Abschied leicht gemacht
Hier stand ich nun und sah mit verheulten Augen zu dem großen Bus hinauf. Meine Tochter saß am Fenster und heulte ebenfalls. Drei Wochen Pfadfinderlager lagen vor ihr und sie hatte sich sehr darauf gefreut. Doch es war das erste Mal, dass sie allein von zu Hause wegfuhr und sie war doch erst acht Jahre alt ...
Ich dachte an die vergangenen Sommer – wir hatten am Ostseestrand Burgen gebaut und in den Wellen getobt. Dann dachte ich an den Sommer, als sie das Laufen gelernt hatte, damals, in den Rheinauen. Es kam mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, als ich sie im Buggy zum REWE gefahren hatte.
Die Tränen liefen nur so über mein Gesicht. Ich schluchzte. Den anderen Eltern ging es ähnlich. Warum fuhr der Bus nicht ab? Hier standen wir nun und winkten und winkten. Bedrohliche Wolken hatten sich unmerklich vor die Sonne geschoben. Egal. Was machte das schon aus? Mein Kind fuhr in die weite Welt hinaus und ließ mich allein zurück. Ich winkte unermüdlich und Jessy heulte sich die Augen aus. Abschiede müssen kurz und schmerzlos sein. Warum war dieser nur so unendlich lang?
„Warum fährt der Bus nicht ab?“, fragte ich schließlich die Mutter neben mir.
„Die warten noch auf jemanden!“, antwortete sie, während sie ihrem Kind unermüdlich winkte. Ich war kurz davor, Jessy aus dem Bus zu holen. Vielleicht war sie einfach doch noch zu jung für solche Unternehmungen. Plötzlich bekam ich einen Regentropfen ab. Oder war es eine meiner Tränen? Der Bus fuhr immer noch nicht ab. Inzwischen lief auch der Motor nicht mehr. „Jessy! Viel Spaß!“, rief ich und täuschte vor, fröhlich zu sein. Jessy drückte ihre Nase am Fenster platt und schien „Mama!“ zu rufen. Es brach mir fast das Herz!
Dann wurde es ziemlich dunkel und alles ging ganz schnell. Als hätten die Schleusen des Himmels ihre Pforten geöffnet, brach ein wahrer Platzregen auf uns hernieder. Innerhalb von Sekunden waren alle winkenden Eltern völlig durchnässt und sahen aus wie Vogelscheuchen oder triefende Aliens. Doch ich spürte kaum mein nasses T – Shirt und die tropfenden Haare. Alles was ich bemerkte, war Jessys Gesicht, das sich wie in Zeitlupe aufhellte. Plötzlich lachte sie, zeigte fröhlich auf mich und klatschte vor Freude in die Hände. Auf einmal musste ich auch lachen. Ich lachte und lachte, alle Traurigkeit war plötzlich wie verflogen.
Der letzte Schüler sprang in den Bus und Jessys Abenteuer begann. Ich setzte mich patschnass in mein Auto und war das erste Mal in meinem Leben glücklich über den Wolkenbruch.