Fantasy & Horror
Die Niederlassung - Stehlen XI:

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"Die Niederlassung - Stehlen XI:"
Veröffentlicht am 05. Juli 2013, 12 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Die Niederlassung - Stehlen XI:

Die Niederlassung - Stehlen XI:

Die Niederlassung - Stehlen

Stehlen und Entwenden

Ein sonniger, blauer Tag. Die Fremden sind zu
einer Beratung mit uns zusammengekommen. Wir waren um ein Lagerfeuer gesessen,
haben Met getrunken und schwätzten noch lange.

Zwei kleine Mädchen spielen miteinander. Das
eine hat eine Perlenkette um den Hals. Das andere bittet das kleinere Mädchen
darum, ihr auch einmal die Perlenkette um den Hals zu legen.

„Zeig mal her. Ich möchte wissen, wie es mir
steht!“ Sie langt ins Leere, denn die andere hat ihr die Schultern zugedreht.

„Jetzt nicht!“, sagt das kleinere Mädchen.

„Wann dann?“

„Später!“

„Ehrlich?“

„Ehrlich!“

Einige Zeit später versucht das ältere Mädchen
es erneut. Erneut vergebens.

Es protestiert: „Aber du hast vorhin gesagt,
später darf ich es einmal anprobieren! Hast du das nicht gesagt?“

„Ja, habe ich gesagt!“, sagt es ganz freimütig.
„Aber“, es lächelt dabei schlau, „Später ist noch nicht gekommen!“

„Wann kommt es dann?“

„Das weiß ich noch nicht. Das weiß ich erst
dann, wenn es gekommen ist.“

Die andere überlegt einen Moment.

Greift erneut nach der Perlenschnur, weil es
sich erpresst vorkommt.

„Aber ich will es jetzt haben!“ Es stürzt sich
auf es, weil jene erneut einen Rückzieher macht.

„Aber warum jetzt!“, protestiert die andere,
etwas in die Defensive geraten. „Kannst du nicht bis Später warten!“

Aber die andere lässt sich nicht mehr auf
diesen Vorschlag ein. „Nein, ich kann nicht mehr warten. Ich muss sie jetzt
haben. Jetzt, jetzt, jetzt!“ Und weiter stürmt diese auf jene zu.

Als sie es endlich geschafft hat, die Halskette
an sich zu reißen, bricht die andere in Tränen aus. Sie kann es dieser nicht
wieder entwenden, weil jene schneller und stärker plötzlich mit der Halskette
in Händen Reißaus nimmt.

Wir lachen alle darüber, als das kleinere
Mädchen deshalb in Tränen ausbricht, weint und nach ihrer Mama schreit.

"Seht, es ruft nach ihrer Mami, als
Milchmädchen!“ Alle lachen dazu. Das Mädchen wundert sich einen Moment auch,
stockt mit dem Weinen und setzt schon an mitzulachen. Klar, ein naives, dummes
Kinderverhalten, weil Kinder ja nicht wissen, was sie tun.

"Nein, nein! So geht das nicht!",
ertönt aber plötzlich ärgerlich eine tiefe Bassstimme eines Gastes.

"Das ist Diebstahl!" Und schon macht
er einen Satz, erreicht das etwas ältere Mädchen, das inzwischen wieder
herangekommen ist, reißt ihr nun seinerseits das Kettchen vom Hals und
überreicht dem kleineren Mädchen feierlich, scheinbar tröstend, die Halskette.
Das Mädchen ist zunächst erstaunt, weil sie ja mittlerweile kapiert hat, dass
ihr weinendes Verhalten unangepasst war. Sollte sie ein Anrecht auf die
Halskette haben? Aber in unserem Volk ist es seit Generationengedenken üblich,
dass die Wertgegenstände nach Belieben den Besitzer wechseln. Dafür gibt es
auch einen vernünftigen, offensichtlich nützlichen, allen dienenden Grund:
Hatte man zum Beispiel Mädchensachen, die einem Mädchen in einem bestimmten
Alter zu einer bestimmten Jahreszeit noch passten, so verschenkte man dieses
Kleidungsstück natürlich im nächsten Frühling einem der nachwachsenden Kinder,
das es dann gebrauchen konnte. Wir machen uns freilich nicht die Mühe, wieder
ein neues Kleidungsstück zu schneidern, aus neuen von Tieren erlegten Stoffen
eines zuzuschneidern, nein, wir konzentrieren lieber unsere Energie auf
Wichtigeres, anderes, zum Beispiel auf das Bauen neuer Unterschlüpfe oder eines
besseren Zaumzeuges fürs liebe Tier, das da unseren bescheidenen, kargen Acker
mühevoll abgerungen werden musste. Und wie es sich mit den Mädchensachen
verhält, mit dieser Kette zum Beispiel, so wird es mit allen Dingen gehandhabt.
Letztlich gehört alles allen. Wer etwas brauchte, kann es benutzen; wollen zwei
Personen ein Ding gleichzeitig benutzen, so sprach man sich selbstverständlich
ab.

Aber nun, nach diesem harschen Einschreiten des
Gastes, des Fremden, waren wir zunächst völlig verdutzt. Unser Erstaunen stieg
natürlich um so mehr, als wir feststellen mussten in der Folgezeit, dass das
kleinere Mädchen verbissen das Kettchen bei sich behalten wollte. Es wollte es
niemals mehr aus den Händen geben.

Die Fremden wachten in der Folgezeit sehr
darauf, dass diese Regel eingehalten wurde, dass niemand dem anderen etwas
wegnehmen durfte und jeder hielt sich entsprechend strikt danach, wollte er
nicht mit dem anklagenden, negativ klingenden Wort und Stempel "Dieb"
behaftet werden. Ja, einer der Eindringlinge ging sogar soweit, jemanden, den sie
unter diesen Umständen "Dieb" nannten, schwer körperlich zu
züchtigen, sprich ihn auszupeitschen vor dem Angesicht aller, was für
denjenigen Betroffenen wirklich ein sehr, sehr unangenehmes Erlebnis
darstellte.

So veränderte sich unsere Wahrnehmung, unsere
Gefühle und Verhaltensweisen gegeneinander und untereinander aufs äußerste.
Einer hatte plötzlich etwas, was er im Moment nicht brauchte zwar, aber auch
nicht hergab, "herlieh", wie die Fremden wohl sagen würden, für
denjenigen, der es gerade brauchte. Es war widernatürlich, es war unsinnig, es
war schockierend. Da saß jemand auf etwas, was er gar nicht brauchte zurzeit,
ein anderer aber umso mehr, und weil er es nicht haben konnte, verdarb und
verdorrte mitunter desjenigen Feld, Frucht und Milch.

 

So hatten die Fremden also Mauern, Barrieren
und Gräben zwischen uns errichtet, in unser harmonisches Miteinander unmerklich
hineingebaut und hineingestellt. Es waren plötzlich Gefühle da, die wir vorher
kaum gekannt, nunmehr aber umso stärker wahrnahmen bei Dingen, die für uns von
selbstverständlicher Neutralität waren. Wir fühlten uns bald in ein
unsichtbares Gefängnis gesteckt, jeder in seine eigene zu enge Zelle
eingesperrt, kaum fähig, uns mehr als die Umfänge derselben es erlaubten zu
bewegen, geschweige denn, daraus hervorzutreten. Unsichtbare Wärter hielten uns
in Schach, nämlich wir selbst. Einer war des anderen Kerkermeister letztlich,
beäugte mit misstrauischen Blicken die klitzekleinsten Schritte des anderen.

Und in der Folgezeit verlor jeder für sich
beinahe das Gefühl, er wäre Mitglied eines Stammes. Jeder nahm sich als
scheinbar einzigartigen für sich isolierten Kieselstein wahr, der von
Stromschnellen umspült war, womit er beschäftigt war anzukämpfen, um nicht
fortgetrieben zu werden. Die Fremden hatten es beinahe geschafft, uns als einen
Stamm zu zerstören. Wir waren erstaunt, als wir aufwachten: es war ihnen fast
gelungen ohne jegliche brutale Gewaltanwendung! Raffiniert!

Und zu ihrer Art, uns zu trennen, feind zu
machen, zu vereinzeln, gehörte nicht nur, dass sie wie aus heiterem Himmel
fremde Begriffe, Wörter, nichts mehr als Laute, die mit negativen Beiklang
daherkamen, einführten, nein, sondern das sie ehemals wohlklingende nunmehr,
von heute auf morgen, ohne ersichtlichen Grund, in abschätzigen Tonfall
ausstießen. Wundert es jemanden noch, dass dazu auch das Wort "Stamm"
gehörte? Es war in der Tat eines der übel beleumdesten Wörter, wie
"Wir", wie "Uns". Wir ängstigten uns unmerklich derartig,
dass wir es gar nicht merkten, es schlich sich einfach ein, war eines Tages da,
ohne dass wir hätten sagen können, wann dieser Tag genau gewesen war.

Es war da. Unser "Stamm" hatte
aufgehört zu existieren, faktisch sowie lautlich, als wir dieses Wort uns nicht
mehr getrauten über unsere Lippen zu hauchen; genauso verboten wir es uns,
jeder für sich, versteht sich, ohne dass dazu jemand Befehl gegeben hätte,
dieses Wort auch nur ohne Erschauern zu denken, erstaunlich, welches Wissen die
Fremden über unsere Seele besaßen. Wir hätten uns nicht wehren können, sie nicht
einmal anklagen können, kein Gericht hätten wir anrufen können, weil was hätten
wir ihnen vorwerfen können? Die Missetaten waren nicht greif- und sichtbar, so
dass wir tatsächlich nichts gegen sie in
der Hand hatten. Wir standen vor einem totalen Rätsel, sahen, dass unsere
Mittel nicht ausreichten dafür, was die Fremden mit uns taten, wie sie uns
zwangen, veränderten, vor sich her- und in die Sklaverei hintrieben.

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pentzw

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Annameyer Eine total tolle Geschichte zum Nachdenken! :-)
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