Romane & Erzählungen
Flut 2 13 Seiten - Teil 2

 

Flut (Teil 2)

 

 

"THW?", fragte der Feuerwehrmann seinen ihm gerade zugeteilten Partner. Der schüttelte den Kopf. "Ich mach mal ein bisschen Pause von der Uni!" Bernie, also Bernd war von der freiwilligen Feuerwehr. Er kam von einem Ort angereist, der etwa einhundert Kilometer entfernt von hier lag. Bernd hielt dem Neuen die Hand hin und stellte sich vor. "Ich heiße Bernd, aber man nennt mich Bernie. Da vorne, der das Boot zieht, das ist Leon. Der ist von einer Spezialtruppe der Wasserwacht." Tristan, der Student, sah seinen neuen Partner fragend an. Von einer Spezialtruppe bei der Wasserpolizei hatte er noch nie gehört. Nachdem er sich vorgestellt hatte, fragte er auch schnell danach, damit nur keine Spitzfindigkeiten über seinen Namen über irgendwelche Lippen gingen.

 

"Spezialtruppe? Inwiefern?" Bernie grinste, denn er hatte den jungen Mann recht schnell durchschaut. Na ja, und so ungewöhnlich war Tristan, als Name ja auch nicht mehr. "Er ist Hundeführer, einer von wenigen in Deutschland. Man bildet seit einiger Zeit Hunde zur Bergung im Wasser aus. Teufelskerle sind diese Tiere. Echte Rettungsschwimmer, Helden ohne Furcht und Tadel!", fügte Bernie leise hinzu. "Frag Leon nur nicht. Gestern, als sich die zweite Schlammlawine in Richtung Altstadt wälzte, rettete Leons Neufundländer eine Frau aus diesen zähen Fluten. Doch bevor wir diesen tapferen Hund zurück ins Boot ziehen konnten, hatte ihn etwas am Kopf getroffen. Ich weiß nicht, ob er gleich tot war, oder ob er in der Pampe ertrunken ist. Seitdem ist mit Leon nicht viel anzufangen. Er spricht kaum und er gibt sich die Schuld, dass er Teddy nicht gerettet hat."

 

Ehe Bernie dem was hinzufügen konnte, meldete sich Leon vom Bug des Bootes. Er zeigte auf ein scheinbar leer stehendes Haus. "Jungs, da hat sich was bewegt! Es scheint noch jemand im Haus zu sein!" Bernie und Tristan schoben das Boot am Heck. Das Wasser reichte ihnen bis knapp unter die Arme. Das Schieben war einfacher, weil ihnen immer wieder irgendwelche Dinge den Weg versperrten. Gestern schwamm da sogar ein Dixi-Klo.

 

Vorsichtig und so leise, wie möglich, steuerten die Fluthelfer das Boot an das Haus. Kollegen hatten bereits die ersten Plünderer überrascht und einer dieser Kollegen hätte das fast mit seinem Leben bezahlt. Auch Tristan wusste von dieser üblen Geschichte. Die Haustür war mit einigen wenigen Sandsäcken notdürftig verbarrikadiert. Dort kamen sie nicht herein.

 

Leon klopfte ans Fenster. "Hallo, ich weiß, dass sie da sind! Ich habe sie gesehen! Sein sie doch vernünftig. Wir kommen, um sie zu evakuieren. Es sind neue Regenfälle angesagt und sie haben doch kein Strom! Wir bringen sie in ein trockenes Quartier, wo sie die Kleidung wechseln können und genug zu Essen bekommen. Kommen sie, haben sie keine Angst!" Beim letzten Wort öffnete sich das Fenster. Noch etwa sechzig Zentimeter und der erste Stock des Hauses würde überflutet sein.

 

"Ich habe vor nichts mehr Angst Jungchen, aber ich kann doch Jack Daniels und Jimmy B. nicht allein lassen, das geht nicht!" Wir sahen uns alle an. Der alte Mann wollte seinen Schnaps nicht allein lassen? Wieder einmal hatten wir eine harte Nuss zu knacken. Gerade die älteren Leutchen weigerten sich ihre Häuser, ihr Hab und Gut zu verlassen. Sie hatten in ihrem Leben genug verloren und wollten nun nicht aufgeben, sondern stattdessen lieber mit ihrem Heim untergehen. Leon war jemand, zu dem man schnell Vertrauen aufbauen konnte. Er fand immer die richtigen Worte. Doch heute schien er sauer auf den alten Herren zu sein.

 

"Sagen sie, sie wollen doch nicht im Ernst wegen ein paar Flaschen Fusel hier ertrinken? Um wie viele Flaschen handelt es sich denn?", fragte der junge Polizist verärgert. "Hast du gesoffen Jungchen? Von was für Fusel redest du? Von welchen Flaschen? Wenn du besoffen bist, kannst du gleich wieder abziehen!"

 

Eben, als der alte Mann das Fenster schließen wollte, rief Tristan: "Nein, bitte warten sie, keiner von uns ist betrunken, wir wollen nur helfen, glauben sie uns doch!" Nun steckte der alte Mann, der bestimmt schon achtzig Jahre alt war, seinen Kopf aus dem Fenster. "Das ist ja nett, Jungchen aber ohne meine Katerchen Jack und Jimmy geh ich nirgendwo hin."

 

Klar doch Jack Daniels und Jimmy B. waren kein Alkohol, sondern die Namen der Kater des kauzigen Alten. "Haben sie Transportboxen für ihre Tiere?", fragte Leon nun irgendwie versöhnt. Die hatte der alte Herr umsichtigerweise aus dem Keller geholt, als die erste Flutwarnung ausgesprochen wurde. Tristan und Leon stiegen, wie es Vorschrift war, zu dem alten Herrn in die Wohnung, und stellten sich ihm mit ihren Vornamen höflich vor. Das tat dieser dann auch. "Georg ist mein Name, Georg Klingental, aber ihr könnt Schorsch sagen! Vorsichtig, Jack kommt in die blaue Box und Jimmy in die weiße. Meine Katerchen sind da sehr eigen!" Auch deren Herrchen schien sehr eigen zu sein, denn trotz dieser gewaltigen Naturkatastrophe, lag kein Stäubchen auf den auf den Schränken. Alles war aufgeräumt und blitzblank.

 

"Sagen sie Schorsch, liegt ihnen noch etwas Besonderes am Herzen, etwas, das sie unbedingt mitnehmen wollen? Es darf nur nicht riesig sein!" Schorsch zeigte auf einen gepackten Lodenrucksack. "Da ist alles Wichtige drin, Versicherungsunterlagen, Fotoalbum, Katzenfutter und saubere Unterhosen. Na und meine Gehhilfe, den Stock brauch ich auch." Tristan reichte Bernie die Katzen und den Rucksack raus, der sie ordentlich festmachte am Boot. Dann hoben sie zu dritt Schorsch, der leicht, wie eine Fliege war, ins Boot. "Gut gemacht Jungs! Gekonnt ist gekonnt, nicht wahr!", lobte der alte Herr seine Retter.

 

Dann sah er Bernies Blick auf seinen Arm. Bernie wusste, was es mit dieser eintätowierten Nummer auf dem Arm des Herrn Klingental auf sich hatte. Leise murmelte er: "Deshalb haben sie vor nichts mehr Angst, nicht wahr!" Herr Klingental schob seinen hochgerutschten Ärmel nach unten. "Das ist lange Zeit her, Jungchen und Angst haben hat einem damals das Leben retten können. Ich hatte viel Glück in diesem langen Leben und tät´´s gerne noch ein paar Jährchen machen. Allein schon wegen meinem Urenkelchen Lisa, die das Ururenkelchen unter dem Herzen trägt. Eine starke Frau ist sie, Tierärztin und clever genug sich einen eben so guten Jungen zum Mann zu nehmen. Wisst ihr, sie ist im sechsten Monat mit dem Baby unterwegs und wisst ihr auch wo? An vorderster Front! Sie füllt Sandsäcke und baut Mauern damit. Jeder wollte es ihr ausreden, aber meiner Lisa kann man nichts ausreden, die ist störrisch, wie ein alter Esel. "Ein wenig Bewegung hat noch keinem geschadet!", meinte sie und, dass sie schon rechtzeitig aufhören würde, wenn es ungesund wird. Ihr Lars ist seit Tagen bei den Truppen der Bundeswehr und auch die Arbeiter-Samariter sind hier. Ich hab ein Handy und bis gestern ging das Ding auch noch! Na ja, jedenfalls hat die Kleine viel von mir und ich weiß, ich muss mich nicht um sie sorgen."

 

Nach einer kleinen Kunstpause erzählte Schorsch dann von seinem Leben. "Elf Jahre war ich, als man mich aus Auschwitz befreite. Meine Mutter und meine Schwestern kamen nach Ravensbrück und wir haben sie nie wieder gesehen. In Auschwitz befand man mich für zu schwächlich, um auf den Feldern zu arbeiten und der Küchenbulle, ein Nazi mit Herz, rettete mich davor, als Versuchskaninchen des Lagerarztes zu enden. Gekocht wurde, für die Wachmannschaft und die Offiziere und auch für die Lagerinsassen. Ich stahl regelmäßig Gewürze, wie Salz, Pfeffer und Kümmel, damit diese Plürre von Suppe, die die Häftlinge erhielten, wenigstens nach etwas schmeckte."

 

Das Boot wurde von einem riesigen Ast gerammt. Schorsch unterbrach seine Erzählung und lehnte sich aus dem Boot um den Ast heranzuziehen. Er holte zwei kleine Igel aus dem Geäst und legte sie sich auf den Schoß. Dann versuchte er, den Ast wegzuschieben. Alles geschah wortlos und wie selbstverständlich. Als der Ast keine Gefahr mehr war, weil Bernie ihn mit seinem Ruder wegschob, setzte Schorsch seine Erzählung fort.

 

"Ich wusste, wenn ich erwischt wurde, könnte das meinen Tod bedeuten und so lebte ich dort in ständiger Angst, die aber ein Gutes hatte. Sie schärfte meine Sinne und machte mich erfinderisch. Als ich eben einen Kübel Suppe an die Sträflinge austeilen sollte und ihn in Baracke neun schleppte, kreuzte ein Wachmann meinen Weg. "Was hast du da?", fuhr er mich an und ich sagte ihm, dass es die Suppe für die Gefangenen aus den Baracken acht und neun war. Dieser Topf war zwar schwer für einen Neunjährigen, aber viel zu klein, um so viele Mäuler wirklich stopfen zu können. Heini, der Wachmann war ein echtes Schwein. Der hätte es fertiggebracht mir den Topf aus der Hand zu schlagen und viele Menschen hätten noch mehr Hunger gehabt, als so schon. Ich war ein Blondschopf mit großen blauen Augen, ein arisch aussehender Jude. Das rettete mich so manches Mal. Doch Heini ließ sich nicht davon abhalten in den Topf zu sehen. "Seit wann bekommt der Abschaum da so viel Kohl und dann gewürzt mit Kümmel?", schrie er mich an, und ohne eine Antwort abzuwarten, schlug er mir mit der Faust ins Gesicht. Ich konnte den Topf gerade so halten. "Herr Oberoffizier, das sind die Reste des bayrisch Kraut, die der Herr Oberoffizier vor drei Tagen selbst verspeiste. Die Reste sind nun sauer und nix mehr für die Schweine, die werden krank davon. Da hat der Koch einen Sud aus Schweinepimmel gekocht und die sauer gewordenen Abfälle dazugekippt, "Das wär für den Abschaum ausreichend und spart den guten Kohl!", hat er noch gemeint. Ich sah dem Nazi dabei lächelnd ins Gesicht, als wäre ich mit dem Koch einer Meinung. Heini, der einen viel niederen Rang, als Oberoffizier hatte und dem ich nur damit schmeichelte, wollte eben von der Suppe kosten. Ich weiß nicht, was ihn abgehalten hat, das saure Kraut oder der Sud aus Schweinepimmel. Die Geschichte füllte den Sträflingen als Nachtisch den Bauch, denn natürlich war es weder bayrisch Kraut, noch wurde die Suppe mit Schweinepimmel gekocht. Letztendlich hat dieses unmenschliche Lager vielen Freunden das Leben gekostet. Mir nicht. Ich sag ja, ich war schon immer ein Glückspilz. Schaut nur, wieder wurde ich gerettet!"

 

Schorsch sah nach seinen beiden Katzen. "Darf ich sie in mein Quartier mitnehmen?", fragte er nun leise. Tristan klopfte dem alten Mann auf die Schulter. "Klar doch und gleich da drüben ist der Sammelpunkt Schorsch. Ich bring sie persönlich hin." Das tat Tristan auch und sorgte dafür, dass der alte Herr in ein privates Quartier kam. Er zog zu Tristans Mom, die gestern schon Fräulein Kaulich aufgenommen hatte. Die Lehrerin außer Dienst zu überzeugen, ihre Wohnung zu verlassen, war um einiges schwerer, als beim Klingental Schorsch. Doch Tristan war sich sicher, die drei alten Herrschaften würden sich gut verstehen.

 

Als Bernie, Tristan und Leon wieder auf dem Wasser waren, um nach weiteren Flutopfern zu suchen, war es wieder der junge Tristan, der diesmal Leon ansprach. "Was ist Leon, wollen wir nach unserer Schicht nach deinem Bären suchen? Etwas wie Hoffnung glimmte in Leons Augen auf. "Denkst du auch, er könnte noch leben?", fragte er leise. "Ja, und Bernie auch, sonst würden wir ja nicht losziehen wollen oder?"

 

Teil 3 folgt