„Sie waren zuerst einzeln gekommen, dann in Scharen. Die ersten hießen wir willkommen, die folgenden auch noch, wenn auch mit Skepsis.
Sie schlichen sich bei uns ein. Sie rissen sich dabei nicht die Medizinstelle an sich, welche über Leben und Tod entscheidet. Diejenige Stelle, die die Richtung unseres Weges angibt, die Häuptlingsstelle rissen sie auch nicht an sich. Sie waren viel gewiefter. Sie errichteten anstelle dessen andere, neue, bessere Medizin- und Häuptlingsstellen, die die alten ersetzten und fast überflüssig machten.
Jetzt müssen wir in uns gehen.
Wir müssen bereden, was wir tun sollten.
Sollen wir uns schließlich entschließen, ein neues Land zu suchen, anderswo hingehen, Neues zu besiedeln?
Warum sind sie überhaupt hierher gekommen und haben sich ins Tal eingenistet? Weshalb sind sie nicht in ein Territorium eingedrungen, das unbesiedelt ist? Dort hätten sie doch auch eine Bleibe, einen Staat nach ihrem Gutdünken aufbauen und gestalten können. Die Welt ist ja so groß, hat solch unübersichtliche Weiten, wovon wir Menschelinge uns gar kein Bild machen können. Warum also dies nicht? – Es ist anzunehmen deshalb, weil sie gerne über andere regieren und herrschen wollen, sie lassen lieber andere für sich aufbauen, als selbst in die Hände zu spucken.
Ja, das ist es!“
Aber was half uns diese Einsicht?
Gab es außerdem dafür Beweise, dass sich die Eindringlinge, wie sie unser Häuptling meinte, an ihnen erkennen zu können, auch so zu charakterisieren waren? Ehemals waren die Neuen mit einer Anhäufung von Pergament erschienen, stolz und bedeutungsvoll darauf deutend, dass darin alles niedergelegt sei, was deren und unser Zusammenleben beschreiben, vorschreiben und weisen sollte.
Einige hatten dann auch vorgeschlagen, dass wir uns auf die schriftlichen Niederlegungen der Eindringlinge beziehen, sie ehren und lernen sollten. Ein paar Eifrige hatten sich auch dazu überreden lassen, der Eindringlinge Schrift zu lernen, damit sie sich über die Dinge, welche in dieser Form festgelegt waren, kundig machen konnten sowie selbst darin nach Absprache mit ihnen, Dinge festlegen zu können.
Nun, als diese Schriftkenner befragt wurden, legten sie über die Umstände dazu Folgendes dar, was unser Handeln, genauer gesagt, das Nichthandeln, also die Unterlassung jeglicher Handlungsfähigkeit, zu der wir dann verurteilt waren, verständlich machte.
Zunächst hoben sie die Bedeutung dieser Schriften hervor. Es verhielt sich so, dass die Gemeinschaft der Eindringlinge Folgendermaßen gegliedert war: es gab wenige Ober- und viele Unterabgeordnete. Verstießen letztere gegen Gesetze, die erstere in den Schriften aufgestellt hatten, denn diejenigen waren auch gleichzeitig die Schriftkundigen, so wurden sie bestraft und mussten von ihrem Hab und Gut etwas den ersteren abtreten. Um welche in den Pergamenten festgelegten Gesetze es sich jedoch handelte, wussten nur die Oberabgeordneten selbst, denn die Unterabgeordneten konnten wegen Zeit- und vielleicht auch Mittelmangels sich nicht über deren Inhalte kundig machen. Sie hätten außerdem der obstrusen von niemanden gesprochenen Sprache, selbst der Oberabgeordneten ungewohnten Zunge der Gesetzestexte, kaum Verständnis abringen können, geschweige denn den Text betreff des Inhalts, welcher Sache war, finden können, so unübersichtlich und verworren war die Ausdrucksweise darin.
„Macht nichts!“, meinten die Oberabgeordneten in so einem Fall. Dafür gibt es Neben- und Ober-Nebenabgeordneten, welche für die Unterabgeordneten die Texte schon sondieren könnten. Wurde also ein Unterabgeordneter wegen Unwissenheit eines Gesetzes bestraft (im Falle der sogenannten Gesetzesübertretung), so musste er sowohl den Ober- und den Neben-Oberabgeordneten ein gehöriges Stück von sich, sprich seinem Hab und Gut, abtreten. Selbst wenn sich nach langer Verhandlung, also der rechten Auslegung der äußerst kompliziert formulierten Regeln der Gesetzestexte, die Unschuld des Unterabgeordneten herausstellte, musste er einen gewissen Teil trotzdem von sich abtreten, auf jeden Fall einen gehörigen davon dem Neben-Oberabgeordneten, der ihn vertreten hatte.
Der Häuptling führte dann aus: „Da wir diejenigen sind, welche die Schrift am wenigsten beherrschen, und da die Inhalte derselbigen, von unseren Vorstellungen so abweichen, sind wir auch stets die, die in einem Verfahren unterliegen und benachteiligt werden. Die Kenntnis der Schrift hat uns gelehrt, dass wir nichts mit den Eindringlingen gemeinsam haben und dass, wenn wir ihr folgen, unsere Vorstellungen von Zusammenleben aufgeben müssten. Wollen wir das? Ich glaube nicht. Unsere sind die besseren, unsere Art zu leben, gefällt uns mehr als die der anderen Art.“