Fantasy & Horror
Aurelias Plan

0
"Aurelias Plan"
Veröffentlicht am 23. Juli 2013, 218 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
© Umschlag Bildmaterial: diavolessa - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Über mich gibt es nicht sonderlich viel zu erzählen. Ich mag Bücher und wenn´s mich überkommt schreibe ich mal etwas Eigenes auf. Derzeit werde ich etwas zu sehr vom unkreativeren Teil des Lebens eingenommen, finde also keine Zeit um meine Geschichten weiter zu schreiben. Das tut mir vor allem die für Fans von "Aurelias Plan" leid.
Aurelias Plan

Aurelias Plan

Einleitung

Aurelia erinnert sich gut daran was passieren musste um ihrer Stiefschwester zu eine besseren Leben zu verhelfen. Doch alle Welt kennt nur Eleonoras Geschichte. Die, die von der bösen Stiefmutter, deren garstigen Tochter und dem Schuh erzählt. Aber es ist alles ganz anders passiert! Erfahre die Wahrheit über das Märchen von "Cinderella"!

Vaters Ankunft

Seit Vater wieder auf Geschäftsreise war wurde alles noch viel schlimmer als vorher.

Aurelia verbarg das Gesicht hinter ihren Händen.

Sie waren doch mal gute Freundinnen. Jetzt musste sie die Feindin spielen. Einfach so. Weil Mutter es so will. Sobald Vater wieder da war sollte sie wieder etwas netter sein.

„Ich werde zur Boshaftigkeit gezwungen“, hallte es durch Aurelias Kopf, „Das ist nicht meine Schuld, nicht mein Willen!“. Ihre Hände wurden nass.

Nein, sie durfte nicht weinen. Keiner sollte diesen Anflug von Schwäche bemerken.

Weder ihre Schwester, die keinesfalls ihr weiches Herz und die Zuneigung zu ihr bemerken durfte, noch ihre Mutter, die so viele Hoffnungen in sie hatte.

„Es stimmt wirklich, bitte verzeih mir!“, flehte sie das Grab der ihr Fremden an.

Hastig wischte sie sich das Gesicht ab und sah sich prüfend um. Der Garten war leer, aber auch unbeobachtet? Ihre Schwester war in der Küche. Als sie dem Grab den Rücken zukehrte eilte Aurelia am Birnenbaum und dem Taubenhäuschen vorbei, hin zum Rosengitter an der Wand an dem sie hinaufkletterte um unbemerkt in ihr Zimmer zu gelangen. Blätter, Blüten und Dornen durchsetzten das weiße Kleid. Sobald sie auf dem Fenstersims saß atmete

sie auf. Schnell stieg sie in das Zimmer, streifte das weiße Unterkleid ab und bemühte sich den verräterischen Beweis ihres guten Herzens zu verstecken. Zum Glück hatte noch niemand ihre Ausflüge zum Grab der Mutter ihrer Stiefschwester bemerkt, denn das würde großen Ärger bedeuten! Die Tauben, die durch den Tumult angelockt wurden, gurrten leise auf dem Fensterbrett als wollten sie alle Nervosität mit ihrem Klang beruhigen.

„Ich muss an dem Kleid weiter nähen!“, schoss es ihr durch den Kopf, „Damit dies alles ein Ende findet!“.

Das Kleid, an welchem sie schon so lange arbeitete, hatte sie im Schrank versteckt. Es war das letzte von den dreien. So

prachtvoll wie ein Brautkleid.

Aurelia erinnerte sich zurück. „Ein Glück hat Mutter darauf bestanden, dass ich nähen lerne.“, teilte sie den Täubchen mit und äffte ihre die strenge, stolze Dame nach: „Liebes, du musst das lernen, als Adelige sollte man so etwas können!“.

Sie nickte: „Ich wollte viel lieber noch ein Instrument erlernen. Welche eine Ironie!“. Sie lachte kurz und bewunderte die Fortschritte die sie machte. Das erste Kleid hatte noch seine Fehler, die sie aber geschickte zu verbergen wusste. Das zweite Kleid sah schon relativ gut aus. Sie kam in Übung. Doch das Lachen blieb ihr im Hals stecken. „Mutter wollte, dass ich nähen kann und mit diesem Wissen werde

ich mit die Chance den Prinzen zu heiraten vereiteln. Sie wird enttäuscht und böse sein.“, flüsterte sie und senkte ihren Kopf. „Der Nähunterricht wird sich lohnen, aber nicht für mich, hoffe ich.“, merkte sie an.

Es klopfte an der Tür. Aus diesem Grund nähte sie vor dem Schrank: um alles flugs hineinzuschubsen und ihr Vorhaben zu verbergen.

Ohne zu Fragen betrat die Mutter des Mädchens das Zimmer. „Dein Vater ist wieder da und hat Geschenke mitgebracht!“, frohlockte sie. „Herrlich!“, lächelte ihre Tochter zurück, “aber lass uns nachher bitte trotzdem einkaufen gehen, ich kann es kaum erwarten mir ein Kleid für den Ball des Prinzen

auszusuchen!“

Das wollte die hartherzige Dame mit den kalten Gesichtszügen hören. Aber das Lächeln verschwand aus ihrem spitzen Gesicht als sie das Fenster mit den Tauben erblickte. „Ksch Ksch“ machte sie und verscheuchte die gutmütigen Tiere mit einer wilden Handbewegung, während sie auf das Fenster zueilte, „Ich habe dir doch so oft gesagt, dass das Fenster zu bleiben soll! Sieh dir nur die Sauerei an! Die Viecher zerstören und schon wieder unsere Rosen.“. Sie schnippte die Blätter vom Fensterbrett weg bevor sie es schloss. Aber ihrem geliebten Töchterchen konnte sie dieses Versehen verzeihen. Gemeinsam gingen sie hinunter ins Foyer,

wo sie auf das Herzlichste von ihrem Vater und Ehemann begrüßt wurden.

Etwas abseits stand in Lumpen gekleidet die Schwester. Trotz, dass sie die leibliche Tochter des Mannes war, traute sie sich nicht näher an die glückliche Familie, der sie angehören sollte heran. Sie würde nur alles mit ihren dreckigen Kleidern schmutzig machen, hatte ihre Stiefmutter sie immer ermahnt. Keiner schien sie zu bemerken.

Der Vater verteilte die Geschenke, die er seinen Kindern versprochen hatte. Einen Reiszweig für seine Tochter und Kleider, Perlen und Edelsteine für seine Stieftochter. Beide verspürten einen Stich im Herzen, trugen die Maske des Lächelns

und der Freude aber wie über all die Jahre einstudiert weiter.

Natürlich war es ungerecht, aber die Schwestern hatte ihre Rebellion schon längst aufgegeben. Nun wagte keiner der beiden von den ihnen vorgeschriebenen Rollen abzuweichen. Deshalb wünschte sich Aurelia stets Kleider und Schmuck um sie in ihrem Schrank zu vergraben, sie vergessen zu lassen und dann dankbar als Material für Neues wieder zu verwenden, während sich ihre Stiefschwester nur das Einfachste wünschte.

 

Das, was weder Aufwand bedeuten, noch Werte beherbergen konnte.

Das Versprechen

Am Nachmittag bereitete der Kutscher den Wagen vor. Nach einem geselligen Imbiss im Gemeinschaftsraum, von welchem Eleonora, ihre Schwester, ausgeschlossen wurde, schickten sich die Dame des Hauses und ihre Tochter an in die Stadt zu fahren.

Bedächtig schritt das schmutzige Mädchen auf die feinen Herrschaften zu. Aurelia erklomm gerade die Stufen der Kutsche als sie das Wort an die ältere Dame richtete.

„Dürfte ich mit in die Stadt fahren?“, wisperte sie verzweifelt mit einem flehenden Unterton.

„Wie stellst du dir das vor? So schmutzig

wie du bist werden die Leute auf uns zeigen und uns auslachen!“, antwortete sie spöttisch und etwas angeekelt.

„Ich kann mich schnell waschen gehen!“, beteuerte Eleonora hoffnungsvoll.

Mit gerümpfter Nase geäugte sie die hoch gewachsene Adelige und schaute anschießend zu ihrer Tochter auf. Zeit für ihren Auftritt.

„Aber was willst du denn überhaupt dort? Keiner würde mit dir sprechen wollen!“, erwiderte Aurelia und versuchte ihre Stimme höhnisch klingen zu lassen.

Eleonora schaute auf ihre Holzpantoffeln: „Nun ja, ich wollte gern…“

„Steh gerade und sieh uns an, wenn du mit uns redest! Wenn du aus vornehmem Hause

kommst solltest du wissen, dass man sich so nicht verhält!“, schimpfte die Frau.

Das Mädchen straffte die Schulter und blickte ihr direkt in die Augen: „Ich habe von dem Ball gehört der bald stattfinden soll und als Tochter des angesehensten Kaufmannes der Stadt würde ich diesen auch gern besuchen. Deshalb bitte ich euch mich für den Ball zu beraten und einkaufen zu gehen.“

Überrascht ob der selbstbewussten Antwort schwieg die Dame verdutzt. Aurelia hingegen drehte sich der Kopf. Längst war Eleonore dem Irrtum anheimgefallen, dass das, was sie allen vorgaukeln wollten tatsächlich wahr war. Was konnte sie nur sagen, um ihr

Wohlwollen mitzuteilen, gleichzeitig aber für ihre Mutter bissig und hämisch klang?

„Wie willst du denn auf den Ball gehen? Dass du tanzen gelernt hast weiß ich, aber die neueste Mode ist dir fremd! Du kennst keinen außerhalb des Hofes und kannst keine unverfängliche Plauderei halten und du bist noch nie in Schuhen mit Absätzen gelaufen!“, protestierte sie und zeigte ihr ihren Schuh, „Ela, du weißt überhaupt nichts von der besseren Gesellschaft und kannst und nur blamieren!“

Onein, das war zu viel! Sie anzugreifen und zu verletzten war nicht geplant.

„Beruhige dich, Schätzchen!“, griff die Mutter in besänftigendem Tonfall ein und wandte sich mit einem Lächeln an das

dreckige Mädchen. „Es ist schon spät und wir wollen fahren, du hättest dich früher bemühen sollen. Um dein Anliegen werde ich mich kümmern, das verspreche ich dir. Jetzt geh!“, ordnete die Frau an bevor sie in die Kutsche stieg.

Der Wagen setzte sich in Bewegung und die Schwestern schauten sich nach.

Irgendwas hatte ihre Mutter geplant, dessen war Aurelia sich sicher. Sie musste es herausfinden um einen gezielten Manipulationsversuch unternehmen zu können.

Wütend verschränkte sie die Arme und versuchte sich in einem verbissenen Gesichtsausdruck.

„Die willst du doch nicht wirklich

mitnehmen, oder? So krieg ich doch nie den Prinzen, die wird mir die ganze Zeit hinterherrennen, weil sie sonst niemanden kennt und ihr langweilig wird!“, begann sie zu meckern.

„Sei nicht so garstig!“, wurde das Mädchen von ihrer Mutter ermahnt, „ich werde schon dafür sorgen, dass sie nicht mitkommen kann!“

„Was willst du tun?“, fragte sie unverblümt.

Spielerisch kniff ihr die Dame in die Wange: „Sei nicht so neugierig und lass dich überraschen!“

Seufzend lehnte sich Aurelia zurück in die Polster und sah den Rest der Fahrt schweigend aus dem Fenster.

Heimliches Lob

Das erste Ziel in der Stadt war der Schneider.

Während sich die vornehme Frau niederließ und sich einen Kaffee und die persönliche Beratung des Meisters erbat, streifte ihre Tochter durch das Geschäft.

„Siehst du dich nach den Stoffen um?“, wollte ihre Mutter wissen.

„Aber natürlich!“, bekräftigte Aurelia, suchte aber insgeheim danach wie die Profis ihre Fehler kaschierten. Immer wenn sie in der Stadt war suchte sie danach und immer wenn sie etwas gefunden hatte konnte sie daraus lernen. So hatten die Kleider die für ihre Schwester

gedacht waren immer davon profitiert.

Zu schnell fand der Schneider Zeit für seine besten Kunden. Heute konnte sie wohl nichts entdecken, zu ärgerlich!

Er empfahl einen Katalog in denen er einige Stücke markiert hatte.

Wunderbar! Die Kleider die die besten ihrer Zunft herstellten unterschieden sich fast kein Stück von der Qualität wie sie sie erstellte. Aber etwas war daran nicht gut, sie kam nur nicht darauf was es war.

Ein Geräusch der Entzückung entfuhr ihrer Mutter als sie das erste markierte Kleid entdeckte: „Sieh nur, wie hübsch!“ es würde perfekt zu deiner Figur passen!“

„Und noch dazu ist es die allerneueste Mode, so wird es bisher nur in der

Hauptstadt getragen!“, beteuerte der Schneider euphorisch, „gefällt es dir“?

Nein, das tat es nicht! Etwas geschmeichelt war sie schon, aber das Bild versetzte ihr einen Schreck. Das ausladende Ballkleid sah genau so aus, wie das Kleid das sie für den 2. Ball Tag nur für ihre Schwester angefertigt hatte!

Verwirrt schüttelte Aurelia den Kopf: „Nein, sowas möchte ich nicht tragen. Der Rock ist zu buschig!“

„Zu buschig?“, fragte ihre Mutter und warf dem Schneider einen fragenden Blick zu.

„Ja! Das ist ein Ball, da will ich tanzen und dabei wird einem warm. Ich will nicht unnötig viel schwitzen, das sieht doch

nicht gut aus!“, versuchte sie ihre ablehnende Haltung zu erklären.

Der Schneider fürchtete um seine besten Kunden und blätterte zum nächsten Modell: „Dann dürfte die das besser gefallen!“

Das Mädchen warf einen kurzen Blick darauf und entdeckte ein Kleid in der Machart des 1. Ballkleides ihrer Schwester.

„Nein, das auch nicht. Mit dem gerafften Vorderteil sieht man ja wie eine Magd aus!“, lehnte Aurelia den zweiten Vorschlag ab.

Die beiden Erwachsenen blätterten weiter und diskutierten einige obskure Ideen. Hin und wieder warf das Mädchen ihre Meinung ein, was in immer hitzigeren Wortgefechten zwischen Mutter und

Tochter mündete.

 „Dieses Kleid ist aber ein Meisterstück der neuesten Mode! Wie kannst du es nicht haben wollen?“, fragte die ziemlich aufgelöste Dame ihr Kind.

„Ich bin doch keine Osterglocke! Nur weil das gerade überall getragen wird muss ich mich doch nicht in diesem Kleid lächerlich machen!“, schimpfte sie und tippte auf den Rock des Kleides das zwar zum Sterben schön war, doch eine Adaption des 3. Kleides darstellte, „Da schaut ja der Unterrock heraus! Was ist wenn der Prinz diese Mode auch nicht mag und sie lächerlich findet?“

Eine Schade dieses Modell ablehnen zu müssen. Ohne zu wissen was diesen

Sommer am liebsten getragen wurde hatte Aurelia einfach aus einem Gefühl heraus das Neueste der neuen Mode geschneidert und sich damit den Fluch auferlegt die schönsten Kleider nicht zu tagen zu können.

Unsicher blickte der Schneider zwischen den Frauen hin und her.

„Darf ich der jungen Dame dann vielleicht etwas Klassischeres vorschlagen?“, versuchte er einen neuen, gewagten Vorschlag.

„Ich bitte darum!“, meinte das Mädchen und heuchelte Freude beim Anblick der unauffälligen, aber dem Anlass entsprechenden festlichen Kleider.

Schnell waren Stoffe und Modelle

ausgesucht, Maße genommen und Preise verhandelt.

Dass der Schneider und die feine Dame verschwörerisch tuschelten entging dem Mädchen.

Unerwartete Überraschung

Als die beiden Frauen das Geschäft verließen schob die Mutter ihr Kind in Richtung Markt.

„Ich glaube es ist besser, wenn ich allein zum Schuster gehe, meinst du nicht auch?“ fragte sie Aurelia in einem ärgerlichen Tonfall. „Einverstanden, dann sehen wir uns zur vollen Stunde wieder hier!“, erklärte sich die Tochter dazu bereit.

Allein über den Markt zu spazieren war ihr nun wirklich nicht oft vergönnt. Außerdem brauchte sie dringend etwas Ruhe, die Aufenthalte beim Schneider waren noch nie so anstrengend gewesen. Ein Besuch in

der Patisserie würde die Gedanken an dieses unliebsame Ereignis sicher vertreiben.

Pünktlich um 6 Uhr trafen sich die Herrschaften an der Kutsche. Aurelia trug ein Päckchen Süßigkeiten und ihre Mutter ließ ein mit braunem Papier eingewickeltes Bündel aufladen.

„Nanu, warst du nach dem Schuster noch selbst einkaufen? Sonst nimmst du mich doch immer mit!“, staunte sie.

„Du hast heute nicht sonderlich viel Geschmack bewiesen, da dachte ich es wäre ratsam allein meine Einkäufe zu erledigen!“, entgegnete ihr die Mutter, die sich keine Mühe gab den scharfen Tonfall zu verbergen.

Gekränkt kletterte das Mädchen in die Kutsche und wechselte auf der Fahrt nach Hause kein Wort mit ihrer Frau Mama.

War das Päckchen für Eleonora? Was hatte sie nur vor? Während der Fahrt würde Aurelia es wohl nicht mehr herausfinden, soviel stand fest.

Ihre Ankunft auf dem heimatlichen Hof blieb nicht lang unbemerkt. Aurelia konnte schon von weiten ihre Schwester erspähen, die sich offenbar nicht traute aus dem Schatten der Bäume hervorzutreten. Sollte Eleonora schon jetzt zu ihnen kommen, würde das die ohnehin schlechte Laune ihrer Mutter nur noch verschlimmern. Das galt es zu verhindern!

Das Mädchen nahm sich ihren Beutel mit

Naschwerk und eilte der Dame voraus. Als sie an ihrer schmutzigen Schwester vorbeilief warf sie ihr einen bösen Blick zu, der sie zurückschrecken ließ. Tatsächlich, Eleonora versteckte sich und ließ sie ins Haus treten ohne auf sich Aufmerksam zu machen.

Nach dem Abendessen präsentierten die beiden feinen Damen die Ausbeute ihrer Einkäufe. Der Zwist beim Schneider war vergessen, nein, vielmehr noch: Die scheinheilige Frau lobte ihre Tochter ob der Voraussicht nicht mit der neuesten Mode zu gehen. Stolz beschrieb sie die Stoffe und Kleider, die sie für den Ball ausgesucht hatten.

Nun meldete sich auch die abseits stehende

Eleonora, was sie um eine kleine Gabe aus der Stadt erbeten hatte zu Wort: „Habt ihr denn auch etwas für mich gefunden?“

Darüber hatte die Mutter während des ganzen Einkaufs kein Wort verloren. Aber sie musste Wort behalten haben, denn sie zog das verschnürte Paket hervor dessen Inhalt ihrer Stiefschwester Rätsel aufgegeben hatte.

Die Freude in den Augen des mit zerschlissenem Stoff bekleideten Mädchens war kaum zu beschreiben als sie danach greifen wollte. Doch die Mutter zog es von ihr weg.

„Geh dir doch vorher eine saubere Schürze anziehen, sonst machst du den feinen Stoff gleich wieder schmutzig!“, schalt sie

Eleonora sofort.

Gehorsam eilte sie davon.

Ihr Vater war angenehm überrascht über dieses für ihn unerwartete Geschenk seiner Frau, doch Aurelia ahnte etwas. Ihre Mutter hielt immer Wort, zweifellos hatte sie irgendetwas gekauft um ihre Stieftochter bei Laune zu halten, aber es war sicher nichts was ihr wirklich helfen konnte. Das war nicht ihre Art.

Als Eleonora wieder den Raum betrat musste sie sich zuerst dem kritischen Blick ihrer Stiefmutter unterziehen. Als sie für gut befunden wurde händigte sie ihr das Päckchen aus: „Bitteschön. Es war teuer und ich hoffe es gefällt dir. Die Farbe müsste gut zu deinen Haaren passen.

Ich möchte, dass du es hier auspackst und mir sagst ob es dir gefällt. Ich habe lang danach gesucht. Vielleicht magst du es uns danach einmal vorführen?“

Der Ton missfiel Aurelia. Sie sprach sanft und gutmütig, so als ob all das wahr wäre. Was hatte sie getan? Wo war der Haken?

Mit von Tränen feuchten Augen lauschte das Mädchen den süßen Worten bevor die bedächtig das Paket öffnete und einen spitzen Schrei der Verzückung ausstieß.

Eleonoras Kleid

Eleonora ergriff den Inhalt und lies das Papier zu Boden fallen. Cremefarbener Stoff, von weißen Verzierungen durchsetzt, befand sich in ihren Händen.

Mit leuchtenden Augen hauchte sie „Danke!“ und lief wieder davon um das Kleid anzuprobieren. „Willst du ihr nicht helfen, Liebes? Du weißt genau, dass man in ein gutes Kleid nie allein hineinkommt!“, mahnte meine Mutter. „Gewiss.“, antwortete Aurelia und ging ihn langsam hinterher. Was war da nur los?

Bei ihrer Stiefschwester angekommen bemerkte sie zuerst wie sie das Kleid sorgsam auf ihrem Bett ausgebreitet hatte.

Das Mädchen selbst wusch sich erneut, damit das Kleid auch wirklich kein bisschen schmutzig werden würde! Aurelia betrachtete es in dem spärlichen Licht des kleinen Fensters etwas genauer. Die Nähte waren sauber, hier war kein Fehler gemacht worden. Der Stoff war auch korrekt gerafft, keine Löcher, nichts. Ein gutes Kleid. Vorsichtig legte sie es wieder zurück und drehte sich um. Etwas verschüchtert kam ihre Schwester auf sie zu. „Willst du mir helfen?“, frage sie nervös. Aurelia nickte.

Lächelnd und ein wenig lockerer hob Eleonora das Kleid bedächtig und langsam vom Bett auf. „Hast du auch so eines?“, fragte sie. „Nein“, antwortete ihre

Schwester knapp.

Überraschung und Angst zeichnete sich auf Eleonoras Gesicht ab. „Meine Kleider werden noch bestellt, sie sehen anders aus als deines!“, fügte Aurelia rasch hinzu, damit ihre Stiefschwester nicht glaubte das sie das Kleid aus Eifersucht zerstöre wolle. Wie sollte sie ihr nur begegnen? Eleonora hatte Angst vor ihr. Zu nett durfte sie nicht sein, damit sie weiter Abstand von ihr hielt und Mutter keinen Verdacht schöpfte, aber zu hässlich durfte sie ebenso wenig sein, da sie sonst zu sehr distanzierte.

Langsam zogen die Mädchen das Kleid über den Körper des zierlichen Kindes. Die Ärmel waren etwas eng, aber das sollte

wohl so dazugehören. Schließlich trat Aurelia einen Schritt zurück. „Dreh dich mal, ich möchte sehen was wir bisher erreicht haben!“, befahl sie. Gehorsam tat Eleonora wie ihr geheißen. Der Rücken war noch nicht zugeknöpft und der Rock schien ein wenig zu kurz. „Nimm mal die Arme runter und beweg dich ein wenig, du siehst mit so abgespreizten Armen wie eine Vogelscheuche aus!“, kicherte die Stiefschwester. „Ich kann nicht, das ist so steif, fühlt sich kalt an und eng ist es auch.“, entgegnete sie hilflos, „Muss das so sein?“. „Ja, das ist so. Eng sind die Kleider immer, aber man gewöhnt sich dran und kalt fühlt es sich an, weil das an deinen Armen Netzstoff ist. Kneift es?“,

bestätigte ihre Schwester. „Ja, unter den Armen.“, sagte Eleonora und deutete vorsichtig darauf ohne die Arme unnötig viel zu bewegen. Das war nicht normal. „Lass mich mal den Rücken zu machen.“, schloss Aurelia und schritt auf sie zu. Sie zog an dem Stoff um die zierlichen aber stabilen Häkchen zusammenzuführen. Das wollte nicht so ganz klappen. Jetzt wollte sie es auf ein Experiment ankommen lassen. Vielleicht würde es mit einer Korsage passen, aber dazu müsste das Mädchen auch bereit sein. Energisch drückte sie so viel Stoff wie möglich zusammen und fragte unter Anstrengungen: „Kannst du noch Atmen?“. „Nein, ich halte die Luft an!“, antwortete

Eleonora gequält.

Zerstörter Traum

Jetzt fiel Aurelia ein was das alles sollte. Das Kleid was zu klein! Es wurde absichtlich eine Nummer zu klein gekauft, das wusste sie! Die Mädchen hatten exakt dieselbe Größe. Entkräftet ließ sie das Kleid los.

„Komm mit, wir führen es so vor, dann kann meine Mutter sehen, dass sie das Kleid zurückgeben muss!“, schlussfolgerte sie.

 „Aber es ist so hübsch! Wenn ich nur etwas abnehmen würde, könnte ich bis zum Ball hineinpassen!“, protestierte Eleonora. „Nein, das reicht nicht. Das Kleid ist überall zu klein, also gib es lieber

wieder zurück. Schöne Kleider gibt es immer wieder.“

Gemeinsam traten sie ins Licht des Esszimmers und entfernten sich voneinander. Eleonora begann sich zu drehen und allen das Malheur zu präsentieren, während ihre Schwester wieder am Tisch Platz nahm.

„Was soll denn der Unsinn, warum habt ihr es nicht zugemacht?“, wollte die Mutter wissen. „Es ging nicht, es ist zu klein.“, entgegnete Eleonora hilflos wie zuvor.

Aurelia musste es zugeben: Mutter hatte nicht gelogen! Das Kleid passte in der Tat phantastisch zu ihren Haaren! In der Dunkelheit konnte sie es nicht so recht

erkennen, aber das Kleid war tatsächlich wunderschön. Hochgeschlossen, ähnlich einem Rollkragen und Figurbetont legte es sich um den Körper des Mädchens, bis hin zur Hüfte. Dort ging es in den Rock über, indem ein zarter Wall weißer Stoff locker um die Rundungen geschwungen und festgesteckt wurde. Ab da traten die großen gerafften Wellen des Rocks hervor. Alles war in einer Farbe gehalten, nur die Säume waren weiß mit in sich selbst gedrehten Bändern. Sehr klassisch, aber filigran und wunderschön! Die Ärmel waren aus einer Art Organza-Stoff. Er hatte keine Farbe, sodass es aussah als würde das Mädchen ein ärmelloses Kleid tragen. Allein die Spitze an den Rändern

und das beständige Glitzern bei jeder Bewegung verrieten, dass es nicht so war. Auf dieses Kleid konnte man tatsächlich neidisch werden. Nun verstand sie auch warum ihre Schwester für dieses Stück hungern wollte. Entgegen aller Warnungen hätte Aurelia es wohl auch selbst getan!

„Papperlapapp! Faule Ausreden! Ich glaube du bist eher zu kräftig für die Kleidernorm.“, antwortete die Frau und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Zu kräftig gebaut?“, wollte sie ihre leibliche Tochter wissen. Das hieße Eleonora sei zu dick. Aber dem war nicht so. Gerade wollte sie ihren letzten Gedanken Kund tun, als ihre Mutter die Vorlage verwendete: „Ja, mein Herz, sie ist

zu kräftig. Das Kleid gab es in keiner anderen Größe mehr und außerdem schickt es sich nicht eine Größe mehr zu tragen. Wie sieht das denn aus, eine pummelige Prinzessin!“, lachte die Frau. Tief getroffen ob ihrer Figur ließ Eleonora den Kopf hängen. Sie hatte das Kleid verloren und war dick. Ein Neues würde sie nicht bekommen. Aurelia hingegen war entrüstet. Dann würde sie ja auch zu dick sein! Nein, das ist nicht wahr und das wusste sie genau! So einen Quatsch konnte sie ihr nicht einreden! Der Vater versuchte zwischen seinen Frauen zu vermitteln: „Aber Ladys, es ist doch nicht schlimm das Kleid eine Größe größer zu besorgen. Es ist doch wirklich…“. „Misch

dich da bitte nicht ein! Ich geh mit den Kindern auf den Ball, du bist in dieser Zeit wieder auf Geschäftsreise und musst dich nicht sorgen ob die Kinder uns blamieren!“, unterbrach sie ihn schroff. Seufzend lehnte er sich wieder zurück und resignierte. Das Mädchen im feinen Kleid hielt so gut es nur ging ihre Tränen zurück und wandte sich zum Gehen. Amüsiert suchte die Mutter nach einer weiteren Beleidigung, doch als sie sie ausrufen wollte sprang Aurelia vom Stuhl und ging entschlossenen Schrittes auf ihr Zimmer. Verwundert sahen ihre Eltern ihr nach. Ist doch egal was die denken. Besonders ihre Mutter. Eleonora saß jetzt sicher verstört in ihrem Kämmerchen und wusste weder

aus noch ein.

Mit einem Ruck öffnete Aurelia ihre Schranktür und holte alle 3 Kleider mitsamt den dafür geplanten Schuhen heraus. Prüfend betrachtete sie diese. Sie waren alle von unterschiedlicher Machart, aber keines sah so aus wie das Kleid was Eleonora soeben verwehrt wurde. Nirgends waren glänzende Organza-Ärmel, keines hatte die wünschenswerte Farbe und der dezente, filigrane Saum war auch in keinem Kleid zu entdecken. War die ganze Arbeit umsonst? Vielleicht gefiel Eleonora das alles nicht mehr. Jetzt, nachdem sie ein solch hübsches Kleid getragen hatte. Konnte Aurelia die Stücke umnähen und etwas aus dem Traum-Kleid

unterbringen? Nein, sie hatte alles mehrere Male umgeändert und durchgeplant und diese Kleider waren das Beste was sie jemals entworfen hatte. Nachdenklich verstaute sie ihre Arbeiten wieder und legte sich erschöpft auf das Bett.

Der Plan der Mutter

Wie würde ihre Schwester mit den Kleidern eigentlich aussehen? Sie kniff die Augen zu und versuchte sich ihre Stiefschwester damit vorzustellen. Von den Farben war Aurelia nach wie vor begeistert. Eleonora konnte die Kleider sogar ohne Hilfe anziehen, darauf hatte die Näherin großen Wert gelegt!

Wie so oft an diesem Tagen fuhr Aurelia hoch. Was war mit den Haaren? Wie sollte sie die Haare tragen? Wie sollte sie ohne Übung 3 Balltaugliche Frisuren zaubern können?

Es klopfte. Vertieft in das neue Problem ignorierte sie leise Geräusch. Es klopfte

erneut, diesmal energischer. Seufzend stützte sich Aurelia auf den Ellenbogen ab und rief: „Herein!“.

Ihre Mutter schwebte das Zimmer und drückte die Tür ins Schloss. „Was ist los?“ erkundigte sie sich sanft. „Du hast gesagt ich bin dick!“, schimpfte das Mädchen und hoffte, dass sie das gelten lassen würde. „Das habe ich nie gesagt!“, erwiderte sie gekränkt. „Doch! Du hast gesagt Ela wäre zu kräftig, dabei haben wir dieselbe Figur! Das wusstest du!“, schmollte Aurelia nun. „Und mein Plan hat funktioniert!“, eröffnete sie mit ausgebreiteten Armen und einem glücklichen Lachen in der Stimme, „Ela glaubt sie sei dick und weil du auf den Ball

gehen darfst denkt sie du wärst dünner. Du hast alle Abende nun für dich!“.

Tatsächlich. Onein, wie wahr! Musste sie Eleonora nun heimlich aufbauen, damit sie den Ball nicht aufgab? Wie sollte sie das unter den wachsamen Augen ihrer Mutter bewerkstelligen? Und dann noch die Frisuren! Es war zum Verzweifeln!

Langsam setzte Aurelia sich auf: „Stimmt, so hab ich es noch gar nicht betrachtet!“

„Na siehst du! Übermorgen kommen die Kleider und Schuhe, dann können wir deine Frisuren ausprobieren und uns um die Details kümmern.“, frohlockte sie.

Ein stilles Lächeln schlich sich auf das Gesicht ihrer Tochter: „Und dann sind wir fertig.“

„Genau!“, freute sich die vornehme Frau, setzte sich neben sie uns gab ihr einen Klaps auf die Schulter, „Jetzt freu sich doch mal, in nicht einmal einer Woche ist der Ball!“.

„Ja, eine Woche noch!“, seufzte Aurelia. In nicht einmal mehr als einer Woche würde sich alles auszahlen. All die Schinderei, die viele Arbeit und die Tränen, die beide Mädchen vergossen hatten. „Warum freust du dich nicht?“, fragte die Dame gekränkt und etwas beleidigt. „Ich bin müde.“, seufzte Aurelia und legte den Kopf auf ihre Schulter. Nur ein wenig Trost und Ruhe, das wäre alles was sie brauchte. Die Hetzjagd war erschöpfend genug.

Vorsichtig schob die Frau ihr Kind von sich weg und bugsierte sie unter die Decke: „Dann solltest du jetzt Schlafen gehen! Morgen hast du noch frei und in den nächsten Tagen gibt es wieder viel für den Ball zu erledigen!“. Euphorisch kniff sie ihr in die Wange: „Wir wollen doch das alles perfekt wird und mein kleines Töchterchen einmal auf dem Thron sitzt!“.

„Ja, Mama.“, entgegnete Aurelia ihr, „Gute Nacht!“

Am Morgen

So leise wie sie gekommen war verschwand sie wieder und ließ dafür Panik zurück. Hatte sie etwas Größeres vor? Warum sollte Aurelia unbedingt auf den Thron? Auf was hatte es ihre Mutter wirklich abgesehen? Eine hohe Anstellung bei Hof? Und wenn sie nicht den Prinzen bekam, was würde mit ihr passieren? Was würde mit ihrer Schwester geschehen wenn sie ihn bekommen würde? Sie beide mussten sich von ihr lossagen, sobald es ging. Eleonora mit dem Prinzen und sie selbst mit einem anderen Adeligen, der die Mädchen im Laufe des Abends unterhalten sollte. Sie mussten schnell heiraten um

dieser Frau zu entfliehen, das stand fest.

Den Rest der Nacht verbrachte Aurelia damit Frisuren passend zu den Kleidern zu entwerfen und erst in den frühen Morgenstunden fand sie den lang ersehnten Schlaf.

Es war schon fast Mittag, als es leise klopfte. Desorientiert setzte sich Aurelia auf. Ihr erster Blick galt dem Fenster, die Tauben bestanden sicher wie jeden Morgen auf die stibizten Brotkrumen des Frühstücks, doch es war kein Vogel zu sehen. Verwundert sah sich das Mädchen erneut um. Es klopfte erneut, nun etwas eindringlicher. „Aurelia?“, begann die Stimme auf der anderen Seite zu fragen, „bist du wach?“.

Sie erkannte in ihr Eleonora und bemerkte nun auch, dass sie auf ihren Notizen eingeschlafen war. „Warte!“, krächzte Aurelia zurück und raffte alles zusammen um die Zettel in den Schrank zu sperren. Benommen torkelte sie anschließend zur Tür, die anstrengende Nacht und der Schreck die Stimme ihrer Stiefschwester unweit ihrer im Raum verteilten Skizzen zu hören, setzten ihrem Kreislauf zu. Eleonore wartete unterdessen vor der Tür und sortierte die Tasse auf ihrem Tablett neu. Aurelia öffnete die Tür zu ihrem Zimmer einen Spalt breit. „Ja?“, fragte sie heiser und räusperte sich. „Da du heute nicht beim Frühstück warst und dich keiner wecken wollte, soll ich dir eine

Kleinigkeit vorbeibringen.“, erklärte sich Eleonore und wies mit der Nase auf das Tablett in ihren Händen. „Oh, ja, sicher. Danke.“, nickte das verschlafene Mädchen und stieß die Tür weiter auf um ihrer Schwester die Gabe abzunehmen. Diese entzog sich flink der Geste und betrat die Räumlichkeiten ihrer verdutzen Schwester, stellte das Tragebrett ab, öffnete das Fenster und begann das Bett fein säuberlich zusammenzulegen, ganz so als ob sie es jeden Tag machen würde. Aurelia stand weiterhin an der Tür und verstand nicht ganz was sich vor ihr abspielte, war aber zu erschöpft um es zu hinterfragen. Langsam ging sie zu ihrem späten Frühstück und schnupperte an einem

kleinen dampfenden Kännchen. „Birne mit Hibiskus.“, klärte sie ihre Schwester auf, „kann ich dir noch etwas bringen?“. Aurelia schüttelte stumm den Kopf und widmete sich wieder dem Tablett: „Ich komm allein klar.“.

Aus den Augenwinkeln sah es fast so aus, als würde sich ihre Schwester mit einem Knicks verabschieden um anschließend hinauszueilen, hielt aber in der Höhe der Tür noch einmal und schaute zu ihrer Schwester, die ihr nun den Rücken zugewandt hatte. „Aurelia?“, setzte sie erneut an, „darf ich dich etwas fragen?“. Aurelia, die gerade eben ein Becherchen mit Mandarinenstücken inspizierte musste, ohne etwas gegessen haben, schlucken.

Das konnte nichts Gutes bedeuten. „Hmm?“, brummte sie. „Naja, eigentlich ist es eher eine Bitte. Kannst du mir an den Balltagen bei meiner Frisur helfen? Du musst nicht viel machen, wenn du nicht willst und ich werde mich sicher nicht beschweren, wenn es ziept, versprochen!“, erklärte sie in einem hastigen, flehendem Tonfall. Aurelia atmete tief ein, denn das folgende würde für sie beide nicht leicht sein. Ihre Schwester wurde zu vertrauensselig und das ist nicht gut. Außerdem rechnete sie ohnehin nicht damit, dass ihre Mutter Eleonore mit auf den Ball nehmen würde. Also drehte sie sich mit schräg gelegtem Kopf und zusammengekniffenen Augen um

und meinte in scharfem Tonfall: „Ich glaube nicht, dass ich genug Zeit dafür haben werde!“

Bitter verletzt zog Eleonore die Luft ein und verneigte sich kurz, „Natürlich, wie dumm von mir.“. In der Verbeugung erstarrt ging sie ein paar Schritte rückwärts durch die Tür und schloss sie. Enttäuschung und das Gefühl gerade eben so etwas ähnlichen wie einen Mord begangen zu haben durchströmte Aurelia und lies sie kurz in sich zusammensinken. „Es muss so sein, anders geht es nicht.“, versuchte sie sich einzureden, immer wieder. Wie ein Mantra wiederholte sie den Satz. Ein blaugraues Täubchen flatterte auf Aurelias Schoß und zwickte sie

liebevoll in den Zeigefinger. Mit den Gedanken wieder in der Gegenwart erhob sie sich und setzte den Vogel zurück zu seinen Freunden auf das Fensterbrett. Diese warteten bereits geduldig auf ihr verspätetes Morgenritual.

Der Deal

Sobald die Tauben versorgt waren brachte sie das Tablett zurück in die Küche. Nirgends war ihre Mutter zu sehen. Nur ein paar Dienstboten gingen mit mäßigen Eifer ihren Aufgaben nach. Ein ruhiger Tag, perfekt um sich weiter dem Ball zu widmen.

Etwas fehlte noch für die Vollendung ihres Planes. Wie sollte Eleonore, perfekt eingekleidet und frisiert, unbeschadet ins Schloss gelangen? Sie hatte einen Sattel vorbereitet, doch um das Pferd zur rechten Zeit zu ihrer Schwester zu bringen fehlte ihr die Möglichkeit. Noch während Aurelia sich die Frage stellte, hörte sie

jemanden schreien. Besorgt sah sie aus dem Fenster, hinunter vor das Tor des Hofes. Dort war ein kleines Kind gerade auf der staubigen Straße hingefallen. Ein Junge rannte zu ihm und redete beruhigend auf es ein. Schließlich erhoben sich die beiden und der Größere klopfte beiden den Schmutz von den Sachen, bevor sie sich Hand in Hand in Bewegung setzten.

Plötzlich fiel es ihr ein! Aurelia rannte in ihr Zimmer und grub in den Tiefen ihres Kleiderschrankes nach möglichst alten Kleidern. Unzufrieden betrachtete sie sich damit im Spiegel. „Perfekt!“, gab sie zu und schnappte sich den Beutel mit dem Rest Süßigkeiten, die sie ein Glück noch nicht aufgenascht und den Sattel, den sie in

ein Tuch gewickelt hatte. Kurz hielt sie inne. Konnte sie den Jungs vom Dorf trauen? Was, wenn sie den Sattel ihren Eltern gaben, die ihn verkaufen wöllten? Aurelia schüttelte den Kopf. Nein, daran durfte sie nicht denken, sie musste es versuchen!

Vorsichtig um jede Ecke spähend um nicht entdeckt zu werden, huschte sie aus dem Herrenhaus und rannte in das angrenzende Dorf. Die beiden waren langsam in diese Richtung gegangen, weit konnten sie noch nicht gekommen sein. Hinter einer Scheune setzte sich Aurelia in den Schatten. Die kurze Verschnaufpause schien ihr Glück zu bringen, denn gerade als sie weiter suchen wollte vernahm sie

ein paar Stimmen die sich leise unterhielten. Es war der hilfsbereite Junge und ein noch kleinerer Junge, immer noch Hand in Hand. Aurelia versuchte mit Zischlauten ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen. Schließlich blieb der Kleine stehen und wies mit der Hand auf Aurelia. Verwundert drehte sich der Große zu ihr um. Wild gestikulierend machte sie ihnen verständlich unauffällig zu ihr zu kommen und tatsächlich – die beiden sahen sich um und liefen zu ihr.

„Was ist los?“, wollte der Ältere wissen. „Ich habe ein Problem und wollte euch fragen ob ihr mir vielleicht helfen könntet.“, gestand Aurelia. Der Kleine konnte seine Neugier nicht bezwingen und

hob das Tuch an, was seinem Begleiter nicht entging. Dieser gab ihm einen Klaps auf die Finger. „Lass das, Karl!“, schalt er ihn und wandte sich wieder Aurelia zu, „Wir haben eigentlich grad keine Zeit. Wegen dem Ball muss untere Mutter mehr arbeiten. Jetzt sollen wir das Essen für unsere Familie kochen. Is schon spät, weißt du?“.

Aurelia schüttelte energisch den Kopf: „Ich meine nicht jetzt. Bitte, ich weiß nicht wen ich sonst fragen könnte!“. Der kleine Karl drückte kurz die Hand seines Bruders um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: „Und was ist, wenn wir entscheiden ob wir ihr helfen, wenn sie uns eine spannende Geschichte erzählt?

Bitte Matthias!“

Matthias seufzte, gab aber dem Flehen seines kleinen Bruders nach: „5 Minuten, ok?“.

Karl nickte und beide nahmen im Schneidersitz Platz. Aurelia rutschte zu ihnen heran und erklärte ihnen wie es Eleonora erging. Sie sprach über ihre Familie und ihre hartherzige Mutter und schließlich auch über ihre Pläne und den Ball. Nach und nach verteilte sie die Süßigkeiten und versprach beiden eine Belohnung, wenn sie nur am Freitag in der 4. Nachmittagsstunde das weiße Pferd aus ihrem Stall mit dem mitgebrachten Sattel zum Taubenhaus treiben würden.

Als Aurelia das Tuch ein wenig von dem

Sattel zog, bemerkte sie das Glänzen in Matthias Augen. Was es doch ein Fehler? Die Perlen und Goldfäden waren wertvoller als der Lohn ihrer Mutter in einem ganzen Jahr. Doch Karl war begeistert. Das mochte einerseits am türkischen Honig liegen, den er zum ersten Mal im Leben probiert hatte, andererseits hatte ihn die Geschichte mitgerissen. „Wir helfen dir, nicht wahr Matthias?“, bekräftigte er, sprang auf und sah erst Aurelia und dann seinen Bruder lange an. Misstrauisch löste dieser seinen Blick vom Sattel und seufzte als er Aurelia in die Augen sah. Für ihn war sie nur ein verwöhntes Mädchen, dem es weit besser ging als er es verdiente. Wieder seufzte er:

„Du wirst uns nicht belohnen, du wirst uns einfach nur vergessen!“. Das klang wie ein fester Entschluss. „Nein, Karl. Nein, das glaube ich nicht! Ich will ihr helfen! Und wenn du ihr nicht helfen willst, dann mach ich es eben alleine!“, schimpfte Karlchen und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Prüfend sah ihn sein Bruder an. Wie zum Trotz und um seine Entscheidung zu untermauern, verschränkte Karl nun auch die Arme.

„Ich werde euch nicht vergessen!“, versuchte Aurelia ihn mit fester Stimme zu beruhigen. Matthias versuchte alles abzuwägen und besah das reiche Mädchen mit einem strengen Blick. „Ok, wir helfen dir. Aber denk dran! Wenn du unsere Hilfe

nur ausnutzt enttäuschst du ihn damit.“, er wies auf seinen kleinen Bruder, „Kannst du damit leben ihn traurig zu machen, wenn er sich so sehr für dich einsetzt?“. „Nein, damit kann ich nicht leben und genau deshalb werde ich mein Wort auch halten!“, entgegnete Aurelia ihm und erhob sich.

„Gut!“, nickte er und stand ebenfalls auf. Dann spuckte er in seine Hand und hielt sie Aurelia entgegen: „Handschlag drauf?“. Sie schluckte, aber ergriff sie dann als wäre es selbstverständlich. „Hand drauf!“, antwortete sie und schüttelte sie einmal.

Matthias lächelte: „Du hast echt Mumm!“. „Muss ich ja, bei der Mutter!“, antwortete sie zerknirscht und ließ seine Hand los.

„Kannst abwischen!“, grinste er und nahm ihr anschließend den Sattel ab.

„Wir wohnen im Eichenweg, im 2. Haus. Das ist 2 Häuser neben der Eiche!“, erklärte Karl als sie sich verabschiedeten. „Werde ich mir merken, danke euch beiden!“, freute sich Aurelia und winkte ihnen zum Abschied. Auf dem Weg nach Hause musste sich Aurelia mehrmals vor vorbeifahrenden Kutschen verstecken. Wenn ihre Mutter sie so entdecken würde, würde sie wohl den ganzen Abend lang schimpfen. Alle Sorgen schienen unbegründet zu sein, Aurelia erreichte ihr Zimmer von neugierigen Blicken geschützt. Nachdem sie sich der Lumpen entledigt und ihre normalen Kleider wieder

angezogen hatte, holte sie noch einmal die Festgewänder für ihre Schwester hervor.

Eleonoras Mut

Vor dem Spiegel sitzend steckte sie sich die Haare hoch, band sie zusammen, bürstete sie erneut, flocht sie, drehte sich Locken, fixierte Strähnen mit bunten Spangen und probierte so alle notierten Frisuren aus um sie mit den Kleidern zu vergleichen. Nach einigen Stunden beendete sie ihr Werk. Vor ihr lagen nun sorgfältig sortiert, in korrekter Reihenfolge und Zusammensetzung Kleider, Schuhe, Make up, Schmuck, Frisurenskizzen und kleine Beutel mit den Materialien um die Haare, wie auf den Zeichnungen angegeben, umzusetzen.

Zufrieden und endlich mit der Gewissheit

alles perfekt vorbereitet zu haben, begab sich Aurelia zu Bett und gab sich wieder den Verschwörungstheorien über ihre Mutter hin. Vielleicht hatte sie diese Frau auch einfach nur nicht richtig verstanden. Im Grunde war sie doch nur darauf bedacht ihre Tochter gut zu verheiraten, oder etwa nicht?

Die Anstrengung der letzten Tage ließ Aurelia in einen tiefen Schlaf fallen, von dem sie sich am nächsten Morgen ausgeruht erheben durfte.

Im Salon erwartete sie bereits ihre Mutter. „Schätzchen!“, frohlockte sie gut gelaunt, „Es ist Mittwoch!“. Irritiert lächelte Aurelia zurück. „Ich weihheiiiiß!“, versuchte sie humorvoll mit einzustimmen.

Die Dame starrte sie eine Weile an. „Übermorgen ist es soweit!“, erinnerte sie, „Da hab ich mir schon etwas mehr Begeisterung erhofft! Setz dich her und iss, wir müssen bald los. Wo warst du eigentlich gestern die ganze Zeit?“.

Aurelia wollte gerade ihre einstudierte Ausrede vortragen, als Eleonore den Raum betrat. Sie war heute adrett gekleidet, etwas altmodisch, aber sauber. Sie trug sogar die exotisch anmutenden Wanderstiefel, die ihr Vater ihr einst geschenkt hatte. Eine durch und durch hübsche Erscheinung, der man sich nicht schämen konnte.

Wie selbstverständlich setzte sie sich an den Frühstückstisch, obwohl noch nicht

einmal ihr Vater hier verweilte. Skeptisch wurde sie von den beiden anderen Frauen beäugt. Aurelia war ihr zwar dankbar für die Ablenkung, war sich aber noch nicht sicher was ihre Schwester damit genau bezwecken wollte. Eleonore war sichtlich nervös, versuchte ihre Anspannung zu verbergen. Nachdem sie sich ein Brötchen genommen und es mit einem Hauch Butter bestrichen hatte, durchbrach sie die nervenzerreißende Stille mit einer subtilen Frage: „Aurelia, könntest du mir bitte, den Honig reichen? – Danke!“.

Aurelia konnte den Blick von ihre nicht abwenden. Sie konnte schon fast hören wie angestrengt ihre Mutter über diese neue Situation grübelte. Schließlich führte

diese ihre Tasse an die Lippen, schlürfte geräuschvoll an ihrem Kaffee und senkte den Blick auf die Briefe neben ihrem Teller. Ganz beiläufig fragte sie in gelangweiltem Ton: „Ich nehme an du wirst uns heute begleiten?“. Eleonora fiel es schwer den trockenen Bissen Brot herunterzuschlucken. Um sich nichts zu Schulden kommen zu lassen und noch mehr Schmach wegen ihres Körperbaus auf sich zu ziehen, hatte sie fast komplett auf Butter und Honig verzichtet. „Das hatte ich gehofft, ja.“, antwortete sie und ließ eine Pause bevor sie die höfliche Floskel anschloss, „Wenn sie es erlauben würden.“.

„Natürlich, natürlich!“, antwortete die Frau

immer noch in die Briefe vertieft. Nun wandte Aurelia sich ihrer Mutter zu. Nicht zu fassen, sie war total entspannt!

Die Mädchen vertieften sich weiter in das Frühstück, obwohl beiden der Appetit schon längst vergangen war. Warum hatte ihre Mutter so reagiert? Hatte sie nun einen weiteren Plan geschmiedet? Hatte sie resigniert? Was sollte das?

Sobald die Mädchen ihre Teller von sich schoben erhob sich die Dame und trieb beide hinaus. Kein Wort von irgendwelchen Pflichten. Kein Betten machen, kein Geschirr spühlen, kein Teppich klopfen.

Gemeinsam setzen sie sich n die Kutsche und fuhren in die Stadt.

„Was möchtest du in der Stadt?“, brach ihre Mutter die Stille und schien aufrichtig an ihrer Stieftochter interessiert. „Ein Kleid und Schuhe für den Ball besorgen. Auch wenn es so scheint, als wäre ich nicht für diesen Ball gemacht.“, erklärte Eleonora. Sie schien verunsichert. „Das könnte knapp werden.“, gab die Frau zu bedenken, „Es ist bereits Mittwoch!“.

Eleonora nickte und fing an ihre Hände zu kneten, während sie aus dem Fenster starrte.

In der Stadt angekommen wandte sich die Mutter erneut ihrer Stieftochter zu: „Wir richten uns heute ganz nach dir, schließlich ist dein Anliegen dringlicher als unseres. Wohin möchtest du zuerst?“. „Ich

ähh…“, entgegnete sie, überrascht von der unerwarteten Wendung die der Tag für sie bereit hielt und blickte ihre Schwester hilfesuchend an. Diese drehte der Hausdame den Rücken zu und tat so, als würde sie sich in der Straße umschauen, während sie mit den Augen mehrmals auf den Schneider wies. „Ich würde mich zuerst gern um das Kleid kümmern!“, versuchte sie entschlossen mitzuteilen. Ihre Verwirrung war noch immer deutlich spürbar. Mit einer Handbewegung bat die reserviert wirkende Frau ihre Kinder in den Laden. Drinnen war es so voll wie eh und je. Das Geschäft schien Eleonora neu zu sein. Neugierig wanderte sie umher, während sich ihre Mutter auf einen

gepolsterten Stuhl setzte und Aurelia am Tresen wartete. Es dauerte nicht lang bis der Schneider zu ihnen stieß. Formell begrüßte er die anwesenden Damen und machte aus seiner Überraschung, ein ihm noch unbekanntes Gesicht zu sehen, keinen Hehl.

Die Anprobe

„Hallo die Herrschaften!“, begrüßte er alle besser gelaunt als Aurelia ihn jemals in Erinnerung hatte, „Sie wollen die Kleider abholen?“.

Ohne eine weitere Reaktion abzuwarten verschwand er in die Arbeitsräume. Einen Augenblick später erschien er mit dem ersten Kleid. Nachtblau, schulterfrei, mit ausladendem Rock und einem hellblauen Satinband unter der Brust, das mit einer Schleife festgesteckt wurde. In Kniehöhe war ein Teil des Stoffes gerafft und mit einer gleichfarbigen Blume befestigt. Bedächtig reichte der Mann das Kleid über den Tresen in Aurelias Arme. Als der

Schneider das nächste Exemplar holen wollte, hielt ihn seine beste Kundin ab: „Hätten sie kurzfristiger Weise vielleicht noch ein Kleid für meine Stieftochter?“. „Oh, nunja, meine Aufträge…“, stammelte er und strich sich nervös ein paar Falten auf seiner Weste glatt, „Die Zeit ist doch sehr knapp und wenn ich nur gewusst hätte, dass sie heute noch ein Kleid haben wollten, dann hätte ich mir sicher mehr Zeit für sie genommen.“. Entschuldigend schaute er Eleonora an, die nun enttäuscht zu Boden blickte und die Schultern etwas hängen ließ. „Vielleicht haben sie ja noch ein älteres Kleid da, oder eines für den freien Verkauf in das sie hineinpasst?“, mutmaßte sie Dame, „Aurelia, zieh dich um

und Ella, lass den Herrn Maß nehmen!“. Gehorsam befolgten alle Anwesenden die ihnen aufgetragenen Befehle. Aurelia versuchte von der kleinen stoffbehangenen Kabine aus zu lauschen, hörte aber nicht viel. Es dauerte nicht lange das Kleid anzuziehen, aber die kleinen Häckchen am Rücken konnte sie nicht erreichen. Also konnte man auch dieses Kleid nicht ohne fremde Hilfe anziehen. Den Stoff am Bauch festhaltend schritt sie vorsichtig hinaus. Die Nähern, die auch die Getränke gebracht hatte, eilte zu ihr und knöpfte Stück für Stück alle Häckchen zu. Es passte wie angegossen. Erwartungsvoll stemmte Aurelia ihre Hände in die Hüften und schaute ihre Mutter stolz an. Diese

starrte dahin wo Eleonora und der Schneider standen und schüttelte langsam und eindringlich, mit drohendem Blick, den Kopf. Aurelia trat noch einen Schritt weiter den Kopf. Der Schneider nickte kurz senkte den Blick wieder auf das Maßband. Elenora stand mit abgespreizten Armen und dem Rücken zu ihnen. Sie schien davon nichts bemerkt zu haben. Verdutzt betrachtete Aurelia ihre Mutter, die nun den Kopf zu ihre wandte und zwinkerte. Erst jetzt schien sie zu bemerken, dass ihre Tochter bereits fertig angezogen war: „Oh, du siehst großartig aus, mein Schatz! Dreh dich doch mal!“. Zufrieden lächelte der Schneider, als er sich erhob und das Band aufwickelte.

„Alles in Ordnung? Keine Wünsche an dem Kleid? Es sitzt gut und du kannst dich darin bewegen?“, begann er euphorisch zu fragen. Aurelia ging in die Mitte des Raumes drehte sich, hob und senkte die Arme und nickte schließlich: „Alles perfekt!“.

„Dann hole ich das nächste Kleid und kümmere mich dann um deine Schwester!“, sprach er, während er den Raum verließ. Aurelia drehte sich um zu „Ella“, wie ihre Mutter sie so unverhofft freundlich genannt hatte. Das tat sie nie! Da musste etwas faul sein. Eleonora hatte unterdessen ihr Lächeln wieder gefunden. Sicher freute sie sich, dass der Schneider nun doch noch versuchte ein Kleid für sie

suchen wollte. Aber so wie ihre Mutter den Kopf schüttelte und der Mann daraufhin nickte, sah es so aus als ob sie nur so taten, als wäre es nicht echt. Hatte diese Frau etwa schon wieder etwas ausgeheckt? Hatte sie ihm so den Befehl gegeben nicht zu suchen oder ihr sogar die passenden Kleider zu verschweigen damit Eleonora kein Kleid fand um auf den Ball zu gehen? „So, da hätten wir das Nächste!“, freute sich Herr, der Aurelia ein Stück zartgrünen Stoff reichte, „es war gar nicht so leicht, aber die diese Wickel-Idee sieht tatsächlich sehr gut aus! Du hast ein gutes Auge für sowas!“.

Aurelia bedankte sich höflich und verschwand erneut in der Kabine. So ein

gemeiner Schuft! Aber vielleicht war sie ja in der Lage ein passendes Kleid zu finden, schließlich hatte sie jaein gutes Auge! Wieder löste die Näherin beim Umziehen die Häckchen: „Das Grüne ist etwas speziell, ich zeige dir wie du es anziehen musst, wenn ich darf?“. Aurelia nickte und reichte ihr Kleid. Es war in der Tat nicht ganz einfach. Man musste die Arme nach oben strecken und alles über den Kopf ziehen du dann nach und nach herunter ziehen, ganz vorsichtig. Das Kleid war eng, aber so war es auch geplant. Nach mehreren Minuten waren die Frauen fertig. Es schmiegte sich eng an den Körper und fiel ab der Hüfte in fließenden Wellen bis zum Boden. Fein gefalteter Stoff und

glitzernde Stickereien wechselten sich ab und bildeten eine Spirale rund um Aurelia selbst, die erst in Kniehöhe endete. Fasziniert ging zog sie den Vorhang zurück um sich zu präsentieren. Anerkennend riss ihre Mutter die Augen auf. Obwohl sie vor einigen Tagen noch strickt gegen diese nicht zeitgemäße Mode wetterte musste sie nun doch einsehen, dass es ihrer Tochter zweifellos gut stand! Wie beim letzten Mal tänzelte Aurelia in die Mitte des Raumes und drehte sich mehrere Male. Auch wenn sie auf der Stelle hüpfte blieb das trägerlose Kleid genau da wo es sein sollte, nichts lies den Stoff verrutschen.

Mit ausgebreiteten Armen stand sie vor

ihrer Mutter: „Was sagst du nun?“.

Diese schüttelte anerkennend den Kopf und holte tief Luft, kam aber nicht mehr dazu etwas zu sagen. „Das sollte passen und wenn es zu groß ist kann man es ja kürzen.“, klärte der Schneider Eleonora auf, die ein kanariengelbes Kleid trug, welches gar nicht zu ihrer Haarfarbe passen wollte. Dennoch konnte man ein freudiges Stahlen in ihren Augen erkennen, als sie an ihrer Schwester vorbeimarschierte um es in ihrer Kabine anzuprobieren.

Bald... ja, bald!

„Das ist schon ein ganz besonderes Kleid, oder?“, wollte sein Schöpfer wissen. „Ja, sie haben sich zweifellos selbst übertroffen!“, nickte Aurelia anerkennend, „es ha sicher am meisten Arbeit gemacht!“. Überrascht nickte der Mann: „Ganz recht, woher weißt du das denn?“.

„Es war …“, versuchte sie eine Erklärung zu finden ohne zu verraten, dass sie mehr vom Nähen wusste als sie vorgab, während sie mit den Händen gestikulierte „…schwersten anzuziehen. Ich hatte noch nie ein Kleid das so schwer anzuziehen war, vor allem wegen der Perlenstickerei.“. Er nickte, offenbar

glaubte er ihr: „Na, dann hole ich mal das letzte Kleid.“.

Der Vorhang der Kabine wurde zurückgezogen. Eleonora hatte sich in ein exotisch anmutendes Kleid gezwängt, dass über und über mit Rüschen bedeckt war. Es sah fast so aus als würde sie eine Art Federboa tragen. Die Stickereien waren straff gespannt, das Kleid war also offenkundig zu eng für sie. „Nein. Nein, das geht so nicht! Die Farbe lässt dich ja ganz grau wirken und irgendwie scheinst du auch da nicht rein zu passen. Haben sie nicht etwas Größeres?“, kritisierte ihre Mutter und wand sich an den wiederkehrenden Schneider. „Äh, ja, sicher, einen Augenblick, bitte!“,

antwortete hastig und drückte Aurelia das letzte Kleid in die Hände, bevor er tiefer in das Geschäft eilte. Es war riesig und Orangerot. Geduldig wartete Aurelia bis sich ihre Schwester umgezogen hatte. Währenddessen versuchte sie das Kleid näher in Augenschein zu nehmen. Die Rüschen bestanden aus einem matten Orangeton, ebenso das Oberteil, welches allerdings mit Silbrigen Stickereien überzogen und von einem kräftigeren, glänzenderem Stoff wie ein Käfig umspannt war. Den orange-silber Stoff sah man nur durch die Großen Lücken, die der andere Stoff bot. Eleonora zog den Vorhang zurück und gab ihr den Platz frei. Skeptisch huschte Aurelia hinein. Es war

Zweifellos das prunkvollste Kleid von allen, aber es entsprach nicht ihrem Geschmack. Eigentlich war das gut so, so konnte Eleonora nur noch mehr neben ihr strahlen. Behutsam half ihr die Näherin erneut den Stoff überzustreifen. Auch mangelte es nicht an Ratschlägen die man besser befolgen sollte um sich in diesem Kleid vorteilhafter in Szene zu setzen. Als Aurelia sich schließlich allen zeigte, war sie als typische Prinzessin zu erkennen. Ein Langes, aus feinem Stoff bestehendes Kleid, das immer dann glitzerte wenn sie sich bewegte. Die Lobeshymnen der Anwesenden überging sie, denn sie interessierte nur eines: hatte Eleonora etwas Passendes gefunden? Würde ihre

Arbeit zunichte gemacht werden oder würde ihre Mutter sie aufs Neueste enttäuschen? Der Schneider würde ihr bei keinem ihrer Vorhaben wiedersprechen, soviel stand fest. Aurelia ließ sich wieder in die Kabine schieben um sich des letzten Kleides zu entledigen. Sobald sie nun endlich wieder normal gekleidet zum Rest ihrer überschaubaren Familie stieß studierte sie ihr Mienenspiel. Ihre Mutter war gut gelaunt, Ella blickte unglücklich drein und der scheinheilige Geschäftsführer bemühte sich um Haltung und Würde, während er sich für die karge Auswahl an Ballkleidern in falschen Größen entschuldigte, obwohl er durchaus mehr als genug Kleider in seinem Laden

finden konnte als er es zugab. Wenige Minuten später verließ das Grüppchen Frauen das Geschäft um sich dem Schuhladen zu widmen. Den Rest des Tages verlebten die Mädchen in Trance. Eleonora schien sich zwar keine allzu großen Hoffnungen gemacht zu haben noch etwas zu finden, aber trotzdem war sie enttäuscht. Stillschweigend begleitete sie die ihre Stiefmutter und deren Tochter.

Zuhause gingen sie sich aus dem Weg. Während Eleonoras Anwesenheit benahm sich die Dame des Hauses normal, kühl wie immer, doch sobald sie mit ihrer Tochter allein war freute sie sich auffallend oft. Diebisch begann sie über ihr Leid zu lästern, genau so, wie sie es

ihrem Kind immer verboten hatte. So ging es den ganzen Abend lang. Aurelia brauchte dringend Ruhe um das Geschehene verarbeiten zu können, aber wie so oft wurde ihr genau das verwehrt. „Nur noch 2 Mal schlafen!“, freute sich ihre Mutter als die Nacht hereinbrach, „2 Mal und du wirst mit dem Prinzen tanzen!“. „Ja, dann werde ich mit ihm tanzen!“, fiel sie in den Freudentaumel mit ein. Es fiel ihr schwer sich dafür zu begeistern, wollte aber keinen Anlass zur Besorgnis wach rufen. „Na dann schlaf dich schön aus, morgen kommt die finale Anprobe!“, jubelte die Dame und tänzelte hinaus, „Gute Nacht!“.

Erschöpft sank Aurelia auf ihr Bett.

„Nur-noch-zwei-Mal-schlafen!“, wiederholte sie als die sich in die Traumwelt überglitt. „Endlich!“

Der nächste Morgen war stressigste den Aurelia seit ihrem Einzug in das Herrenhaus erlebte. Zwar gab sich ihre Mutter die größte Mühe alle Hast abzuwenden, dennoch empfand es sie es als anstrengend, dass so gut wir alle Bediensteten nur für sie hin und her eilten. Ihre übereifrige Mutter zog und zerrte bis in den frühen Abend an ihren Haaren und machte nur dann eine Pause, wenn Aurelia sich die Kleider vor den Körper halten sollte. Sodann pflichteten die Mägde den Herrschaften bei, dass die Kombinationen wunderbar wären, woraufhin sie von ihrer

Herrin gescholten wurden. Sie hätten keine Ahnung und einen schlechten Geschmack, also bitte och einmal alles von vorn!

Nachdem die Frauen entnervt und erschöpft, Aurelia mehrmals geschminkt und wieder abgewaschen und die von Perfektion getriebene Hausherrin zufrieden waren, wurde das Chaos beseitigt und zur ersten richtigen Mahlzeit des Tages gerufen.

Letzte Vorbereitung

Höflich wie immer erkundigte sich Aurelias Stiefvater nach allen Einzelheiten, sowie Eleonoras Verbleib. „Sie wird nicht mitkommen.“, setzte seine Frau ihn in Kenntnis, „Sie hat sich zu spät um ihr Kleid gekümmert, nichts organisiert, keine Tanzstunden und ähnliches genommen. Wir waren bemüht ihr noch ein Kleid zu beschaffen, aber alle waren für Ellas Figur zu schmal.“

Aurelia bemerkte den unterschwelligen Zorn ihres Stiefvaters, hielt es aber für besser sich nicht einzumischen. Er tat es schließlich auch nie und gegen seine Frau würde er nicht die Hand erheben. Er war

ihr schon immer unterlegen und sie würde auch keine Einwände dulden. Eleonora hingegen war den ganzen Tag über nicht zu finden gewesen. Keiner wusste über sie Bescheid, egal wann und wen Aurelia über sie fragte.

Das würde sich morgen hoffentlich ändern. Nicht nur monatelange Arbeit, sondern auch Eleonoras Zukunft stand auf dem Spiel! So früh es Aurelia möglich war entschuldigte sie sich und lief nach oben um sich für den morgigen Tag auszuruhen. Tatsächlich aber kontrollierte sie die Kleider und deren Zubehör erneut auf ihre Vollständigkeit und wickelte alles in je ein weißes Tuch. Die Nervosität ließ sie kaum schlafen. Aurelia löschte das Licht und

genoss die Dunkelheit. Um kühle Nachtluft in ihr Zimmer zu locken, öffnete sie das Fenster und sah hinter dem Taubenhaus, neben dem Birnenbaum, am Grab von Aurelias Mutter jemanden knien. Sie war also wieder da! Eine Woge der Erleichterung umspülte Aurelia. Sie kreuzte die Finger und bat alle ihr bekannten Gottheiten um Beihilfe, damit Eleonora nach ihrer Abreise an das Grab ging und das Kleid bemerkte. Ein paar Minuten beobachtete sie die reglose Gestalt. Als diese sich erhob, legte auch Aurelia sich zu Bett und wälzte sich in den Schlaf.

Der nächste Morgen kam unerwartet schnell. Noch vor dem Frühstück beeilte

sich das Mädchen möglichst schnell das Pferd aus dem Stall hinaus auf die Koppel zu jagen. Die beiden Jungen werden es hoffentlich unbemerkt stehlen und zu Ellas Vorteil um den Hof herum geleiten. Die Termine drängen. Allzu viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Eigentlich müsste sie schon mit ihrer Familie frühstücken, die fehlende Präsenz ließ sicher irgendwen argwöhnisch werden. Zurück in ihrem Zimmer entnahm Aurelia ihrem Schrank das erste weiße Bündel. Sie vergewisserte sich ob der Knoten auch fest genug war, spähte auf dem Fenster ob sie beobachtet wurde und warf den Sack in den großzügigen Garten, genau hinter die Weidenkätzchen unter ihrem Fenster.

Endlich, nachdem sie sich erneut umgezogen hatte um sich des Pferdegeruchs zu entledigen, traf sie im Esszimmer ein. Der Rest der Familie war bereits versammelt, selbst Eleonora war da. Sie schien wie in Trance, als würde sie alles um sich herum ignorieren wollen. Schweigend saßen sie da und starrten auf ihre Teller. Ihre Mutter würde beobachten und kommentieren was Aurelia sich zu Frühstück nahm, aber dem schenkte das Mädchen keine Beachtung. Es war unwichtig, weil sie ohnehin zu nervös war, um sonderlich viel zu essen.

Nach 20 Minuten war der Streit um Nahrungsverweigerung und richtige Ernährung vor großen Festlichkeiten

beigelegt und die Mädchen durften ihrer Wege gehen, was bedeutete, dass Eleonora ihre Pflichten erfüllte und ihre Schwester begann sich ca. 4 Stunden anzuziehen.

Nun war es soweit. Aurelia war frisiert, geschminkt und perfekt gekleidet. Fertig zur Abfahrt. Fast! Jetzt, da ihre Tochter fertig war, musste sich noch die Hausherrin umziehen. Das würde nicht sonderlich lange dauern, schloss ihre Tochter. Sobald die Mägde das Zimmer verließen schlüpfte das prinzessinnenhaft anmutige Wesen hinaus, die Treppen hinunter und in den Garten. Da war keiner zu sehen. Sollte es wirklich so einfach werden? Aurelia ergriff das Bündel und trug es zum Reisig-Strauch, das das Grab

der Mutter ihrer Schwester zierte. Nachdem sich der Koten des Tuchs löste schwang sie das Laken vorsichtig über die hohen Büsche. Kleider und Accessoires lagen nun von den Zweigen geschützt auf den weißen Leinen. Selbst wenn Eleonora vor dem Grab kniete und nach oben schaute, müsste sie das Geschenk bemerken. Schnell zog sich Aurelia wieder zurück, in der Hoffnung niemand hätte sie bemerkt. Auf dem Hof, vor dem Stall, klopfte sie sich das Kleid aus. Verräterische Blätter und Grashalme konnte sie nicht gebrauchen. Kurz sann das Mädchen nach. Der Plan lief gut, zu gut. Sie hatte mit mehr Hindernissen gerechnet. Irgendwas war nicht in

Ordnung. Oder war es nur Einbildung? Warum sollte alles so gut laufen? Oder stand sie ihren Plan zu misstrauisch gegenüber? Malte sie nur den Teufel an die Wand? Vorsichtig berührte sie ihre Haare, um deren Sitz zu kontrollieren. „Nein!“, schalt sie eine strenge Stimme, lang und gedehnt, aber ruhig. Perfektes Timing. Ihre Mutter war soeben aus der Tür getreten. „Du siehst perfekt aus, lass die Finger von deinen Haaren, sonst zupfst du die noch aus Versehen ein paar Strähnen heraus!“

Dem konnte die Tochter nicht widersprechen. Umsichtig bestiegen sie den Wagen, was angesichts des wallenden nachtblauen Kleides des Mädchens kein

leichtes Unterfangen war. Sobald sie Platz genommen du ihre Mutter bei Einstieg geholfen hatte, sah sie sich im Hof um. In einem kleinen schmutzigen Fenster des Erdgeschosses nahm sie die vertraute Silhouette ihrer Stiefschwester wahr. Sollte sie ihr zum Abschied winken? Besser nicht.

„Abfahrt!“, verkündete die Dame.

Der Eindruck zählt!

Langsam rüttelte die Kutsche vorwärts. Der Kutscher hatte Offenbar die Anweisung bekommen langsam zu fahren, da die edelste aller Kutschen aus dem Haus nur noch zur Schau gut war und nicht um weite Strecken damit zurückzulegen. Aurelia schätzte die Entfernung zum Schloss auf etwa 1 Wegstunde, in diesem Tempo 1,5 Stunden. 1,5 Stunden in denen sie Ratschläge von ihrer Mutter entgegennahm. Kleine Tipps, die Eleonora nicht mit auf den Weg bekam. Wie konnte sie Sie davon unterrichten welche Tänze der Prinz mochte und wie welche Gesprächsthemen zu meiden war? Was

seine Hobbys waren und mit wem er Freundschaften oder Feindschaften hegte? Von wem sie sich fernhalten sollte und noch vieles mehr? Hin und wieder nickte sie um ihrer Mutter ihre volle Aufmerksamkeit vorzugaukeln.

Konnte sie sich überhaupt richtig anziehen? Hatte sie vom Stress der letzten Tage abgenommen und passte nicht mehr ins Kleid? Waren die Frisuren zu aufwändig oder nicht Wetter- und Reitfest? Wenn es nun regnete! Und vor allem: War auf die Jungs verlass? Vor lauter Sorge drehte sich Aurelia fast der Magen um. Es muss einfach perfekt werden!

Schneller als erwartet entdeckte Aurelia das

Schloss. „Achte darauf galant aus der Kutsche auszusteigen, das haben wir zwar in letzter Zeit nicht mehr geübt, aber als Kind musstest du das jeden Tag machen, erinnerst du dich?“, rief ihr ihre Mutter in Erinnerung. „Du weißt doch: der erste Eindruck zählt und da wird dich der Prinz das erste Mal sehen! Das ist so etwas wie eine Disziplin der du dich im Laufe des Balls stellen musst.“

Aussteigen? Warum wurde ihr das erst jetzt gesagt? So würde Aurelia aussehen, als ob sie auf einem Esel zu Hofe kam! Sie schluckte hart: „Uh, Disziplin?“

„Keine Angst“, belächelte sie die vornehme Frau, „Der Erste Eindruck, Tanzen, Konversation und die Sympatie des Prinzen

sind so etwas wie Disziplinen. Je besser du in ihnen abschneidest, desto besser sind deine Chancen Prinzgemahlin zu werden!“

Aurelia nickte und musste erkennen, dass Ella das alles nie gelernt hatte. Sie würde sich blamieren und Ihre Schwester dafür hassen, da sie ihr falsche Hoffnungen gemacht hatte, vorrausgesetzt sie würde ihre Handschrift in den Kleidern erkennen. Mutlos beobachtete sie das näher rückende Schloss. Vielleicht wäre es besser, wenn irgendetwas Gravierendes schief lief und sie gar nicht erst auftauchen würde.

Kurz darauf reihte sich die Kutsche in die Warteschlange ein. „Nervös?“, fragte ihre Mutter und drückte ihre kalte Hand. „Ein

wenig!“, seufzte Aurelia und atmete kontrolliert ein und wieder aus. Das war noch nicht einmal gelogen.

Noch 2 Wagen. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. „Es nützte keinem etwas wenn wir Versagen und wenn sie nun schon keine Möglichkeit hat ihn für sich zu gewinnen, dann will ich es versuchen!“, schloss sie in Gedanken und schaute auf. Entschlossenheit flackerte in ihren Augen. Sie hatte genug gelernt, sie wusste bestens Bescheid. „Achtung!“, warnte sie ihre Mutter. Einen Augenblick war alles still. Dann wurde die Tür geöffnet. Aurelia erschrak, das gleißende Licht wurde durch das bunte Bleiglas während der Fahrt gemildert. Umso greller

erschien es ihr nun. Sie würde einige Sekunden lang blind und orientierungslos in der Gegend stehen. Das Mädchen erhob sich und blinzelte kurz. Eine behandschuhte Hand streckte sich ihr entgegen. Dankbar legte sie die ihre hinein. Mit der anderen raffte sie den Stoff ihres Kleides. Behutsam setzte sie die Zehenspitzen auf die schmalen Stufen und glitt geschmeidig an ihnen hinunter, direkt ins Licht. Dort trat sie noch etwas von der Kutsche weg, lies dabei erst die Hand mit dem Rock sinken und anschließend wieder zu Boden gleiten. Ohne den Helfer zu erkennen, vollführte sie einen sanften Knicks. Den Kopf nur leicht Senken, anmutig und würdevoll, doch ohne

übertrieben zu wirken um die Aufrichtigkeit zu betonen. Das Kleid nicht mehr in der Hand halten, eine Sache der Höflichkeit, versteht sich. Vorsichtig strich sich Aurelia eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hob den Blick. Die Gegend um sie herum schimmerte noch immer ein wenig blau, jedoch konnte sie nun endlich wieder ein paar Umrisse erkennen. Vor ihr breitete sich ein Garten mit einem Springbrunnen im Zentrum aus. Darum standen vereinzelt ein paar Menschen und plauderten. Das Mädchen schüttelte kurz den Kopf, die Vorstellung ging weiter. Inzwischen war ihre Mutter aus dem Wagen gestiegen. Aurelia faltete die Hände in ihrem Schoß und wandte sich

ein wenig um. Sie durfte nicht zu sehr an ihrer Familie hängen, musste sie aber dennoch ehren. Es war ein guter Kompromiss in einigem Abstand auf sie zu warten. Schließlich fand auch die Dame ihre Orientierung wieder, schloss zu ihrer Tochter auf und nickte ihr kurz zu. Gemeinsam betraten sie den Garten. Interessiert sah sich Aurelia um. Der Garten war offenbar eine Art vergrößerte Veranda zum Festsaal des Schlosses. Dieser lag im Erdgeschoss des Westflügels. Die Festlichkeiten sollten also im Westbereich stattfinden. Davon wurde schon oft berichtet, doch nun durften sich die Mädchen des Landes endlich selbst ein Bild davon machen. Über dem Saal lag ein

Balkon auf dem sich 2 Männer befanden und sich angeregt unterhielten. Allem Anschein nach war das der Prinz und ein Freund. Oder sein Vater? Ein Bruder? Aurelia nickte ihnen als Gruß zu. Sie erwiderten den Gruß ebenfalls mit einem Nicken und schwiegen fortan.

Geschäftig trat sie ins Innere des Gartens, die Blicke der beiden Männer selbstbewusst ignorierend.

Eröffnungstanz des Balls

Es verstrichen Minuten, bald auch eine Stunde, doch Ela war nirgends zu sehen. Die Kutschen die sporadisch einfuhren, neigten sich dem Ende und der Garten war gut besucht. Mit der einsetzenden Dämmerung öffneten sich die gläsernen Flügeltüren zum Ballsaal. Freudig erregt strömte die Menge ins Innere. Aurelia und ihre Mutter kamen ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren darin überein weiter im Garten zu bleiben. Als stolze Frau schwimmt man nicht mit der Menge, man bemüht sich eigenständig zu handeln. In der Ferne hörte sie Pferde schnauben. Sie ignorierte die Geräusche und begab sich in

den Saal.

Dort erhob sich soeben der König um eine kleine Willkommensrede zu halten. Aurelia sah sich um. Eleonora war nirgends zu sehen. Zwar hatte sie kein einzelnes Pferd ankommen sehen, aber vielleicht hatte sie sich die Peinlichkeit erspart und war durch einen Seiteneingang hineingeschlüpft. Doch in den viele bunten Kleidern und hübschen Gesichtern war ihr Bild von Ela nicht zu entdecken. Der Herrscher bemühte sich unterdessen um wenige Worte und möglichst viel Humor. Er empfahl das Essen und erklärte den Ablauf, auf den Aurelia keine Muse hatte weiter zu achten: „Natürlich wird der Prinz nicht mit euch allen gleichzeitig

tanzen können, dafür haben wir einige charmante junge Herren eingeladen. Ich bin mir sicher, dass sich keine von euch langweilen wird!“

Die „jungen Herren“ standen auf der Gegenüberliegenden Seite des Saals. Allesamt Aristokraten, wie es schien. Dieser Ball wurde offenbar als riesige Heiratsbörse genutzt und diese Männer waren der Trostpreis für die vielen Mädchen, die sich auf Platz 2 wähnten. Vorsichtig glitt Aurelias Blick zur Königsfamilie. Der Prinz ließ seinen Blick ebenfalls streifen. Die Auswahl war groß, aber auf das Aussehen allein kommt es bekanntlich nicht an. Den ersten Tanz würde er mit einem Mädchen eröffnen,

danach müssten seine Eltern sich ihm anschließen. Während der König über Uhrzeiten und kleine Spiele informierte, lag die Aufmerksamkeit aller Mädchen allein bei seinem Sohn. Dieser schien sich nun etwas unwohl zu fühlen. Hatte er Schwierigkeiten sich zu entscheiden? Sein Blick blieb bei Aurelia hängen, wenn auch nur kurz. Aufmunternd schenkte sie ihm ein Lächeln und nickte sanft. Fiel es ihm auf? Der Vater schenkte seinem Sohn das Wort, der sich nur stillschweigend erhob und zielstrebig durch den Saal schritt. Im Vorbeigehen dankte er seinem Vater wortlos mit einer entschiedenen Verbeugung, ohne sich in seiner Geschwindigkeit beirren zu lassen. Er

beschrieb einen Kreis und eilte schon bald an den ersten Mädchen vorbei. Ein feiner Schachzug! Erst Hoffnung machen und dann an ihnen vorbeigehen. So ein fieser, verachtenswerter… und er blieb stehen. Vor Aurelia. Fordernd bot er ihr seine Hand an, die Handfläche oben. Empört wich sie einen Moment zurück, besann sich aber wieder auf ihr Vorhaben. Es lief offenbar besser als geplant. Der Prinz verbeugte sich, die Augen weiterhin auf sie geheftet.

Etikette, Etikette! Aurelia verneigte sich, legte ihre Hand auf die Seine und ließ sich von ihm auf das Parkett entführen. Enttäuschtes Seufzen erfüllte einige Ecken des Raumes. Augenblicke später erklang

Musik, die sich den Schritten des Paares automatisch anzupassen versuchte. Nachdem die ersten paar Akkorde verklungen waren, tummelten sich die nächsten Paare auf der Fläche. Die angespannte Stimmung verflüchtigte sich, da sich nun keiner mehr zu sehr auf seine Schritte konzentrieren brauchte.

Der Prinz räusperte sich: „Ja, ähm, kommst du öfter hierher? Ich hab gehört hier sollen tolle Partys stattfinden!“

Irritiert musterte Aurelia ihren Tanzpartner und versuchte sich in einer komplizierten Drehbewegung um Zeit für eine angemessene Erwiderung heraus zu zögern. Das gelang ihr nicht recht. „Ah, naja ich bin heute zum erstem Mal hier.“,

stammelte sie, „Vielleicht läd mich der Gastgeber nochmal ein, dann sehen wir uns ja öfter!“

Sie verbeugten sich voreinander und wechselten die Tanzpartner. Reihum wurden die Mädchen gereicht, damit jeder der jungen Männer einmal mit den anwesenden Damen tanzen könnte. Immer wieder versuchte Aurelia den Blick des Prinzen zu erhaschen. Mal mehr, mal weniger unauffällig. Aber er schien sich voll und ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Jedes Mädchen verabschiedete sich verwirrten Blickes. Also spielte er mit allen dasselbe Spiel. Wer wohl am besten abschnitt?

Erst nach gefühlten 10 Minuten gab Aurelia

auf. Wenn sie ihn nicht haben konnte, so musste sie sich wenigstens darauf konzentrieren einen anderen Mann zu finden. Einer, der auch zu ihr passte. Ewig hatte sie dazu nicht Zeit. Fortan sprach sie jeden ihrer Tanzpartner an, versuchte ihn in ein heiteres und unbeschwertes Gespräch zu verwickeln. Viele nahmen den Versuch dankbar an. Bei einem wortkargen Tanzpartner, der sich immer zu verhaspeln schien, wenn Aurelia ihm ihre Aufmerksamkeit schenke, begann sie erneut sich umzuschauen. Eines der Mädchen vor ihr trug dieselbe Farbe wie das Kleid von Eleonora. Sie tanzte allerdings in einem solchen Winkel, dass sie nichts Genaues erkennen konnte. Hatte

sie es doch geschafft? Hatte sie das Kleid gefunden, sich richtig angezogen, die Haare frisieren und das Pferd entdecken können? War wirklich alles nach Plan gelaufen? Sie konnte ihre Neugierde kaum bezwingen. Wenn sie sich in der letzten Drehung, noch vor dem Partnerwechsel etwas schneller und weiter hinauslehnen würde, könnte sie das Mädchen erkennen. Dann würde sie allerdings auffallen, die Paare würden nicht mehr synchron tanzen. Sollte das jemandem auffallen hätte sie Minuspunkte gesammelt. War es das Risiko wert?

Hinter der Fassade

„Was machst du denn hier?“, zischte sie, „Ich dachte du bist damit beschäftigt ein Püppchen zu suchen!“

Der Prinz trat ein Stück zurück, der Schlag hatte gesessen! Er tarnte dies als Verbeugung: „Entschuldigt bitte, ich habe euch wohl verletzt und euch ein falsches Bild von mir gegeben. Lasst mich erklären: Ich such tatsächlich eine Frau die sich zu präsentieren weiß, aber sie sollte sehr wohl auch zu mir passen.“

Aurelia ging ein Stück weiter, Richtung Ende der Terrasse, die im dunklen Verborgen lag. „Ja natürlich. Und jetzt willst du mir auch sicher von deinem

schweren Leben im Palast erzählen, das du nicht das machen kannst was du willst, dass du unterdrückt wirst und dir Freiheit durch Heirat versprichst. Nebenbei ist es auch das was dein Vater will, dich zum König erziehen und das mit Hilfe deiner zukünftigen Frau.“, sprach sie hastig mit wegwerfenden Gestiken und dramatischem Unterton. „Ja! Genau! Und…“, erwiderte der Prinz, doch Aurelia kam ihm zuvor. Gekonnt drehte sie sich wieder zu ihm, den Mond nun im Rücken. Betont entspannt lehnte sie sich an die niedrige Begrenzung: „Diese willst du durch Tricks und Spielchen heraussuchen. Du suchst eine Rebellin, die sich dir widersetzt in der Hoffnung sich ihr offenbaren zu können,

erfolgreich um sie zu werben und sie zu heiraten, damit sie sich deinem Vater genauso widersetzt wie dir!“

„Ja!“, nickte er begeistert. Auch Aurelia strahlte ihn an: „Tja dann husch! Geh mal schön suchen, denn ich bin es nicht!“ Entnervt wandte sie sich erneut ab und schritt weiter ins Dunkel. Langsam gewöhnen sich ihre Augen daran. Es war hier genauso öd und leer wie im anderen, lichtdurchfluteten Teil der Terrasse. „Bist du sicher?“, neckte sie der Prinz.

„Ja, ich bin sicher! Mir geht es ja ähnlich!“, begann sie zu schimpfen, „Ich will auch in die Ehe flüchten, ich will auch die Freiheit haben das zu tun was ich will, mich so geben wie ich will und die Leute

die mich wichtig sind so behandeln wie ich will!“

Aufmerksam lauschte ihr der Königssohn.

„Aber ich kann nicht. Noch nicht!“, schloss sie.

„Nimm mich!“, bat er.

 

Das wars.

Ziel erreicht.

Sie hatte das, was sie wollte.

Den Prinzen!

 

Überrascht musterte sie den Garten. Das war ja einfach. Sie musste sich nur umdrehen und ja sagen. Aber sie kannten sich ja gar nicht. War es also wirklich das, was sie begehrte? Einfach nur den Prinzen,

mehr nicht?

„Wir wissen nichts voneinander. Wie soll ich also ja sagen?“, fragte sie ihn.

„Es löst unser beider Probleme und ich glaube nicht, dass wir uns schon bald anschreien werden wie ein altes, zänkisches Ehepaar.“, argumentierte er und lehnte sich, auf die Unterarme gestützt und die Hände ineinander gelegt, neben sie auf die Brüstung.

Klack, klack, klack, machte es von drinnen. Aurelia sah ihn an, aus den Augenwinkeln bemerkte sie ein Mädchen im Lichtschein stehend. Sie blieb an  der Tür uns schaute zu dem vermeintlichen Paar. Aurelia wollte dem Königssohn gerade antworten, aber da fiel ihr etwas

auf. Das Mädchen an der Tür stand zwar im Schatten, doch diese Umrisse waren ihr verstraut. Das spärliche Licht des Saals ließ die Farbe erahnen. Es war Türkis. Die Haare waren so frisiert wie Aurelia es ihrer Schwester ausgezeichnet hatte. War sie es wirklich? Die junge Frau stand außerhalb des Lichtkegels, ihr Gesicht war nicht zu erkennen. Schließlich wand sie sich ab und ging hinein. Aurelia konnte ihr Gesicht von dieser Entfernung aus nicht erkennen, doch diese Ohrringe sahen exakt so aus wie die, die sie ihrer Schwester bereitgelegt hatte.

Eleonora.

Sie hatte es wirklich bis hierher geschafft? War das auch keine Einbildung? Hatte sie

ihre Stiefschwester und den Prinzen erkennen können? Sie musste ihr nachlaufen, Prüfen ob sie es sich nicht nur eingebildet oder die Frau verwechselt hatte.

„Gib mir Zeit!“, bat sie den besorgten Mann an ihrer Seite und eilte der Gestalt nach.

Halb blind taumelte Aurelia in die Helligkeit, die ihr für ein paar Sekunden die Orientierung nahm. Dennoch tappte sie weiter. Sie durfte sie nicht entkommen lassen, sie brauchte Gewissheit! Eleonora schuldete es ihr einfach sich zu offenbaren, auch wenn sie nichts von dem Plan ihrer Schwester wusste! Und wo war eigentlich ihre Mutter? Den ganzen Abend hatte sie nichts von ihr gehört, da war

doch irgendwas faul! Ihrer Sehkraft wieder mächtig, trat sie in den Saal und kämpfte sich zu den Tischen hervor. An ihrem Platz angekommen war von Ela keine Spur, dafür trafen sie böse Blicke von ihren Tischgenossinnen. Wie lang war sie nur weg? Was hatte sie verpasst?

Gelassen, aber vorsichtig und auf alles gefasst setzte sie sich und steckte sich einen Käsewürfel in den Mund. Die Mädchen warteten wie Hyänen, die sich ihrer Beute sicher waren. Aurelia ließ sich Zeit, schluckte den Käse herunter, lehnte sich zurück und fragte: „Was gibt’s neues?“

Enttäuschungen

Aurelia entschied sich dagegen. Früher oder später würde sie Sie schon sehen. Zumindest konnte das Mädchen einigermaßen gut tanzen. Gleichmäßig schwang sie im Takt mit ohne unangenehm aufzufallen. Bald darauf beendeten die Musiker ihr Spiel. Anmutig gewährte der Tanzpartner des Mädchens ihr eine schöne Drehung und geleitete sie von der Tanzfläche. Die Tische am Ende des Raumes füllten sich, genauso wie die auf dem Plateau dahinter. Hier saßen nur die jungen Damen. Ihre Elternteile fanden sich nach und nach auf den Emporen ein. Offenbar war es Zeit für das Abendessen.

Höflich erkundigte sich der junge Herr an ihrer Seite nach der Provinz in der Aurelia lebte. Danach verhielt sich die Sitzplatzordnung. Sie hatte Glück, ein Platz nah an der Tanzfläche war ihr sicher. Nachdem ihr der Gentleman half sich galant zu setzen bedankte sie sich höflich und tauschte einige oberflächliche Floskeln aus. Sicher würde man sich noch einmal begegnen und ein paar Tänze miteinander verbringen können. Anschließend sann sie über neue Lokalität nach.

Der Saal war von fast allen Tischen bequem zu erreichen und die Gänge waren breit genug niemanden zu behindern, ganz gleich wie ausladend die Kleider der jungen

Frauen waren. Aurelia sah sich weiter um. An ihrem Tisch erkannte sie viele Mädchen wieder, aus Kindheitstagen, vom Stadtbummel, von Picknicks und den Reisen ihres Vaters, wann immer sie daran teilhaben durfte. Freudig, aber zurückhaltend grüßte sie einige, die sich offenbar genauso freuten einander wiederzusehen wie sie. Sobald alle ihre Plätze gefunden hatten, ließ es sich der König nicht nehmen noch einmal eine kurze Rede anzustimmen, indem er allen einen Guten Appetit wünschte. In dem einsetzenden Trubel suchte Aurelia erst nach dem Prinzen, der am Tisch seiner Eltern und Freunde, sowie Berater saß und anschließend nach Eleonora. Türkisfarbener

Tüll, leichter Stoff über den Schultern, geflochtenes Haar. Sie müsste an diesem Tisch sitzen. Eigentlich sollte sie sogar direkt nehmen ihr Platz genommen haben. Wo war sie nur? Ein Kellner ließ sie stocken. Mit einem trockenen Lächeln setzte er ihr einen Teller vor.

Zum Dank nickte das Mädchen kurz und beäugte den Teller, schien aber nicht sonderlich interessiert. Langsam ließ sie den Blick schweifen. Ela war nicht auszumachen. Dann hatte sie sich wohl getäuscht.

Die jungen Damen erhoben ihre Gläser um feierlich auf die bevorstehenden Abende anzustoßen und lenkten Aurelia von ihren wirren Gedanken ab. Angenehme

Gesellschaft und gutes Essen waren schon immer das beste Mittel um dunkle Gedanken zu vertreiben, so auch heute.

Sobald die Spargelcremesuppe, der Rucola-Salat mit Parmaschinken und Parmesan, der Fisch in Weinsauce an Wildreis sowie eine kleine Schüssel Creme Brûlée vom Tisch verschwunden waren und durch große Käse- und Obstplatten ersetzt wurden konnte der beschwingte Teil der Festivität beginnen. Einige Mädchen beschwerten sich leise über das gute Essen, da sie in den Kleidern keine Chance hatten es so richtig zu genießen, andere schimpften über diese Ansicht, da sie als vielleicht zukünftige Prinzessin ohnehin nicht maßlos bei Tisch sein durften.

Gespannt warteten die Damen darauf von einem der Herren zum Tanz aufgefordert zu werden. Die angepriesene Zurückhaltung verbot es den Mädchen sich selbst zu erheben um umgekehrt einen Mann anzusprechen.

Auch jetzt sah es der Prinz als seine Pflicht an den ersten Schritt zu wagen. Flankiert von seinen Freunden überquerte er zielsicher den Saal. Das blieb den potenziellen Tanzpartnerinnen nicht verborgen. Vorsichtig zupften sie sich zurecht, strichen sie die Kleider glatt und rückten ihre Stühle vom Tisch weg um sich möglichst schnell erheben zu können. Die Fürsten schwärmten unterdes Fächerartig aus. Aurelia unterdrückte den

Versuch sich genauso wie die Mädchen zu verhalten. Nur keine Nervosität zeigen, nicht zu sehr mit der Menge schwimmen, Würde zeigen! Sie spüre den Blick ihrer Mutter, auch wenn sie Sie noch nicht entdeckt hatte. Still lächelnd und wachsamen Blickes behielt sie die näherkommenden Männer im Auge.

Doch keiner steuerte auf sie zu. Nur der Prinz sah sie einen kurzen Augenblick an, zog es aber vor sich eine andere zum Tanz zu nehmen. Alle zurückgebliebenen Mädchen fühlten sich nun allein. Es war nur ein Tanz, dennoch drängte sich das Gefühl aus verschmäht worden zu sein. Einigen stiegen Tränen ins Gesicht. Aurelia hingegen ließ sich nichts anmerken,

vielleicht was das auch nur ein kleiner Test, wie gut sie mit der Ablehnung zurechtkommen würden. Sie fing an zu scherzen und die anderen aufzumuntern.  Es wäre doch zu offensichtlich die Favoritin gleich zu Beginn zum Tanz aufzufordern, begannen sie zu lästern. Zufrieden lehnte sich Aurelia zurück und besah sich die Runde. Mission geglückt!

 

Schmuckstück gesucht

Nach und nach wechselten die Farben auf der Tanzfläche durch die immer eingetauschten Mädchen. Aurelia versank innerlich in Missmut, keiner hatte sie freiwillig aufgefordert. Kritisch sah sie an sich herab. Im Vergleich zu den anderen Damen trug sie ein unscheinbar dunkles Kleid, wie eine graue Maus. Sich vom Tisch zu erheben, sich zu entschuldigen um sich „die Nase pudern zu gehen“ um sich einer umfassenden Kontrolle zu unterziehen ob denn noch alles rechten Fleck saß kam nicht in Frage, schließlich war es möglich jederzeit zum Tanz eingeladen zu werden und Aurelia wollte

auf keinen Fall die letzte sein, die sich auf dem Parkett blicken ließ! Stillsitzen, gerade halten und geduldig warten. Das war gar nicht so leicht, da immer wieder andere Mädchen zurückkehrten und atemlos von ihren großartigen Tanzpartnern berichteten.

So wie sie gerade einer Freundin lauschte, erstarrten die anderen Frauen und auch die Erzählerin hielt inne. „Madam?“, fragte ein Mann im Rücken  Aurelias. Diese Stimme kannte sie doch! Langsam drehte sie sich um und versuchte ihre Überraschung zu verbergen. Der Prinz! Auffordernd hielt er ihr seine Hand hin. Zögernd ergriff Aurelia diese und ließ sich von ihm auf die Fläche führen. Sollte sie das Gespräch beginnen?

Was erwartete er von ihr? Ermutigend lächelte er das Mädchen an und schob sie sich in die Arme. Gerade als er den Mund öffnete um etwas zu sagen, kam Aurelia ihm zuvor: „Amüsieren Sie sich gut?“

„Ahh, äh, ja! Das tue ich!“, antwortete er perplex. Seine Partnerin biss sich auf die Zunge. Das fing ja gut an! Jetzt war er verunsichert und sie wirkte abstoßend. Großartig. „Und du?“, fragte er unbeholfen. „Ohja! Die Musik ist gut und es gibt jede Menge nette Gesellschaft, männlich wie weiblich!“, versuchte sich das Mädchen zu retten. Kluge, gewitzte Antworten, das brauchte sie nun und dabei solle er sich nur nicht so vorkommen als sei er der einzig begehrenswerte Mann hier.

Eine Dame muss sich rarmachen um das Interesse eines Gentlemans zu erobern! „Ahja? Nun, von einigen Damen“, die letzten Worte hob er mit besonderer Betonung hervor, „bin ich gar nicht angetan!“

Aurelias Alarmglocken schrillten. Wollte er lästern? Oder ihre Meinung hören? Sie ausquetschen um an Informationen über die Mädchen zu kommen? Oder wollte er sie nicht doch einfach nur testen? Sie grübelte nach einer Antwort, während sie sich in einer gewagten Schrittfolge zu drehen begannen. Das türkisfarbene Kleid blitzte auf. Aurelia verlor kurz das Interesse an ihrer Antwort und wandte den Kopf zu der Stelle an der sie es zu sehen

geglaubt hatte. Es war wieder weg, hinter den anderen Paaren. Der Prinz schien dies zu bemerken und sah sich ebenso für einen Moment um. „Nun, ihr habt ja reichlich Auswahl. Somit könnten sie einigen Damen“, diesmal betonte Aurelia die letzten beiden Worte, „problemlos aus dem Weg gehen.“ „Dazu muss man aber zuerst erkennen wer zu welcher Sorte gehört. Das ist gar nicht so einfach. Ich muss mit allen Frauen tanzen und möglichst tiefsinnige Gespräche führen um zu differenzieren.“, erklärte er sich.

„Aber selbst dann kennt man die Frau nur oberflächlich, weil man nur kurz mit ihr reden konnte. Vielleicht war die passende Frau für dich schon unter den Mädchen,

die du abgewiesen hast, weil du dir zu schnell eine Meinung gebildet hast und ihr gar nicht die Chance hattet euch besser kennen zu lernen.“, äußerte sie ihre Bedenken. Der Prinz stockte kurz, verwundert über das eben gehörte und entgegnete: „Ich suche nach einer Frau, die sich an meiner Seite sehen lassen kann, die nichts dummes tut. Wie sie zu mir passt ist mir egal.“

Aurelia blieb stehen und starrte ihn entsetzt an. Die anderen Paare auf der Tanzfläche hatten Mühe um die beiden still stehenden Personen herum zu tanzen. „Dann werden Sie sich wohl nicht mehr die Mühe machen müssen mich zum Tanz aufzufordern. Ich wünsche Ihnen viel

Glück auf der Suche nach der künftigen Prinzessin, Adieu!“, stellte sie nüchtern und mit zusammengekniffenen Augen fest, verbeugte sich kurz und verschwand hastigen Schrittes ins Innere des Schlosses. Aurelia hatte schon viele Mädchen durch diese Flügeltür marschieren sehen. Schon bald entdeckte sie die ersehnten Toiletten. Drinnen strich sie sich über Nase, Stirn und Kinn um ihren Teint zu prüfen. Was für ein widerlicher Kerl. Frauen nur nach der Funktion zu beurteilen war verabscheuungswürdig. Ein Glück hatte sie die Wahrheit schnell genug herausgefunden. Jetzt musste sie nicht mehr um seine Gunst buhlen, sondern sich

auf angenehmere Männer konzentrieren. Wie hieß doch gleich der junge Herr, der sie zu Tisch geleitet hatte?

Aurelia nickte ihrem Spiegelbild zufrieden zu. Sie würde sich jemanden besseres angeln. So anmutig wie zu Beginn des Balls trat sie hinaus. Es war dunkel geworden, das hatte sie in der Festbeleuchtung des Saales gar nicht registriert. Zielstrebig schritt sie auf die Flügeltür zum Fest zu, hielt dann aber doch inne. Da war noch eine einladen offene Tür, hinaus zum Garten. Romantisches Leuchten lockte sie dahin. Unentschlossen wandte sie den Kopf zum Saal und wieder zum Garten. „Da drinnen wartet sowieso niemand auf mich“, sagte

sie leise zu sich selbst und spähte neugierig in die werdende Nacht. Vorsichtig schaute sie sich auf der Terrasse um und schritt zur Brüstung.

Eine milde Nacht war ihnen beschienen. Aurelia legte den Kopf in den Nacken und bewunderte den Sternenklaren, wolkenlosen Himmel, bevor sie sich wieder dem Garten zuwandte. Statuen von Göttern und deren Gefolge, sowie skurrilen und anmutigen Wesen aus hellem Stein gemeißelt waren im Park verteilt und künstlich beleuchtet. Irgendwas stimmte nicht, es war zu still. Auf dem Weg vor dem Schloss sah sie ihren langen Schatten, der vom Licht aus dem Innern des Saales geworfen wurde. Ein Schatten kroch

darauf zu.

Gewarnt drehte sich Aurelia um. Wer wollte eine hilflose, einsame junge Dame in der Nacht so böse überraschen?

„Doch! Ich habe auf dich gewartet!“, sagte der Mann.

Das Mädchen sog überrascht die Luft ein und wollte einen Schritt zurück treten, doch die Brüstung war ihr im Weg. Damit hatte sie nicht gerechnet!

Gewissheit?

„Was es neues gibt?“, fragte eine der Frauen entgeistert. „Ich kann dir sagen was es neues gibt!“, wisperte eine andere gereizt und rutschte auf den Stuhl ihr gegenüber, den Oberkörper nach vorn gebeugt, „Da war vorhin eine, die hat den Prinzen einfach auf der Tanzfläche stehen gelassen. Sie hat geschimpft und ist gegangen, einfach so!“

„Ist nicht wahr!“, entgegnete Aurelia und beugte sich interessiert vor.

„Hohle Nuss! Das warst du!“, murmelte die Erste vorwurfsvoll. „Jetzt sag schon, was ist passiert?“, wollte eine andere wissen.

„Naja, also wir haben getanzt und dabei geredet. Erst dachte ich er wollte…“, versuchte Aurelia sich zögernd zu erklären, abrach aber je ab, als sie das Mädchen von der Terasse sah. „Entschuldigt mich bitte einen Augenblick!“

Hastig stand sie auch und lief ihr nach. Hatte das Mädchen sie bemerkt? Ruhig ging sie an den Tischen vorrüber, in eine der dunklen Nischen an der Seite. Aurelia hatte Mühe ihr zu folgen, versuchten doch einige Paare vor ihr auf die Tanzfläche zu gehen. Endlich hatte sie ein gutes Stück aufgeholt. Sie griff nach der Schulter des Mädchens und drehte sie mit einem sanften Ruck um.

„Du? Was machst du hier?“, fragte Aurelia

ihre Schwester entgeistert. Was für eine Frage, sie hatte ihr dies alles ermöglicht! „Dasselbe wie du auch und alle anderen Mädchen hier.“, entgegnete Eleonora und versuchte die Hand an ihrem Oberarm abzuschütteln. Aurelia ließ sich nicht abschütteln und musterte sie von oben bis unten, mehrere Male. „Aber wie, ich meine was hast du…“, fragte sie verblüfft. „Lass mich los, wie sieht das denn aus, wenn du mich im Klammergriff hältst? Und wie ich hier her gekommen bin musst du nicht wissen, es soll dir egal sein! Das Kleid ist übrigens nicht gestohlen, falls du mir das unterstellen willst!“, gab sie zornig zurück und wich ihrer Schwester einen Schritt aus. Aus den Augenwinkeln bemerkten sie

einen jungen Mann, der auf sie zu eilte. „Nein, das ist es nicht was ich dir sagen wollte.“, versuchte Aurelia zu erklären, während sie sie losließ. „Kann ich den jungen Damen eventuell helfen?“, drang eine melodische Stimme zu ihnen durch. „Neinnein, ich denke wir sind fertig.“, versuchte Eleonora die Situation zu retten. Sie lächelte und schenkte dem Mann einen koketten Augenaufschlag. „Sag mir nicht, wann ich fertig bin!“, entgegnete Aurelia ruhig und so gelassen wie möglich. Was bildete sich das Mädchen ein? Natürlich wusste sie nicht, dass ihre Schwester alles von ihr wusste. Woher das Kleid kam, die sie den Weg hierher gestritten hatte, wer ihr das an Ort und Stelle drapierte. Gerade

wollte der nun leicht verunsicherte Herr etwas hinzufügen, als sich eine vierte Person in die Gesprächsrunde drängte. „Ich hoffe sie genießen den Abend, meine Herrschaften? Oh, ich glaube nicht, dass wir uns schon vorgestellt wurden, bitte entschuldigen sie meine Unhöflichkeit.“, entschuldigte sich der Prinz und nahm Elas Finger, verbeugte sich und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken. Interessiert beobachtete sie ihn. „Die meisten würden mich als das Objekt der Begierde bezeichnen.“, grinste er sie von unten an. Das Mädchen begriff sofort. „Oh, der Prinz!“, erwiderte sie überrascht und verneigte sich ungelenk, da ihr der Prinz noch immer die Hand hielt. Aurelia

schnaubte leise, eine undamenhafte Geste, das wusste sie, aber das war ihr nun egal. Enttäuscht und etwas verletzt wandte sie sich ab und wollte gehen, lief aber dem Streitschlichter in die Arme. Dieser entpuppte sich als ihr erster Tanzpartner. Wortlos, jedoch mit einem Lächeln auf den Lippen schon er ihren Arm gekonnt unter seinen und noch ehe Aurelia bemerkte was ihm im Sinn stand, befand sie sich in den ersten Drehungen auf dem Parkett. Es dauerte einen Moment bis ihr klar wurde, dass sie diesen Tanz gar nicht kannte. Überrascht verkrampfte sie sich ein wenig, doch ihr Partner nahm ihr diesen stress und führte sie routiniert durch den Saal. Ab und zu bemerkte sie wie der Prinz

und ihre Schwester an ihnen vorüberglitten. Eleonora, in einem türkisfarbenen Kleid mit Unterbrustkorsage, Stickereien und der kreativen Flechtfrisur, in welche sie eine Blume verwoben hatte. Keine der Mädchen hatte frische Blumen im Haar. Sicher setzte sie damit einen neuen Trend. Langsam verloren sich Aurelias Gedanken um sie und den Prinzen wieder und mit den nächsten Paar Schritten waren sie wie weggeschleudert. Den Rest des Abends betrachtete sie ihre Pflichten für nichtig. Sie hatte einen interessanten Menschen gefunden mit dem sie gemeinsam lachen konnte, der intelligent war, kluge und spitze Kommentare gab und das wichtigste:

er konnte hervorragend tanzen! Aurelia wusste gar nicht wieviel sie darauf Wert gelegt hatte! Er rief ihr Dinge ins Gedächtnis über sie sie noch nie nachdachte, doch über sie es sich zu überlegen lohnte. Stunden flogen dahin und schließlich verabschiedete der König sie für diesen Tag. „Wir werden uns widersehen, nicht wahr?“, fragte er unverblümt und vorsichtig zugleich. „Aber ja!“, bekräftigte Aurelia, machte einen Knicks und entfernte sich von ihm. Das Laufen fiel ihr schwer, spürte sie doch seine Blicke auf sich ruhen. Noch nie hatte sie sich darüber Gedanken gemacht ob sie vielleicht lächerlich wirken konnte. Diesmal machte sie sich große Sorgen

darum. Das kam alles nur von diesem Mann. „Eine Frau sollte sich unnahbar machen, also dreh dich bloß nicht nach ihm um!“, rief sie sich ins Gedächnis. Nur dieses eine Mal wollte sie schwach sein. Zaghaft blieb sie stehen und drehte sich um.

Doch er war schon verschwunden.

Der nächste Morgen

Um mit ihrer Mutter nicht reden zu müssen stellte sich Aurelia während der Heimfahrt schlafend, so konnte sie sich noch ein wenig den Träumen des Tags hingeben. Wie schnell er wohl gegangen war? Hatte er es als seine Pflicht betrachtet den Abend mit ihr zu verbringen? Nein, sicher nicht, er hatte schließlich auch einen gewissen Nutzen von dem Ball. Warum hatte sie ihn nicht nach seinem Namen gefragt? War sie so in die Gespräche versunken, dass sie gar nicht daran dachte? Wie konnte das möglich sein? So fesselnd konnte doch keine Konversation der Welt sein. Und was

war nun mit Eleonora passiert? Ob sie vor ihnen zu Hause war? Ob sie das Kleid gut genug verbergen konnte? Hatte Mutter überhaupt etwas bemerkt? Und warum versuchte sie nicht ihre Tochter wach zu halten um sie über den Prinzen auszufragen? Irgendetwas stimmte schon wieder nicht. Mit ein wenig Glück konnte Aurelia das aber schon bald egal sein.

Zuhause tastete sich das Mädchen zaghaft ins Bett. In Eleonoras Kammer brannte kein Licht. Darüber wollte sie sich jedoch keine Gedanken machen, auch ihr harscher Tonfall war ihrer Schwester nun egal. Sie ließ sich noch ein paar Minuten von den Dienern unter Anweisung ihrer Mutter quälen. Abschminken, aus dem Kleid

schälen, Cremes auftragen. Aurelias Auffassung nach war das alles vollkommen unnötig, aber wenn sie danach in Ruhe in ihr Bett fallen konnte war ihr das Recht.

Am nächsten Morgen blieb Aurelia im Bett liegen. Rundumcheck. Kratzte ihr Hals? Hatte sie sich erkältet? Nein, Taten ihr die Füße weh, waren da vielleicht Blasen zu sehen? Nichts. Alles in Ordnung. Vorsichtig stand sie auf und begab sich ins Bad. Ein Blick in den Spiegel verriet ihr, dass die durchzechte Nacht keine Spuren hinterlassen hatte. Ein Geräusch ließ sie hochfahren. Jemand war in ihrem Zimmer! Langsam näherte sich das Mädchen der Tür, schob sie einen Spalt auf und sah die

Zofen umher wuseln. Sie machten das Bett, brachten etwas zu essen, legten Kosmetika und Schmuck bereit. Aurelia seufzte und trat hinaus. Einige Tauben saßen auf dem Fensterbrett und klopften mit ihren Schnäbeln an die Scheibe. „Heute nicht.“, murmelte das Mädchen und gab sich missmutig dem Gewusel hin.

Während sie sich ankleiden ließ, plante sie ihr weiteres Vorgehen. So wie gestern würde sie den Sack herunterwerfen, danach hinauslaufen und ihn wieder über den Baum werfen. Sie hielt inne. „Wo ist Mutter?“, fragte sie eine der Zofen. „Die Hausherrin ist noch im Bett, sie war noch recht unausgeschlafen. Wir sind bald fertig, du kannst uns gern helfen sie

zurechtzumachen.“, antwortete diese. Zufrieden lehnte sich Aurelia zurück. Perfekt.

Sobald die Frauen fertig waren, schickte sie das Mädchen fort, sie wolle noch ein wenig allein sein, versicherte sie ihnen. Anschließend eile sie zu dem Schrank, hob das Bündel heraus und zog es ans Fenster. Keiner zu sehen. Wie an Vortag ließ sie es hinter die Büsche fallen. Entspannt und mit einem Lächeln aus den Lippen lief sie nach unten. Der Garten war leer, kein Hindernis zu sehen. Sie nahm den Sack und warf ihn über den Strauch, alles saß da wo es sollte, kein Windhauch ging. Schnellen Schritten verließ Aurelia den Garten, jedoch nicht, ohne sich erneut umzusehen.

Beruhigt und mit sich und der Welt im Reinen schlug sie dir Richtung ein, die sie auf den Hof führen sollte, als sie an einem Blumenbeet vorbei kam. Sie erkannte Elas Blume. Sollte sie sich nicht vielleicht auch eine Blume ins Haar stecken? „Wunderschön, nicht wahr?“, fragte eine tiefe, schon fast heisere Stimme. Aurelia sah sich erschrocken um. Aus dem Schatten des Torbogens trat der Gärtner hervor. Hatte er sie beobachtete? Seit wann? Ob er sie am Grab gesehen hatte?

Er gesellte sich zu dem Mädchen, stützte sich mit den Händen auf eine Hake und schaute auf das Beet. „Darf ich ihnen vielleicht eine Blume reichen?“, versuchte er Aurelias Schweigen zu ignorieren.

„N-nein danke.“, antwortete sie und starrte auf die Blumenvielfalt. Der Mann nickte: „Du bist auch so hübsch genug!“. Schüchtern lächelte sie zu ihm auf: „Danke!“.

„Aurelia!!“, ertönte die Stimme der Herrin aus dem Hof. „Ich muss gehen, danke nochmals!“, verabschiedete sich das Mädchen hastig und eilte von dannen.

„Was wollte der denn?“, erkundigte sich die Dame als die Kutsche bereits fuhr. „Er wollte mir eine Blume pflücken.“, gab Aurelia Wahrheitsgemäß wieder. „Das ist typisch, sowas machen doch nur Bauern. Gestern war auch so eine auf dem Ball, hast du die gesehen?“, stöhnte die Frau auf. Ihre Tochter nickte. „Also die trauen

sich ja etwas. Blumen im Haar… der einzige Schmuck für arme Menschen, wieso sollte eine Dame aus gutem Hause so etwas tragen?“, beschwerte sich die Hausherrin weiter und betupfte sich die Nase mit einem Taschentuch, „und nun erzähl mal was du gestern so erlebt hast. Ich war ganz versunken in die Gespräche mit Herzogen und Baronen, was ist mir denn alles entgangen?“

Aurelia erzählte ihr was sie hören wollte. Die Tänze mit dem Prinz, ihre Gespräche, ihre Zweisamkeit im dunklen Garten und wie es dazu kam. Alle kontroversen Dinge ließ sie natürlich weg, ebenso ihre Begegnung mit Eleonora, der anschließende Zwist und den Rest des

Abends mit dem edlen unbekannten Herren, dessen Namen sie sich heute zu erfragen vorhatte. Als sie geendet hatte, blickte ihre Mutter skeptisch drein, erwiderte jedoch nichts kritisches, sondern lobte sie für ihr Spiel mit dem Prinzen. Ihre Tochter bemerkte allerdings sehr wohl, dass da etwas nicht stimmen konnte. Schöpfte sie verdacht? Hatte sie sie nicht vielleicht doch beobachtete und so bemerkt, dass die ihr einige Dinge vorenthielt?

Sie musste auf der Hut sein!

Teestunde mit der Königin

Seitdem sie sich hatte ankleiden lassen, hatte sie kein einziges Mal in den Spiegel gesehen. Während der Fahr ins Schloss musste sie sich auf ihre vagen Formulieren ihrer Mutter gegenüber konzentrieren, sich nochmals kurz die Nase zu pudern hatte sie dabei vollkommen vergessen. Aurelia wusste nicht wie sie aussah, wie sie auf andere wirkte. War ihr Make-up verlaufen? Passte es überhaupt? Saß ihre Frisur auch richtig? Sie musste auf die Meinung und die Kompetenz ihrer Zofen vertrauen. Für eine perfektionistische Dame von Welt wie sie es war eine schwere Aufgabe!

Nur mit Mühe gelang es ihr eine sanftmütige Ausgeglichenheit vorzutäuschen, liebevoll zu Lächeln und die Teezeremonie gelassen zu überstehen. Auf die anderen Mädchen konnte sich nicht länger vertrauen. Seit diese ihre Abwesenheit und die des Prinzen am Vortag in Verbindung brachten, hoffte sie nicht mehr auf den kleinsten Hinweis, auch nicht wenn es sich um geringfügig verwischten Lippenstift handeln sollte. Aurelia nahm sich vor, sobald die Zeremonie ihr Ende gefunden hatte, sich zu entschuldigen und einen der Baderäume aufzusuchen. Einige Minuten später war es soweit, der

Prinz löste sich vom Ritual und gab somit die Erlaubnis sich frei bewegen zu dürfen. Sich sofort zu erheben und aus dem Frühlingshaften Garten zu eilen wäre unhöflich gewesen, deshalb blieb Aurelia noch einen Moment sitzen. Gerade als sie sich erheben wollte, bemerkte sie die Königin. Diese schritt bedächtig und anmutig auf ihren Tisch zu, erkundigte sich höflich, ob sie Platz nehmen dürfe und gesellte sich zu den Mädchen. Augenblicklich kehrte Ruhe ein, wo bis eben noch geselliges Geschwätz zu finden war. Aurelias Nervosität nahm zu, denn die Dame setzte sich an den Kopf der Tafel, direkt neben sie, was sie nun zur „rechten Hand“ machte. Diese Position

verlieh ihr Pflichten, aber sie wusste nicht mehr welche. Die Königin gab einem Diener ein Zeichen, woraufhin diese ausschwärmten. Höflich erkundigte sie sich nach dem Befinden und anderen Nichtigkeiten der Mädchen. Kurze Zeit später trat eine Schar Diener hinter je ein Mädchen und reichte synchron einen Teller. Auf jedem befand sich ein kleines Häubchen geschlagene Sahne, ein Keks im Schokoladenmantel, ein Kirsch-Vanillekeks, ein kleines, kreisrundes, mit Puderzucker bestäubtes Gebäck und eine Nougatpraline. „Bitte, esst!“, ermunterte die Frau zu Aurelias linker Seite die Mädchen. Etwas verunsichert schauten sich diese an, bis eine schließlich das

Puderzuckergebäck mit den Fingerspitzen berührte und es in den Mund schob. Aurelia sah, wie es ihr auf der Zunge zerbrach und kleine Krümel auf das Kleid kullerten. Vielleicht ließ sich das mit etwas Sahne umgehen. Interessiert musterte die Königin die Reaktion der Mädchen. Alle waren bemüht sich natürlich zu verhalten. Viele zogen sich ihre Spitzenhandschuhe aus oder nippten an ihrem Tee um Zeit zu gewinnen und die anderen verstohlen zu beobachten. Aurelia nahm sich die kleine Kuchengabel und schob die vordersten Zinken in die Sahne. Mit dieser tippte sie das staubige Gebäck an. Es klebte perfekt. Sie achtete darauf nicht auszuatmen, als sie es sich in den Mund steckte, da sonst

das Puder unschön fortgeblasen würde. Es zerfiel wie das andere Stück und war angenehm süß. Schon bald lockerte sich die Stimmung am Tisch und Aurelia besann sich auf die Pflicht der Königin immer eine der vielen Teesorten nachzuschenken, sobald ihre Tasse leer war. Sollte sie etwas auf ihrem Teller zurücklassen? Sie entschied sich dafür alles zu essen, bis auf den Schokomantel-Keks. Ein fataler Fehler, denn der Vanillekeks war nicht nur mit einer Kirsche verziert, sondern auch mit Marmelade gefüllt, was sie ein wenig überraschte. Die Frau, das fiel den Mädchen auf, studierte dabei ganz genau die Teller und Tischmanieren der

anwesenden Mädchen. Nach etwa zehn Minuten erhob sich die Dame und verabschiedete sich um sofort den nächsten Tisch zu besuchen. Aufgeregt analysierten die Mädchen die Situation. Eines stand fest: dies war eine Prüfung. Sicher war auch der König mit eingespannt und zu sehen ob die Mädchen ihre Erkenntnisse teilen würden. Aurelia erhob sich und machte sich auf den Weg ins Schloss. Als ob es ganz normal wäre und kein Aufsehen erregen würde, gesellte sich der Prinz zu ihr. „Guten Tag, die Dame!“, hielt er sie an und verbeugte sich. „Guten Tag, der Herr.“, entgegnete sie ihm mit einem Knicks und ließ sich von ihm ins Innere des

Palastes führen. „Wie ich sehe quält meine Frau Mama die hübschen Blumen mit fremdländischen Dünger.“, stellte er fest. Aurelia begriff sofort: „Dann waren das also Spezialitäten aus dem Ausland? Sie möchte wohl doch nicht nur sehen wie sich die Frauen zu Tische benehmen.“ „Nein, darauf achtet sie mit einigen anderen Dienern höheren Ranges zu den großem Mahlzeiten. Gerade geht es ihr nur darum zu sehen, wie weltgewandt ihr seid. Wie hast du dich geschlagen? Du sitzt bei meinen Eltern auf dem absteigendem Ast, habe ich gehört.“ Provozierend sah Aurelia ihm in die Augen: „Ich habe mich gut geschlagen. So wie ich dich kennen gelernt habe gefällt dir die

Kombination. Wenn du mich entschuldigen würdest, ich möchte jetzt dahin, wohin du mir sicher nicht folgen möchtest.“ Geschickt wandte sie sich aus dem Arm des Prinzen, verneigte sich und begab sich in die Badezimmer, ohne noch einmal zu ihm aufzublicken.

umorientierung

„Auf dem absteigenden Ast“, murmelte sie. Der Streit mit Eleonora hatte ihrem Ansehen wohl keine guten Dienste erwiesen. Ob sie nun in besserem Licht glänzte? Wie sie sich wohl jetzt gab? Ihr Vater hatte ihr in kultureller Hinsicht so manches mit auf den Weg gegeben. Bevor er Mutter kennenlernte, nahm er Ela gern mit auf seine Reisen. Bestimmt schlug sie sich bei dem Test großartig. Vor dem Spiegel begann Aurelia sich zu drehen. Ihr liebstes Stück der 3 Kleider saß einfach perfekt und ihre Haare bildeten einen wunderschönen Kontrast dazu. In ihrer vollen Länge umspielten sie in sanften

Wellen ihre Schultern. Der Abend konnte beginnen! Das Gespräch über den nachmittäglichen Kuchenschmaus der Königin, sowie die Theorien über dessen Bedeutung rissen nicht ab. Aurelia beteiligte sich nicht daran. Hier herrscht Krieg, hielt sie sich permanent vor Augen. Es ist schwer den Hauptgewinn jemandem anderes in die Hände zu spielen, ganz besonders in dieser angespannten Stimmung. Viele junge Frauen sahen den Prinzen in unerreichbarer Ferne, sodass sie sich nach anderen edlen Herren umsahen. Ab dem heutigen Tag waren sie wohl mehr gefragt als der Prinz selbst. „Sodom und

Gomorra“, murmelte Aurelia leise. Die vom König eingeladenen Gäste wenden sich von dem ab, weshalb sie hier her gebeten wurden und ignorieren es. Sehr unhöflich! Aber das war wohl zu erwarten. Wenn die Mädchen nicht zwangsverheiratet werden wollen, müssen sie so schnell wie möglich aus eigener Hand einen Partner vorweisen, der ihren Eltern genehm ist. Kopfschüttelnd betrachtete Aurelia die Mädchen, die in kleinen Gruppen die Köpfe zusammensteckten und Edelmänner beurteilten. Es war traurig, denn Aurelia konnte all das durchaus verstehen. Nur entschied sie etwas von den anderen. Sie hatte die Wahl, so schien

es. Sollte sie sich den Prinzen „warm halten“ und den Herren von gestern Abend näher kennen lernen? Wo befand er sich gerade und hatte er in der Zwischenzeit vielleicht schon eine andere kennengelernt, die er mehr bevorzugte? Einen Moment war sie etwas beleidigt. Dann traf ihr Blick auf Eleonora. Wie konnte sie herausfinden, ob der Prinz Interesse an Ela zeigte und beruhte das auch auf Gegenseitigkeit? Hatte sie sich vielleicht auch einen anderen Adeligen herausgesucht auf den sie zurückgreifen konnte? Mit der Zeit wurde es kälter, der wolkenlose Nachmittagshimmel verwandelte sich in lauwarmes Abendrot.

Gestern befanden sie sich zu dieser Zeit schon längst im Schloss. Neugierig geworden, fand Aurelia den Weg zurück zu den anderen Mädchen. „Wir warten auf irgendetwas, oder?“, fragte sie vorsichtig in die Runde. „Ja, ich glaube schon. Die Lords von gestern Abend sind auch nicht da. Irgendwie ist das seltsam.“, antwortete ein Mädchen, das aufgewühlt mit den Stil eines Sektglases spielte. Offenbar hatte sie schon eine Wahl getroffen. Die Frauen schwiegen und lauschten in die Nacht. Aurelia spähte umher und besah sich Eleonora. Auch heute wusste sich nicht wann sie eingetroffen war. Heimlich, still und leise traf sie ein. Sie war ein wenig stolz auf ihre Halbschwester. In

einem weiten, violetten Kleid mit ausladendem Rock und dem anliegendem Stoff um die Taille machte sie eine Großartige Figur. Die Frisur hatte sie perfekt nach Anleitung hochgesteckt, damit der Tüll, der sich um ihre Schultern legte, nicht zusammengedrückt wurde. Ela bemerkte den prüfenden Blick ihrer Schwester und drehte sich weg. Eine große Blume fixierte ihre Haare an der Seite. Sie passte perfekt zur Farbe ihres Kleides. Ihr Markenzeichen hatte Wirkung. Sie sah aus wie eine gelungene Mischung aus Elfe und Königin. Zart, jung und edel. „Meine Damen, lassen sie uns das Fest ins Innere des Schlosses verlegen!“, verkündete der König und wies mit einer

ausladenden Handbewegung auf den Seiteneingang des Saales, der in den Palastgarten führte. Dort waren sie. Die sehnsüchtig erwarteten Herren des gestrigen Abends. Gleichmäßig verteilten sie sich auf den Treppen, hinter dem Prinzen. Dieser wartete, bis sie ihre Plätze eingenommen hatten und machte sich auf den Weg zu den Mädchen. Zielstrebig schritt er auf Aurelia zu und bot ihr seinen Arm an. Als sie sich verneigte und die Einladung annahm, strömten die anderen Herren aus um den Mädchen auf dieselbe Weise ihr Geleit anzubieten. Diese Zeit nutzte Aurelias Partner: „Was meinst du, werden die anderen nervös? Wann immer du dich

von den Mädchen ab zu kapseln scheinst, bin ich in deiner Nähe.“ Wie eingebildet. „Zweifellos, aber vorerst erreicht ihr damit nur meine Isolation. Die Anderen scheinen mich zu meiden.“, erklärte sie. „Oh, das habe ich nicht gewusst, verzeiht mit bitte.“, entschuldigte er sich bestürzt. „Schongut, das macht nichts. Die Aufregung legt sich ohnehin. Ihr scheint seit heute Nachmittag nicht mehr der Mittelpunkt des Festes zu sein. Viele Mädchen haben sich bereits nach den anderen Herren umgesehen, da gibt es klare Favoriten. Da ihr eure Braut wohl schon gewählt habt sehen sie keinen Grund weiter um euch zu buhlen.“, setzte

sie ihn aus den neuesten Stand. Vorsichtig lugte er nach hinten.

Neid

Aurelia biss sich auf die Unterlippe und musterte ihn belustigt aus den Augenwinkeln. Der Königssohn aber wandte sich nach vorn und führte seine Gäste, allen voran seine Begleitung, in den Festsaal, an die Tische des gestrigen Abends. „Sehr schön, so kann man die ehrgeizigen Mädchen von den eher ungeeigneten Kandidatinnen trennen.“, antwortete er mit einem wissenden Nicken. Enttäuscht starrte Aurelia geradeaus. Mit einer solch unklaren Aussage kann doch keiner arbeiten und was heißt denn eher ungeeignet? Offenbar würde sich heute Abend keiner zu einer

Entscheidung durchringen können und wenn doch, so würde er sie nicht verkünden wollen. Er wollte spielen? Sie herausfordern? Soll er es doch ruhig versuchen. Sie beschloss nicht weiter darauf einzugehen und ihn weiterhin auf Distanz zu halten. Am Tische der jungen Damen war die Stimmung zweigeteilt. Viele Mädchen plauderten angeregt miteinander und freuten sich auf das Essen, einige von ihnen jedoch weigerten sich beharrlich mehr als unbedingt nötig mit Aurelia zu sprechen. Die „Ehrgeizigen“ hatten eine lautlose Kampfansage ausgesprochen. Zu welcher Sorte Eleonora wohl gehörte? Unbeirrt folgte sie weiter den Gesprächen.

Die Theorien und Lästereien erreichten ihren Höhepunkt, als der erste Gang serviert wurde. Dankbar nahm Aurelia die Unterbrechung in Form einer Erbsensuppe mit Sauerrahmklecks entgegen. Die rasch nachgereichten Speisen unterbanden jede weitere Unterhaltung. Käseplätzchen mit Oliven, Rehbraten an Kroketten mit Gemüse und ein Schokoladenmousse im Teignest verhinderten, dass sich Aurelia die angeblichen ausgetauschten Zärtlichkeiten zwischen dem Prinzen und ihr anhören musste. War das psychologische Kriegsführung? Das Verhalten der lieblichen Adeligen nahm immer mehr einen bissigen Beigeschmack

an. Mit dem Auftragen der Obstplatten löste sich die strenge Sitzordnung aus, so wie am Abend zuvor. Das hatte allerdings zur Folge, dass die Stühle zusammengerückt wurden, ganz so, dass man Aurelia perfekt aus der Gesprächsrunde ausschließen konnte. Verunsichert und allein schaute sich diese um. Ihr Ziel für die heutige Nacht war es, den eleganten Herrn wiederzufinden und sich weiter um ihn zu bemühen, sofern er noch immer Interesse an ihr zeigte. Das permanente Gekicher der Lästermäuler an ihrer Tafel gestaltete die Konzentration darauf etwas schwierig. „Wir sitzen doch alle in einem Boot, warum machen wir uns das Leben zur

Hölle?“, fragte sie sich insgeheim und versuchte die bösen Blicke auszublenden. Aus den Augenwinkeln nahm sie violetten Stoff war. Eleonora setzte sich zu den Mädchen und begann sich in das Gespräch einzumischen. „Nein, die soll den Prinzen abbekommen?“ und „Ach was, ich hab doch auch mehr als nur einmal mit ihm getanzt!“ waren ihre Worte. Aurelia versuchte daraus schlau zu werden, aber es gelang ihr nicht. Wollte sie den Prinzen nun doch? Hatte sie eine reelle Chance oder übertrieb sie maßlos? Doch vor allem: Wollte sie ihrer Stiefschwester helfen oder sie nur verletzen? „Na schaut mal wer da kommt!“ wisperte

eine Dame, die nah der Tanzfläche saß, „Machen wir es doch vom nächsten Tanz abhängig. Diejenige von euch beiden, die er zum ersten Tanz heut Abend auffordert, wird wohl die besseren Karten haben!“ Aurelia lehnte sich etwas nach hinten um zu sehen, was die anderen längst erspäht hatten. Tatsache, der „Hauptgewinn“ steuerte direkt auf ihren Tisch zu, wechselte aber auf die Seite an der Ela saß und verneigte sich vor ihr. Als die beiden die Runde verließen, rückte Aurelia kommentarlos zu den Mädchen auf und legte die Hände in den Schoß. Mit einem Mal schien die Welt viel klarer. Sie beide waren noch im Rennen und zwar genau so, wie sie es sich erhofft hatte!

Die Wogen hatten sich geglättet, man schloss Aurelia in die Gespräche wieder ein und die Themen beschränkten sich nun nicht mehr auf einzelne Personen und deren Unzulänglichkeiten. Eleonora saß ab diesem Zeitpunkt öfter an ihrer Tafel. Sie war beliebt, keine Frage. Jedoch wurde Aurelia aus den Sticheleien, nach wie vor, nicht schlau. Sie wechselten kaum ein Wort miteinander. Als die Sonne untergegangen war, beschloss sie in die Offensive zu gehen. Das war zum Teil ihrer Nervosität geschuldet, zum Teil aber auch der, der Anderen. Es begann die Zeit in der die Mädchen nach ihrem heiratsfähigen Material Ausschau hielten.

War es riskant oder gar vermessen von den Ereignissen des letzten Abends zu reden und sein Vorhaben kund zu tun? Aurelia wusste nicht ob sie den jungen Damen vertrauen konnte. Um sein Erscheinen oder Fernbleiben musste sie sich zumindest keine Gedanken machen, das stand fest. Sie hatte ihn schon nach dem Essen entdeckt, er sie aber noch nicht, wie es schien. Dafür wurde sie eingespannt um den einen oder anderen Adeligen zu suchen. Die Angaben waren dabei mehr als vage. Was er gestern trug, seine Augenfarbe und sein Name, waren keine allzu hilfreichen Hinweise. Selten konnten sich die Frauen gegenseitig helfen. Mit der Zeit wurden einige zum Tanz

gebeten, das machte sich Eleonora zu Nutze. Als sich fast keine der Mädchen mehr am Tisch befand, sagte sie: „Gern geschehen.“ „Hmm?“, Ihre Stiefschwester drehte sich abrupt um und musterte sie mit fragendem Gesichtsausdruck. „Die Gerüchte von dir und dem Prinzen. Ich habe schon gestern geahnt, dass es zu so etwas kommen würde.“ Aurelia drehte sich der Kopf. „War aber ein riskantes Manöver. Schließlich konntest du nicht wissen wen er wählen würde. Das hätte dann böse enden können.“ „Nicht wirklich“, sagte Ela mit schief gelegtem Kopf, „Weißt du, ich kenne den

Prinzen schon etwas länger. Ich habe ihn darum gebeten mir den ersten Tanz zu schenken.“

0

Hörbuch

Über den Autor

Zebra
Über mich gibt es nicht sonderlich viel zu erzählen.
Ich mag Bücher und wenn´s mich überkommt schreibe ich mal etwas Eigenes auf.

Derzeit werde ich etwas zu sehr vom unkreativeren Teil des Lebens eingenommen, finde also keine Zeit um meine Geschichten weiter zu schreiben. Das tut mir vor allem die für Fans von "Aurelias Plan" leid.

Leser-Statistik
252

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
weihnachtshase cooles buch, zebra
Vor langer Zeit - Antworten
Zebra Vielen Dank.
Allerdings habe ich das buch in seiner aktuellen Form bereits verworfen. Ich werde es demnächst umschreiben und dann nochmal hochladen.
Vor langer Zeit - Antworten
Gillegan wunderbare Phantasie. Schöne Idee bekannten Geschichten einen neuen Drall zu geben. Werde hier wohl auch Kapitel für Kapitel in meiner freien Zeit abarbeiten.
Vor langer Zeit - Antworten
Zebra Vielen Dank :)
Leider bin ich etwas stecken geblieben und kann die Arbeit erst wieder in ein paar Wochen aufnehmen...
Lass dir also ruhig Zeit beim Lesen :)
Vor langer Zeit - Antworten
Sasabanana wirklich tolles Buch
freu mich schon auf das nächste Kapitel
ein paar Fehler habe ich zwar gefunden aber die schleichen sich auch bei mir manchmal ein
alles in allem wirklich Klasse
Lg saskia
Vor langer Zeit - Antworten
WaterSpirit Hey :)
Ich hab dein Buch zwar noch nicht gaaaanz durch, aber ich finde es bereits sehr interessant und werde auf jeden Fall bald weiter lesen :)
Du hast einen schönen Schreibstil!
GLG
Vor langer Zeit - Antworten
Zebra Vielen Dank :)
Leider pausiert das Buch gerade... Aber du wirst ja sehen, wenn es etwas Neues gibt :)
Vor langer Zeit - Antworten
koollook Ich habe dein Buch angelesen (das erste Kapitel und ein paar zerquetschte Seiten^^)
Dein Stil ist sehr gut, das Lesen macht echt Spaß. Eigentlich sind Märchen nicht mein Ding, aber dieses könnte ich zu ende lesen.^^
Vor langer Zeit - Antworten
Zebra Danke ^^
Wird wohl echt Zeit, dass ich weiterschreibe, oder? ;-)
Vor langer Zeit - Antworten
Minni98 Das Buch gefällt mir! Du kannst echt gut schreiben! :)
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
34
0
Senden

93813
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung