Schon seit frühester Kindheit litt ich unter diesen Panikattacken.
Wann immer die Dämonen des Sturms auf die Walküren des Untergangs trafen, verkroch ich mich solange bis sich das Getöse ihres Kampfes aufzulösen drohte.
Alle die mich kennen nannten mich stets tapfer, unnachgiebig und mutig. Geboren um zu schützen, zu bewachen und auch zu trösten. Der Fels in der Brandung.
Zumindest solange bis sie meine Schwäche hautnah miterleben durften.
Denn ab diesem Zeitpunkt war ich nichts weiter als eine kleine Zwergin, die sich vor Unwetter fürchtet, egal ob es draußen tobt
und man es sicher und warm von drinnen verlachen konnte.
Der bewundernde Glanz in den Augen jener die schließlich milde lächelnd, ja bereits spöttisch, auf mich herab blickten erlosch und riss tiefe Wunden in meine Selbstachtung.
Zwar versuchte ich diese meine Schwäche immer zu verbergen, aber das Wetter konnte ich nicht beeinflussen.
Wann immer unsere Freunde bemerkten, dass diese bösen Geister von mir Besitz ergriffen, kapselte ich mich von ihnen ab. Denn dies war der Augenblick in dem sich der Eindruck, den alle von mir hatten, in den Grundfesten erschütterte.
Jedes Mal, wenn ich diesen Menschen
wieder begegnete wusste ich, dass sie mich nun als gänzlich harmlos ansahen.
Eine harte, aber dünne Fassade mit einem allzu weichen Kern.
Ich war mir sicher, dass sie über mich lästerten, jawohl!
Und ich hasste sie dafür. Sie und meine Schwäche. Beide zusammen verletzten meinen Stolz irreparabel.
Es gab nur einen Menschen, den ich an meiner Seite wissen wollte.
Tino!
Tino verlachte mich nie, er saß immer so lange bei mir bis ich wieder ganz die Alte war.
Auch hatte sich sein erster Eindruck über
mich nie geändert, selbst als er von meiner Angst erfuhr. Mit einer Zärtlichkeit die mir bis dahin noch nie widerfuhr kümmerte er sich um mich.
So auch heute.
Als wir zu Hause ankamen stürmte ich sofort durch alle Zimmer auf der Suche nach dem Fleck der mir als sicher schien.
Tino blieb ruhig. Er beseitigte Regenpfützen und Spuren meines Kavalierstarts, die ich im Flur und in der Küche hinterlassen hatte mit einer Geduld die mir seit jeher gänzlich unbegreiflich war. Danach durchstöberte er, wie immer, alle Zimmer unseres kleinen Häuschens um
sich an meine Seite zu gesellen.
Dieses kleine Versteckspiel wurde im Laufe der Jahre unseres Zusammenlebens eine Art Ritual. Er fand mich immer, darauf konnte ich mich verlassen. Aber er fand mich immer erst dann, wenn ich auch bereit dazu war. Wie er das jedes Mal schaffte weiß ich nicht.
Aber diesmal war mein Versteck raffiniert!
Ohhh nein, so leicht würde er mich nicht finden, diesmal nicht! Tatsache, er lief oft, laut meinen Namen rufend, an mir vorbei.
Als sich unter das prasselnde Geräusch des Regens auch Donner mischte, der unserem Auto zweifellos nach Hause
gefolgt sein musste, begann ich zu zittern.
Noch immer hatte mich Tino nicht gefunden. Das war merkwürdig. Womöglich musste ich meine Panik heute allein durchstehen!
Nun wäre ich am liebsten auf ihn zugestürmt um mich in seine Arme zu werfen, aber ich war wie versteinert. Die Angst vor dem Gewitter und dem Alleinsein hatte mich gelähmt!
Und das Gewitter kam näher.
Das dumpfe Grollen der Ferne wurde mehr und mehr zu einem Krachen.
Bis jetzt konnte ich mich noch zurückhalten, aber nun glaubte ich langsam die Kontrolle über mich zu verlieren. So kam es, dass ein leises
Wimmern meinen Gemütszustand verriet.
Sofort nährten sich Tinos Schritte der Couch, auf der ich zusammengerollt unter der Decke lag.
„Ach da bist du! Fast hätte ich dich nicht gefunden!“, schalt er mich im sanftem Ton.
Na sag ich doch, heute habe ich es ihm wirklich schwer gemacht! Letztes Mal hatte ich mich unter seinen Schreibtisch gehockt. Das Sofa war zu offensichtlich als das man mich da suchen könnte.
Als er sich neben mich setzte sanken die Polster ein wenig ein, sodass ich ein wenig zu ihm rutschte. Behutsam legte Tino seine warme Hand auf meine Schulter.
„Ich hätte den Wetterbericht genauer lesen
sollen bevor wir zu dem Ausflug aufbrachen, entschuldige bitte.“, fügte er hinzu.
Sodann kuschelte sich mein Retter an mich um mir ins Haar zu flüstern: „Ich habe ein Geschenk für dich!“
Langsam drehte ich meinen Kopf in seine Richtung.
Spuren von Tränen, die mir die Sicht erschwerten durchzogen mein Gesicht. Ich schniefte und wischte mir kurz über meine gerötete Nase.
Zwar sah ich nicht was er in der Hand hielt, aber es raschelte und knisterte.
Als ich meinen Kopf etwas hob erkannte ich ein Stückchen Nougat in Silberpapier.
Angewidert drehte ich den Kopf weg:
„Nicht jetzt, mir ist übel.“
Und wieder donnerte es. Nicht mehr lange und der Sturm würde seinen Höhepunkt erreichen.
Tino aber lies nicht locker und hielt mir das Bonbon direkt vor die Nase: „Aber es wird dir besser gehen, versprochen. Bitte! Tu es für mich.“
Ich ekelte mich vor den Gedanken etwas zu essen noch mehr als vor dem süßen Duft, den die Süßigkeit verströmte. Aber meinem Gefährten konnte ich keinen Gefallen abschlagen.
Vorsichtig nahm ich das kleine Nougatstück mit den Zähnen auf und schluckte es ohne kauen zu müssen. Mit
der Zunge ertastete ich etwas kleines, hartes im Innern.
Er tätschelte mich: „Du wirst sehen, es wird dir schon sehr bald besser gehen.“
Er sollte Recht behalten.
Seufzend lehnte ich mich wieder in die Polster zurück und lies den Dämmerzustand über mich hinüberziehen. Ich verlor das Zeitgefühl, aber das machte mir nichts aus. Denn mit ihm verschwand auch die Angst. Was blieb war Frieden und Gelassenheit und das immer mehr.
Das Gewitter wütete nun direkt über unserem Haus. Das Krachen und Donnern nahm ich nur noch entfernt wahr, ebenso die Blitze, die sporadisch unser
Wohnzimmer erhellten.
Tino wartete geduldig wie immer bis sich mein Atem ruhig und gleichmäßig anhörte. Nicht mehr lange und ich würde schlafen, tief und fest.
Und wenn das Gewitter vorüber war, würde ich aufwachen, genauso wie immer, ausgeruht und putzmunter.
Dann würde ich aus meinem Körbchen, in das mich Tino gelegt hatte aufspringen und ihn Schwanzwedelnd umkreisen, solange bis er sich Freudestrahlend zu mir hinunterbeugen würde, damit ich mich für unsere treue Freundschaft und ganz besonders die letzten Stunden bedanken konnte.
Und das nächste Mal würde ich ihn vor Dämonen, Geistern anderen bösen Wesen schützen, über ihn wachen und ihn trösten, so wie er es auch für mich tut, versprochen!