„Ey.. Sie da..“
Die energische, leicht pöbelnde Stimme hinter mir konnte doch wohl unmöglich mich meinen?
„Ey, Sie.. Ja, Sie.. mit dem Schlaumacher in der Hand..“ kam es jetzt eindeutig gereizt und ein Finger tippte mir an die Schulter.
Jetzt fühlte ich mich doch angesprochen und drehte mich leicht genervt um. Ich genoss die lange Busfahrt jeden Morgen und jeden Nachmittag nur deshalb, weil ich mich in meinen jeweiligen Lieblingsschmöker vertiefen konnte. Also, wer wagte es mich zu stören, so kurz vor dem Ende meines Buches.. und dann auch noch so ruppig und von der Seite..?
Ich drehte mich herum und schaute in das Gesicht eines sehr jungen Mannes, der schräg hinter mir saß und missbilligend auf die aufgeschlagenen Seiten meines Buches zeigte. Sein Begleiter – ebenfalls sehr jung – kicherte in sich hinein.
„Ja.. was?“ entgegnete ich jetzt in angemessen gereiztem Tonfall.
„Watt lesen se denn da?“ knötterte mir der Youngster entgegen und drehte gleichzeitig am Lautstärkeregler seines MP3-Players..
Bei dem einsetzenden, viel zu lauten Hämmern das aus den Ohrstöpseln drang, sparte ich mir gleich die Antwort und vertiefte mich wieder in die letzte Seite meines Buches.. das Ende war nah, aber wie bei jedem Buch war ich auch hier begierig auf den Schluß..
„Ey Alte.. sprichse nich mit mir? Bin ich dir nich fein genug? Ich hab dich watt gefraacht..“
Jetzt lehnte der Flegel weit über meiner Rückenlehne und tippte mit seinen Schmuddelfingern auf meine Seiten.. Die Lautstärke seines Players und seiner Stimme kämpften mittlerweile um den Sieg.. „Liebe.. Love.. L’amour.. pöbelte er.. stellte sich in Positur, klimperte mit den Wimpern und fasst sich dramatisch ans Herz – sicher, dass er ein Publikum finden würde... „pahhh..“
Mit einem beherzten Griff - man weiß ja nie, welches Echo folgt – griff ich seinen Kopfhörer und zog ihm die Stöpsel von den Ohren.
Tiefes Rot überzog nun plötzlich sein Gesicht und er sah auch längst nicht mehr so angriffslustig aus. Kinder...
„Ey Alter.. Du brauchst hier nicht rum zu nölen.. mach die Mukke leiser, dann versteht man Dich auch.. scheinbar hast Du etwas zu sagen“ hielt ich ihm entgegen. „Außerdem.. was hast Du gegen Liebe? Verstehst Du schon was davon?“
„Äh.. datt ist nur watt für Weicheier..“ aber wenigstens schaltete er seinen Player aus, was einige Fahrgäste nun auch noch zum Beifall klatschen animierte.. Das brachte unser Herzchen hier erst recht aus der Fassung. Ich spürte die innere Zerrissenheit.. scheinbar war hier doch noch nicht alles verloren.
Ich steckte meine Nase wieder in mein Buch und versuchte den verlorenen Faden wieder zu finden.. aber das fiel mir seltsamerweise jetzt schwer. Hinter mir wurde getuschelt, aber der Player blieb still.
„Na, watt steht denn nu drin?“ kam es jetzt von hinten, allerdings in deutlich herabgesetzter Lautstärke. Sein Begleiter knuffte ihn in die Seite und meinte: „Man Alter.. watt willze denn.. laß die Alte doch.“
„Es geht nicht um Liebe in meinem Buch.. eher um zuwenig davon,“ antwortete ich mit festem Blick in sein Gesicht und das machte ihn nun seltsamerweise sehr verlegen.
Ich wandte mich wieder meinem Buch zu und hatte nach wenigen Sekunden das Ende erreicht.
Sehr zufrieden, es noch vor meinem Ausstieg geschafft zu haben, wollte ich das Buch in die Tasche schieben.. Die letzten Sätze noch im Kopf hielt ich jetzt jedoch spontan inne und stand auf..
„Hier Alter.. da hasse watt zum lesen.. vielleicht kommse ja noch drauf..“ sagte es mit einem Grinsen und drückte ihm das Buch in die Hand. Sein Begleiter wollte sich schier kugeln vor Lachen, aber das Herzchen hatte spontan das Buch gegriffen und starrte auf den Titel: Kein Wort zu niemandem
Wochen später traf ich ihn im Bus.. vertieft in ein dickes Buch.
Er bemerkte mich nur, weil ich mich neben ihn setzte und in meiner Tasche nach meinem Buch griff.. Als ich bemerkte, das er mich erkannt hatte, sah ich auf und grinste ihn an.
„Hey.. ich verrate es niemandem!“