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Es versprach wieder einer der höllisch heißen Tage zu werden, welche dir die Wimpern versengen und die Zunge am Gaumen festkleben. Erst 10 Uhr und schön über 30° und ich hatte vergessen, meine Stromrechnung fristgerecht zu bezahlen. Nun hatten sie mir den Strom abgestellt, mein Kühlschrank lief bereits aus und meine Klimaanlage, ohne die ich die letzten Wochen nicht hätte schlafen können, würde nur noch als Deko im Schlafzimmer herumstehen. Porca miseria, ich musste zusehen, dass ich wieder zu Geld kam, denn einen festen Arbeitsplatz hatte ich nicht, bei uns in Neapel gehen die guten Stellen, mit denen du richtig Knete verdienen kannst, alle unter Hand weg, vor allem die sicheren Arbeitsplätze bei einer Behörde. Ich glaube, ich brauche einem Landsmann wie dir nicht zu erklären, wer dafür verantwortlich ist… genau, die Camorra, diese Krake, die ihre Kontakte bis in höchste offizielle Kreise hat und seit Jahren dafür sorgt, dass unsere schöne Stadt in Dreck und Müll erstickt. Vor allem die Santuccis, eine der vier mächtigen Camorra-Familien, hatten die Müllentsorgung zu ihrem Geschäft gemacht. Seit über einem Jahrzehnt kämpfen sie einen erbitterten Krieg um die Müllentsorgung der zahlenmäßig menschenreichen Region und boykottieren regelrecht die Müllentsorgung der Mitte-Linksregierung des Regionalpräsidenten. Resultat? Unsere Region erstickt heute förmlich im Müll, manchmal liegt der Müll eine ganze Woche in der gnadenlos heißen Sonne. In manchen Vierteln Neapels spielen die Bambini zwischen den Müllhaufen, und es kommt immer wieder vor, dass ein Piccolino von einer der feisten Neapolitaner Ratten gebissen wird.
Aber das ist nicht das Einzige, was zum Himmel stinkt…Die anhaltende Macht der Verbrechersyndikate in Italien verhindert bis heute, dass der unterentwickelte Süden sich aus seinem Joch befreien kann. Und nicht zuletzt hat diese Macht bislang erfolgreich verhindert, dass sich das Land zu einem stabilen demokratischen Staat entwickeln kann. Justiz und Polizei führen einen aussichtslosen Kampf, wenn sie nicht überhaupt mit den Camorristi verfilzt sind. Sicher fragt der eine oder andere nun, warum ich mich derart über eine in ganz Italien bekannte Gegebenheit auslasse. Nun, das ist ganz einfach: Ich, Paolo Caputo, 27 Jahre alt, habe BWL und Geschichte studiert und danach bei einer kleinen unabhängigen gazetta als Wirtschaftsredakteur gearbeitet. Ja, ihr lest richtig, ich habe gearbeitet, denn vor vier Wochen wurde das Gebäude, in dem unsere Zeitung Redaktion und Druckerei untergebracht hatte, bei einem gezielten Bombenanschlag in die Luft gesprengt. Bis auf eine Sekretärin, die zur Zeit der Explosion außer Hauses war, denn sie musste wegen eines vereiterten Zahnes zum Arzt, und meine Wenigkeit kamen alle Mitarbeiter und die Geschäftsleitung bei dem Anschlag ums Leben.
Ich hatte an diesem Tag außerhalb von Neapel einen Interviewtermin bei Signore Vermicello (kein Witz, der heißt wirklich so, nomen est omen), dem bekannten Pastamagnaten. Ihr könnt euch vorstellen, dass ich bis auf den heutigen Tag grüble, warum ich gerade an diesem Tag den Termin von Don Giovanni erhalten hatte, denn ich hatte monatelang ohne Erfolg mit seinem Bureau telefoniert. Und- es war zu keinem Gespräch gekommen, denn im letzten Moment musste Don Giovanni zu einem wichtigen Treffen in die Schweiz fliegen. Ich war stinkesauer, zwei Stunden Fahrt in meinem alten Punto für die Katz und kein neuer Termin in Aussicht. Als ich wieder in der Via Annunziata war, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen: das Verlagsgebäude- stand nicht mehr, und Rauch und Staub zogen durch die Straße. Es war ein unbeschreibliches Chaos, Weinen, Geschrei, Sirenen, und die Kollegen der RAI waren bereits vor Ort, um dem Rest Italiens eine gigantische Katastrophe zum dinero zu servieren.
Aber am heutigen Tag hatte ich handfeste Probleme. Kein Strom, nix zu essen im Haus, und zu allem Überfluss zog der Bankautomat auch noch meine Karte ein. Ich hätte mich natürlich mit Briccone, meinem Neufundländer, auf die Piazza Garibaldi setzen können, einen Strohhut tief ins Gesicht gezogen und einen Pappbecher zu meinen Füßen. Bettler mit Hund, das können die Touristen, vor allem die deutschen, nicht sehen, der arme Hund, und damit meinen sie nicht den Mann, braucht doch zu essen! Aber eine derartige Demütigung ließ mein Stolz nicht zu, ich hatte schließlich eine laurea, ein Diplom, und ich kannte mich wirklich gut aus auf meinem Fachgebiet. Da mimt man nicht den Bettler, bloß um einen Teller Pasta und ein paar Knochen für Briccone kaufen zu können.
Nein, ein brillanter Kopf wie ich, der war zu Höherem berufen, ich wollte auch endlich einmal auf der Seite der Gewinner stehen, an das große Geld kommen. Mein padre hatte mir nicht umsonst jahrelang in den Ohren gelegen: „Filio, sieh zu, dass du dich mit den mächtigen Herren gut stellst, dann hast du ausgesorgt!“ Ihr werdet jetzt denken, ich wollte einen Fuß in die Tür setzen, die zu den gut bezahlten Posten in der Stadtverwaltung oder anderen staatlichen Institutionen führt? Beh! Doch nicht bei meinen Talenten, nein, ich wollte ganz nach oben, dorthin, wo der Innere Kreis unter sich war und seine eigenen Gesetze erließ, die Gesetze der Blutrache. Nun war es allerdings mehr als difficile, überhaupt nur in den Ersten Kreis vorzudringen. Ich wusste von einem ehemaligen Kommilitonen, der es versucht und dafür mit dem Leben bezahlt hatte.
Und gar der Innere Kreis war für einen jungen, hungrigen intelletuale wie mich unerreichbar. Da war es einfacher, auf dem Mars eine Eigentumswohnung zu erwerben, wenn ihr versteht, was ich meine. Nein, man brauchte eine tessera, eine Ausweiskarte, die einem Zugang zu einer Famiglia verschaffte. Manche Jungspunde versuchten es, indem sie die Tochter eines padrino abgruben. Aber damit hatten sie in der Regel bereits ihr Todesurteil unterzeichnet, ein Paar Betonschuhe war ihnen sicher. Und man konnte auch nicht einfach ins Bureau eines padrino spazieren und um ein lavoretto, also einen Job, bitten. No, es brauchte eine tessera, das Entreebillett in die Gesellschaft Neapels, wo die fetten und gut dotierten Jobs verteilt wurden. Und wenn du erst einmal im Inneren Kreis warst, ja dann, aber nur dann, konntest du dran denken, dich an die Tochter des padrino zu machen, und dann warst du ein fortunato, ein gemachter Mann.
Ich bin heute meinem Vater dankbar, dass er mich vor einem schlimmen Fehler bewahrt hat. Papà war es nämlich, der im Gegensatz zu meiner dümmlichen mamma, der es schon immer an Weitblick gefehlt hatte, mich beiseite nahm und zu mir sagte: „Paolo, denk doch bitte einmal nach. Wozu habe ich dich auf die università geschickt, hé? Du brauchst eine tessara, é chiaro, aber bitte, überleg doch mal. Hast du sie nicht schon in der Tasche, deine Ausweiskarte?“
Und natürlich, papà hatte wie immer recht! Es fiel mir wie die sprichwörtlichen Schuppen von den Augen. Meine Zuverlässigkeit, Intelligenz und Kaltschnäuzigkeit h a t t e ich Don Giovanni ja bereits bewiesen! Ich selber, Paolo Caputo, hatte die Bombe angebracht, welche meine Chefs und meine Kollegen getötet hatte. Und so ging ich zu Don Giovanni, der seine Arme weit ausbreitete und mir zurief: „Ich habe schon auf dich gewartet, Paolo. Es gibt neue Arbeit für dich.“
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