Beschreibung
Ich hatte mal wieder Lust etwas zu Schreiben. Das ist daraus geworden. Ich hoffe meine kleine Geschichte gefällt euch...
Stamm des Lebens
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Das Sonnenlicht flackert durch die dichten Zweige. Die Blätter reihen sich grün an grün und lassen alles erstrahlen. Mit angezogenen Knien sitze ich im kühlen Schatten des Baumes und streiche durch das feuchte Moos, das ihn umgibt. Wie viele Stunden haben wir hier gesessen und auf unser Dorf hinabgeblickt, im festen Glauben, dass wir es nie verlassen werden? Unsere ganze Zukunft haben wir hier geplant. Wir wollten ein hübsches Café eröffnen, ein kleines Häuschen bauen und in der alten Kirche einmal heiraten. Wir wollten uns niemals wieder loslassen, hier gemeinsam sterben und auf dem alten Friedhof begraben werden.
Ja, so haben wir uns unser Leben vorgestellt. Du und ich. Gemeinsam.
Dann hattest du diesen Unfall und wollest nicht, dass ich mich um dich kümmern muss. Du wolltest mich nicht mehr sehen, obwohl dir der Schmerz deutlich im Gesicht stand. Du wollest, dass ich gehe und mein Leben lebe, ohne dich. Plötzlich kam es mir absurd vor, hierzubleiben. Ohne Job, ohne Geld, ohne Perspektive, ohne dich. Ich wollte die Welt sehen und etwas lernen. Ich wollte nicht zusehen, wie alle meine Verwandten, Nachbarn und Lehrer sterben, und darauf warten, dass sie auf dem alten Friedhof begraben werden. Ohne dich, machte nichts mehr Sinn.
Ich streiche über die verblassten Buchstaben, die wir in die riesige Eiche geritzt haben. J und S. Noch immer stehen sie da,  obwohl viele Stürme die Eiche zum Schwanken gebracht und unzählige Schneeflocken die Zweige unter sich begraben haben. Die Buchstaben bleiben  für die Ewigkeit und doch stehe ich nun alleine hier. Trotzdem macht ihr Anblick mich nicht traurig, nein, ein kindisches Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Ich blicke auf mein Leben: Die Festanstellung als Fotografin, die moderne Eigentums- wohnung in Berlin und die Freiheit.
Ich bin froh, dass du mich hast gehen lassen und ich danke dir für jede einzelne Sekunde, die wir zusammen verbracht haben. Ich danke dir für die Pläne, die wir geschmiedet und für die Buchstaben, die wir in diesen Baum geschnitzt haben.
Ich bin glücklich, dass ich gegangen bin, denn sonst wäre mein Leben so geworden, wie wir es geplant hatten.