Beschreibung
Um heraus zu finden, wie Blindsein sich anfühlt, habe ich einen Eigenversuch gemacht.
(c) Beim Autor
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Mal sehen, wie Blinde sehen
Unscheinbar und unauffällig ist ihr Verhalten in der Welt der Sehenden.
Ich bin immer wieder beeindruckt, wann immer ich einen Blinden sehe, wie unauffällig und sicher er sich in einer Welt zurecht findet, in der er nicht sieht.
Das Einzige woran man ihn äußerlich erkennt, ist das Erkennungszeichen, - die Binde mit drei Punkten und einem weißer Stock, der von links nach rechts geschwenkt, - oder an der Bürgersteigersteigkante entlang geschleift wird.
Mal abgesehen von einem Blindenhund, wobei es auch nicht einfach ist, einem Blindenhund bedingungslos zu folgen und zu vertrauen.
Selbst bei belebtem Personenverkehr auf dem Bürgersteig, kollidiert er mit niemanden, - nun ja, darüber braucht er sich auch keine Gedanken zu machen, denn die anderen Passanten sind ja nicht blind und machen ihm Platz.
Sehende nehmen die Umwelt zu 90 % mit den Augen wahr, während die anderen Sinne, - vor allem, Hören, Fühlen, Riechen, etc. mehr oder weniger vernachlässigt werden können, zumindesten was die freie Beweglichkeit betrifft.
Ich wollte nun genauer wissen, wie ich in der Welt der Blinden zurecht komme.
Dazu machte ich einen Eigenversuch.
In Begleitung meiner Gefährtin, begaben wir uns in einen nahegelegenen Park.
Wir suchten uns einen weniger belebten Bereich aus, - denn wir wollten unsere Mitmenschen in ihren Wahrnehmungen nicht überfordern und zu Fehlschlüssen verleiten.
Ich verband mir die Augen mit einem dunklen Tuch, so daß zwischen dem Tuch und den Augen, auch Dunkelheit herrschte.
Das war schon ein eigenartiges Gefühl, denn wenn man am Tage die Augen schließt, dann herrscht nicht wirkliche Dunkelheit, da die Helligkeit durch die Lieder scheint.
Zum Auftakt dieses Experiments spielte meine Gefährtin einen Blindenhund. Das war kein Problem, da ich mich an ihren Schultern festhielt und nur hinter ihr her laufen mußte. Nun wollte ich das Experiment toppen und ohne Führung gehen.
Nach einer Verschnaufpause, - und nach Einprägen der Umgebung, - erblindete ich wieder.
Als Ziel hatte ich mir einen Baum ausgesucht, der in einer Entfernung von ca. 500 m stand.
Natürlich ging ich gerade aus und die ersten Schritte gingen recht flott und schnell.
Das endete jedoch an einem Maulwurfshügel, - den ich überhaupt nicht wahrgenommen hatte, bzw. übersehen hatte, als ich versuchte mir die Strecke ein zu prägen.
Ich kam ins Straucheln, konnte mich aber abfangen, aber ich konnte nicht verhindern, daß ich die Richtung veränderte.
Nun mußte ich abschätzen wie weit ich vom Kurs abgekommen war und ich merkte, daß mein Selbstvertrauen nachließ, weil ich nicht sicher war, ob es die richtige Richtung war, in der ich weiter ging.
Verunsichert setzte ich nun Fuß vor Fuß mit bedeutend kürzeren Schritten, wie sie noch zuvor waren.
Durch die Schuhe versuchte ich Kontakt zum Boden auf zu nehmen, denn ich hätte eigentlich schon an dem Sandweg sein müssen, den ich mir eingeprägt hatte.
Der Weg kam aber noch nicht, dafür nahm ich Hundegebell war und Leute die sich unterhielten.
Das Hundegebell kam näher und ich war in sofern beruhigt, daß sich das Gebelle nach einem kleinen Hund anhörte.
Ob sich wohl die Leute über mich unterhielten oder sogar lustig machten?
Mir kam der Gedanke die Binde ab zu nehmen um den Leuten zu Erklären, was ich hier treibe.
Das entsprach aber nicht meinem Grundsatz, den ich mir angeeignet hatte, in dem ich mir sagte: Es ist mir egal was andere Leute sagen.
Ich nahm die Binde also nicht ab und versuchte die Stimmen zu orten, denn dort mußte ja auch der Weg sein, den ich überqueren mußte.
Auch konnte ich an der Lautstärke erkennen, wie weit es noch sein mußte und ob der Winkel zu dem Weg stimmte.
Ich blieb einen Moment stehen und hörte hinter mir Schritte im Gras. Ich kann mich nicht entsinnen, schon mal Schritte im Gras gehört, - oder darauf geachtet zu haben.
Meine Gefährtin konnte es wohl nicht ertragen, daß sich die Spaziergänger über mich lustig machten. Es waren ihre Schritte die an mir vorbei gingen und mir anzeigten in welcher Richtung sie ging.
An dem anschließenden Gespräch mit den Leuten, konnte ich die Entfernung und Richtung nun genauer einschätzen.
Das Gelächter hatte aufgehört, nachdem meine Gefährtin erklärt hat, was der Sinn meines Treibens ist.
Nach dem ich die Orientierung auf diese Weise gefunden hatte, ging ich wieder etwas selbstbewußter vorwärts und brauchte gar nicht viel zu korrigieren, denn die Richtung stimmte.
Der Sand unter meinen Füßen knirschte und irgendwie überkam mich ein kleines Gefühl von Stolz und Erleichterung.
Gut die Hälfte hatte ich nun hinter mich gebracht.
Von den Leuten und meiner Gefährtin nahm ich nichts mehr wahr, aber ich war mir sicher, daß sie mich beobachteten.
Nun baute sich ein anderer Druck auf, nämlich die Angst vor dem Versagen. Ich wollte doch eine gute Figur abgeben, - wiederholt sagte ich mir jedoch; was gehen mich die Leute an und was habe ich mit ihnen zu tun?
Mit den Füßen Tastete ich die Wegkante ab, um im richtigen Winkel an meinem Ziel an zu kommen.
Ich hatte mich nun schon etwas daran gewöhnt und konnte meine Schritte besser einschätzen, als ich ein sich näherndes Hecheln hörte.
So ein blöder Hund, dachte ich bei mir, - denn um ihn konnte es sich nur handeln.
“Hansi, komm sofort her! “ Hörte ich das Herrschen rufen und mir ging durch den Kopf, “Was für ein bescheuerter Namen für einen Hund.”
An dem Rufen konnte ich mich wieder orientieren und wußte in etwa, welche Strecke ich zurück gelegt hatte.
Überhaupt nahm ich Geräusche wahr, die ich mit Sicherheit sonst nicht gehört hätte.
Autogeräusche einer entfernten Straße, Entengackern von einem in der Nähe befinlichen See, Fliegen, Bienen und sonstige Insekten die sich in meiner Nähe befanden, und natürlich Hansi.
Das Interesse an mir hatte bei den Leuten wohl nachgelassen, denn Gebell und Stimmen wurden immer leiser.
An die Verzerrung von Zeit und Raum hatte ich mich nun auch etwas angepast und meinte in der Nähe des Baumes zu sein.
Vorsichtshalber streckte ich schon mal die Hände nach vorne, um mir kein Hörnchen zu holen.
Die Schritte wurden wieder etwas kürzer aber nicht weil ich unsicher war beim Auftreten, sondern weil ich dachte, in der Nähe des Baumes zu sein.
Aber wieso hörte ich keine Blätter rauschen?
Warum sollten sie rauschen? Es war doch fast windstill.
Noch nicht mal eine dusselige Taube gurrte, die sonst überall zu finden waren.
Es kam wieder eine Phase der Unsicherheit und Ungewißheit auf, bis ich meine Gefährtin rufen hörte: “Kalt, kalt ... kalt,”
Von früheren Kinderspielen her, war mir das noch vertraut, kalt bedeutete, entgegengesetzt.
Ich korrigierte die Richtung leicht nach rechts und hörte: “ Es wird kälter!”
Ha, andere Richtung.
Aber da habe ich einen Vogel gehört und das war im Baum.
Unter den Füßen spürte ich eine leichte, schräge Unebeneit,- das Gefühl kannte ich von Spaziergängen, wenn ich über eine Baumwurzel ging.
Was mir entgangen war, meine Gefährtin hatte sich an den Baum geschlichen, und ich war nicht wenig überrascht, als ich von dem Baum einen ganz lieben Kuß bekam.
Das Experiment war zu Ende und ich war erleichtert, als mir die Binde abgenommen wurde und auch ein wenig Stolz es geschafft und vor allem, durchgehalten zu haben, denn es waren auch manchmal Momente, in denen Panik in mir aufkam und ich versucht war, mir die Binde ab zu nehmen.
Ich kann mich nicht entsinnen, jemals so viele, fremdartige Gefühle gespürt zu haben, wie auf diesen 500 Meter zu dem Baum hin, - und werde auch nicht die Augenblicke vergessen, wo ich mir ziemlich klein und bescheiden vor kam.
Sicherlich haben Blinde dieses Gefühl nicht, weil sie es nicht anders kennen, aber ich weiß jetzt, das Blinde mit anderen Augen sehen.
Ich mußte in diesem Zusammenhang, auch an jene Blinden denken, die weder blind sind, noch eine Binde vor den Augen haben, - aber das ist ein anderes Thema, welches sich durch einen Eigenversuch nicht rekonstruieren läßt.