte stand seinem Äußeren in nichts nach. Der gemütliche Schankraum war von Kerzen
beleuchtet. In einer Ecke, gegenüber der Theke, brannte ein Kaminfeuer. Vor dem
Kamin standen zwei prachtvolle Sessel, die einen geradezu einluden es
sich
gemütlich zu machen. Das Licht des Kaminfeuers brach sich in zwei
Whiskygläsern, die auf dem runden Holztisch, zwischen den beiden Sesseln
abgestellt waren.
Der restliche Schankraum wurde von grazil gearbeiteten Möbeln geschmückt. Massive Tische und Stühle, die der
Gemütlichkeit der Gaststätte eine perfekte Note gaben.
Der Ordensbruder verringerte seine Geschwindigkeit nicht. Er begab sich gradewegs in einen kleinen Raum an
der Seite der Theke. Als alle den Raum betreten hatten, warf er einen prüfenden
Blick in den Schankraum und verschloss
die Türe.
„Entschuldigt meine Unhöflichkeit.“, sagte er an Olaf gewandt.
„Mein Name ist Bruder Raphael, Oberkleriker des Ordens. Dürfte ich erfahren wer Ihr
und eure Gefährten seid verehrter Portalwächter?“
„Mein Name ist Olaf. Olaf Demleitner. Das ist mein Ur-Urenkel Erik Demleitner und
seine Freunde Paula und Tim.“, vervollständigte Olaf die Vorstellungsrunde.
„Wie gesagt. Offensichtlich habt ihr eine Menge um die Ohren, aber ich muss
die drei
hier dringend zum Rat der Seelen nach Taladri bringen. Daher erbitte ich um die
Erlaubnis das Reiseportal zu benutzen.“
„Die Nutzung der Portale ist nur Mitgliedern des Ordens gestattet. Das solltet Ihr
wissen. Warum also glaubt Ihr, dass wir für euch eine Ausnahme machen sollten?“
„Ich glaube wir können bei der Aufklärung der aktuellen Ereignisse rund um Robingen
behilflich sein.“
„Was soll das heißen?“
„Ich würde dieses Gespräch nur ungerne an so einem unsicheren Ort
führen. Außerdem
glaube ich, dass die Zeit gegen uns spielt. Aber ich kann euch versichern, dass
der Rat sehr interessiert an diesen Informationen sein wird.“
„Herr Olaf Demleitner.“, begann Raphael mit leicht erhobener Stimme.
„Wie ich bereits erwähnt habe, habe ich großen Respekt von den Portalwächern, aber
glaubt ihr tatsächlich, dass ich euch in der aktuellen Situation erlauben kann,
durch das Reiseportal auf direktem Wege nach Taladri zu gelangen? Falls es euch
nicht entgangen ist, befinden wir uns in Alarmbereitschaft und während
wir
nicht einmal genau wissen, was hier vor sich geht, taucht Ihr mit drei fremdem
auf und wollt mit samt dieser fremden durch ein Portal des Ordens in das Herz
unserer Welt und vor unseren Rat treten? Entschuldigt meine Reaktion, aber uns
ist viel daran gelegen unseren Rat zu schützen und das geht nicht, wenn wir jedem
fremden Zutritt gewähren. Schon gar nicht in einer Situation wie dieser. Und
ich darf zusätzlich daran erinnern, dass es ein Portalwächter gewesen ist, der für
Rasmus den Orden unterwandert und so den Weg für den letzten großen Krieg
geebnet hat.“
„Bruder Raphael, wir sind uns um klaren, dass Ihr die Situation mit Vorsicht
behandeln müsst, doch auf Grund der aktuellen Lage müssen wir auf euer
Vertrauen hoffen.“
„Verehrter Bruder.“, fiel Erik Olaf ins Wort. Raphael und Olaf schauten Erik verblüfft an.
Keiner der beiden hatte mit einer Einmischung eines der anwesenden gerechnet.
„Ich weiß, dass die aktuelle Situation eine gewisse Vorsicht Seitens des Ordens
voraussetzt und da mir der Kontakt mit hohen Mitgliedern das Ordens
nicht
vertraut ist, entschuldige ich mich an dieser Stelle für meine Ausdrucksweise,
aber wir müssen dringend mit dem Rat sprechen. Meine Freunde und ich sind,
durch ein uns unbekanntes Portal, in die Zwischenwelt geraten. Meine Freunde
sind unwissende und nicht mit der Existenz dieser Welt vertraut. Wir hoffen,
dass uns der Rat der Seelen helfen kann in unsere Welt zurück zu gelangen.
Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass unsere Reise zwischen den Welten für
dieses durcheinander verantwortlich ist.“
Olaf blickte skeptisch zwischen Bruder Raphael und Erik hin und her. Er wusste
nicht, wie Raphael reagieren
würde.
„Junger Portalwächter. Ich danke euch für eure Offenheit und die Möglichkeit die
Situation besser einzuschätzen. Wenn es stimmt was Ihr sagt stimme ich euch zu,
dass ihr schnellstmöglich vor den Rat treten und eure Geschichte erzählen
müsst. Doch bevor ich euch die Nutzung des Reiseprotals genehmigen kann, muss
ich den Rat um Erlaubnis bitten. Ich werde umgehend Kontakt zu Ihnen aufnehmen
und euch über die Entscheidung des Rates in Kenntnis setzen. Bitte wartet
hier.
Ich werde euch einen Diener schicken, der für euer leibliches Wohl sorgt. Wenn
Ihr tatsächlich das erste Mal ein Portal benutzt habt, werdet Ihr sicher hungrig
und durstig sein.“
Mit diesen Worten drehte Raphael den Freunde den Rücken zu und verließ den Raum.
Erik, Tim und Paula hatten es sich an einem Tisch in der Ecke gemütlich gemacht. Ihnen war die Anstrengung
der Ereignisse anzusehen. In Gedanken versunken beobachtete Paula die Bewegungen
der Schatten, die das flackernde Kerzenlicht in Eriks Gesicht zeichnete.
Olaf schien keines Wegs erschöpft. Trotzdem wurde auch sein Gesicht nicht von den Schatten verschont. So wie er
aufgeregt in der Mitte des Raumes auf und ab lief, so liefen die Schatten
zwischen den Sorgenfalten in seinem Gesicht hin und her. Seit Raphael den
Raum
verlassen hatte, hatte keiner von Ihnen ein Wort gesprochen. Die Anspannung
über die Reaktion des Rates lag so erdrückend über Ihnen, dass es beinahe
schwierig war einzuatmen.
Ihre Blicke fixierten die Türe, als sich das Geräusch der Türklinke in das von Olafs Schritten mischte. Die
Türe öffnete sich langsam und ein ca. 15 Jahre alter Junge betrat den Raum.
Nahezu lautlos kam er auf den Tisch zu, an dem die drei Freunde saßen.
„Seid gegrüßt fremde. Ich bin Adrian. Raphael schickt mich, um mich um euch zu
kümmern. Entschuldigt, dass ich ein
wenig länger gebraucht habe, aber ich war
so frei und habe vorab in der Küche etwas zu Essen für euch geordert.“
Als das Kerzenlicht das Gesicht des Jungen berührte, zuckte Paula zusammen. Das Gesicht des Jungen war beinahe
so schneeweiß wie sein Haar. Tiefe Rote ringe umrandeten seine Augen, die von
feinen Adern durchzogen waren. Erik legte beruhigend seine Hand auf Ihren Arm.
„Ich danke euch. Das ist sehr freundlich. Wir können sehr wohl eine Mahlzeit vertragen.“, sagte Olaf.
Der Junge nickte.
„Kann ich sonst noch etwas für euch tun?“
„Ich nehme an Getränke sind im Preis drin?“
Bei Tims Worten musste Adrian schmunzeln und Paulas Blick entdeckte die ungewöhnlich langen und spitzen Eckzähne.
„Aber selbstverständlich. Ich werde euch dann wieder alleine lassen. Solltet Ihr etwas brauchen, findet Ihr mich im Schankraum.“
So lautlos wie er den Raum betreten hatte, so lautlos verließ er ihn wieder. Nur das Quietschen der Tür verriet
sein Gehen.
Als die Tür in ihr Schloss fiel, schoss
Paulas Kopf herum. Fassungslos schaute sie Erik an.
„Was war das?“
„Das meine Liebe war ein Vampir.“, belehrte Olaf sie.
„Ein Vampir?“, fragte sie Fassungslos. „Sollten diese komischen Mönche nicht gegen diese Dinger kämpfen?“
„Nein.“, entgegnete Erik trocken.
„Die Aufgabe des Ordens ist weder die Bekämpfung der Belua, noch die der Menschen. Ihre
einzige Aufgabe ist die Bewahrung des Friedens und des Gleichgewichts zwischen
den Welten. Genau wie bei uns
Menschen, gibt es gute und böse Belua und Adrian
gehört zu den guten.“
„Ok, es gibt also gute und böse Vampire oder Belua oder wie auch immer du sie
nennst.“
„Belua sind nicht nur Vampire. Belua sind die Bewohner der Unterwelt. Vampire,
Werwölfe, verschiedenste Dämonen. Zusammengefasst unter dem Begriff Belua.“
„Und die Brüder des Ordens, was sind das für welche?“, fragte Tim, der sich die
Erklärung gebannt angehört hatte.
„Die Brüder sind ein Zusammenschluss aller Völker. Egal ob Menschen oder Dämonen.“
„Als ist der Orden so etwas wie die NATO.“, fasste Tim seine Gedanken zusammen.
„So in Etwa.“
„Und was können Menschen bitte gegen Vampire und das ganze andere Zeug ausrichten?“, fragte Paula skeptisch.
„Eine ganze Menge.“, lachte Olaf. „Menschen können sich Waffen und ihren oft überlegenen
Verstand zu Nutze machen. Die meisten Belua sind, naja, wie soll ich das sagen?
Einfach gestrickt. Sie werden
überwiegend von Ihren niederen Instinkten geleitet
und denken nicht weiter als von zwölf bis Mittag. Das macht einige zu guten Jägern.
Trotzdem arbeiten sie in der Regel für einen klügeren Kopf und führen nur
Befehle aus. Und neben handgefertigten Waffen, wird machen Menschen auf die
Gabe der Zauberei zuteil. Auch wenn es nicht viele schaffen, den Umgang mit
dieser Gabe zu lernen, so waren diejenigen, die es geschafft haben nahezu
unbesiegbar. Diesen Magiern verdanken wir den Zusammenschluss des Ordens. Lange
vor dem großen Aufstand durch Rasmus
und seinen Anhängern, gab es eine Zeit, in
der das Gleichgewicht zu kippen drohte. In dieser Zeit schlossen sich die mächtigsten
und weisesten Magier aller Rassen der beiden Welten zusammen. Sie gründeten den
Orden und machten es sich zur Aufgabe den Frieden zwischen den Welten zu halten
und um die Menschen zu schützen, verbannten sie die bösen Belua in die Zwischenwelt
und sorgten dafür, dass die Menschen auf der Erde in Frieden leben konnten.
Mit
der Zeit geriet das Wissen um die Belua und diese Welt in Vergessenheit. Aus
Erlebtem wurden Geschichten, aus Geschichten wurden Legenden und diese
Unwissenheit wurde zum größten Schutz des Friedens.“
Ein dumpfes Klopfen unterbrach die Unterhaltung. Die Tür wurde, dieses Mal lautstark mit einem kräftigen Schubs,
auf gestoßen. Im Schankraum standen zwei klein gewachsene, Zwergen artige
Figuren. Jeder von Ihnen schob einen hölzernen Rollwagen in den Raum. Auf dem
ersten Wagen standen vier große Teller
mit deftigen Malzeiten, auf dem anderen
stand eine nicht grade geringe Auswahl an Getränken. Die beiden, etwas tollpatschigen
Zwerge stapften mürrisch in den Raum, wobei sie mit den Rollwagen überall an
der Türe und den Möbeln im Raum aneckten, so dass man meine konnte es wäre
Absicht.
„So, da ist Essen.“, brummte einer der beiden mit einer dunklen, kratzigen Stimme,
die so gar nicht zu seinem Aussehen passen wollte.
„Und Trinken.“, vervollständigte sein Begleiter. Erwartungsvoll blieben
die beiden
stehen und blickten zwischen den vier Freunden hin und her.
„Pitu, Futa, macht schon. Raus mit euch ihr beiden Nichtsnutze. Lasst unsere Gäste in Frieden
essen.“ Wie ein Blitz flitzte Adrian in den Raum, packte die Beiden am Kragen
und bugsierte sie nach draußen.
„Lasst es euch schmecken.“, rief er im Rausgehen und verschloss von außen die Tür.
„Was waren das denn für welche?“, fragte Tim.
„Das waren Minutulus. Sie stammen von den Gnomen ab. Gute Arbeiter, aber nicht
viel
im Kopf.“, klärte Olaf auf.
Die vier begutachteten die Teller. Es gab Fleisch, Kartoffeln und Gemüse. Wie sie es von zuhause gewohnt
waren. Der Anblick und der aufsteigende Geruch ließ Paulas Heimweh ins
unermessliche steigen.
Grade als sich alle am Tisch niedergelassen hatten, wurde die Türe erneut geöffnet. Raphaels lange Robe
raschalte beim Laufen. Sein Gesicht war ernst.
„Entschuldigt, dass ich euch nicht die Zeit geben kann eure Mahlzeit zu beenden. Beunruhigende Neuigkeiten
haben
den Rat erreicht und Sie erwünsche eure unverzügliche Anwesenheit. Der Rat
erachtet die Informationen die ihr für Ihn habt für unverzichtbar um die
aktuelle Lage einschätzen zu können. Ich muss euch bitten mir unverzüglich zu
folgen. Der Rat wird euch alles erklären.“
Die vier folgten Raphael aus der Taverne heraus und ein Stück weit durch die Stadt. Da es in dem Raum, in dem sie sich aufgehalten hatten kein Fenster gab, hatte niemand von ihnen bemerkt, wie spät es bereits war. Die Strahlen der untergehenden Sonne brachen zwischen den Bäumen durch den Nebel und sorgten dafür, dass die Stadt noch mystischer wirkte, als am helllichten Tag. Als sie den Stadtkern wenige hundert Meter hinter sich gelassen hatten, erstreckte sich vor Ihnen eine Lichtung. Sie war nicht groß, Erik schätzte sie auf
maximal 20 Meter. Der Rand der Lichtung war mit Gestalten in Roben verschiedenster Farben gesäumt. Sie bewachten die Lichtung. Oder besser gesagt, dass was sich genau in ihrer Mitte befand. Ein etwa 2 ½ Meter hohes, elfenbeinfarbenes Gebilde in Form eines Torbogen. In den Bogen waren feine Linien und Muster eingearbeitet. Zwischen den Pfeilern schien die Luft zu flirren, als ob sie stark aufgeheizt wäre. „Dieses Portal wird euch direkt nach Taladri führen.“, sagte Raphael und zeigte auf den Bogen. „Adrian und zwei meiner Magier werden euch begleiten. Ich muss in
Robingen bleiben. Meine Verpflichtungen erlauben es nicht, dass ich die Stadt in dieser Notlage verlasse. Ich werde eure Angelegenheiten von hier aus verfolgen müssen.“ Raphael machte eine leichte Handbewegung. Vier Männer lösten sich aus der Kette um die Lichtung und kamen auf sie zu. Den einen erkannte Erik als Adrian. Zwei weitere konnte er, anhand der feinen Muster auf Ihren Roben und ihren Hölzernen Gehstöcken als die Magier identifizieren, von denen Raphael gesprochen hatte. Der vierte schien ein Portalwächter zu sein. Er trug ein schwarzes Shirt und eine weit sitzende Jeanshose. Zahlreiche
Tätowierungen, die sich an den Handgelenken um ledernen Armbänder zu schlängeln schienen, zierten seine Arme. Über seinen Schultern ragten zwei Schwerter auf, die er über Kreuz hinter seinem Rücken trug. An seinem Gürtel klirrten links und rechts zwei dolchartige Messer. Das Silber ihrer Klingen reflektierte das schwindende Sonnenlicht. Der Junge schien nicht viel älter zu sein als Erik selbst. Als sich ihre Blicke trafen, lief Erik ein eiskalter Schauer über den Rücken. So einen festen, einschüchternden Blick hatte er noch nie gesehen. Ausweichend schaute Erik zu Raphael. Dennoch spürte er den stechenden Blick des Portalwächters auf
sich ruhen. Raphael schien das Unbehagen zu bemerken und legte ein sanftes Grinsen auf. „Adrian kennt ihr ja schon. Das sind Aulu und Decimo, zwei meiner mächtigsten Magier, die euch auf eurer Reise begleiten werden.“ Er zeigte auf die beiden, in grauen Roben gekleideten Männer. „Das hier ist Remington.“ Er wandte den Blick auf den schwer bewaffneten Portalwächter und streckte beide Arme aus. Der junge Mann ergriff seine Waffen und legte sie, eine nach der anderen, in Raphaels Hände. „Er verwaltet unser Waffenlager. Ich habe ihn gebeten euch mit ein paar seiner
Waffen auszustatten. Es wäre unverantwortlich euch ohne die Möglichkeit zur Verteidigung ziehen zu lassen.“ Raphael nickte Remington zu. Der Wächter wandte sich zu Erik. Sein steinerner Gesichtsausdruck wich einem beinahe freundlichen Lächeln. Er hielt Erik seine Hand zur Begrüßung entgegen. „Nennt mich einfach Rem. Sagte er.“ Erik bedankte sich bei Rem für seine Unterstützung und begutachtete die Waffenauswahl. Er nahm einen der Dolche und ein Schwert. Geübt legte er die Haltegurte an und steckte die Klingen in die Scheide. Erik hatte den Umgang mit diesen Waffen seit seiner Kindheit geübt und war es gewohnt sie
bei sich zu tragen. Einzig der Gedanke diese zum ersten Mal in einem richtigen Kampf nutzen zu müssen, löste Unbehagen in ihm aus. Nachdem er alles angelegt und den Halt des Waffengurtes kontrolliert hatte, reichte er Tim und Paula jeweils einen Dolch. Ihm war bewusst, dass keiner der beiden in der Lage wäre, im Kampf mit einem der Schwerter umzugehen. Olaf hatte bereits seine Waffen gewählt und den zweiten Schwertgurt angelegt. „Bruder Raphael, wir bedanken uns vielmals für eure Hilfe.“, sagte Erik. „Auch dir muss ich unseren Dank aussprechen Rem. Wir sind uns im Klaren, welch wertvolle Waffen du uns
zur Verfügung stellst. Ich hoffen, dass wir uns irgendwann für deine Unterstützung revanchieren können.“ „Passt einfach auf euch auf und helft dem Rat die Lage in Gultanadra zu beruhigen. Das wäre Ausgleich genug.“ Mit diesen Worten verabschiedete Rem sich von der Gruppe. Raphael legte seinen Arm auf Eriks Schulter und drängte ihn in Richtung des Portals. „Es wird Zeit. Der Rat erwartet euch.“ Die vier überquerten die Lichtung in Richtung des Portals. Nervös ergriff Paula Eriks
Hand. „Was genau ist dieses Portal? In welche Welt bringt es uns?“ „Das ist ein Reiseportal. Es wird uns in keine andere Welt bringen. Reiseportale bringen einen nur an einen anderen Ort. Nicht in eine andere Welt. Sie wurden von mächtigen Magiern erschaffen, um schnell weite Distanzen zu überwinden. Sie haben auch versucht Portale zwischen den Welten zu erschaffen, aber das ist noch niemandem gelungen. Im Gegenteil. Die meisten Magier, die versucht haben ein Weltenportal zu erschaffen sind bei dem Versuch gestorben, weil der Zauber ihnen zu viel Lebensenergie abverlangt
hat.“ „Und woher kommen diese Weltenportal dann?“, wollte Tim wissen. „Das weiß niemand. Die meisten Leute sind der Meinung, dass die Weltenportale Fehler im Universum sind. Fehlgeleitete Brücken, die eine Verbindung zwischen den Welten herstellen.“ „Wird es genauso weh tun das Reiseportal zu nutzen, wie das Portal, durch das wir hier her gelangt sind?“, wollte Paula wissen. „Ich bin nämlich froh, dass meine Kopfschmerzen langsam abklingen.“ „Nein, die Benutzung eines Portals tut für gewöhnlich nicht weh. Unsere
Reise hierher war sehr ungewöhnlich. Nicht mit einer normalen Reise durch ein Portal zu vergleichen.“ „Wenigstens eine gute Nachricht.“, schnaubte Paula sarkastisch. Als Sie das Portal erreicht hatten, nahmen die vier sich an die Hand. Sie ließen einen letzten Blick über die Lichtung und die versammelten Brüdern und Wächter schweifen. Eriks Blick traf Raphael. Sie schauten sich einen kurzen Moment lang tief in die Augen. Dann nickte Raphael und die vier Schritten vorsichtig durch das Portal. Dicht gefolgt von ihren Begleitern Aulu, Decimo und
Adrian. Erik hatte Recht. Dieses Mal hatte Paula keine Schmerzen. Im Gegenteil. Es war ein interessantes, aufregendes Gefühl. Ein wenig, wie das Kitzeln im Bauch, wenn man ganz hoch schaukelt. Die Luft um sie herum bildete immer stärkere Schlieren und ließ die Landschaft um sie herum erst verschwimmen und dann in Millionen Einzelteile zerspringen, nur im sie wenige Schritte später, vollkommen verändert, wieder zusammen zusetzen. Aus Sorge davor, was genau geschah und wo sie landen würde, drückte sie Eriks Hand so fest sie konnte. Das einzige, was ihr in
diesem Moment beständig vorkam und ihr Halt gab. Erik spürte den Druck von Paulas Hand an seiner. Er konnte ihre Angst verstehen. Nach allem, was sie in den letzten Stunden durchgemacht hatten musste sie mit den Nerven am Ende sein. Während er über Paula und Tim nachdachte, wurde er von dem atemberaubenden Anblick der vor Ihnen aufragenden Stadt überwältigt. Je mehr die Stadt vor Ihnen an Gestalt annahm, um so faszinierenden kam sie ihm vor. Keine der zauberhaften Geschichten, die er je über Taladri gehört hatte, konnte auch nur im Ansatz in Worte fassen, was
seine Augen in diesem Moment erblickten. Die Silhouette aus Elfenbeinfarbenen Mauern, Dächern und Türmen ragte hunderte Meter vor Ihnen in den Himmel. Das Gestein schien in der Dämmerung goldgelb zu glühen. Kaum wahrnehmbar, aber dennoch da. Der unwirkliche Lichtschein, der von den Mauern der Stadt ausging, erlaubte es Ihnen die Umrisse der Gebäude auch durch den Nebel von Gultanadra in allen Einzelheiten wahrzunehmen. Als sie das Portal vollständig durchquert hatten, wandte Erik seinen Blick erst zu seiner linken, und dann zu seiner rechten Seite. An beiden Seiten des Portals standen eine Hand voll Brüdern und
Portalwächter. Wie auch schon in Robingen. Es war Ihre Aufgabe das Portal zu bewachen und jeden unbefugten Eindringling direkt zu bekämpfen. Mit einem geschulten Blick bemerkte Erik, dass alle anwesenden die Hände an Ihren Waffen hatten. Bereit unverzüglich loszuschlagen. Sie musterten die Neuankömmlinge ausgiebig. Adrian trat hervor und nickte einem der Brüder zu. Einen Moment lang überlegte er, dann erwiderte er das Nicken. Unverzüglich nahmen alle Wachen eine entspannte Haltung an und Adrian setzte sich wieder in Bewegung. Er winkte seinen Begleitern, als Zeichen
ihm zu folgen. Das Portal lag am Rand der Stadt auf einem Platz, der von hohen Mauern umgeben war. Aus seinen Lehrstunden wusste Erik, dass der Rat im Größten Turm, in der Mitte der Stadt zusammenkommt. Somit hatten Sie noch einen ausgiebigen Fußmarsch vor sich. Er machte den Turm in Mitten der zahlreichen Gebäude ausfindig und schätzte die Entfernung auf etwa 30 Minuten. Luftlinie. Durch die gewundenen Gassen der Stadt wahrscheinlich 45. „Auf geht’s“ murmelte er und trat den Fußmarsch
an. Die Gassen der Stadt waren enger, als Erik es vermutet hatte. Sie wanden sich zwischen den Gebäuden. Alleine hätten sie sich hier niemals zu Recht gefunden. Er wusste nicht genau wie lange sie bereits unterwegs waren, aber die Sonne über Gultanadra war inzwischen zur Gänze untergegangen und die Nacht hatte ihre dunklen Schatten über Taladri gelegt. Erik konnte sich nicht helfen. Er hatte das Gefühl aus den Schatten heraus beobachtet zu werden. Es fiel ihm schwer in der Dunkelheit Details zu erkennen. Von der schwach beleuchteten Straße zweigten immer wieder kleinere
Wege und Gassen ab, die sich zwischen den Häusern verloren. Die meisten von Ihnen waren noch schlechter, teilweise gar nicht beleuchtet. Dennoch war ihm, als würde sich, in den Schatten der Gassen irgendjemand oder irgendetwas versteckt halten und sie auf Ihrem Weg beobachten. Als die Gruppe an eine Weggabelung kam und Adrian ein wenig Zeit brauchte sich zu orientieren, konnte Erik in einer der Gassen eine Gestalt erkennen. Er blickte in das Gesicht einer jungen Frau. Eine Strähne ihres Blonden Haars wehte durch ihr Gesicht. Ein Gesicht von solcher Schönheit, wie er es noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Die strahlend blauen Augen zogen Erik
in Ihren Bann. Dann schien die Frau auch Ihn zu bemerken. Ihre Blicke trafen sich. Für den Bruchteil einer Sekunde starrten sich die beiden an. Die Frau verharrte in Ihren Bewegungen. Ihm war, als würde sich Ihr Munde zu einem leichten Lächeln verziehen. Als Erik blinzelte war sie ohne eine Spur in den Schatten der Gasse verschwunden. Er rieb sich die Augen und starrte in die leere, von der Frau war nichts mehr zu sehen. Die anderen schienen die Frau nicht bemerkt zu haben und ihm kam die Begegnung so unwirklich vor, dass er beschloss es vorerst für sich zu behalten. Derweilen hatte Adrian den richtigen Weg ausgemacht und lotste die Gruppe
links herum eine kleine gewundene Gasse entlang, den Hügel hinauf, auf dem Taladri errichtet war. Der Fußmarsch dauerte noch einige Minuten. Nach einer Biegung hatten sie ihr Ziel erreicht. Vor Ihnen ragte der Turm der Seelen in die Höhe. Ein monomentales Bauwerk, dessen Spitze so hoch vor ihnen in den Himmel ragte, dass sie sich im Nebel Gultanadras ihrem Blick entzog. Ein riesiger Torbogen öffnete Ihnen den Weg in die Eingangshalle. Am gegenüberliegenden Ende der Halle zog sich eine Wendeltreppe in die Höhe. Das Ausmaß der Treppe und des restlichen Turmes
entriss Paula ein fassungsloses Staunen. Während sich die Gruppe auf die Treppe zubewegte konnten sie links und rechts von sich mehrere Türen sehen. Die meisten von Ihnen waren verschlossen. Die wenigen offen stehenden Türen gaben den Blick auf etwa 20 Quadratmeter große Schlafräume frei. Neben einem Bett und einem Kleiderschrank, wurde jeder Raum von einem überdimensional großen Schreibtisch bewohnt. „Die Schlafräume der Brüder“, sagte Olaf, Tims fragendem Blick zuvorkommend. „Viele der Brüder, die in Taladri leben, sind in den Türmen untergebracht.
Die rang höchsten haben die Ehre hier, im Turm der Seelen zu wohnen.“, erklärte Erik. „Ihre Aufgabe ist es die Stadt und den Rat zu schützen. Um diese Aufgabe jederzeit wahrnehmen zu können, kommt diese nähe zum Rat äußerst gelegen.“ Sie durchquerten die Eingangshalle und stiegen die Wendeltreppe hinauf. Nach unzähligen Stufen erreichten Sie eine Tür, vor der zwei Portalwächter Stellung bezogen hatten. „Seit gegrüßt verehrte Wächter“, grüßte Adrian die beiden. „Seit gegrüßt.“, schallte es zurück. „Ich komme auf Geheiß von Bruder Raphael. Der Rat wünscht diese beiden
Wächter und ihre Gefolgschaft zu sprechen.“
„Wir wurden bereits über euer Kommen informiert. Treten ein. Der Rat erwartet euch.“, erwiderte einer der beiden.
Sie traten bei Seite und die Tür öffnete sich mit einem lauten Knatschen.
Die Tür führte in eine große Halle, die von künstlichem Licht durchflutet wurde. Die Quelle des Lichts konnte Erik nicht ausmachen. Es war ein gleichmäßiges, warmes Licht. Nicht zu hell und nicht zu dunkel. Obwohl der Raum, abgesehen vom Thron des Rates, der sich am hinteren Ende des Raumes befand, leer war, wirkte er seltsam herzlich und einladend. Die hohe, abgerundete Deckenkuppel wurde von wenigen Pfeilern gestützt, die so angeordnet waren, dass sie einen Weg zum Thron bildeten. Seltsamerweise schien es, dass keiner der Pfeiler einen
Schatten zu werfen schien. Erst jetzt bemerkte Erik, dass auch er und seine Gefährten keine Schatten warfen. „Magisches Licht“, dachte er. Langsam bewegte sich die Gruppe zwischen den Pfeilern hindurch in Richtung des Throns. Mit jedem Schritt wurden die Umrisse der Ratsmitglieder deutlicher. Sie saßen in einem Halbkreis auf dem thronenden Podest, seine Öffnung in Richtung der Türe, durch die Erik und seine Freunde soeben eingetreten waren. Der Halbkreis bestand aus dreizehn steinernen Stühlen. Ein großer Sitz in der Mitte. Zu seiner rechten und linken jeweils sechs weitere, kleinere Stühle. Auf dem
Großen, mittleren Stuhl saß eine Gestalt, die in eine goldene Robe gekleidet war. Zu seiner rechten drei rot und drei grün gekleidete, zu seiner linken drei grau und drei blau gekleidete Gestalten. Ihre Roben unterschieden sich lediglich in ihrer Farbe. Alle dreizehn hatten die Kapuzen ihrer Roben weit über die Gesichter gezogen, so dass diese in einem tiefen, schwarzen Schatten verborgen lagen. Ihre Gesichter schienen das einzige zu sein, dass von dem Licht im Saal nicht berührt wurde. Als die Gruppe den Fuß des Throns erreicht hatte, blieben sie stehen. Vor Ehrfurcht überwältigt neigte Tim den Blick zu Boden und kniete vor dem Rat
nieder. „Was soll das denn? Bist du bescheuert? Steh gefälligst auf. Du machst uns ja lächerlich.“, schimpfte Olaf und gab Tim einen unsanften Klaps auf den Hinterkopf. „Ich dachte…“ erwiderte er, doch bevor er ausreden konnte unterbrach Olaf ihn schroff. „Du sollst nicht denken, du sollst einfach den Mund halten und das machen, was wir machen.“ Tim richtete sich wieder auf. Sein Gesicht war vor Scharm feuerrot. Der Rest der Gruppe musste schmunzeln. Ihrer Körpersprache nach zu urteilen, schienen auch die Ratsmitglieder
amüsiert über diese Begrüßung. „Seid gegrüßt verehrte Portalwächter.“, erklang eine dunkele Stimme, die in dem Saal wiederhallte. „Seid gegrüßt verehrte unwissende.“, fuhr die Stimme fort. „Es ist lange her, dass unwissende Gultanadra betreten haben. Erik Demleitner. Du hast diese Menschen in unsere Welt gebracht und Ihnen unsere Geheimnisse anvertraut. Du weißt, dass das Einweihen unwissender ohne Genehmigung des Rates mit dem Tode bestraft wird. Angesichts der aktuellen Situation und aufgrund der Tatsache, dass deine Familie uns in der Vergangenheit große Dienste geleistet und unser Vertrauen
verdient hat, sind wir bereit Gnädig zu dir zu sein.“ „Verehrter Rat. Mir sind die Regeln durchaus bewusst und es war nie meine Absicht Tim und Paula hierher zu bringen. Es war ein Unfall. Ich danke euch für eure Gnade und stehe vielmals in eurer Schuld.“ Bevor Erik zu weiteren Entschuldigungen ansetzen konnte, unter brach Ihn die Stimme. „Dies ist nicht die Zeit für lange Reden. Wir müssen dringend wissen, wodurch genau die Kräfte in Gultanadra ins Wanken geraten sind. Unseren Magiern zufolge hat der Energiestoß Ähnlichkeit mit dem Öffnen eines
Reiseportals. Allerdings war er wesentlich stärker als alles, was sie je gesehen haben und laut unseren Kundschaftern seit Ihr durch ein Weltenportal in der Nähe von Robingen nach Gultanadra gekommen.“ „Das ist richtig“, bestätigte Erik. „Das Problem jedoch ist, dass es rund um Robingen keine aktiven Weltenportale gibt. Also bitten wir dich und deine Begleiter uns so detailliert wie möglich über eure ungewöhnliche Reise aufzuklären.“ Als der Hall der Stimme verebbte, senkte sich der Raum in eisige Stille. Nach kurzem Zögern ergriff Erik das Wort. Stotternd begann er dem Rat zu
berichten, was ihm und seinen Freunden in den letzten Stunden wiederfahren war. Alle anwesenden hörten gebannt zu. Hin und wieder mischten sich ein „Ja“ oder ein leises Murmeln in den Klang seiner Stimme. Immer dann, wenn Tim zustimmend nickte um Eriks Aussagen zu bekräftigen. „Eure Erzählungen sind äußerst interessant.“, erwiderte die Stimme. „Wir kennen die Geschichte um eure Heldentat Olaf und es ist uns eine Ehre euch in unseren Hallen willkommen zu heißen. Sagt, könnt Ihr die Ausführungen eures Ur-Urenkels bestätigen?“ „Voll und Ganz.“, sagte Olaf mit
vollster Überzeugung.
„Nun Gut. Wir danken euch für eure Hilfe. Für uns ist es an der Zeit uns zu beraten und Ihr solltet euch ausruhen. Unsere Wächter haben Zimmer für euch vorbereitet in denen Ihr übernachten könnt. Adrian wird euch dorthin geleiten.“
Mit diesen Worten beendete die Stimme das Gespräch. Hinter der Gruppe ertönte wieder das laute Knatschen der Tür. Die beiden Wächter traten ein und geleiteten Erik und die anderen hinaus, wo Adrian auf sie wartete.
Nofretete Das verlangt nach mehr... - Ich mag deinen Schreibstil, der über einige kleine Rechtschreibfehler hinweg tröstet ;-) Für meinen Geschmack sind einige Stellen ein wenig zu langatmig beschrieben oder wiederholen sich. Und teilweise widersprechen sich die von dir gewählten Adjektive: z.B. "Einige der urigen Häuser (...), ohne das anmutige Stadtbild zu beeinträchtigen," Meiner Meinung nach, könntest du anstatt "anmutig" eher "stimmig" oder "ländlich" oder etwas ähnliches sagen, amutig ist für mich zum Beispiel ein Araber-Hengst ;-) Hoffentlich gehts bald weiter! Alles Liebe, Nofretete |
DraX01 Re: Toller Anfang! - Zitat: (Original von Yunavi am 27.07.2013 - 21:20 Uhr) Mir gefällt deine Geschichte total super! Ich bin gespannt, wie es weitergeht und finde deine Charaktere total sympathisch! ^^ (Vielleicht, weil ich auch so ein Mensch bin, der seine Tiere mit ins Bett nimmt?) Allerdings hätte ich die Namen von Erik und Tim getauscht - ich weiß nicht, ich verbinde Erik immer mit so einer Art vornehmen Disneyprinz, deswegen finde ich persönlich den Namen jetzt nicht so passend zu seiner Personenbeschreibung, aber im realen Leben kann sich das ja auch niemand aussuchen, also... ;) Ich bin auch noch nicht solange hier, mag dich aber ganz herzlich willkommen heißen! :) LG Yunavi Hallo Yunavi, vielen Dank für dein Feedback. Es freut mich, dass dir meine bisherige Geschichte gefällt und bin selbst bestimmt genauso gespannt wie du, wie es weiter geht ^^ Auf jeden Fall ist dein Kommentar ein schöner Motivationsschub um mich gleich mal an das nächste Kapitel zu setzen :) LG DraX |
Yunavi Toller Anfang! - Mir gefällt deine Geschichte total super! Ich bin gespannt, wie es weitergeht und finde deine Charaktere total sympathisch! ^^ (Vielleicht, weil ich auch so ein Mensch bin, der seine Tiere mit ins Bett nimmt?) Allerdings hätte ich die Namen von Erik und Tim getauscht - ich weiß nicht, ich verbinde Erik immer mit so einer Art vornehmen Disneyprinz, deswegen finde ich persönlich den Namen jetzt nicht so passend zu seiner Personenbeschreibung, aber im realen Leben kann sich das ja auch niemand aussuchen, also... ;) Ich bin auch noch nicht solange hier, mag dich aber ganz herzlich willkommen heißen! :) LG Yunavi |
DraX01 Einleitung - Hallo in die Runde, ich freue mich an diesem Forum teilzunehmen. Ich bin ganz neu in der Schreiberei. Dies sind meine ersten Versuche und natürlich bin ich an Feedback sehr interessiert. Zum einen würden mich eure Meinungen über meine Geschichte interessieren, zum anderen würde ich mich über Tipps freuen, die mir helfen meine Geschichte besser rüber zu bringen. Vielen Dank, Gruß DraX |