Beschreibung
Was tut man als Chef eines Privatfernsehsenders, wenn die Quoten nicht mehr stimmen? Man staucht die Leute zusammen! Und schon hat man eine innovative Idee für eine neue Show.
Schlechte Quoten
Norbert Hundertmark war schlecht gelaunt. Gerade hatte er die Einschaltquoten von gestern Abend hereinbekommen. Sie waren katastrophal. Alle drei Comedy-Formate lagen dermaßen im Keller, das es ihm grauste. Selbst der Pinguin-Film bei den Öffentlich-Rechtlichen hatte mehr Zuschauer. So konnte es nicht weitergehen.
„Wir brauchen neue, frische Ideen, meine Damen und Herren“, sagte Norbert mit versteinerter Miene als er die Sitzung eröffnete. Er hatte immer noch das Gefühl, dass man ihn nicht den nötigen Respekt gegenüberbrachte, auch wenn er nun schon vier Jahre Chefredakteur von TELE 12 war, dem einst erfolgreichsten Privatsender Deutschlands. Doch die Zeiten waren lange vorbei. Man dümpelte seit Längerem auf Platz 4 bei einem Marktanteil von 10,8 %. Das Durchschnittsalter der Zuschauer lag bei 49 Jahren. Das war für die Werberelevanz sehr schlecht.
Die Idee
„Keine Quiz-Show, keine Kochsendung, keine Scripted-Reality! Das haben die Leute satt. Ich will etwas, was es noch nicht gibt, oder zumindest nicht in Deutschland!“, fuhr er fort. Raunen unter den Mitarbeitern. Keiner traute sich etwas zu sagen. Nur Lars Steinke, der erst seit drei Monaten bei TELE 12 war, hatte den Mut, sich zu äußern.
„Ich hätte da eine Idee. Eine Sendung, die alles bietet: Comedy, Musik, Quiz...“
„Und was soll daran, so neu sein, Herr Steinke? Ein bunter Abend wie in den 70ern? Nicht gerade originell!“
„Doch, wenn man die Zuschauer entscheiden lässt, was sie sehen wollen, und was nicht. Sie können den laufenden Act stoppen, wenn er ihnen nicht gefällt – per Televoting.“
„Na, super, das nenne ich mal eine innovative Idee, meine Herrschaften. Ich sage mal, das machen wir. Irgendwelche Einwände?“ Allgemeines Kopfschütteln. Die Anderen waren froh, sich so aus der Affäre gezogen zu haben. Heimlich hofften sie, dass der Hundertmark damit auf die Nase fallen würde, und das ganze ein Flop wurde. Gerne wären einige von ihnen selbst Chef des Senders.
Es geht los!
Die Planungsphase begann. Ein Titel musste her. „Hopp oder Top“ musste aus rechtlichen Gründen verworfen werden. „Dann nennen wir das Ding eben `Flip Flop´, das klingt gut“, schlug Nathalie Hollmann vor. „Und den Abstimmungspool Flippometer“, ergänzte sie. Das fand Beifall. Nun brauchte man nur noch einen Moderator für die Show. Das Casting erwies sich als schwierig, da einige Wunschkandidaten abgesagt hatten und diejenigen, die sich bewarben, nicht den Vorstellungen des Senders entsprachen.
Aber dann fand sich doch noch jemand, der seit dem vorletzten Jahr ungeheuer beliebt war: beim Eurovision Song-Contest in Stockholm belegte Bernd Sonnenberg seinerzeit einen respektablen achten Platz mit „Mit Dir will ich mein Leben teilen“. In Deutschland, Österreich und der Schweiz lag das Lied wochenlang auf Platz Eins der Charts. Auch wenn Bernd nicht der anvisierten jugendlichen Altersgruppe von TELE 12 entsprach, so hatte er – obwohl er laut Norbert „so ein Schlager-Fuzzi“ war – auch bei den unter 30 – jährigen viele Fans.
„Wir machen den Piloten erst einmal um 18 Uhr. Da treten wir gegen Krimis und Daily-Soaps an, das dürfte eine leichte Übung sein. Wenn es läuft, senden wir es zur Prime-Time“, ordnete Norbert an. Er war höchst zufrieden mit der Titelmusik, die Bernd geschrieben hatte. Sie war jazzig und flott. Die Animation zeigte ein Paar Strandschuhe in Weiß und Pink, die hüpften. Daneben sah man einen Balken, der sich nach oben und unten bewegte, den Flippometer. Das giftgrüne Logo des Senders wanderte derweil auf der oberen Bildfläche von links nach rechts.
Die erste Show
Wochenlang liefen die Trailer im Programm, um auf die Sendung aufmerksam zu machen, gleichzeitig startete man eine umfangreiche PR-Aktion mit Werbeplakaten. Erst waren nur die Schuhe zu sehen, dann zusätzlich das „Flip Flop“- Logo, danach der Spruch „Seien Sie neugierig“, schließlich: „Neu. Am 25. Juni 2013 auf TELE 12 um 18 Uhr.“
Es war soweit. Im Studio herrschte gespannte Unruhe. Bernd war hingegen relativ abgeklärt. Er war es gewohnt, vor einer großen Kulisse aufzutreten, auch wenn er noch nie zuvor Moderator gewesen war. Fünf Nummern waren in der einstündigen Show vorgesehen. Ob sie alle zu Ende gezeigt werden würden, sollten die Zuschauer entscheiden.
Flip oder Flop?
Eine Stimme aus dem Off: „Meine Damen und Herren, hier ist Flip Flop. Hier bestimmen Sie, was Sie sehen. Sie haben die Wahl. Ist es ein Flip oder ein Flop?“, danach folgte der Trailer. Bernd schritt die altmodische Showtreppe herab, verneigte sich und breitete die Arme aus. Tosender Beifall. Als er abebbte erklärte Bernd kurz die Spielregeln. Jeder Auftritt dauerte maximal sechs Minuten. Er konnte aber auch nur einige Sekunden lang sein, wenn es so gewollt war. Ein Anruf kostete 25 Cent aus dem Festnetz, Mobilnetz war – wie immer – teurer.
Als erstes sollte ein Hobbykoch namens Nils Carstensen auftreten, der einen frischen Sommersalat zubereiten wollte. Leider war er nicht gut vorbereitet und verhaspelte sich ständig. Der Flippometer neigte sich bedrohlich in den roten Bereich. Als Nils bei 2:23 der Salzstreuer in den Salat fiel, ertönte das Flop-Jingle und der Vorhang fiel. Bernd trat auf die Bühne und sagte: „Meine Damen und Herren, das war ein Flop. Sie haben es so gewollt. Hier sind Sie der Programmchef. Wir senden, was SIE wollen.“
Nummer zwei war Sandra, eine junge Frau aus Jena, die ihre Sangeskünste darbot. Es war eine Parodie eines bekannten Schlagers. Der Song hieß: „Du kannst noch nicht mal richtig bügeln“. Das kam großartig an. Die Leute im Saal klatschten im Takt. Der Flippometer war permanent im Grün und pendelte sich bei 95 % ein. Eindeutig ein Flip.
Werbepause. Norbert klopfte Bernd auf die Schultern und sprach zu ihm: „Das war schon große Klasse, hat mir gut gefallen. Weiter so!“ Er rieb sich die Hände. Die Anruferzahl war hoch, sehr hoch, obwohl man noch nicht einmal etwas gewinnen konnte.
Der dritte Auftritt. Ein Tierfilm über das Liebesleben der brandenburgischen grünen Waldameise. Das war so blöd, das es schon wieder gut war. Der Film lief vollständig durch. 68 % Zustimmung.
Auch der Comedian, der als viertes auftrat, begeisterte das Publikum. In der zweiten Werbepause checkte Norbert erneut die Anrufzahl. Sie hatten sich nochmals gesteigert. Großartig!
Zum Schluss gab Gerhard Lohmüller aus Pirmasens sein Bestes. Er rezitierte Hermann Löns-Gedichte und wurde bei 3:08 gestoppt. Erneut hörte man das Flop-Jingle. Da danach noch etwas Sendezeit übrig war, durfte noch einmal Sandra auftreten um ihr Lied zu präsentieren.
Die Meinung der Presse
Die Presse überschlug sich am nächsten Tag mit positiver Kritik. Allen voran titelte die Block-Zeitung: „Endlich haben wir die Wahl! Flip Flop war Top!“. Gespannt rief Norbert Hundertmark um die Mittagszeit die Quoten ab. Durchschnittlich 29 % Zuschauer, das war weit mehr, als erhofft wurde. Sein Bruder Hubert und die Cousine Hermine hatten begeisterte Emails geschickt, der Rest der Familie folgte alsbald.
Kurzerhand entschied Norbert, dass die Sendung ab der nächsten Woche auf zwei Stunden ausgedehnt wurde und montags, mittwochs und freitags um 20.15 Uhr begann. Die Werbeeinnahmen des Senders waren danach so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Es war ein grandioser Erfolg. Lars Steinke und Nathalie Hollmann erhielten gewaltige Gehaltserhöhungen.
Am 23. September 2013 kam die Block-Zeitung – einen Tag nach der Bundestagswahl – mit einer riesigen Schlagzeile heraus: „Flippometer für diese neue Regierung“.