Romane & Erzählungen
Ruby

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"Ruby"
Veröffentlicht am 22. Juni 2013, 90 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
© Umschlag Bildmaterial: shiversixupi
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Über den Autor:

Mmmmh, ich arbeite im Buchbereich, allerdings ohne die Möglichkeit dort meine Buchsucht auszuleben. Ich mag Science-Fiction, Fantasy, Romanzen und ganz besonders GayRomance. In diesem Bereich schreibe ich auch. Hobbys: Lesen, singen, stricken, ab und zu zeichnen, ins Kino gehen, Geocaching...
Ruby

Ruby

Einleitung

Christopher will einen Neuanfang bei seinem Onkel in Großbritannien wagen. Doch nicht sein Onkel öffnet die Tür, sondern Ruby - groß, glatzköpfig, muskelbepackt und jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmt - das sorgt nicht nur bei Christopher für Chaos. Wie soll er mit jemandem zusammenleben, der in ihm den Wunsch weckt so weit wie möglich wegzulaufen und ihm trotzdem keinen Grund dafür gibt? Lest es selbst. Ruby kennen- und lieben zu lernen, wird euch hoffentlich nicht so schwer fallen ^w

Ob das wirklich gut geht?

Kapitel 1  - Ob das wirklich gut geht?

 

In der Fensterscheibe blickte mir mein müdes Gesicht entgegen. Ich hatte nicht viel geschlafen, weil ich zu aufgeregt gewesen war. Immerhin hatte ich meinen Onkel lange nicht mehr gesehen. Was, wenn er mich postwendend wieder hinauswarf? Immerhin konnte er innerhalb von zwei Wochen sicherlich seine Meinung wieder ändern. Dann könnte ich immer noch zu meiner Mutter zurückkehren. Das klang nicht gerade begeistert, ich weiß. Nicht, weil ich meine Mutter nicht mochte. Nein, mein Problem waren meine ehemaligen Mitschüler, die in mir ein prima Opfer für ihre Streiche und Langeweile gefunden hatten. Wenn ich die Kraft gehabt hätte, mich zu wehren, dann hätte es vielleicht anders ausgesehen. Aber so war der leichteste Weg: Flucht!

Da kam mir das Angebot meines Onkels gerade recht, die Ferien bei ihm zu verbringen und danach eventuell zu bleiben. Keine leichte Entscheidung für meine Mutter, immerhin war ich alles, was sie noch hatte. Doch ich hatte solange gebettelt, bis sie schließlich nachgab. Das Wohl ihres Sohnes lag ihr einfach zu sehr am Herzen.

Dunkle Wolken zogen plötzlich am Himmel auf. Vor ein paar Minuten war er noch strahlend blau gewesen, doch das Wetter konnte sich hier von einer Sekunde zur anderen ändern. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Meine Stimmung passte sich anscheinend auch blitzschnell der vorherrschenden Wetterlage an. Dabei hatte ich bis eben noch daran gedacht, dass sich mein Leben hier von Grund auf ändern würde. Natürlich zum Besseren. Aber die dunkelgrauen, sich immer weiter auftürmenden Wattewolken nahm ich als schlechtes Omen. Bisher war in meinem Leben nicht allzu viel Gutes passiert. Ich hatte also berechtigte Zweifel. Ich sah mir aus lauter Langeweile die Leute an, die mit mir im Bus saßen. Der sollte mich zu meinem neuen Vielleicht-Zuhause bringen. Mitten im schönsten Fleckchen Englands. Seit einer Stunde saß ich nun bereits darin und es war nicht anzunehmen, dass wir demnächst ankommen würden. Nervös spielte ich an dem Schlüsselband mit dem dazugekommenen Schlüssel. Ich hatte keine Vorstellung von dem Leben hier. Waren die Engländer wirklich so steif, wie man es ihnen nachsagte? Auch hatte ich vom berühmt-berüchtigten britischen Humor gehört und war mir nicht so sicher, ob ich das Live und in Farbe erleben wollte. Vom Essen ganz zu schweigen. Bei dem Gedanken an Black Pudding drehte sich mir der Magen um.

 

Der Bus hielt abrupt und der Busfahrer sah mich auffordernd an. Verschlafen nahm ich meine Sachen und sah ihn schweigend an. Anscheinend dachte er, ich sei ein wenig verwirrt, denn nun sagte er langsam:

„Sie müssen hier raus. Das Anwesen von Mr. Charles Pritchard liegt gleich hinter dem Hügel.“ Hier mitten im Nirgendwo sollte also mein Onkel leben?

„Ach und nehmen sie sich ein wenig vor dem jungen Mr. Holmes in Acht.“ Was diese merkwürdige Aussage bedeuten sollte, fragte ich mich immer noch, nachdem ich einfach nur genickt hatte und mich auf den Weg machte. Komischer Busfahrer.

Ich lief an weiten Feldern und Weiden vorbei. Manchmal blickte mich das ein oder andere Schaf misstrauisch an, aber ansonsten schienen sie sich nicht um mich zu kümmern. Ihr Blöken sagte mir nur, dass ich mich anscheinend wirklich in der Einöde befand, denn ansonsten kreiste nur ein Milan langsam über mir. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich den schlammigen Pfad hinter mir und kam auf einen gepflasterten Weg. Warum führte keine richtige Straße hierher? Von Hamburg war ich da ganz anderes gewöhnt. So einsam hatte ich es mir nicht vorgestellt, aber vielleicht war das auch mal eine gute Abwechslung. Immerhin hatte ich mich nach Ruhe gesehnt. Zumindest war es hier unwahrscheinlich, dass sich jemand freiwillig auf den Weg hierher machte, um mich zu schikanieren. So oft, wie wir die Eingangstür von unserem Haus putzen mussten, konnte ich gern auf jegliche Wiederholung verzichten. In der Ferne sah ich etwas, das das Haus sein musste. Noch war es ein kleiner Fleck, aber mit jedem Schritt über die Pflastersteine kam es näher und ich nicht mehr aus dem Staunen heraus.

 

Das Haus war groß und alt…sehr alt…ich sah an den altehrwürdigen Mauern hinauf und musste einen Schauer unterdrücken. Dieses Geisterhaus würde also mein neues Heim werden. Auf einem vergilbten Klingelschild stand Pritchard und ich zog den Schlüssel hervor. Es war irgendwie eigenartig in ein fremdes Haus zu gehen, auch wenn ich einen Haustürschlüssel besaß. Nein, ich würde klingeln. Momentan war ich noch Gast. Christopher Pritchard war niemand, dem man Unhöflichkeit nachsagen konnte. Eher das Gegenteil. Ich drückte fest auf die Klingel und im Haus erklang eine Melodie. Ich kannte das Lied… natürlich, das hatte meine Mutter mir früher immer vorgesungen. Ein alter Kinderreim „London Bridge ist falling down“. Unbewusst summte ich die Strophe mit und fühlte mich gleich an alte Zeiten erinnert.

Da niemand öffnete, klingelte ich noch einmal.

„Ich komm ja schon, jetzt nerv mal nicht! Wehe, wenn das wieder so ein beschissener Vertreter ist, hörst du… dann tret ich dir in den Arsch!“ Ich war schockiert über so viel Unhöflichkeit. Sagte man den Briten nicht nach, dass sie einen mit netten Worten beleidigen konnten? Das hier war eher mit der Tür ins Haus. Mein Englisch war zwar gut, aber ich verstand sicherlich nicht alle umgangssprachlichen Ausdrücke. Wenn dieser Mensch, wahrscheinlich der Butler oder ein anderer Diener, hier wohnte, würde sich mein Wortschatz innerhalb kürzester Zeit drastisch zum Schlechteren erweitert haben.

„WAS!?“ Ich trat einen Schritt zurück. Das war niemals der Butler! Dieser glatzköpfige Brocken, es gab keine andere Beschreibung für dieses Muskelpaket, sah mich an wie eine Made, die er zertreten wollte.

Die dunkelblauen Augen wollten mich aufspießen, so sehr starrten sie mich an. Die Musterung von oben nach unten ließ ich noch kommentarlos über mich ergehen, aber das schmierige Grinsen, welches das Gesicht danach zierte, war zuviel.

„Was haben wir denn da für ein kleines Kerlchen? Haste dich verlaufen, oder wat? Die nächste Stadt ist drei Meilen entfernt, da musste mit deinen kurzen Beinen schnell laufen, wenn de noch vorm Dunkelwerden bei deiner Mama sein willst.“ Ich verstand gar nichts. Wer war das? Was machte er im Haus von Onkel Charles und warum wusste er nichts von meiner Ankunft, wenn er augenscheinlich hier wohnte? Ich sah meinem Onkel schon ziemlich ähnlich, denn alle von uns hatten dieses braune Haar, das einen an ein Wiesel erinnerte, weich und flauschig. So dass fast alle versucht waren, hineinzugreifen, um zu testen, ob es so weich war, wie es aussah. War es.

„Ich bin Christopher. Ist Onkel Charles gar nicht da?“ Versuchten wir es mal mit höflicher Vorstellung.

„Onkel, sagste? Hat mir gar nicht erzählt, dass wir Besuch bekommen. Dann komm mal rein. Was zu futtern musste dir aber selber machen. Die Pizza hab ich eben vernichtet.“ Dieser Dialekt ging mir gehörig auf die Nerven, aber ich würde nichts sagen und nickte nur zur Antwort. Wer weiß, wie für ihn mein Englisch klang. So wie es aussah, wohnte dieser Klops wirklich hier und ich durfte mich nun mit ihm anfreunden. Vom Regen in die Traufe.

„Ich bin Ruby. Mach dich darüber lustig und du wirst leiden, klar?“ Ich nickte wieder eingeschüchtert und sah mich lieber in dem Haus um. Von innen wirkte es nicht ganz so gruselig, einfach weil anscheinend jemand sauber machte. Es hingen keine Spinnweben von der Decke, die Vorhänge hatten keine Löcher und es war hell erleuchtet. Typisch altes Haus schien es vorwiegend aus Steinen und Holzmöbeln zu bestehen, die schon etliche Jährchen hinter sich hatten.

„Gib mir mal die Tasche, du halbe Portion, kannst das ja kaum anheben. Ich zeig dir gleich das Zimmer, in dem du pennen kannst. Viele sind ja nicht zur Auswahl.“ In diesem großen Haus kaum zu glauben.

„Danke. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gern etwas essen. Ich habe heute Morgen nur ein Brötchen gegessen. Keine Sorge, ich kann mir schon selbst was machen. Ich bekomme schon heraus, wo alles steht.“ Er sagte dazu gar nichts, sondern ging eine der Treppen hinauf, die anscheinend in das obere Stockwerk führten. Links halten, ok. Ein Glück, dass ich so einen guten Orientierungssinn hatte. Sonst wäre allein schon das Erdgeschoss eine Herausforderung gewesen. Die verwinkelten Gänge waren schmal und ich hätte schwören können, dass der Wind durch rauschte, obwohl ich nirgends Fenster an dieser Stelle gesehen hatte. Oben polterte es und Ruby hatte sicherlich irgendwo die Fensterläden aufgemacht, um zu lüften. Auch wenn er im ersten Moment einen anderen Eindruck gemacht hatte, schien er ganz hilfsbereit zu sein. Nur, was machte er hier eigentlich? Ich hatte gedacht, mein Onkel lebte hier ganz allein. Der Rest der Familie hielt ihn für einen komischen Kauz, besonders meine Mutter war eigentlich nicht gerade begeistert vom Bruder ihres Mannes. Er lebte, so weit sie wussten, allein und das schon seit ein paar Jahren. Familienfeiern ging er möglichst aus dem Weg, außer an den hohen Feiertagen. Komischerweise war er zu jedem meiner Geburtstage gekommen und er hatte bei mir nie den Eindruck hinterlassen, dass er sich dazu genötigt fühlte. Er hatte mir immer durch das Haar gewuschelt und sein Lieblingsspitzname für mich war Winzling. Da würde er jetzt Augen machen, immerhin war ich im letzten Jahr fünfzehn Zentimeter gewachsen, was mir mit meinen 17 Jahren eine Größe von 1,76m eingebracht hatte. Es war wahrscheinlich, dass ich noch größer würde, immerhin war mein Vater ein Riese und mein Onkel auch. Ruby war vielleicht fünf Zentimeter größer als ich, aber er wog garantiert fast das Doppelte, bei den Muskelpaketen. Ich hatte endlich die Küche gefunden, die zu meinem Glück modern eingerichtet war. Hemmungen an die Schränke zu gehen, schob ich schnell beiseite. Ruby hatte sich klar und deutlich ausgedrückt. Ich würde hungern müssen, wenn ich mich nicht bediente. Im Kühlschrank fand ich Eier und etwas Speck. Einen Kanten Brot dazu und schon konnte ich mir ein einfaches Abendessen machen. Die Pfanne für die Rühreier hatte schon mal bessere Tage gesehen und ich fragte mich, ob es eine Köchin gab, die meinen Onkel versorgte.

„Ah, da biste ja. Das Fenster konnte ich nicht so lange auflassen, die haben Sturm angesagt und die Wolkentürme draußen sagen, dass die sogar mal Recht haben. Deshalb riecht es immer noch ein bisschen muffig.“ Seine Augen folgten der Gabel, auf der ich gerade eine Portion von dem Speck-Rührei hatte, hungrig. Hatte er nicht gesagt, er hätte schon gegessen?

„Möchtest du auch was? Ist keine Arbeit. Ich mach dir was.“ Er brummte nur zustimmend und ich schob ihm einfach meinen Teller hin.

„Guten Appetit.“ Ich erhielt keine Antwort, da die Gabel bereits im Mund verschwunden war und ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als ich sah, dass es ihm wider Erwarten schmeckte.

„Nochmal zu meiner Frage. Wo ist Onkel Charles? Er wollte mich zumindest hier zu Hause empfangen, er wusste nur noch nicht, ob er es rechtzeitig von der Arbeit nach Hause schafft.“

„Muffte noch zu Tante Maddy. Fe hat sich det Been gebrochen und er wollte ihr ne Küchenfee besorgen.“ Die Aussage war begleitet von pampigem Rührei und ich war froh, dass ich mit dem Rücken zu ihm stand.

„Danach wollte er noch zu einer Hausgeburt.“ Das klang schon besser.

„Er kommt also später. Darf ich dich mal was fragen? Sei nicht sauer, bitte! Was machst du eigentlich hier? Ich dachte immer Onkel Charles wohnt allein.“ Doch anstatt mich in der Luft zu zerreißen, fing er an zu lachen. Und zwar so schallend, dass es in den Ohren wehtat.

„Dat willste wissen, was Krümel? Tja, dann rate mal. Ich bin gespannt, auf was für Ideen du kommst. Die Gerüchte in der Stadt sind immer so schillernd. Ach, stimmt die kennste ja nicht, bist ja nicht von hier. Von wo kommst du eigentlich?“ Hatte irgendjemand das Kauderwelsch verstanden?

„Ich komme aus Deutschland. Hamburg um genau zu sein. Ich dachte, das wüsstest du? Hat Onkel Charles nie von uns erzählt, wenn ihr euch anscheinend so gut kennt, dass du hier wohnen darfst.“

„Nun ja, dürfen ist nicht das richtige Wort. Ich tu es einfach.“ Häh? Mein Gesicht musste mehr als tausend Fragen gezeigt haben, denn er holte weiter aus.

„Ich denke, man kann mich als sein Adoptivkind beschreiben, auch wenn ich nicht adoptiert bin. Oder Pflegekind. Wie de willst. Nur, dass meine Eltern noch am Leben sind. Auch wenn sie nicht wissen, dass ich es noch bin…oder vielleicht doch. Die Behörden haben denen bestimmt gesteckt, dass ich hier wohne, aber es schert sie einen Dreck, solange sie nicht für mich zahlen müssen. Ich komm damit klar, also spar dir dein Mitleid. Ich sehe es in deinen Augen und ein Wort von dir und ich muss dich leider noch kürzer machen, als du eh schon bist.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Schon ok. Ich werd nichts dazu sagen. Aber richtig ist das nicht.“ Sein drohender Gesichtsausdruck war Warnung genug. Noch ein Wort und ich sähe aus wie das Rührei.

„Onkel Charles hat angeboten, dass ich vielleicht hier wohnen darf, wenn ich mich hier wohl fühle. Wir werden also sowas wie Brüder.“ Ich grinste, erhielt aber eher einen erschrockenen Gesichtsausdruck, kurz bevor er seine Mimik wieder unter Kontrolle hatte und eine teilnahmslose Maske zeigte.

„Warum willste denn hier wohnen?“ Verdammt, das war genau das Thema, das ich eigentlich vermeiden wollte. Die Probleme in der Schule hatten mir gezeigt, dass man bestimmte Sachen einfach für sich behalten sollte. Besonders, wenn man ich war.

„Ach, es ist immer gut für später, wenn man einen Auflandsaufenthalt hatte und ich kam nicht so gut in meiner alten Schule zurecht.“ Daraus konnte er jetzt machen, was er wollte.

Als wir aufgegessen hatten, spülte ich schnell das Geschirr. Danach zeigte er mir mein Zimmer und ich fand gar nicht, dass es so muffig roch.

„Ich schlafe gleich nebenan. Wenn de die Flöhe husten hörst, dann ignorier das einfach. Das alte Haus macht manchmal komische Geräusche. Hoffentlich biste nich so‘n Schisser.“ Doch war ich, aber das hätte ich jetzt nicht mal mehr unter Mordandrohung zugegeben. Irgendwie wollte ich vor ihm nicht wie eine Lusche dastehen.

„Willste heute noch auspacken?“ Ich schüttelte den Kopf, nach der langen Fahrt hatte ich nun wirklich keine Lust mehr.

„Ich würde mir gern den Rest des Hauses ansehen. Onkel Charles scheint länger arbeiten zu müssen. Aber ich wollte ihm wenigstens Hallo sagen, dann kann ich mich doch in der Zeit umsehen?“ Ich erschreckte mich fast zu Tode, als eine seiner Pranken auf meine Schulter traf.

„Weeßte wat, ich komm mit. Ich kenn hier Ecken, die würdest du wahrscheinlich nicht mal sehen, wenn du direkt davor stehst. Hier gibt es nämlich ein paar richtig alte Geheimgänge. Ich bin immer noch dabei, sie zu suchen. Aber die von früher sind ja nich blöde. Das haben die wirklich geschickt getarnt. Komm mit, ich zeig dir einen.“ Mit diesen schnell hervorgebrachten Worten zog er mich durch die Gänge. Er war wie ausgewechselt. Ãœbermutig wie ein kleines Kind, das einem anderen sein Spielzeug zeigte.

Als wir einen Raum betraten, in dem Unmengen von Büchern standen, musste ich ein Stöhnen unterdrücken. Das war doch der älteste Trick der Welt. Ein Bücherregal, das sich drehte und einen Geheimgang freigab.

„Natürlich die obligatorische Tür hinterm Regal.“ Sag ich ja.

„Aber das coolste kommt noch. Moment.“ Er kletterte eine wacklig aussehende Leiter rauf und ich hatte Angst, dass sie unter seinem Gewicht zusammenbrechen würde. Aber sie war stabiler, als sie aussah.

„Wo isses denn? Ach da. Hier auf den kleinen Gnubbel drücken, der aussieht, wie eine Rose und dann…warte.“ Ein Rumpeln ertönte und der Schreibtisch wurde ein wenig verschoben. Darunter war ein Gang, der in tiefe Dunkelheit führte.

„Wenn du da runter gehst, dann kommste unten am Strand raus. Ist wohl ein Tunnel aus Kriegszeiten oder die haben hier was rein geschmuggelt. Immerhin war zu Kriegszeiten alles aus Frankreich heiße Ware und wurde auf dem Schwarzmarkt verkauft.“ Also eine Lektion in englischer Geschichte hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Glücklicherweise holte er nicht weiter aus. Schlimm genug, wenn ich das alles in der Schule lernen würde.

„ Morgen zeig ich dir mehr, wenn du willst. Ich glaub, ich hab grad die Tür gehört und Charles kanns nicht leiden, wenn ich rumschnüffle. Als ob mich das abhalten würde. Aber wir ersparen uns lieber den Vortrag.“ Er lächelte mich das erste Mal an diesem Tag offen an und es war, als ob mir ein Stromschlag in den Nacken gefahren wäre. Nicht schon wieder. Das konnte nicht gut enden. Er schloss den Geheimgang und trottete voraus, meinem Onkel entgegen.

Die Dunkelheit ist erst der Anfang

Kapitel 2 – Die Dunkelheit ist erst der Anfang

 

Mein erster Tag nach meiner Ankunft fing damit an, dass mir jemand mit einer Taschenlampe ins Gesicht leuchtete.

„Warum haste es denn hier so dunkel gemacht? Man sieht die Hand vor Augen nicht.“ Ich zog die Bettdecke höher, nachdem ich im Halbschlaf die Augen geöffnet hatte. Die Sonne war garantiert noch nicht aufgegangen. Es war gestern spät geworden, als wir uns mit meinem Onkel hingesetzt hatten. Seine Erzählung von der Hausgeburt war schillernd und ich hatte Mühe nicht zu würgen. Trotz allem war es interessant gewesen, ihm zuzuhören. Seine Arbeit war anscheinend sehr abwechslungsreich und er schien sich intensiv um seine Patienten zu kümmern. Für ihn waren sie nicht nur ein Job, sondern Menschen mit ihren ganz eigenen Problemen, Sorgen und Geschichten.

Ich blinzelte in das Taschenlampenlicht, das penetrant auf meine Augen zielte.

„Kannst du die bitte ausmachen?“

„Genierste dich etwa? Brauchste nich. Unterm Bademantel hab ich auch nix an.“ Sein feixendes Grinsen sagte mir, dass er das nicht ernst meinte, aber meine Phantasie war trotzdem angeregt. Was wäre wohl unter diesem Ungetüm aus neongrünem Frotteestoff? Ein Berg Muskeln, das war sicher. Aber die kräftigen Schultern, die sich darunter abzeichneten, hatten es mir noch viel mehr angetan. Ich riss mich zusammen und hielt meine Gedankengänge im Zaum. Es würde nur schlimm enden, wenn ich mich auf so etwas einließe, das hatte die Vergangenheit ja bestätigt. Für Sekundenbruchteile wurde mein Gesicht traurig. Steffen war nicht meine beste Wahl gewesen. Wenn ich mich anstrengte, spürte ich die Narbe auf meinem Arm immer noch pochen, wo er mich mit der Flasche getroffen hatte. Nie wieder. Jeder Typ würde erst einen Aggressionstest bestehen müssen und ich befürchtete, dass Ruby da sehr schlechte Karten hatte.

„Ich genier mich nicht, aber ich mag meine Privatsphäre. Warum hast du mich eigentlich geweckt? Ich dachte, ich könnte heute ausschlafen?“ Ein Gähnen begleitete diese Aussage und ich machte mir nicht die Mühe, es zu verstecken.

„Ausschlafen, aber dann verpasst du doch alles! Also los! Aufstehen. Sonst trag ich dich halbes Hemd einfach raus.“ Würde er das wagen? Ja, das würde er. Seufzend gab ich mich geschlagen. Dann wollte ich wenigstens vorher heiß duschen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Anscheinend hatten wir heute viel vor.

„Dreh dich weg.“ Meine Batmanboxershorts musste er nun wirklich nicht sehen.

„Nö.“ Ich sah ihn grimmig an.

„Bitte?“

„Nö?“ Was sollte das?

„Ruby? Warum tust du das?“ Ich war ehrlich verwirrt, was konnte er so spannend daran finden, mich halbnackt zu sehen?

„Weil…“

„Ja?“

„Weil, ich es kann. So und nun weg mit der Decke.“ Damit wurde sie rüde von mir gezogen und ich saß frierend auf meinem Bett. Die Gänsehaut auf meinem Körper war leider deutlich zu sehen und ich befürchtete, dass Ruby noch ganz andere Dinge sah. Mein kleines Gedankenspiel hatte meinen Körper mehr angeregt, als ich es mir gerade wünschte. Er wackelte nur mit den Augenbrauen, was ich sehr peinlich fand. Schnell schnappte ich mir die Tagesdecke und wickelte sie wie eine Toga um meinen Körper. Noch war ich schmächtig, aber wenn dieses Muskelpaket auf dumme Ideen kam, konnte sich das vielleicht bald ändern. Frische Wäsche aus meinem Koffer in der Hand, drehte ich mich in Richtung Bad. Ich hoffte, dass er Anstand hätte, doch er folgte mir auf Schritt und Tritt.

„Wenn du duschen gehst, dann zieh ich mir was an. Das Rührei von gestern war gut. Das will ich zum Frühstück.“ Und schon war ich zum Koch degradiert.

„Ok, wieder mit Speck oder hat der Herr sonst noch Wünsche?“

„Hätte ich schon, aber das wäre an deinem ersten Tag unangebracht. Ich hab auch so etwas wie ein Gewissen.“ Mit einem Grinsen drehte er sich um und ging pfeifend in sein Zimmer. Ich verstand gar nichts. Wie hatte er das gemeint?

Ich ging den Gang entlang, bis ich am Ende im Bad stand. Die Dusche auf sehr heiß eingestellt, ich ließ das Wasser auf mich nieder prasseln und genoss die Wärme. Meine Gedanken schweiften von ganz allein in die Zukunft und zu meinem ersten Schultag in Großbritannien. Ob es sehr anders sein würde? Ich hoffte es. Auf eine Wiederholung der Ereignisse in meiner alten Schule konnte ich gern verzichten. Ich drehte den Regler noch ein bisschen weiter. Der leichte Schmerz des heißen Wassers konnte nicht ungeschehen machen, was passiert war, aber es beruhigte mich. Es hatte lange gedauert, bis mir wirklich klar geworden war, dass ich in dieser Klasse nicht bleiben konnte. Ich hätte meine restlichen Schuljahre in Einsamkeit verbracht und manchmal hatte ich sie mir auch gewünscht. Aber völlig ohne Freunde dazustehen war hart.

„Hey, Kleiner mach hin! Die Sonne geht bald auf.“

„Ja, ich beeil mich, Ruby.“ Man, konnte der nerven. Aber nichts desto trotz schrubbte ich schneller und vergaß meine trübsinnigen Gedanken.

 

„Da biste ja. Biste jetzt zufrieden? Hab mich brav angezogen und alle schmutzigen Ideen aus meinem Kopf verbannt. Nun ja, vielleicht nicht alle.“ Keine Ahnung, wovon er redete, aber ich war ein bisschen enttäuscht, dass ich nun doch nicht gesehen hatte, was er unter dem Mantel trug.

„Rührei und Speck kommt sofort. Was haben wir denn heute Schönes vor, dass du mich so früh wecken musstest?“

„Heute morgen haben wir Ebbe und ich will seit Ewigkeiten ein paar der Höhlensysteme am Strand erkunden und du hast die Ehre mitzukommen. Widerspruch lohnt sich eh nich, kannste also gleich lassen.“ Mein offenstehender Mund musste für sich gesprochen haben. Na super, Wasser war schon nicht meins, aber in eine dunkle Höhle kriechen, die eventuell überflutet werden konnte. Nein, darauf hatte ich ehrlich gesagt keine Lust.

„Eigentlich wollte ich mich noch erkundigen, was hier in der Schule anders läuft, als in Deutschland.“ Versuch Nummer eins.

„Ach, das kriegste noch früh genug mit. Sind bestimmt die gleichen Idioten hier und dort. Du bist so ein Zarter, pass lieber auf, dass die dich nich gleich mit Haut und Haar fressen. Und wenn doch, dann erwähne einfach meinen Namen. Mal sehen, wer sich dann noch traut, was zu sagen.“  Sein Gesichtsausdruck versprach einen langsamen Tod, für diejenigen, die mir eventuell ein Haar krümmen wollten. Das gefiel mir, aber auf der anderen Seite wollte ich auch nicht abhängig sein.

„Das ist lieb von dir. Vielleicht muss ich auf das Angebot zurückkommen, aber ich hoffe das Beste. Onkel Charles muss heute nicht arbeiten, oder? Immerhin ist Sonntag. Ich hatte gedacht, dass wir vielleicht gemeinsam etwas unternehmen könnten.“ Versuch Nummer zwei.

„Das können wir danach auch noch. Charlie ist Langschläfer, wenn de den vor 11 weckst, dann brät er dir eins über. Ich weiß, wovon ich rede.“ Verlegen kratzte er sich am Kopf und ich hatte Mühe den Pfannenwender in der Hand zu behalten, weil die Geste einfach zu süß aussah. Schnell drehte ich mich wieder um. Ich häufte seinen Teller voll und schmierte mir nur ein Brot. Ich war mir nicht sicher, ob ich in seiner Gegenwart vernünftig essen konnte, da mein Magen ein wenig verrückt spielte.

„Aber…hm…wie soll ich das jetzt sagen? Hast du denn nichts dagegen, etwas mit so einem jungen Typen wie mir zu unternehmen. Du könntest doch auch einen Kumpel fragen. Ich…ich weiß doch gar nicht, worüber ich mit dir reden soll.“ Ich wusste nicht, was ich von seinem Ausdruck halten sollte. Er sah wehmütig, traurig und wütend zugleich aus. Die Frage war nur, was davon überwog und ob ich mich schleunigst in Sicherheit bringen sollte. Ãœbrigens: Das war Versuch Nummer drei.

„Ich bin gar nicht so viel älter. Und du kannst mir einfach alles über dein Leben in Deutschland erzählen. Das ist viel spannender als mein Eigenes. Und du brauchst gar nich versuchen, mich abzulenken. Du kommst mit und damit basta. Du wolltest doch Bruder spielen.“ Ja, aber nicht, wenn er dann aussah, als ob er in eine Zitrone gebissen hätte.

„Ist gut, ich komm mit. Du lässt sowieso nichts anderes zu.“

„Jetzt verstehen wir uns.“

Ich aß den letzten Happen meines Brotes und sah Ruby beim Essen zu. Er hatte einen gesegneten Appetit und ich fragte mich, ob alles, was er aß, sofort in Muskelmasse umgewandelt wurde. Aber dann sollte er langsam aufhören. So wie jetzt war es genau richtig. Ich würde wohl nie aus meinen Fehlern lernen. Aber allein wie die Ränder des T-Shirts sich an den Armen spannten, sah heiß aus. Und wenn man es genau betrachtete, war er insgesamt nicht so schlecht. Die schmale Nase und Lippen, ob er helle Haare hatte? Ich war mir nicht sicher, aber ich glaubte blonde Stoppeln zu erkennen.

„Von wem träumst du denn? Das dämliche Grinsen im Gesicht steht dir überhaupt nicht. Flennst du jemandem hinterher oder was soll das?“ Der war wirklich frech.

„Geht dich gar nichts an.“

„Aha, also voll ins Schwarze. Aber kann ja nich so doll gewesen sein, wenn de hierher abgehauen bist. War doch der Grund, oder?“ Was fragte er überhaupt, wenn er die Antwort schon wusste?

„…“

„Thema vermeiden. Verstehe. Aber interessieren würde es mich schon. Du bleibst also über die Ferien und wenn alles glatt geht, dann wohnst du hier. Guter Plan, wer hat sich den ausgedacht?“ Sarkasmus konnte ich überhaupt nicht leiden.

„Ist daran was nicht in Ordnung? Warum soll es denn hier nicht besser werden? Hier kennt mich keiner und ich kann von vorn anfangen. Du hattest wahrscheinlich nie Probleme, weil sich keiner traut was zu sagen.“ Erschrocken hielt ich mir die Hand vor den Mund.

„Das würde ich so nicht sagen, du halbe Portion. Ich frage dich mal direkt: warum sollten die Menschen hier anders sein?“ Der konnte einem echt alles mies machen.

„Ich muss doch nicht von allen sofort das Schlimmste denken. Das solltest du vielleicht auch mal probieren. Positiv sein.“ Zumindest würde ich mich an diesen Vorsatz halten.

„Hat dir ja viel gebracht. Egal. Themawechsel. Wir müssen nämlich los. Also los hopp hopp.“

 

Auf dem Weg zu den Höhlen, stiegen wir über Stock und Stein. Meine armen Füße beklagten sich schon eine Weile, aber ich würde nicht jammern. Ruby sollte mich nicht für völlig verweichlicht halten. Aber anscheinend hatte er mich bereits vollkommen durchschaut. Das Gestochere in meiner Vergangenheit war zumindest sehr unangenehm gewesen. Mich überkam immer Übelkeit, wenn ich daran dachte, wie blind ich gewesen war. Das würde mir nie wieder passieren. Und davon musste auch niemand etwas wissen. Besonders Ruby nicht.  

„Ist es noch weit?“ Ich sah mich um und genoss den Ausblick. Diese Gegend war wirklich wunderschön. Aber sie machte mir auch Angst. Die Klippen sahen teilweise sehr steil aus und die Wege, die wir nahmen, luden nicht dazu ein, sie zu benutzen. Aber Ruby kletterte wie eine Gazelle. Es schien ihm egal zu sein, wie uneben der Boden aussah und jeder Schritt schien zu sitzen. Entweder er war schon sehr oft hierher gekommen oder er hatte Erfahrung im Bergsteigen.

„Wir sind gleich da. Ich hab nach einem nicht so steilen Abstieg gesucht, aber wir sollten uns wirklich beeilen, sonst ist die Flut schneller da, als mir lieb ist. Guck mal!“ Er zeigte mit den Fingern gen Horizont und ich hielt den Atem an. Die Sonne ging über dem Meer vollständig auf und tauchte alles in goldenes Licht. Es war atemberaubend und ich war nicht mehr böse, weil ich so früh hatte aufstehen müssen.

„Wunderschön.“ Wir hielten einen Moment an und nahmen den Anblick in uns auf. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich für die Schönheit der aufgehenden Sonne begeistern könnte. Aber ich hatte ihn wohl unterschätzt. Es war eben nicht immer alles so, wie es aussah.

„Wir müssen weiter, Winzling.“ Ich zuckte zusammen. So nannte mich Onkel Charles immer. Und nur er durfte das. Aber ich würde es ignorieren. Es war bestimmt nur ein Versehen.

„Sei vorsichtig hier. Schön einen Fuß vor den anderen setzen. Dort kommt ein Vorsprung, den werden wir nutzen, um herunterzukommen.“ Das war nicht sein Ernst. Ich sollte da runter klettern?! Nie im Leben!

„Das kann ich nicht, Ruby. Gibt es keinen anderen Weg?“

„Ach, jetzt sei nicht so‘n Schisser. Wirst dir schon nich alle Knochen brechen. Ich fang dich auch auf, wenn du fällst.“ Er zwinkerte mir schon wieder zu.

„Danke. Ich verzichte.“ Schweigend machten wir uns an den Abstieg. Es sah wirklich schlimmer aus, als es war. Doch kurz vor dem Ende, griff ich daneben und strauchelte. Mein Sturz wurde weich aufgefangen und ich errötete garantiert wie eine Jungfrau in Not. Rubys starke Arme umschlossen meinen Körper und ich spannte mich unwillkürlich an.

„Hallo. Schönheit. Da ist mir ja was in die Hände gefallen. Und nun werde ich die Prinzessin in meine Höhle verschleppen, um sie zu fressen. Muhahaha.“ Er war wirklich blöd…und süß.

„Na los, du Monster. Dann trag mich.“ Wir kicherten los und er warf mich kurzerhand über seine Schulter. Der Aufprall war schmerzhaft und nahm mir kurzzeitig die Luft.

„Lass mich runter! Ich bin doch kein Mehlsack!“ Doch er hörte nicht auf mich, sondern lief einfach mit seiner schweren Fracht weiter, als würde ich nicht mehr als eine Feder wiegen. Wenn mir bloß von dem Geschaukel nicht so schlecht geworden wäre.

„Ruby. Bitte, lass mich runter. In meinem Kopf dreht sich schon alles.“ Würg.

„Na gut, aber nur, damit du mich nicht vollkotzt.“ Aber anstatt mich normal herunterzulassen, glitt ich an seinem warmen Körper hinab. Voller Körperkontakt! Mein Herzschlag beschleunigte sich gefährlich und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er das mit Absicht gemacht hatte.

„Da vorn ist es. Gut, wir sind noch rechtzeitig da.“ Er ging voraus und die Höhle, die sich vor uns auftat, war nicht mehr, als ein schmaler Durchgang. Es war stockfinster.

„Da willst du rein?“ Mir war echt nicht wohl bei der Sache. Hausten hier Fledermäuse? Der Boden sah schlammig aus und glitschig von den Algen, die es hier in Massen gab.

„Haste Schiss? Komm schon! Ich will wissen, ob sich meine Theorie bestätigt.“ Wir balancierten auf den rutschigen Steinen und ich war froh, als ich merkte, dass der Boden trockener wurde. Dafür wurde es aber auch immer dunkler.

„Hast du eine Taschenlampe mitgebracht?“ Der Muskelprotz nickte und schaltete eine Lampe an, die jeden Technikfreak neidisch gemacht hätte. So helles Licht und allerhand Sonderfunktionen. Hatte eher was von einem Schweizer Taschenmesser deluxe.

„Wow, wo bekommt man denn so was her?“ Ich war wirklich beeindruckt.

„Na, nirgends. Marke Eigenbau. Ich hab ein Händchen für technische Dinge.“ Er grinste mich breit an und ich merkte schon wieder dieses komische Ziehen. Bisher schien er auch ganz anders zu sein, als ich gedacht hatte. Auch wenn er wie ein Problemkind aussah, schien er eher friedlicher Natur zu sein. Obwohl…den Vertreter wollte er schlagen und mich auch… und jeden, der mir in der Schule was tun wollte. Vielleicht sollte ich mein Urteil nicht so voreilig fällen.

„Kommst du, Winzling? Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Es sei denn, du kannst unter Wasser atmen.“ Gut, dass er das erwähnte, ich hatte völlig vergessen, dass die Höhle sonst überflutet war. Aber warum war der Boden dann so trocken? Ich sah mich um und entdeckte eine Stelle, die nasser wirkte als der Rest.

„Kannst du mal hierher kommen? Ich glaube, das Wasser sickert hier durch.“ Er trabte zu mir rüber und irgendwas war komisch.

„Christopher. Komm da weg!“ Er zog mich zu sich, in dem Moment als der Sand unter mir nachgab. Das war eine Mördergrube! Treibsand. Nur locker aufgeschichtet und darunter war wahrscheinlich ein Hohlraum. Kein Wunder, dass das Wasser an dieser Stelle abfloss. Mein Herz puckerte und mein Adrenalinpegel war hoch. Das hätte verdammt schief gehen können. Erst in diesem Moment bemerkte ich, dass mein Herz nicht das Einzige war, das raste. Ruby hatte mich dicht an sich gepresst und sein Atem ging schnell.

„Eine Falle. Für Schmuggler, die sich hier nicht aufhalten sollten. Geht es dir gut?“ Er betrachtete mich von oben bis unten und schien dann erleichtert zu sein, dass mir wirklich nichts fehlte.

„Ja, aber warum an dieser Stelle?“

„Na, je eher der Feind aufgehalten wurde, desto besser. Wir sollten vorsichtig sein. Wahrscheinlich gibt es noch mehr Fallen. Am besten, du bleibst bei mir.“ Ich war damit einverstanden, aber es schockierte mich, als er meine Hand, wie bei einem kleinen Kind, in seine nahm.

„Ich kann alleine laufen. Ich pass schon auf.“ Ich lächelte ihn zögerlich an, damit meine Worte nicht zu harsch rüberkamen.

„Nichts da! So kann ich dich besser festhalten, falls du wieder ausrutschst.“ Resigniert ließ ich meine Hand in seiner liegen. Der Ton duldete keinen Widerspruch.

Seine Hände waren groß und warm. Dieser Mann hatte die Körpertemperatur einer Ofenheizung. In der Höhle war es frisch und ich bedauerte, mich nicht wärmer angezogen zu haben. Außerdem hatte ich das Gefühl, das mein T-Shirt klamm an meiner Haut lag.

Je weiter wir kamen, desto trockener wurde die Luft und der Gang immer enger. Als der Tunnel abrupt endete, musste ich mich zusammenreißen. Nicht panisch werden. Es gibt immer einen Ausweg. Aber der war jetzt mit Wasser versperrt. Zumindest hatte Ruby das nach einem Blick auf seine Uhr behauptet. Es würde nicht mehr lange dauern und alles würde unter Wasser stehen. Beeilung!

„Was ist los? Du bist plötzlich so blass geworden.“

Die Wände kamen immer näher und ich hatte das Gefühl, dass der Raum immer dunkler wurde. Ruby. Er würde wissen, wo der Ausgang war. Er hatte mich hier rein geschleppt. Atmen. Tief ein und aus.

„Christopher? Hallo? Geht-es-dir-gut? Sag mal, kannst du mich überhaupt hören?“ Ja, ich höre dich.

„Hey. Nicht herumstehen. Ich glaube, ich weiß, wo der Türöffner ist.“ Er trat an einen Vorsprung und tastete ihn mit der Hand ab. Als ein Stein locker heraus fiel, machte er ein triumphierendes Geräusch.

„Wusste ich es doch. So, Winzling. Gleich ist alles vorbei. Ich hol dich hier raus.“ Die Steine knackten und langsam konnte man im Dunkeln eine Treppe erkennen.

„Mit dir erlebt man was.“ Er redete beruhigend auf mich ein. Ich weiß nicht mehr alles, was er sagte, nur dass er mich an sich presste und ermutigte, einen Schritt vor den anderen zu machen.

„Schön weiterlaufen. Hier kann dir nichts passieren. Wir sind schon lange über dem Meeresspiegel.“ Ãœber mir sah ich eine Holztür, die quietschte, als er mit ganzer Kraft dagegen drückte. Seine Körperwärme dicht hinter mir und seine Gelassenheit sorgten dafür, dass ich wieder zu mir kam. Langsam kletterte ich aus dem Loch und wir kamen in einen riesigen Keller mit großen Weinfässern.

„So, Winzling. Was war das?“ Er drückte mich an sich und ich konnte nicht anders, als meine Nase, in seinem Hemd zu vergraben.

„Weiß nicht.“

„Sah aber nicht danach aus. Warum hast du denn nich gesagt, dass du solche Angst hattest? Ich hab doch vorhin nur Spaß gemacht. Shit, das war echt gruselig, wie de da vor dich hingestarrt hast.“ Ich zitterte immer noch am ganzen Körper. Auch wegen der Kälte.

„Ich hab Panik bekommen.“ Er sah nur auf mich runter, aber ich konnte keine Verachtung in seinem Blick sehen, nur ehrliche Sorge.

„Nächstes Mal, sagste früher Bescheid. Dann kann ich dich beruhigen. Ich kenn mich hier aus. Kannst dich also auf mich verlassen.“ Ich nickte und er schien zufrieden zu sein.

„Ich hab mir doch gedacht, dass wir hier rauskommen. Lust auf einen Schluck Wein? Der ist so alt, der haut uns glatt die Beine weg.“ Er lachte laut und ich fing an, mich wieder normal zu fühlen.

Lauf Häschen, lauf!

Kapitel 3 – Lauf Häschen, lauf

 

„Wir werden uns jetzt für unseren genialen Entdeckergeist ein Fläschchen mitnehmen. Die köpfen wir heute Abend mit Charlie.“ Er schaute sich in dem riesigen Keller um und nahm sich eine eingestaubte Flasche Wein, die sehr alt aussah. Nach einem Blick auf das Etikett nickte er zufrieden und stellte seine Beute auf einen kleinen Tisch bei der Ausgangstür.

„Ich will dahinten noch was nachgucken.“ Der Raum war l-förmig und ich konnte weiter hinten noch mehr Weinfässer entdecken. Ob die alle voll waren? Ich wusste gar nicht, dass mein Onkel auch Wein kelterte. Aber vielleicht war es auch wirklich nur ein altes Lager und die meisten Fässer leer. Er lief weg und anscheinend erwartete er, dass ich ihm folgte. Ganz hinten in der Ecke hatte er eine Leiter gefunden, die er an eines der großen Holzfässer stellte. Er wollte doch nicht wirklich da raufklettern? Doch er wollte. Sollte ich die Leiter sichern?

„Winzling, komm mal her, ich brauch deine schlanken Hände.“ Der hatte sie doch nicht mehr alle.

„Ich will aber nicht da rauf. Hier unten stehe ich viel sicherer.“

„Jetzt komm schon, ich bin direkt hinter dir, wenn du fällst, dann weich.“ Das glaubte ich kaum, denn soweit ich es gesehen und gefühlt hatte, war sein Körper hart wie Stahl. Kein Gramm Fett zuviel und insgesamt eher dazu gedacht, Menschen einzuschüchtern, statt zu beschützen. Doch er würde nicht nachgeben. Was Ruby sagte, war Gesetz. Also musste ich mich wohl oder übel fügen.

„Wenn mir hier was passiert, dann ist dir doch klar, dass du nicht nur Ärger mit meinem Onkel, sondern auch mit meiner Mutter bekommst. Und eins kannst du mir glauben, wenn es um mich geht, versteht sie keinen Spaß.“ Nein, nicht mal ansatzweise. Das hatte sie eindrucksvoll bewiesen, als sie einen meiner Mitschüler dermaßen in Grund und Boden geschrieen hatte, dass der Direktor dazu gerufen werden musste. Die Eltern des Jungen hatten ihr nahe gelegt, zu einer Aggressionstherapie zu gehen. Dabei war sie vollkommen im Recht gewesen. Ehrlich gesagt sogar mehr, als sie selbst gedacht hatte. Denn Mobbing und Intoleranz ließen sie schnell rot sehen. Wenn sie gewusst hätte, was wirklich passiert war, dann wäre es für den Jungen wahrscheinlich noch schlimmer ausgegangen. So war er nur drei Tage von der Schule suspendiert worden und durfte zwei Wochen Putzdienst schieben. Aber das hielt ihn nicht von weiteren Schikanen ab. Ich hatte irgendwann aufgehört mitzuzählen, aufgehört mich ständig zu verteidigen, immer in der Hoffnung, dass ihnen das Spiel langweilig werden würde, aber das war leider nicht der Fall. Deshalb bin ich geflüchtet und aus einem anderen Grund.

Ich schüttelte den Kopf, um meine trübsinnigen Gedanken zu verscheuchen. Das brachte mich auch nicht weiter. Ich würde hier von vorn anfangen und alles würde gut werden.

„Deine Mom ist bestimmt nett, wenn sie sich so sehr um dich sorgt. Sei froh, dass sie dich beschützt. Meine Eltern sind dagegen das Paradebeispiel für Rabeneltern. Ich wurde mir selbst überlassen oder besser deinem Onkel, damit er mich erzieht. Sie haben mich aufgegeben.“ Sein Gesicht war traurig, als er das sagte, aber er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle.

„Ja, meine Mom ist nett.“ Ich kletterte weiter hinauf und deutete auf die Wand, vor der er stand.

„Da?“ Sein Nicken bestätigte meine Vermutung, dass ich wirklich in das dunkle Loch hineinfassen sollte. Widerstrebend tat ich das und war erleichtert, dass anscheinend keine Spinne ihr Heim daraus gemacht hatte und auch sonst kein Getier.

„Wonach suche ich?“

„Nach einem Schalter oder etwas in der Art. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es hier sein muss. Ich habe letztens einen alten Grundriss entdeckt und direkt hier darüber müsste eigentlich ein Gang sein. Das war nicht immer ein Weinkeller. Früher war hier auch die Waschküche untergebracht. Damit man nicht alles mit der Hand nach unten tragen musste, gab es eine Art Rutsche.“

Aber er wollte doch nicht in die Röhre klettern? Völlig ausgeschlossen. Selbst für einen normal gebauten Menschen war das unmöglich!

Es machte kurz „klick“ und über uns in der Holzvertäfelung ging eine Tür auf. Allerdings viel weiter oben, als ich gedacht hätte.

„Mist. Anscheinend klemmt da was.“ Er streckte sich, aber selbst er war zu klein, um dort heranzukommen.

„Das müssen wir wohl aufgeben. Eine Räuberleiter hier oben ist zu gefährlich.“ Gott sei Dank hatte er ein Einsehen.

„Wir kommen noch mal wieder. Oder wir suchen den anderen Zugang. Ich glaube zu wissen, wo er ist.“ Ich fragte mich immer noch, was er mit seinem Wissen vorhatte, immerhin war es völlig ausgeschlossen, diesen Zugang zu nutzen.

Wir kletterten wieder hinunter und auf dem Weg nach oben fragte er mich über mein Leben in Deutschland aus. Da ich nicht über die Schule reden wollte, beschränkte ich mich auf meine Familie. Ich erzählte ihm, dass ich keine Geschwister hatte und mein Vater schon früh verstorben war. Darauf wollte ich ebenfalls nicht weiter eingehen. Es reichte, wenn er wusste, dass er tot war, unter welchen Umständen war für ihn irrelevant. Meine Mutter war Bankkauffrau und die netteste Person, die ich kannte. Andere Mütter reichten ihr nicht einmal ansatzweise das Wasser.

„Ich würde sie zu gern mal kennen lernen. So wie du sie beschreibst, muss sie eine Superfrau sein.“ Anscheinend hatte ich ein wenig zu sehr von ihr geschwärmt. Dabei sollte mich Ruby doch nicht für ein Muttersöhnchen halten.

„Vielleicht kommt sie uns gegen Ende der Ferien mal besuchen. Was ich dich fragen wollte. Weißt du, wo man hier eventuell Sport machen kann? In Hamburg habe ich Taekwondo gemacht. Das Training würde ich gern fortsetzen.“

„Hm, erst einmal kannst du mit mir üben. Ich hatte Aikido-Unterricht, aber ich hör mich mal um. Unten im zweiten Keller ist genug Platz, da können wir Matten hinlegen. Ach so, den habe ich dir noch gar nicht gezeigt. Momentan stehen dort meine Trainingsgeräte. Ich mag die Fitnesscenter nicht, deshalb habe ich alles hier.“  

Ich nickte und freute mich schon darauf, wieder zu trainieren.

 

 

„Sieht schon wieder nach Regen aus.“ Missmutig sah ich aus dem Fenster den dunklen Wolken entgegen, die sich auftürmten. Die dunkelgraue Färbung verhieß nichts Gutes.

„Ja, hier kannste ersaufen. Von einem Moment zum anderen regnet es Katzen und Hunde.“ Ich runzelte die Stirn, ob der eigenartigen Formulierung. Sprichwörter waren immer noch schwer für mich zu übersetzen, weil meine Mutter keinen Hang dazu hatte, sie zu verwenden. Sie hatte mir immer alles klipp und klar erklärt. Ich liebte ihre Geradlinigkeit. Verbote gab es selten und wenn, dann hatte sie immer einen Grund. Den sie natürlich erläuterte. Damit hatte ich es als Kind auf eine Art immer leicht. Andererseits war es natürlich schwer zu erklären, warum ich Dinge durfte, die anderen Kindern und Jugendlichen in meinem Alter verwehrt blieben. Lange aufbleiben, fernsehen und spielen, soviel ich wollte. Aber es machte wenig Spaß ohne Gesellschaft. Schnell hatte ich gemerkt, dass andere mich darum beneideten, aber ich hatte nie verstanden, warum.

Es blitzte und ich zuckte zusammen, als der Donner grollte. Das Gewitter war nicht mehr fern und ich hatte mir heute eigentlich noch ein wenig die Gegend ansehen wollen. Daraus wurde jetzt wohl nichts.

Aber ich hatte noch genügend Zeit die Ferien über.

„Ich denke, ich werde anfangen meine Sachen auszupacken. Wir sehen uns dann später.“ Ich verabschiedete mich von ihm und er sah mir nach ohne etwas dazu zu sagen.

 

Ich hatte wirklich nicht viel mitgenommen. Eigentlich hatte ich die Zeit bis zum Dinner mit ausräumen und mich umsehen, überbrücken wollen. Allerdings waren meine Sachen viel schneller eingeräumt, als mir lieb war und dann hatte mich der Jetlag mit voller Wucht erwischt. Ich hatte mich nur für ein paar Minuten hinlegen wollen, stattdessen schlief ich geschlagene drei Stunden und es war schon fast Abendessenzeit. Die schwülwarme Luft, die in dem Haus dank des Gewitters herrschte, hatte dafür gesorgt, dass ich total verschwitzt war. Also erst einmal duschen und dann musste ich rausbekommen, wie das hier mit dem Essen gehalten wurde. Meine Mutter legte immer viel Wert auf gemeinsame Mahlzeiten. Das war Tradition und ich genoss diese Momente, in denen sie mir von der Arbeit und ich ihr von der Schule berichtete. Wobei ihre Erzählungen wesentlich fröhlicher waren als meine. Manchmal schauten wir auch zusammen Nachrichten, aber da wir beide dem sonstigen Fernsehprogramm nicht viel abgewinnen konnten, blieb der Fernseher meistens aus. Lieber unterhielten wir uns über das Buch, das wir gemeinsam lasen. Sie als Hörbuch auf dem Weg zur Arbeit und auf dem Heimweg und ich in gedruckter Form.

Wir lasen quer Beet und der letzte Titel, den wir aber leider nicht zu Ende besprechen konnten, war die Percy Jackson-Reihe gewesen. Da bereits sieben Bände herausgekommen waren, fünf in der Hauptreihe und zwei vom Nachfolger, hatten wir ziemlich lange darüber diskutiert. Mir fehlten unsere Gespräche und ich hoffte, da die Bibliothek meines Onkels so gut gefüllt war, dass er vielleicht auch Gefallen daran finden könnte.

Ruby kam mir eher nicht wie der Typ vor, der gerne las. Wieso dachte ich überhaupt schon wieder an ihn? Er war nett, das musste ich wohl oder übel zugeben. Auch wenn ich Typen seines Charakters normalerweise nicht ausstehen konnte. Aber irgendwie war er eben doch nicht so wie die anderen. Zumindest hatte er sich noch nicht über mich lustig gemacht, außer über meine Größe. Damit konnte ich leben, denn das würde sich garantiert in absehbarer Zeit geändert haben.

Wieder schweiften meine Gedanken zu meinem letzten Schultag. Ich hatte versucht, mich möglichst unauffällig aus dem Staub zu machen. Aber es kam, wie es immer kommt, wenn man etwas vertuschen wollte. Man wurde erwischt und dann ausgerechnet von dem, den man am wenigsten sehen wollte. Die Nervosität und Angst konnte ich bis heute in meinen Knochen spüren. Dabei hatte er mir an dem Tag nichts tun wollen. Aber die Narbe ziepte und würde mich immer wieder an unser letztes schmerzhaftes Zusammentreffen erinnern.

 

 

„Onkel Charles? Man, wo sind die denn alle?“ Ich hatte schon gefühlt das ganze Haus abgesucht, dabei war ich nur in den Räumen gewesen, die ich bereits kannte. Aber das Gebäude war dermaßen weitläufig, dass man sich leicht verlaufen konnte. Darauf hatte ich allein absolut keine Lust. Als ich den dröhnenden Bass meines Onkels aus einem Zimmer hinter der Küche hörte, atmete ich erleichtert auf. Ob ich da einfach reinplatzen konnte? Ach, bestimmt. Immerhin würde ich hier wohnen. Wenn ich mir selbst ständig Gedanken darum machte, wann und wo ich hinein durfte, würde ich die restliche Zeit nur in meinem Zimmer verbringen. Ich sollte ihn einfach mal fragen, ob es Räume gab, deren Zutritt untersagt war. Schließlich war das Haus alt und ich mir nicht sicher, nachdem Ruby gesagt hatte, dass nicht alle Schlafzimmer bewohnbar waren. Das konnte verschiedene Gründe haben und ich wollte sie gern vorher wissen. Langsam öffnete ich die Tür und sah nur einen Riesenohrensessel, in dem anscheinend mein Onkel saß.

„Komm rein, Winzling. Wir haben uns schon gefragt, wann du Hunger bekommst.“ Er drehte sich über seine Lehne und grinste mich über das ganze Gesicht an.

„Habe ich das Essen verpasst? Tut mir leid. Ich hatte ganz vergessen, zu fragen, wann ihr hier esst.“ Ich trat zerknirscht zu den beiden, nachdem ich entdeckt hatte, dass Ruby ebenfalls in einem Sessel saß.

Mein Onkel hatte mit seiner großen Gestalt das gesamte Möbelstück für sich eingenommen.

Das braune Haar, das ein wenig zu lang war und genauso aussah wie meines, hatte er sich aus der Stirn gestrichen. Es sah dandyhaft aus und wollte so gar nicht zu seinem Alter passen. Zumindest nicht, wenn man wie ich wusste, wie alt er wirklich war. Immerhin war er sieben Jahre älter als meine Mutter, also fünfundfünfzig.

„Wenn du noch Hunger hast, die Köchin hat dir eine Portion in den Kühlschrank gestellt.“ Ich nickte und flitzte, um mir mein Essen warm zu machen. Mit der heißen Schüssel ging ich wieder zu meinem Onkel.

„Und Winzling, hast du dich schon eingelebt?“ Ich nickte wieder und er lächelte mich breit an.

„Morgen können wir alle gemeinsam etwas unternehmen. Ich habe ausnahmsweise frei, aber muss das Handy natürlich für Notfälle bereit haben. Hast du einen Wunsch, was du dir ansehen möchtest?“

„Ich würde gern mal in das Dorf. Ruby hat gesagt, dass sie vielleicht etwas wie Taekwondo anbieten und wollte mich umsehen.“

„Na gut, auch wenn es dort wirklich nicht viel zu sehen gibt. Vielleicht können wir noch in die nächste Stadt. Ich brauche noch etwas aus dem Baumarkt, wenn wir das Haus weiterhin in Schuss halten wollen. Im vierten Schlafzimmer ist der Putz runtergekommen und wir wollen ja nicht, dass eventuelle Gäste im Schlaf erschlagen werden.“ Er zwinkerte mir zu und ich hoffte, dass mein Schlafzimmer Nummer zwei und nicht vier war.

„Charlie, ich glaube, er denkt, dass du sein Zimmer meinst. Nich wahr, Winzling. Dein Gesicht ist wie ein Buch.“ Ich merkte, wie ich rot wurde und konnte doch nichts dagegen unternehmen. Immerhin waren meine Zweifel berechtigt gewesen.

„Hast du eigentlich schon mit deiner Mom telefoniert, dass du gut angekommen bist?“ Mein Onkel wechselte abrupt das Thema, damit ich mich nicht so unwohl fühlte.

„Ja, habe ich bereits. Sie hofft, dass ich mich hier wohl fühle und gut einlebe. Auch wenn sie traurig ist, dass sie mich nicht mehr so oft sieht und mir wird sie auch fehlen. Aber sie lässt dich grüßen. Äh und Ruby bestimmt auch. Sie weiß nicht, dass du hier wohnst.“ Ruby starrte mich nur wortlos an.

„Das ist auch so gewollt. Ich hab das nie an die große Glocke gehängt. Diese Familie ist so schon eigenartig genug. Sie würden es nicht verstehen.“ Das Gleiche dachten sie von ihm, deshalb konnte ich das gut nachvollziehen.

„Ruby ist ein guter Junge. Er strengt sich an und wenn ich Kinder hätte, wäre mein Sohn bestimmt genau so, wie er. Vielleicht mit ein bisschen besseren Manieren.“ Charles sah Ruby mit so viel Wärme und Liebe an, dass ich mich beinahe abwenden musste. Dieser ungehobelte Kerl hatte einen Platz im Herzen meines Onkels und den musste er sich verdient haben, denn er war nicht gerade ein offener Mensch.

„Alter Mann, werd mal nich frech hier. Wer sacht denn, dass ich keine Manieren hab? Ich streng mich hier nur nich an. Macht auch keinen Sinn, immerhin sind wir eine Familie und da lohnt es nich, auf solche Kleinigkeiten zu achten. Aber ich hab dich auch lieb. Und mehr bekommst du aus mir zu dem Thema nich raus.“ Mir fiel auf, dass ich immer noch dumm in der Gegend mit meinem Essen in der Hand herumstand. Da nur der Platz neben Ruby frei war, musste ich mich wohl oder übel neben ihn setzen, obwohl so viel Nähe zu ihm, meinen Puls schneller schlagen ließ. Ich ließ meinen Löffel in die leckere Suppe gleiten und stopfte mir den diesen sofort wieder in den Mund, damit ich nicht sprechen musste. Natürlich verbrannte ich mir prompt die Zunge und jammerte vor mich hin.

„Weißte, was da hilft, Winzling?“ Ich hoffte auf eine schnelle Lösung, aber Ruby war nur darauf aus, mich zu foppen.

„Pusten?“, fragte ich, aber  er schüttelte den Kopf.

„Nö, Zungenküsse!“ Mein Blick schnellte zu meinem Onkel, doch den schien Rubys Aussage in keiner Weise zu schockieren. Mich dagegen schon. Mein Gesicht war flammend rot.

„Komm her. Dann hab ich gleich noch Nachschlag.“ Ich konnte  wegrutschen und er hatte mich bereits eingefangen. Fest presste er seine Lippen auf meine, doch ich würde sie auf keinen Fall öffnen. Mit der Schüssel in der Hand konnte ich mich auch nicht dagegen wehren, es sei denn, ich wollte die heiße Suppe in meinem Schoß haben. Sein Kuss wurde drängender und seine Zunge bettelte eingelassen zu werden. Ich atmete durch die Nase und wehrte mich gegen das warme Gefühl. Als er mir die Schüssel abnahm, um sie auf den Tisch zu stellen, sah ich darin meine Chance, ihn wegzudrücken und überließ sie ihm widerstandslos. Doch er nutzte es aus, dass ich mich so sehr auf etwas anderes konzentrierte, dass ich seine Hand in meinem Rücken zu spät bemerkte. Er zog mich näher an sich und seine Hitze versengte mich. Ein Schauer rieselte über meinen Rücken, aber leider einer der viel zu angenehmen Sorte.

„Komm, öffne deinen Mund für mich.“ Das leise Flüstern umschmeichelte mich und ich hatte Mühe standhaft zu bleiben.

„Willst du wirklich nicht? Vielleicht ahnst du gar nicht, was du verpasst.“ Sein Mund war zu meinem Ohr gewandert und die Gänsehaut, die er mir bescherte, ließ mich leicht nach Luft schnappen.

Dieser Moment reichte ihm, mich zu überrumpeln und tief drang er in meinen Mund ein. Es war besser als Alles, was ich je erlebt hatte. Süß und zärtlich, hart und fordernd zugleich. Mich schwindelte es und dass er mich stützte war wahrscheinlich ganz gut. So sollten Küsse sein. Aber sie sollten mit dem Richtigen passieren und ich bezweifelte, dass Ruby der Richtige für mich war. Ich brauchte alle Willensanstrengung, um mich von ihm zu lösen, doch er ließ mich erstaunlicherweise sofort los. Ruby leckte sich über die Lippen und ich sah fasziniert zu, wie seine Zunge über seine Oberlippe glitt. Das Ziehen in meinem Unterleib versprach nichts Gutes und ich schnappte mir schnell wieder meine Schüssel.

„Mh, lecker. Du schmeckst noch besser als erwartet.“ Das diabolische Grinsen in seinem Gesicht hätte mich warnen sollen, aber bei mir war der Spruch „Aus Schaden wird man klug“ verschwendet. Denn von nun an, sollte es keine Minute mehr geben, in der er mir nicht nachstellte.

„Ruby. Benimm dich.“ Onkel Charles Bassstimme erreichte zwar meine Ohren, doch bei Ruby war ich mir nicht so sicher. Er sah aus, als ob er auf Beutejagd wäre und ich war mir sicher, dass ich dabei die Rolle des Häschens spielte.

Hasenjagd

Kapitel 4 Hasenjagd

 

„Onkel Charles kommst du?“ Ruby und ich standen bereits in den Startlöchern. Nach der Aktion von gestern war meinerseits die Stimmung merklich abgekühlt, doch er schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Stattdessen nahm er nun jede Gelegenheit wahr, mir den Hintern zu tätscheln oder mich anderweitig zu belästigen. Ich hatte bereits solch eine Angst vor der nächsten Attacke entwickelt, dass sich mein Schutzradius auf zwei Meter erweitert hatte, je nach Zimmergröße konnte er auch deutlich mehr betragen. Je weiter weg von dem Grapscher, desto besser!

„Charlie, jetzt mach ma hin! In dem Dorf klappen se die Bürgersteige schon um fünfe hoch, das weißte doch.“ Das wurde von Ruby durch das ganze Haus gebrüllt. Ich hatte schon den Posten an der Tür bezogen, damit ich schnell weglaufen konnte, wenn mir ein gewisser Jemand zu nahe kam.

„Der Winzling kann es gar nicht erwarten, das idyllische englische Dorf zu sehen, um dann gnadenlos von der Realität enttäuscht zu werden.“ Ruby zwinkerte mir zu und ich rollte nur mit den Augen. Was war denn so verkehrt daran, wenn ich einfach mal raus wollte? Schließlich konnte ich nicht den ganzen Tag in diesem alten Gemäuer verbringen.

Als Charles endlich herunterkam, zog er eine enttäuschte Miene.

„So, wie es aussieht, kann ich leider doch nicht mitkommen. Tante Maddy musste unbedingt mit ihrem gebrochenen Bein auf einen Schemel steigen, weil sie der neuen Köchin nicht vertraut. Dabei ist sie heruntergefallen und wenn es ganz schlecht ausgeht, dann hat sie sich das Handgelenk gebrochen. Ich werde alte Leute nie verstehen, so stur und unvernünftig. Deshalb müsst ihr ohne mich los. Tut mir Leid, dass ihr nun laufen müsst.“ Er klapperte ungeduldig mit den Schlüsseln und ich merkte, dass er sich mehr Sorgen um diese Maddy machte, als er zugeben wollte.

„Ach, dann laufen wa eben, nich halbe Portion? So weit ist es nicht und vielleicht können wir uns später noch treffen.“ Onkel Charles nickte nur und war kurz darauf schon verschwunden.

„Dann können wir doch noch einen Abstecher machen. In einem Wäldchen hier in der Nähe ist auf einem alten Grundriss ein komisches Viereck eingezeichnet. Ich war schon tausend mal dort und könnte schwören, ich hätte da noch nie was Verdächtiges gesehen. Aber vielleicht täusche ich mich ja. Diese alten Karten sind nicht so gut auf die heutige Zeit übertragbar. Immerhin hat sich die Landschaft sehr gewandelt und es wurden Wälder gerodet und neue gepflanzt.“ Ruby hatte wieder dieses Funkeln in den Augen und konnte es anscheinend gar nicht abwarten, seine Theorie zu überprüfen.

„Kannst du Karten lesen?“ Ich nickte verhalten. Normale Straßenkarten konnte ich lesen, aber ob ich mit diesem Grundriss etwas anfangen konnte, war fraglich.

„Ich hol sie schnell. Wenn das einer der Zugänge ist, die ich suche, dann könnten wir auf etwas ganz Großes stoßen. Das Geld, das mit der Schmuggelware verdient wurde, ist nämlich nur in Teilen aufgetaucht. Aber alte Kontoeinträge haben gezeigt, dass da viel mehr sein muss. Das ist wie eine Schatzsuche.“ Ruby hatte sich in Fahrt geredet. Er flitzte nach oben und kam aufgeregt wieder.

„Charlie ist zwar nicht begeistert davon, dass ich die Geheimgänge suche, aber abhalten kann er mich auch nicht. Er macht sich auch nur sorgen, aber ich weiß schon, was ich mir zutrauen kann und was nich. Guck hier, die Stelle meine ich.“ Er stand an einem Tischchen in der Eingangshalle und bedeutete mir, zu ihm zu kommen. Mit dem Finger zeigte er auf eine Ansammlung von Bäumen, die die Bezeichnung Wald wirklich nicht verdient hatten.

„Wenn du die Gegend kennst, warum denkst du dann, dass du etwas übersehen hast? Wenn der Wald früher an einer alten Stelle war, dann müsste doch an dieser Stelle heute etwas anderes sein?“ Er sah mich an und nickte.

„Prinzipiell hast du Recht, das Blöde ist nur, dass zwischen den Karten nicht nur ein paar Jahre liegen, sondern Jahrhunderte. Es ist schon ein Wunder, dass ich diese alte Karte gefunden habe. Und anscheinend wurde in dieser Zeit eine Menge getan. Der Wald ist wesentlich größer, als es den Anschein hat.“ Seine Pranke sauste auf meine Schulter.

„Das packen wir schon. Ich habe da so eine Ahnung.“ Ich schob seine Hand weg, aber er ließ sie nur auf meine Hüfte gleiten und jagte mir so einen Schreck ein.

„Lass das!“ Ich ging einen Schritt weg, doch er zog mich einfach zu sich. Hart presste er sich an mich und ich konnte die Reaktion meines Körpers darauf kaum unterdrücken.

„So leicht kommst du mir nicht davon.“ Seine Lippen eroberten meinen Mund und ein Stöhnen entkam mir ungewollt. Diese Ãœberfälle waren nicht gut für mein Herz.

„Mh, lecker. Los, komm!“ Noch leicht benebelt dackelte ich einfach hinter ihm her. Das Gefühl seiner samtenen Lippen auf meinen, wollte einfach nicht nachlassen und ich wollte mehr davon, viel mehr. Aber das wäre keine gute Idee, absolut nicht.

 

„Ruby, wie weit ist es noch? Deine Karte ist nicht hilfreich! Ich dachte jetzt schon dreimal, dass wir fast da wären und dann kommt schon wieder ein anderer Wald.“ Ich war wirklich genervt. Ich hatte mir unseren Spaziergang in das Dorf anders vorgestellt. Mit wesentlich weniger Staub, Gestrüpp und Ungeziefer.

„Wir sind gleich da. Der nächste Wald müsste es sein. Ich hab das im Urin.“ Er zog mich bei der Hand und ich stolperte hinter ihm her. Immerhin hatten wir kaum etwas mitgenommen, nur Ruby schleppte einen kleinen Rucksack mit sich rum, der auf seinem breiten Rücken beinahe lächerlich aussah.

„Was willst du eigentlich im Dorf?“ Er brummte das vor sich hin und ich überlegte, was ich darauf antworten sollte.

„Ich möchte die Gegend kennenlernen. Ich will nicht wie ein Volltrottel dastehen, wenn die Leute über etwas reden und ich lebe schon eine Weile hier und weiß nicht, was Sache ist. Immerhin möchte ich hier wohnen. Da ist es außerdem gut, wenn ich ein paar Kontakte knüpfe, bisher kenne ich nur dich und Onkel Charles.“ Ich wollte Leute kennenlernen und mich so häuslich wie möglich hier einrichten, damit meine Mutter keinen Grund hatte, sich Sorgen um mich zu machen.

„Kontakte knüpfen also. Es trifft mich, dass ich dir nicht genug bin, dabei bemühe ich mich doch so sehr großer Bruder zu spielen.“ Sein grollender Unterton war mir wieder nicht entgangen, was hatte er nur?

„Warum bist du so angepisst? Du musst nicht "großer Bruder" spielen. Es wäre nur schön gewesen, jemanden zu haben, auf den man sich verlassen kann und den ich fragen kann, wenn etwas ist. Wie in einer Familie. Aber wenn es dir so zuwider ist, dann werde ich es mit keiner Silbe mehr erwähnen.“ Meine Antwort kam deutlich garstiger rüber, als es meine Absicht gewesen war, aber ich würde kein Wort zurücknehmen.

„Sorry Winzling. Lassen wir es doch dabei. Ich bin dein Freund.“ Er grinste mich wieder Herzschlag-schneller-werden-lassend an und ich lächelte zurück. Das war etwas, worauf wir aufbauen konnten. 

 

„Hier sollte es sein.“ Ruby zeigte auf eine Stelle vor ihm, aber ich sah nicht außer grün. Die Sträucher um uns herum waren dichter geworden und ich hatte gefühlte hundert Mückenstiche. Glücklicherweise war alles andere Getier in seiner Behausung geblieben. 

„Was soll da überhaupt sein?“

„Ein Zugang zu einem der alten Fluchttunnel für Brand- oder Ãœberfälle. Aber wie es aussieht, ist hier nix. Oder, vielleicht doch! Da! Unter dem Efeu.“ Er wurde wieder ganz aufgeregt und ging zielstrebig zu der Stelle. Als er einen Großteil des Grünzeugs zur Seite geschoben und gezerrt hatte, kam darunter etwas zum Vorschein, was wie eine alte rostige Tür aussah. Er zog kräftig daran und sie gab nach, wenn auch widerwillig.

„Scheiße.“ Er fluchte noch viel schlimmer weiter und ich hatte Mühe, ihn zu fragen, was denn los war, aber dann sah ich es. Die Öffnung war voller Sand.

„Zugeschüttet?“ Er nickte, der ganze Weg hierher war also völlig umsonst gewesen. Das war nun wirklich nicht das Ergebnis, das ich erwartet hatte. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass Ruby genau wusste, was er tat. Deshalb war ich jetzt genauso enttäuscht wie er, obwohl ich vorher von der Suche genervt gewesen war.

„Verdammt. Dabei hatte ich gehofft, dass ich diesmal den richtigen Gang gefunden habe.“

„Was versprichst du dir denn davon? Es kann nicht nur um die Suche an sich gehen, oder?“ Ich war irritiert, denn bisher hatte er  noch nie derartigen Zorn gezeigt, wenn etwas schief gelaufen war. Im Weinkeller war er auch ganz locker geblieben.

„Na gut, aber kein Wort davon zu Charles. Es soll eine Ãœberraschung sein. In letzter Zeit hat er immer wieder darüber gesprochen, das Haus zu verkaufen. Anscheinend ist es mittlerweile mit etlichen Hypotheken belastet, obwohl er als Arzt gut verdient. Die Instandhaltungskosten des Hauses übersteigen sein Einkommen jedoch um ein Vielfaches. Noch bin ich nicht in der Lage Geld beizusteuern, aber ich kann dieses Haus nicht aufgeben. Nicht, ohne alles dafür getan zu haben, dass wir es behalten können. Es ist das einzige Zuhause, das ich jemals hatte.“ Er schaute mir intensiv in die Augen, als wollte er sicher gehen, dass ich ihn wirklich verstand.

„Ich habe in dem Schreibtisch alte Kontobücher gefunden. Interessanterweise ist dort von Geldeingängen und Wertpapieren die Rede, die in keinem der anderen Bücher auftauchen. Und ich habe sehr genau nachgesehen. Weißt du, was das heißt?“ Ich schüttelte den Kopf. Was sollte uns das bringen?

„Es muss irgendwo versteckt worden sein. Für schlechte Zeiten.“ Seine Augen leuchteten und ich war mir sicher, dass er mit dem Schatzsuchefieber angesteckt war.

„Aber warum sollte es nach all der Zeit noch da sein? Warum sollte es nicht ausgegeben worden sein? Ich finde das nicht sehr realistisch.“

„Aber was, wenn doch! Es lohnt sich danach zu suchen und bevor ich nicht jeden Geheimgang gefunden und erkundet habe, kann ich nicht aufgeben. Charles hat mir völlig selbstlos so viel gegeben, da will ich wenigstens dafür sorgen, dass er sein Haus behalten darf.“

„Ok, ich helfe dir. Ich will jedoch nichts machen, was uns in irgendeiner Art gefährdet. Die Höhlenerfahrung war grenzwertig. Nein, eigentlich schon viel zu gefährlich. Wir müssen zuerst im Haus suchen. Ich denke, die Chancen stehen dort wesentlich höher und ich werde mich durch die Bibliothek arbeiten. Wahrscheinlich finden wir dort den einen oder anderen Anhaltspunkt.“

Ruby zog mich zu sich und küsste mich stürmisch. Die Hand in meinem Rücken presste mich fest an seinen harten Körper und ich zappelte, um wieder frei zu kommen, egal wie sehr es mir auch gefiel.

„Wir sollten weiter, sonst kommen wir nie an.“ Meine Stimme klang rau und ich war mir sicher, dass Ruby es auch bemerkt hatte. Doch diesmal schwieg er und zog mich nicht auf.

 

„Guten Tag.“, grüßte ich die nette Verkäuferin beim Bäcker.

„…“, war das Einzige, was Ruby für sie übrig hatte.

Es war eine gute Idee gewesen, hier hereinzugehen, denn unsere Mägen hatten schon sehr vernehmlich geknurrt. Ruby hatte kurz mit Onkel Charles telefoniert und er wollte nachkommen. Die alten Damen in der Bäckerei sahen uns an wie eine Erscheinung. Entweder war Ruby wirklich bekannt wie ein bunter Hund oder ich war die Attraktion in diesem stillen Örtchen. Wahrscheinlich kannte hier jeder jeden.

„Da haben die Weiber wieder was zum Glotzen.“ Ruby hatte sich dicht neben mich gesetzt und die Bank wurde mir zu schmal. Doch alles Abrücken half nichts. Er rutschte einfach hinterher.

„Du bist hier das Frischfleisch. Sowas Hübsches wie dich, kriegen die nicht alle Tage zu sehen.“

„Du spinnst doch.“ Ich verzog das Gesicht und klammerte mich an meinen Kaffee. Schwarz mit viel Zucker. Die Glocke über der Eingangstür bimmelte altmodisch.

„Tach auch.“ Da kam Onkel Charles und setzte sich zu uns.

„Und alles klar bei Tante Maddy?“

„Du kennst sie ja. Das alte Waschweib wollte doch nur jemanden, dem sie die neuesten Klatschgeschichten erzählen kann. Nichts Ernsthaftes. Zum Glück. Stur, unvernünftig und zäh. Das ist Maddy wie wir sie kennen und lieben.“

„Das stimmt. Tantchen war schon immer ein bisschen verschroben, aber ich mag solche Leute, die geradeheraus sagen, was sie denken und Nägel mit Köpfen machen. Ich glaube immer noch, dass sie ein Auge auf dich geworfen hat, Charlie.“ Der Gesichtsausdruck meines Onkels war saukomisch. Er schwankte zwischen Entsetzen und Geschmeicheltsein.

„Nein, aber Tante Maddy ist nicht in meiner Altersklasse. Früher war sie bestimmt eine wunderhübsche Frau, aber jetzt die ganzen Falten. Außerdem könnte sie beinahe meine Mutter sein.“ Er schüttelte sich.

Ich hatte in der Zwischenzeit bei einem ganz anderen Gespräch zugehört. Denn die Damen unterhielten sich so laut, dass man sie hören musste. Und das war mit Sicherheit Absicht.

„Siehst du das? Jetzt hat er schon wieder so etwas Junges dabei. Skandalös. Er sollte sich als Arzt besser um seinen Ruf kümmern.“

„Weißt du, was ich gehört habe?“ Die andere Frau steckte ihre aufgetürmten Locken mit der Frau zusammen, die einen furchtbar karierten Rock trug.

„Nein, erzähl.“ Die Klatschweiber waren in ihrem Element.

„Der Kahle soll sein Liebhaber sein. Ich frage mich, wozu er noch einen zweiten braucht.“

„Ach, das sind doch alte Kamellen, das weiß hier doch jeder. Aber ich glaube, dass der Kleinere der beiden für den Kahlkopf ist. Vielleicht sein Spielzeug, war der Doktor so viel arbeiten ist. Eine Schande ist das. Arbeitslos und dann nichts Besseres im Kopf, als die fleischlichen Gelüste.“ Ich musste mich arg zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Das hatte Ruby mit schillernden Gerüchten gemeint. Die hatten hier aber auch eine blühende Fantasie.

„Hey Winzling. Ist der Kaffee gut?“ Ich nickte und mein Onkel nahm einen Schluck aus meiner Tasse, um kurz darauf loszuhusten.

„Igitt, was ist da drin? Die ganze Zuckerdose?“ Sein Gesicht zeigte deutlich seinen Ekel.

„Sind doch nur fünf Löffel. Normalerweise kommen da sechs oder sieben rein.“

„Ekelhaft.“

Er nahm meine Hand in seine und sah mich beschwörend an.

„Du kannst nicht aus meiner Familie stammen. Niemand würde solch einen vergifteten Kaffee freiwillig trinken. Versprich mir, dass du dich an Tee gewöhnst, den kannst du mit so viel Zucker versauen, wie du willst. Aber bitte verschone diesen guten Kaffee.“ Ich feixte und nickte ernst. Das Getuschel hinter mir wurde wieder lauter.

„Da, er nimmt seine Hand. Widerlich, jetzt tut er sogar schon in der Öffentlichkeit. Dieser Mann hat kein Benehmen und der Kahle schaut auch nicht vertrauenswürdig aus. Vielleicht sollte ich meine Kinder doch wieder selbst zur Schule bringen, wenn so einer in der Gegend herumläuft.“ Also wirklich! Jetzt wurde ich langsam aber wütend. Was hatten Ruby und mein Onkel denn getan? Wir saßen nur hier und unterhielten uns, aber diese Weiber erfanden immer neue Lügen. Doch auch Ruby hatte es gemerkt und sein Gesichtsausdruck versprach nichts Gutes. Aber kurz bevor er ausrastete, hatte sich Onkel Charles zu ihm gesetzt und ihm etwas zugeflüstert.

„Ach, Ruby, wenn ich dich nicht gefunden hätte. Ein verlorenes Kind, ohne richtiges Zuhause. Aber du weißt, nichts im Leben ist umsonst und alles hat seinen Preis.“ Was sollte das? Wollten sie die Gerüchteküche noch weiter anheizen?

Er beugte sich über den Tisch und strich mit den Fingerspitzen über Rubys kantiges Kinn.

„Die Jugend heutzutage wird so schnell erwachsen. Und trotzdem brauchen sie eine starke Brust, an die sie sich anlehnen können.“ Das klang so zweideutig, dass ich schluckte.

„Oder einen weichen Körper, an den man sich kuscheln kann.“ Er zog mich auf seinen Schoß und ich fand es gar nicht komisch, dass ich nun Teil dieses Schauspiels wurde. Kein Wunder, dass die Leute hier redeten. Sie versuchten nicht einmal das Missverständnis aufzuklären!

Ich rutschte hin und her, um von ihm wegzukommen, aber Rubys eiserner Griff ließ keinen Millimeter Zurückweichen zu.

„Schau, der Kleine will das gar nicht. Sollten wir nicht doch die Polizei rufen? Vielleicht haben sie ihn irgendwo weggeschnappt und nun ist er ihre Geisel.“ Das wollte ich nun wirklich nicht und hielt still.

Ruby schob mich solange auf seinem Schoß hin und her, bis ich rittlings darauf saß. Die Reibung hatte mein Körper natürlich nicht unbeschadet überstanden. Ich wart hart und Ruby musste es spüren. Seine Finger stahlen sich unter mein T-Shirt und ich zischte ihn an.

„Hör sofort auf. Du machst es nur schlimmer.“ Doch statt nachzugeben, wanderten seine Finger zu meinem Brustwarzen und zwickten hinein. Das ging mir sofort durch und durch.

„Mh!“ Sein selbstgefälliges Grinsen konnte er sich sonstwo hinstecken! Nur, weil er eine erogene Zone gefunden hatte, die fast jeder homosexuelle Mann besaß und auch viele Heteros, ohne, dass sie es zugeben würden.

„Leg die Hand auf seinen Hüftknochen. Das finden viele erotisch.“ Onkel Charles trockener Kommentar war zuviel.

„Spinnt ihr nun völlig?!“ Doch ich konnte gar nicht weiter meckern, denn weiche Lippen verschlossen meinen Mund und eine kecke Zunge drang ein.

„Die sollten sich was schämen. In der Öffentlichkeit gehört sich so etwas einfach nicht! Frau Bäckerin untersagen sie das, sofort!“

„Gehen Sie doch, Madame. Ich kann mich nicht erinnern, dass Küsse in der Öffentlichkeit verboten wären. Erst letztens habe ich einen gesehen, der im Park masturbiert hat. Das sollten sie vielleicht auch mal probieren. Es ist gesund und sie wären vielleicht weniger grantig.“ Mein Onkel machte eine eindeutige Geste mit der Hand und die Frauen wendeten sich empört ab.

„Skandalös. Ich werde dafür sorgen, dass ihnen die Lizenz entzogen wird!“ Sie rauschte davon und die Frau in dem karierten Rock stöckelte ihr hinterher.

„Na super. Jetzt kann ich es vergessen, hier neue Kontakte zu knüpfen, die werden mich meiden wie die Pest.“ Ich ließ die Mundwinkel sinken, aber Ruby küsste sie kurz nacheinander. Ich drückte mit den Händen sein Gesicht weg.

„Was soll das? Wollt ihr mir mein Leben hier versauen, bevor es begonnen hat?“ Ich war kurz vorm Heulen und Ruby sah mich entsetzt an.

„Nein, bestimmt nicht! Aber die Klatschbasen hatten eine Lektion verdient und egal, was wir machen oder sagen, sie bilden sich sowieso ihre eigene – falsche – Meinung. Sei nicht böse, bitte.“ Er küsste mich ganz sanft und das war einer dieser Küsse, die mich sofort weich werden ließen. Zärtlich und bestimmt, aber ohne etwas zu fordern, dass ich nicht zu geben bereit war.

„Darf ich mitmachen? Mensch, Ruby, was hast du dir denn da Niedliches an Land gezogen?“ Die Stimme, die gesprochen hatte, gehörte zu einem Typen, der ähnlich wie Ruby im ersten Moment nur aus Muskeln zu bestehen schien. Aber irgendwas war anders. Er sah gut aus, was ich einfach nicht ignorieren konnte. Die grünen Augen leuchteten hell in Kombination mit dem tiefschwarzen Haar. Allerdings hatte er einen Zug um den Mund, den ich nicht einordnen konnte. Ruby schien ihn jedenfalls zu kennen und konnte ihn anscheinend auf den Tod nicht ausstehen. Solch einen Hass hatte ich selten in den Augen eines Menschen gesehen und in diesem Moment war ich mir sicher, dass Ruby seine Kraft einsetzen würde, wenn er müsste.

„Hallo Süßer, ich bin Race O’Brian.“

„Race, verzieh dich!“

„Also wirklich, sind wir heute wieder unfreundlich. Er mag mich nicht besonders. In welcher Beziehung steht ihr denn zueinander, wenn ich fragen darf?“ Er deutete auf unsere leicht zu missverstehende Position.

„Wir sind Freunde.“

„Korrigiere, er ist mein Freund. Und jetzt zisch ab, Race.“

Haken schlagen, will gelernt sein

Kapitel 5 Haken schlagen, will gelernt sein

 

 

Der Zettel in meiner Hand knisterte. Darauf stand die Telefonnummer von Race, die er mir beim Rausgehen zugesteckt hatte. Ruby wollte den Zettel mit seinem Blick anscheinend verbrennen, aber das war mir egal. Er hatte mich in der Bäckerei völlig bloßgestellt und ich hatte keinen Bock auf diese Spielchen. Außerdem bestimmte ich selbst, wen ich kennen lernte und wen nicht. Er konnte mich nicht als sein Eigentum markieren. Er schubste mich doch sowieso die ganze Zeit nur herum.

„Warum bist du so still?“, wollte Ruby von mir wissen, doch ich antworte nicht. Er sollte schön selbst herausfinden, warum ich sauer war. Wie konnte er nur vor Race behaupten, dass ich sein Freund war? Wollte er ihn schocken? Wollte er ihm eins reinwürgen? Was hatte er gegen ihn? Er sah doch nett aus, er schien insgesamt auch sehr beliebt zu sein und es konnte sicherlich nichts schaden, ihn näher kennen zu lernen. Doch Rubys völlig übertriebene Reaktion irritierte mich. Und warum musste ich bei ihrem kleinen Schauspiel mitmachen? Und dann solch eine Behauptung aufzustellen! Warum eigentlich ich und nicht jemand anderes? Er hatte das doch mit Onkel Charles angefangen. Sollte die beiden das doch ausbaden. Freund. Das Wort hämmerte in meinem Kopf, allerdings erzeugte es unangenehme Kopfschmerzen. Ich musste das erst einmal verarbeiten und dann klarstellen, dass es zwischen uns nichts gab. Es würde nur Probleme schaffen und ich war niemandes Eigentum! Er hatte mich vor Race gebranntmarkt und das musste ich wieder klarstellen. Wenn ich einen Neuanfang wollte, konnte ich solche Gerüchte nicht gebrauchen.

„Gut, wenn du nicht reden willst, dann erzähl ich dir was. Heute Abend haben wir etwas vor. Ich denke, es wäre gut, wenn wir die andere Seite von dem Schacht im Keller finden.“ Er war also immer noch auf ein Abenteuer aus. Aber ehrlich gesagt, hatte ich überhaupt keine Lust, da heute mitzumachen. Ich war nicht dazu aufgelegt, Zeit mit Ruby zu verbringen. Allerdings sah er das natürlich anders. Diesmal würde ich jedoch hart bleiben. Er konnte bleiben, wo der Pfeffer wuchs. Ich musste nicht bei jedem seiner kleinen Abenteuer dabei sein. Besonders nicht, wenn ich sowieso nur der Handlanger war.

„Ich komme heute nicht mit. Das musst du allein machen. Ich werde in meinem Zimmer bleiben und ein Buch aus der Bibliothek lesen.“ Er sah mich kurz so an, als ob er protestieren wollte, nickte aber. Das war einfacher, als ich gedacht hatte.

 

Von wegen lesen. In dieser Bibliothek gab es so viele Bücher, dass ich mich unmöglich entscheiden konnte. Und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich Ruby so abgekanzelt hatte. Vielleicht hatte er es nicht so gemeint, möglicherweise war Race kein guter Kerl, obwohl er diesen Eindruck auf mich gemacht hatte. Ach, ich wusste es doch auch nicht. Sollte ich ihn einfach mal anrufen? Vielleicht war es besser, wenn ich mir mein eigenes Urteil bildete, auch wenn Ruby ihn abgrundtief zu hassen schien. Ruby war selbst manchmal ein Kotzbrocken. Obwohl er in der Bäckerei sehr schnell einen Rückzieher gemacht hatte, als er gemerkt hatte, dass er zu weit gegangen war. Aber das Grübeln brachte mich nicht weiter. Statt weiter darüber nachzudenken, suchte ich die Bibliothek nach hilfreichen Büchern für Rubys Schatzsuche. Und wurde mehr als fündig, wenn ich das alles lesen wollte, dann brauchte ich Jahre dafür. Die Bewohner dieses Hauses hatten leider die Angewohnheit gehabt, alle Tagebücher oder Briefe aufzubewahren und mein Stapel auf dem Tisch war immer größer geworden. Ich machte es mir auf einem der Lesesessel im sanften Lampenlicht gemütlich und fing an zu lesen.

Ich war völlig vertieft in die Lektüre eines ehemaligen Schmugglers, als es draußen zu donnern anfing und ich zusammenzuckte. Das Gewitter selbst machte mir nichts aus, aber oben hatte es derartig gekracht, dass irgendwas passiert sein musste. Ich lief mit dem Buch in der Hand zu den Schlafzimmern und hörte es nur lautstark fluchen.

„Scheiße verdammte. Dieses Kackdach hätte ruhig noch eine Woche länger halten können.“ Er stürmte an mir vorbei, fuchsteufelswild mit den Armen voller Klamotten und anderen Habseligkeiten.

„Aus dem Weg Winzling. Hab keinen Bock, dass das alles durchnässt wird. Das Dach hat es erwischt.“

„Brauchst du Hilfe?“ Er nickte und zeigte in sein Zimmer.

Ich war neugierig, wie es wohl aussah, aber dann entsetzt, weil der Regen durch ein Riesenloch im Dach auf die teuren alten Möbel tropfte. Schnell legte ich das Buch auf eine Kommode und schob einen Schrank und einen Stuhl in die trockene Ecke des Zimmers. Doch das Bett konnten wir vergessen. Der Bettbezug hatte sich bereits vollgesogen und tropfte auf das Parkett.

„Ich muss rauf. Du bleibst hier und hältst die Stellung, damit ich weiß. Ob es funktioniert.“ Schon wieder kommandierte er mich rum. Aber diesmal ließ ich ihm das durchgehen, immerhin war es sein Zimmer, das gerade unterging. Das Gewitter nahm an Stärke zu und es regnete immer heftiger rein. Und Ruby wollte bei diesem Sauwetter auf das Dach?! In dem Moment ging mir erst auf, wie wahnwitzig diese Idee war und stand stumm vor Fassungslosigkeit im Raum. Mein Blick klebte an einem Poster von einem mehr schlecht als recht angezogenen Kerl, der sich lasziv auf einem Holzteil in einer Scheune rekelte. Ich verzog das Gesicht. So etwas gefiel Ruby?

Sein kahler Kopf wurde in gleichen Moment, als ich gerade an ihn dachte, durch die Öffnung gesteckt.

„Ist nur provisorisch. Wenn das Scheißwetter aufgehört hat, muss ich das richtig reparieren. Es wird nicht ganz dicht halten.“ Er schrie gegen den Wind an, der an seinen Kleidern zog. Das Shirt klebte an seiner muskulösen Brust und sorgte in meinem Kopf für ganz andere Gedanken, als das Unwetter. Wie eine zweite Haut drängte es sich an ihn und wurde von Sekunde zu Sekunde durchsichtiger. Er richtete seinen Oberkörper auf und griff nach einem Brett, dass er über dem Loch anbrachte. Ich befreite mich aus meiner starren Haltung und lief los, um einen Eimer zu suchen. Oder eine Badewanne, bei den Massen, die da durchkamen. Glücklicherweise wurde ich sogar fündig, obwohl ich mich fragte, was ein Kinderplanschbecken im Bad zu suchen hatte, immerhin war hier kein kleines Kind. Wer wusste es schon? Vielleicht gehörte es Onkel Charles Freunden. Eine kleine Pumpe vervollständigte das Ensemble und in Rubys Zimmer pumpte ich so schnell ich konnte. Das Bett würde verdammt schwer werden. Es schien aus massivem Holz zu bestehen und war eindeutig zu groß für eine Person. Mein Bett war auch groß, aber dieses King-Size-Bett war definitiv übertrieben. Ich drückte mich mit meinem kompletten Gewicht dagegen und schob und schob. Es rührte sich nicht. Meine Knie waren feucht und ich schaute unter dem Bett nach. Die Füße waren angeschraubt, da konnte es nichts werden. In einer der Schubladen fand ich Werkzeug. Ich hatte mit meiner Vermutung richtig gelegen, dass Ruby, der Hobbybastler, eine eigene Werkstatt in seinem Zimmer hatte. Deshalb war der eine Schrank auch so schwer gewesen. Ich machte mich flink ans Werk. Das bisschen Schrauberei hatte ich auch noch drauf. Danach war das Bett immer noch sauschwer, aber es bewegte sich von der Stelle. Ich stellte mein improvisiertes Auffangbecken unter das Loch, aber es tröpfelte nur noch durch. Vom Dach hörte ich nur gedämpftes Klopfen, als Ruby die Nägel in das Holz schlug. Ich war trotzdem nass, denn ich hatte ordentlich was abbekommen, als ich das Bett weg geschoben hatte. Jetzt zog ich den nassen Bezug ab und räumte alles in die Wäsche. Die Matratze zog ich hinter mir her in das Wohnzimmer. Dort stellte ich es in die Nähe des Kamins zum trocknen. Ich wollte soeben nach dem Rechten sehen, da kam Ruby rein und schüttelte sich wie ein Hund. Die Tropfen flogen durch das ganze Zimmer und ein Geruch nach Regen und Ruby verbreitete sich. Es war betörend und ich musste mich zusammenreißen, nicht noch einmal tief einzuatmen, um mehr davon aufzuschnappen.

„Scheiße ist das kalt. Ich hüpf unter die Dusche. Willste mitkommen? Siehst ja aus wie ein begossener Pudel.“ Ich schüttelte verneinend den Kopf. Ich würde mir einfach etwas Trockenes anziehen, dann ging das schon. Ich verschwand in meinem Zimmer und holte noch das Buch aus Rubys Zimmer. Es gab zum Glück genügend andere Schlafzimmer, sodass er nicht auf dem nassen Boden schlafen musste. Und die Couch im Wohnzimmer, aber die war ihm bestimmt zu klein. Ich kramte in meinem Zimmer und fand im Schrank noch zweites Bettzeug. Es war zwar für Sommertemperaturen gedacht, aber immer noch besser als gar nichts. Ich fischte zudem noch nach einem Bettbezug und Kopfkissen und bezog das Bett. Mit meinem Akt der Nächstenliebe lief ich auf den Flur, als ich gerade ein Ersatzzimmer für Ruby suchte. Der kam mir mit einem Handtuch um die Hüften entgegen und starrte mich fassungslos an und ich ihn (aber aus anderen Gründen).

„Tustn da? Was solln das werden?“ Warum war er wütend? Ich hatte es doch nur nett gemeint, aber er riss mir die Wäsche aus der Hand.

„Danke heißt das!, undankbarer Mistkerl.“, zischte ich ihn an und verschwand wieder in meinem Zimmer. Sollte er doch sehen, wo er blieb. Was kümmerte es mich überhaupt. Diese Fürsorge hatte der Sack überhaupt nicht verdient und ich würde keinen Finger mehr für ihn krumm machen.

Vielleicht sollte ich Race doch mal eine SMS schreiben. Immerhin lebte ich hier mit zwei Verrückten und er schien ganz vernünftig zu sein. Möglicherweise konnte er mich auch über Rubys seltsames Verhalten aufklären.

Ich zückte mal nagelneues Telefon, das mit mir den Neuanfang machte. Ich hatte lange darauf gespart und das metallicblau war auch eine kleine Extravaganz, die mich einiges gekostet hatte. Schnell hatte ich die Nummer eingespeichert und einen kurzen unverbindlichen Text geschrieben. Ob er sich mal einfach so mit mir treffen wollte.

Natürlich kam nicht sofort eine Antwort, aber damit hatte ich auch nicht gerechnet. Race sollte sich einfach melden, wenn nicht war es auch nicht weiter schlimm. Obwohl diese grünen Augen wirklich faszinierend gewesen waren. Ob sie echt waren? Oder half er mit Kontaktlinsen nach? Egal, ich würde mich wieder meinem Schmuggler zuwenden, denn seine Aktivitäten waren wirklich abenteuerlich gewesen. Der Schmuggler in meiner Vorstellung hatte dunkelblaue Augen und einen verwegenen Degen. Ich musste eingeschlafen sein, denn in meinem Traum hatte er plötzlich eine Glatze und das hatten die Menschen aus der Oberschicht nur gemacht, weil unter ihren Perücken die Läuse das ideale Nest gefunden hatten. Die Hygienevorstellungen dieser Zeit und meine lagen meilenweit auseinander. Aber selbst jeder noch so feine Herr wäre niemals ohne seine Perücke herausgegangen, deshalb musste es ein Traum sein. Der kahle Kopf ähnelte jemandem, den ich im ersten Moment nicht zuordnen konnte. Und seit wann war es in England dermaßen warm. Ich versuchte Halbschlaf die Decke von mir zu schieben, aber sie hing an etwas fest. An etwas Warmen, Heißen, das sich unter meinen Bewegungen regte.

„Stückchen weiter nach oben und Jackpot.“ Wie? Was? Diese Stimme, die in meinem Traum sprach, gehörte doch Ruby. Was hatte er an meinem Schmugglerstrand zu suchen? Sollte er nach Frankreich als Geisel verschifft werden? Meine Gedanken waren durch den Halbschlaf absolut wirr und nur langsam registrierte ich, dass ich den Teil, in dem Ruby vorkam gar nicht träumte.

„Winzling, du machst mich fertig.“ Er griff nach meiner Hand und legte sie sich auf den Schritt. Ich zog sie weg, als hätte ich mich verbrannt. Meine fünf Sinne waren noch nicht wieder da, aber das, was ich gespürt hatte, erkannte ich eindeutig.

„Was hast du hier zu suchen?“ Ich dämpfte meine Stimme um Onkel Charles nicht zu wecken.

„Ich penn hier, is doch klar. In meinem Zimmer ist Land unter.“ Er strich mit seiner freien Hand über meine nackte Haut. Ich schlief immer nur in Boxer und kam mir viel zu entblößt vor.

„Es gibt doch genug andere Zimmer, such dir doch davon eins aus! Du hast doch schon dein eigenes Bettzeug. Ist ganz einfach: Rauf aufs Bett und ab unter die Decke.“ Er grinste mich süffisant an.

„Hab ich doch gemacht. Rein in dein Bett und ab unter deine Decke. Den Lappen von vorhin, benutze ich gerade als Kopfkissen. Alles viel zu tief hier. Und so weich.“

„Dann verschwinde doch, wenn es dir zu weich ist! Unten steht auch eine Couch.“ Ich war beleidigt, weil er meine Mühe nicht zu würdigen wusste.

„Hm, etwas Hartes gibt es hier schon. Willst du nicht da weitermachen, wo du aufgehört hast?“ Seine Augenbrauen wippten auf diese nervtötende Art auf und ab und ich boxte ihn hart in die Schulter.

„Ach und übrigens sind die anderen Zimmer unbewohnbar. Deins ist das letzte, was wir noch sauber gemacht haben. Ich hab dir doch erzählt, dass das Instandhalten sehr teuer ist. Da haben wir als erstes die ungenutzten Schlafzimmer geschlossen. Du musst also damit leben, dass ich bei dir übernachte. Und das Sofa kannste knicken. Da passt ja gerade mal meine halbe Arschbacke drauf.“ Er zog mich näher zu sich und ich rutschte wieder ab.

„Hey, komm her. Mir ist schweinekalt, weil ich mir vorhin da oben den Schwanz abgefroren habe. Und du mir nur diesen Lappen als Decke gönnst. Also wärmst du mich jetzt mit deinem Körper.“ Wieder zog er mich zu sich. Ich lag mit dem Rücken an seiner harten Brust und spürte leicht seinen Herzschlag. Er würde mich nicht loslassen, also konnte ich mich auch gleich damit abfinden.

„Wehe, du machst irgendwas Komisches.“, ermahnte ich ihn misstrauisch. Er hob kurz abwehrend die Hände.

„Wenn du mich im Traum befummelst, halte ich dich bestimmt nicht davon ab.“ Ich rammte ihm meinen Ellenbogen in die Seite, doch er lachte nur rau. Uff, der schaffte mich. Dieses kratzige Lachen war fast mehr, als ich ertragen konnte. Aber ich würde durchhalten und versuchen, ein wenig Schlaf zu bekommen.

„Schlaf gut und lass deine Hände bei dir.“ Ich gähnte herzhaft. Der Tag war aufregend gewesen und ich war hundemüde. Auch wenn ich bezweifelte, dass ich ein Auge zutat. Doch ich dämmerte schon weg, als ich Rubys leise Antwort hört.

„Du darfst deine gern nicht bei dir behalten. Gute Nacht.“ Er kuschelte sich eng an mich und ich hatte das Gefühl, dass ich neben einem Ofen lag. Von wegen kalt. Der wollte sich nur fest an mich pressen, um mir zu zeigen, dass er einen Steifen hatte. Idiot, wer sollte denn so schlafen?

Annäherunsversuche

Es geht weiter und ich würde mich freuen, wenn ihr eure Meinung mit mir teilt xD

 

Kapitel 6 – Annäherungsversuche

 

Mein Handy brummte und ich hangelte verschlafen danach. Der Platz neben mir war leer und Ruby schien in der Küche zu hantieren. Umso besser, dann konnte ich mich wenigstens in Ruhe anziehen.

„Hey Süßer. Klar, können wir uns treffen. Morgen um 15 Uhr bei der Bäckerei? Dann zeige ich dir ein wenig die Gegend.“ Ich schrieb Race zurück

und atmete tief durch. Ich hatte mein erstes Date - hier. Eine unverbindliche Verabredung aus der jedoch mehr werden könnte. Ich wollte zwar nichts Festes, aber das sollte mich nicht davon abhalten, mich umzuschauen und neue Freundschaften zu knüpfen. Auch wenn Ruby ihn nicht mochte, ich würde mir selbst eine Meinung bilden und hoffte, dass sich der erste positive Eindruck bestätigte.

 

Ruby ließ sich den ganzen Tag kaum blicken und ich konnte mich in Ruhe weiter in der Bibliothek umsehen. Immerhin hatte ich eine Mammutaufgabe vor mir, denn die vorigen Besitzer hatten

einfach alles wahllos irgendwo hingestellt. Wenn das irgendwann mal System gehabt hatte, dann erschloss es sich mir nicht und ich musste mich mühsam von einer Seite zur anderen durchkämpfen. Langsam fragte ich mich, worauf ich mich da eingelassen hatte. Und vor allem, warum ich das eigentlich tat. Aber ich musste gestehen, dass mich das Schatzfieber gepackt hatte. Ich wollte auch meinen Teil dazu beitragen, auch wenn ich nicht davon überzeugt war, dass wir eine Riesensumme finden würden. Aber wer wusste schon, was wir finden würden? Ich stöberte weiter und verwarf ein Buch nach dem anderen. Die

Gedichtbände interessierten mich nicht und die Romane standen auch kreuz und quer dazwischen. Dazu kam eine ansehnliche Schicht Staub, die mir nach zwei Stunden endgültig die Luft zum atmen nahm. Also machte ich eine Pause und lief in die Küche, um mir einen Kaffee zu kochen. Dort begegnete ich Onkel Charles, der sich gerade ein Sandwich machte, mich kurz begrüßte, aber ansonsten ignorierte. Seine Zeitung, die er in der Hand hielt, war wohl wichtiger, als mit seinem Neffen Smalltalk zu halten. Ich nahm meine Tasse also wieder mit in die Bibliothek und wunderte mich ein wenig, dass Ruby mich noch nicht gesucht hatte. Der

hing doch sonst die ganze Zeit wie eine Klette an mir.

Ich arbeite mich Stück für Stück weiter, bis ich wieder ein Tagebuch in die Hand nahm, das vielversprechend aussah und das ich zu meinem Stapel auf den Schreibtisch packte. Auch wenn ich bereits viel geschafft hatte, lag der Großteil noch vor mir und ich unterdrückte ein unwilliges Seufzen. Schließlich hatte ich mich freiwillig dazu bereit erklärt mitzuhelfen.

„Winzling? Wo steckst du?“ Ruby schrie einmal quer durch die Bibliothek, sodass ich zusammenzuckte.

„Hier in der Ecke.“, antwortete ich in normaler Lautstärke. Ich merkte, dass

Ruby hinter mir die Leiter hochkletterte und unterdrückte den Drang mich an einem der Regale festzuklammern, weil es so wackelte.

„Und schon was Interessantes gefunden?“ Sein Atem kitzelte meinem Hals und ich war mir sicher, dass er das mit Absicht machte.

„Alles, was auf dem Schreibtisch liegt. Aber ich bin bei weitem noch nicht fertig. Es muss doch auch eine andere Möglichkeit geben. Hast du bereits alle Gemälde untersucht?“ Er nickte.

„Jedes Einzelne, hinter einem habe ich einen alten Dienstbotengang gefunden, aber der führte ins Leere. Also in den Hinterhof um genau zu sein.“

„Das habe ich nicht gemeint. Ist auf den Bildern etwas Auffälliges zu sehen? Ein Blick, der komisch aussieht oder eine Hand, die in eine bestimmte Richtung deutet?“, murmelte ich vor mich hin, weil mir eine Idee gekommen war.

„Lass uns mal in die Ahnengalerie gehen.“ Ruby stieg die Leiter hinab und umfasste meine Hüften, um mich sanft auf dem Boden abzusetzen. Also wirklich! Ich war doch keine holde Maid, die sich den Knöchel verknacksen konnte!

„Aber die Hälfte der Bilder steht im Keller, ich hatte überlegt, ob wir sie verkaufen sollen, aber wer hängt sich schon fremde Menschen in die

Wohnung?“ Ruby grinste verschmitzt und mir wurde schon wieder so komisch warm.

„Kannst du dich daran erinnern, wo sie gehangen haben?“ Wieder nickte er nur und wir machten uns auf den Weg.

Wir kamen im Keller an und ich bestaunte die Bilder. Sie schienen aus allen erdenklichen Jahrhunderten zu stammen und dementsprechend waren die Menschen darauf höchst seltsam gekleidet. Aber keines der Bilder zeigte Auffälligkeiten und ich glaubte schon, dass ich mich geirrt haben musste. Aber ich war mir sicher, dass in einem der Tagebücher ein bestimmtes Bild erwähnt wurde. Eines auf dem eine Dame zu

sehen war, wegen der es einen Skandal gegeben hatte. Sie war Dienstmädchen gewesen, aber der Hausherr hatte ihr gemeinsames Kind anerkannt und sie später geheiratet. Deshalb gab es ein Bild von ihr, wir mussten es nur noch finden.

„Ruby habt ihr ein Bild, das dir merkwürdig vorkam? Als ob der Maler sich einen Scherz erlauben würde?“

„Nee, Winzling. Das hätte ich doch bemerkt. Oder vielleicht…lass uns in die Galerie gehen.“ Er lief los, ohne auf mich zu warten, aber dank meiner langen Beine konnte ich mühelos Schritt halten. Von wegen Winzling!

Die Ahnengalerie erstreckte sich über

einen ganzen Flügel im ersten Stockwerk und war hoffnungslos verstaubt. Es kümmerte anscheinend niemanden, wie es hier aussah und nun sah ich auch die anfangs vermissten Spinnweben. Die Mitglieder dieser Familie hatten es anscheinend sehr genau damit genommen, jeden zu portraitieren. Doch dafür konnte ich mich nicht begeistern. Mir taten diese Menschen leid, denn sie mussten Stunden über Stunden gesessen haben, damit diese Bilder entstehen konnten. Ich schritt Bild für Bild ab, nicht ganz sicher, wonach ich suchte.

„Guck mal Ruby. Diese Schnallenschuhe würden dir doch gut stehen.“ Ich grinste

und er zog ein Gesicht.

„Bestimmt nicht. Wenn du nochmal so einen Vorschlag machst, dann steck ich dich in eine Korsage und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich eine in einem der Schränke gesehen habe.“ Ich lachte bei der Vorstellung laut los und verbeugte mich spöttisch in seine Richtung.

„Aber mein Herr, wenn ihr meinen Ruf ruiniert, müsst ihr mich ehelichen und leider habe ich keine Mitgift zu bieten.“ Ruby spielte das Spiel mit und erwiderte:

„Ich werde meiner Pflicht nachkommen und freue mich besonders auf die Hochzeitsnacht.“ Empört sah ich ihn an.

„Ein Gentleman spricht nicht auf diese

Art in der Gegenwart eines anderen Gentleman.“ Ich kringelte mich schon vor Lachen und ging schnell weiter, bevor das noch ausartete.

„Hm, leider keines, das dem entspricht, was ich glaube zu suchen.“ Enttäuscht sah ich Ruby an.

„Wahrscheinlich wurde es doch verkauft oder entsorgt.“ Ruby kam auf mich zu und legte mir einen Finger an die Wange. Eine zärtliche Geste, die überhaupt nicht zu diesem Muskelpaket zu passen schien, aber ich wusste, dass bei ihm das Äußere nicht seine inneren Werte widerspiegelte.

„Wollen wir mal in die Kontobücher schauen, möglicherweise habe ich was

übersehen.“ Ich nickte und wir gingen zurück in die Bibliothek. Ruby holte ein paar alte Wälzer aus einer der Schubladen und wir steckten die Köpfe zusammen. Ich stand zunächst neben ihm, doch er zog mich einfach wieder auf seinen Schoß, wie in der Bäckerei und ich sträubte mich.

„Ist doch unbequem, wenn du die ganze Zeit stehst. Ich beiß dich schon nicht.“ Resigniert blieb ich sitzen, obwohl es genauso unbequem war. Rubys Körperwärme drang durch beim T-Shirt und ich konzentrierte mich auf die kleinen Zahlenreihen, die in dem Buch aufgelistet waren. Ich spürte, dass Ruby seinen Kopf auf meine Schulter

legte, um darüber zu sehen und spürte seinen warmen Atem. Außerdem roch er nach Aftershave und kurz wurde mir schwindlig, weil der Duft so angenehm war. So saßen wir bestimmt eine Stunde und durchforsteten Zeile für Zeile, aber uns fiel kein Verkauf eines Gemäldes auf. Das hieß, es musste hier irgendwo sein oder ich hatte mich geirrt und es entsprang nur der Fantasie eines Tagebuchautors.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Rubys Finger sich unter mein Shirt gestohlen hatten und langsam über meine Hüften strichen. Ein Schauer zog über mein Rückgrat und ich wand mich.

„Du bist viel zu angespannt. Es ist doch

nicht schlimm, wenn wir heute nix finden, Winzling. Wir suchen weiter und dann wirste sehen, knacken wir den Jackpot und Charles kann das Haus behalten. Und wir können auch hierbleiben.“ Ich spürte Rubys Grinsen und ließ sogar zu, dass er meinen Hals liebkoste. Es war ein intimer aber angenehmer Stups mit der Nase. Aber er zeigte mir deutlich, dass Ruby meine Anwesenheit in diesem Haus akzeptiert hatte. Jetzt mussten wir nur noch klären, in welchem Verhältnis wir zueinander standen, aber nicht an diesem Tag. Ich wollte seine Liebkosungen und er gab sie bereitwillig. Sanft massierte er meine

Schultern und ich merkte deutlich, wie sehr ich mich in seiner Gegenwart entspannte.

„Erzählst du mir, warum du hier wohnst?“ Ruby versteifte sich kurz, aber massierte trotzdem weiter.

„Es ist eine traurige Geschichte, die ich dir ein andermal erzähle, okay? Ich will diesen schönen Moment nicht kaputt machen.“ Er knabberte an meinem Hals und fuhr zärtlich darüber. Ermutigt davon, dass ich nicht widersprach, machte er weiter. Er zog eine heiße Spur von Küssen über meinen Nacken und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren.

„Deine Haare riechen gut und du auch.

Zum Anbeißen.“, raunte er und das tat er dann auch wirklich, als er mir leicht ins Ohr zwickte und mein Unterleib reagiert, darauf mit Vorfreude. Unruhig rutschte ich auf ihm hin und her. Meine Hände öffneten und schlossen sich rastlos. Ich war drauf und dran, mich voll und ganz auf ihn einzulassen und wusste doch, dass ich noch nicht bereit war, jemanden so dicht an mich heranzulassen. Ruby hingegen schien nicht zu merken, dass sich die Stimmung verändert hatte. Er erkundete meine Rippen und Taille sanft und zärtlich. Eine Hand ruhte auf meiner Hüfte und langsam drehte er mich zu sich. Diesmal ließ er mir die Wahl, ob

ich das wollte oder nicht und überfiel mich nicht so wie in der Bäckerei.

„Ruby, nicht. Ich kann nicht.“ Natürlich wollte mein Körper, aber mein Verstand sagte mir, dass es falsch war. Immerhin musste ich mit diesem Mann für längere Zeit unter einem Dach leben.

„Du willst nicht. Das ist ein Unterschied.“ Er stand auf und ich glitt von seinem warmen Körper. Er räumte schweigend seine Bücher weg und ich wusste, dass er von meiner Reaktion enttäuscht war. Doch es war das Beste für uns.

„Christopher? Ruby?“ Onkel Charles kam in die Bibliothek und schien die dicke Luft im Raum nicht

wahrzunehmen.

„Da seid ihr beide ja. Was treibt ihr hier eigentlich? Egal. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ihr ohne mich essen sollt. Bestellt euch was. Ich muss nochmal weg. Tante Maddy will mit mir Tee trinken und ich muss überprüfen, ob ihr Bein richtig verheilt. Diese Frau ist die reinste Plage. Aber was tut man nicht für seinen guten Ruf.“ Er grinste lausbübisch, weil er genau wusste, dass sein guter Ruf so gut wie dahin war und es war ihm egal.

„Also, Jungs. Vertragt euch. Ich komm bestimmt erst spät in der Nacht, falls Tante Maddy wieder ihren Holunderschnaps hervorholt.“ Und ob

wir uns vertragen würden, denn es sah so aus, als ob Ruby beschlossen hätte, mich zu ignorieren. Er ging zusammen mit Charles aus der Bibliothek und ließ mich allein zurück. Nun wusste ich jedoch nichts mit mir anzufangen. Ich hatte keine Lust mehr, irgendwelche Bücher zu wälzen und beschloss, spazieren zu gehen. Dann konnte ich in Ruhe über mich und Ruby nachdenken. Denn obwohl ich ihm signalisiert hatte, dass es zwischen uns nicht mehr als Freundschaft geben würde, schien er es doch immer wieder zu versuchen und mich nicht ernst zu nehmen. Mal sehen, ob ich in der Heide Antworten fand.

Häschen auf der Heide

Kapitel 7 Häschen auf der Heide Ich war schon ein etliches Stück gegangen, bis ich mich weit genug weg fühlte, um über Ruby nachzudenken. Wir mussten klare Fronten schaffen. Ich wusste, dass ich zu weich war, aber ich wollte meinen Besuch hier nicht früher beenden, bevor er richtig angefangen hatte. Sollte ich mich darauf einlassen? Würde er dann Ruhe geben, wenn er bekommen hatte, was er wollte. Was wollte ich? Ein neues Leben. Wenn ich das nur bekam, wenn ich Ruby an mich

ranließ, dann sollte es wohl so sein. Schwermütig dachte ich an Steffen und immer noch mit Angst. Was dieser Typ mir angetan hatte, sollte mich eigentlich für alle Zeiten davon kurieren, andere Kerle zu wollen. Aber natürlich spielte mein Körper da nicht mit. Ich stapfte durch die hohe Heide, auf der nur ab zu ein Bäumchen stand. Hier konnte man sich wirklich verloren vorkommen, aber ich fühlte mich wohl. Endlich Ruhe. Nachdem ich die letzten Tage dauerbeschäftigt war, war das eine schöne Abwechslung. Ich setzte mich mitten in das Gras und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Wenn ich Ruby nachgab, würde es dann besser werden?

Oder schlimmer? Er stand eindeutig auf meinen Körper und solange ich mir dessen bewusst war und nicht mehr erwartete und gab, dann sollte mir nichts passieren. Nie wieder würde jemand mich so verletzen, wie es Steffen getan hatte. Er hatte mein Herz erobert, damit gespielt und war darauf herumgetrampelt und hatte es schließlich den Tieren zum Fraß vorgeworfen. Und das war noch nett formuliert. Aber Ruby war nicht wie Steffen. Nur diese unterschwellige Aggressivität war dieselbe. Nachdem ich eine Weile damit verbracht hatte, mir über beide Gedanken zu machen und zu keinem schlüssigen Ergebnis kam, stand

ich auf, klopfte mir den Dreck von den Hosen und wanderte weiter. In der Ferne sah ich es leuchten. Anscheinend hatten ein paar Jugendliche ein Lagerfeuer angezündet. Ich ging immer näher und schon bald wurde ich entdeckt. Misstrauisch wurde ich aus mehreren Augenpaaren angesehen. Eigentlich wollte ich gleich wieder gehen und drehte mich schon um, als mich eine Stimme zurückhielt. „Hi. Komm doch her. Wir beißen nicht.“ Einer von ihnen winkte mir zu und ich atmete tief durch. Sie würden mich schon nicht auffressen. Und ich wollte doch neue Freundschaften knüpfen. Sie

saßen im Halbkreis und hatten es sich auf umgedrehten Bierkisten und herumliegenden Baumstämmen bequem gemacht. Der Kleinste der Runde klopfte auf den Platz neben sich. „Ich bin Deacan. Ich hab dich hier noch nie gesehen. Bist du neu in der Gegend?“ Ich nickte und setzte mich unsicher, nachdem er nochmal nachdrücklich auf den Platz geklopft hatte. „Ich bin Christopher Pritchard. Der Neffe von Doktor Pritchard.“ Ein komisches Raunen ging durch die Runde und ich ahnte, was gleich kam. „Der hat Familie? Ich dachte immer, der würde nur mit Ruby zusammenwohnen.

Vervollständigst du seine Sammlung?“ Der Typ zu meiner Rechten, der aussah wie ein Sonnyboy, war mir gleich unsympathisch. „Mike! Schauze!“ Er wurde von einem anderen in die Seite geboxt und zog pikiert die Luft ein. „Was denn? Dem traue ich alles zu. Der Doktor ist doch selber schuld, wenn er so einen bei sich wohnen lässt. Der ist sich doch für nichts zu schade und ich würde den ja nicht ins Haus lassen.“ Mike hatte offensichtlich etwas gegen Ruby. „Also Ruby wohnt bei meinem Onkel und bisher hat es für mich nicht den Anschein gemacht, als wäre da mehr als

das. Außerdem finde ich es nett von Onkel Charlie, dass er sowohl Ruby als auch mich so freundlich aufgenommen hat.“ Warum ging es mir so sehr gegen den Strich, dass er schlecht über Ruby sprach? Weil nichts an den Gerüchten dran war. Klar, ich wusste, warum sie entstanden waren, aber jeder, der sich die Mühe machte, genauer hinzusehen, musste feststellen, dass da nichts dran sein konnte. „Also bist du doch seine neueste Trophäe!“ Diesen Mike würde ich meiden wie die Pest, das war schonmal klar. „Nein, ich will hier zur Schule gehen und er lässt mich freundlicherweise hier

wohnen. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du nicht von dir auf andere schließen würdest. Für mich klingt das so, als wärst du eifersüchtig.“ „Touché!“, lachte Deacan los und Mike kniff nur die Augen zusammen. Den konnte ich getrost von meiner Vielleicht-könnten-wir-Freunde-werden-Liste streichen. Jetzt wurde ich erst recht neugierig betrachtet und schaute meinerseits verhohlen die anderen an. Die Stimmung war nach meiner Aussage durchwachsen. „Du willst freiwillig hier zur Schule gehen?“ Deacan sah mich ungläubig an. „Warum das denn? Wer geht schon in die

Provinz?“ „Es ist erst einmal ein Auslandsjahr. Aber ich habe auch die Möglichkeit hier meinen Schulabschluss zu machen. Außerdem mag ich euer Dorf. Es ist so anders als zuhause.“ Wenn es nach mir ginge, würde ich wahrscheinlich in diesem Land bleiben, aber das würden wir erst sehen. „Ach, wo kommst du denn her?“, fragte Deacan neugierig. Er schien insgesamt der Neugierigste zu sein und ich mochte ihn auf Anhieb. „Aus Hamburg. Aber hier gefällt es mir besser. Es ist idyllisch und ruhig. Ich mag das. Das könnt ihr wahrscheinlich nicht verstehen, aber ich finde es toll,

dass jeder jeden kennt. Das schweißt eine Gemeinschaft zusammen.“ „Das kann aber auch ein Kreuz sein, dass sich jeder kennt. Da kannst du Gift drauf nehmen. Ich würde gern ein paar Leute nicht kennen.“, das sagte ein rothaariger Junge mit vielen Pickeln im Gesicht. „Die Holmes sind da nur ein Beispiel.“ Mike konnte es nicht lassen und musste noch einen drauf setzen. Damit es nicht wieder zu einer unangenehmen Situation kam, mischte sich Deacan wieder in das Gespräch ein. „Du bist so um die 17, oder?“ Ich nickte. „Dann kommst du in meine Klasse. Die

Schule ist nicht besonders groß.“ Mir fiel ein, dass ich Deacan vielleicht etwas über Race fragen könnte. Wenn hier jeder jeden kannte, dann müsste er doch auch über ihn Bescheid wissen. „Kennt jemand von euch Race? Ich habe ihn in der Bäckerei kennen gelernt und glaube, dass er auch in meine Klasse geht.“ Die anderen nickten. „Klar, kennen wir Race. Er wäre heute auch hier, aber er hat ein Date.“ Ich schluckte, aber niemand schien es zu bemerken. Die Jungs lachten nur hämisch. „Die wievielte dieses Jahr ist das? Der hat einen Verschleiß und wechselt seine Freundinnen wie seine Unterhose. Hey

Christopher! Vielleicht gibt er dir gleich eine als Willkommensgeschenk ab. Wäre nicht das erste Mal, dass hier jemand von seinen abgelegten Schnallen profitiert.“ „Ach so? Ich hätte ihn nicht für einen Weiberheld gehalten.“, sagte ich verunsichert. Das schallende Gelächter, das meinen Worten folgte, war so dröhnend, dass es in den Ohren wehtat. „Der war gut. Race nimmt alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist und bei deinem hübschen Gesicht, solltest du dich vielleicht lieber auch in Acht vor ihm nehmen. Er macht keinen großen Unterschied, ob männlich oder weiblich.“ Deacan zwinkerte mir zu und

ich spürte, wie ich rot wurde. Zum Glück konnte man das im Feuerschein nicht so gut erkennen. „Und das stört euch nicht?“ Ich versuchte vorsichtig das Terrain abzustecken und der Einzige, der anscheinend etwas merkte, war Deacan. „Race macht sowieso was er will, egal, ob einer was sagt. Das würde demjenigen auch nicht gut bekommen.“ Das klang nicht gut. Vielleicht sollte ich meine Bekanntschaft mit Race doch nicht vertiefen. Aber meine Verabredung für morgen jetzt noch abzusagen, wäre unhöflich gewesen. Na toll, konnte es denn nicht einmal einfach sein? „Na die Neue kann nicht so doll gewesen

sein. Race hat eben gesimst, dass er nachher doch noch kommt.“, sagte einer der anscheinend Älteren. Dann sollte ich mich vielleicht doch verdünnisieren. Ich wollte ihm jetzt noch nicht über den Weg laufen. Darüber sollte ich noch eine Nacht schlafen. Immerhin wollte ich nichts von Race, also konnte mir auch egal sein, wie viele Beziehungen er hatte und mit wem. Nur dieser eine Satz klingelte mir in den Ohren. Was würde er denn machen, wenn doch einer was dagegen hatte? Er hatte auf mich so einen ausgeglichenen Eindruck gemacht, aber ich war was Einschätzungen anging, anscheinend eine hoffnungslose Niete.

„Ich werde mal wieder gehen. Sonst macht sich mein Onkel noch Sorgen um mich. Irgendeine Tante Maddy wollte was von ihm, aber er ist bestimmt schon wieder zurück.“, log ich und stand auf. „Du kannst doch jetzt noch nicht abhauen! Bist doch eben erst angekommen. Setz dich wieder hin und trink mit uns.“ Da musste ich jetzt wohl oder übel durch. „Sag mal. Wenn du mit Ruby zusammenwohnst, dann kennst du ihn auch besser oder?“ Der Unterton in Mikes Stimme wollte mir gar nicht

gefallen. „Geht so. Ich bin erst seit ein paar Tagen hier.“ „Und was genau läuft da zwischen deinem Onkel und ihm?“ Er sprach das Wort ‚Onkel‘ eigenartig aus, so als glaubte er nicht, dass er das wirklich war. „Hab ich doch schon gesagt, nichts. Er wohnt nur da und ich glaube nicht, dass es dich irgendwas anginge, wenn es anders wäre.“ Ich war nun echt sauer. Was hatte der Kerl für ein Problem? „Ruby Holmes hat im Dorf einen unsagbar schlechten Ruf. Es heißt, er hätte einen Grundschüler krankenhausreif geschlagen. Ich mach

mir doch nur Sorgen um dich halbe Portion. Immerhin musst du mit dem Schläger zusammenwohnen.“ Er lächelte, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Da steckte auf jeden Fall mehr dahinter. „Einen schlechten Ruf zu haben und diese Dinge wirklich getan zu haben, sind immer noch zwei verschiede Dinge. Du solltest vielleicht nicht so viel auf das Geschwätz der Leute geben. Du kennst ihn anscheinend nicht besonders gut, denn zu mir war er immer freundlich.“, erwiderte ich süßlich mit genau dem falschen Ton in der Stimme wie er. „Klar, ist er das. Er will dich bestimmt

nur fi…“, murmelte er unfreundlich, doch dieses Verhalten belohnte ich nicht damit, dass ich ihm antwortet. Stattdessen fragte ich Deacan über meine neue Klasse aus. Mike ließ ich links liegen, sobald er das Wort an mich richtete und zum Glück verlor er die Lust, mich weiter zu triezen. „Wir sehen uns dann in der Schule. War nett dich kennenzulernen.“ Ich erwiderte die netten Worte und meinte es auch so. Ich hatte mich ganz schön mit den Jungs verquatscht und musste nun wirklich langsam zurück. Wenn hier alle so nett waren, dann konnte ich mich beruhigt auf meinen

ersten Schultag freuen. Und anscheinend hatte ich in Deacan bereits einen neuen Freund gefunden. Ich ging langsam zurück und stellte erst jetzt fest, wie weit ich mich vom Haus entfernt hatte. Wenn ich noch etwas Schlaf bekommen wollte, dann sollte ich wohl einen schnelleren Schritt einschlagen. „Ey, Winzling! Da biste ja!“ Rubys dröhnender Bass zog zu mir und ich konnte seine massige Gestalt im Dunkeln gut ausmachen, weil er mit einer Taschenlampe unterwegs war. Wir gingen weiter aufeinander zu und Rubys Gesichtsausdruck war finster. „Ich hab dich gesucht. Was machst‘n

hier draußen?“ Er schaute von oben auf mich herab und ich ging einfach an ihm vorbei, weiter Richtung Haus. „Nachdenken. Und ich bin dir keine Rechenschaft schuldig darüber, wo ich mich gerade aufhalte.“, knurrte ich. „Biste wohl. Wie soll ich denn auf dich aufpassen, wenn de mir nich sagst, wo de dich rumtreibst? Ich such seit anderthalb Stunden nach dir!“ Er war immer lauter geworden. „Schrei mich nicht an. Ich kann dich auch so hören. Außerdem brauchst du nicht auf mich aufpassen. Ich war nur spazieren und wie du siehst, habe ich mich weder verlaufen, noch war ich je in Gefahr das zu tun. Alles in bester

Ordnung.“ „Ich hab mir doch nur Sorgen gemacht.“, murrte er weiter vor sich hin. „T’schuldigung, wollte dich nicht anschreien.“ Ich nickte, um ihm zu signalisieren, dass ich seine Entschuldigung annahm. Danach war er sehr ruhig. „Ich habe vorhin ein paar Leute getroffen, die in meiner Klasse sein werden. Die waren echt nett.“, versuchte ich ein Gespräch in Gang zu bringen, aber Ruby schwieg hartnäckig. Traurig ging ich neben ihm her. Endlich war mal was Gutes passiert und er machte es mir mit seiner Reaktion madig.

Wir waren fast am Haus angekommen, dass von einer Mauer umgeben war. Plötzlich blieb Ruby stehen und drückte mich dagegen. Hart pressten sich seine Lippen auf meine und das ging mir durch und durch. Er fixierte mich an der Mauer mit seinem Körper und drückte sich gegen mich, sodass ich fast das Gefühl hatte, zerquetscht zu werden. Aber ich konnte nicht anders und reagierte. Gierig drängte ich mich an ihn und öffnete meinen Mund, um seine Zunge einzulassen. Als Ruby merkte, dass ich keinerlei Widerstand leistete, stöhnte er leise. „Du machst mich fertig, Winzling.“ Tief drang er in meinen Mund und eroberte

mich mit jeder verstreichenden Sekunde mehr. Vergessen war die Traurigkeit, alles was es gab, war Rubys Präsenz. Er fasste mich an der Taille und schob seine Finger unter meine Kleidung. Streichelnd tastete er sich vor und schob seine Hand höher. Zärtlich glitten seine Finger über meine Seiten und meinen Brustkorb. Währenddessen leckte seine Zungenspitze über meine Lippen, als wären sie eine unwiderstehliche Süßigkeit. Ich fing seinen Mund wieder ein und genoss das Spiel unserer Zungen. Auch meine Hände wollten nicht untätig bleiben, sondern endlich konnte ich das tun, was ich seit Tagen tun wollte. Seine Muskeln

erkunden und meine Finger hineingraben. Sie traten unter seinem T-Shirt hervor, als er sich anspannte, weil er gemerkt hatte, wie sehr ich davon fasziniert war. „Mehr.“, raunte ich. Er hob mich leicht an und setzte mich auf die Mauer und glitt zwischen meine Beine. Diese Position machte es mir möglich ein Stück auf ihn herabzublicken und ich umfasste sein Gesicht. Raue Bartstoppeln kratzen meine Handflächen, aber ich fand es erregend und fragte mich, ob sich sein Kopf auch so stachelig anfühlen mochte. Also ließ ich meine Fingerspitzen von seinen Schultern zu seinem Hals gleiten und

weiter nach oben. Die Haut fühlte sich seidig und rau zugleich an. Ich konnte millimeterfeine Stoppeln fühlen und das machte mich wild. Grob griff ich in seinen Nacken und nahm seinen Mund in Besitz. Meine fordernde Art schien ihm zu gefallen und er wurde noch frecher. Immer weiter erkundeten seine Finger meinen Körper, bis ich mich wohlig zu winden begann. Meine Hose war bereits zu eng und ich sehnte mich nach Erlösung. Mein Denken war fast vollkommen abgeschaltet und ich konnte nur noch fühlen. „Vielleicht sollten wir drinnen weitermachen? Da ist es bequemer.“, murmelte Ruby an meinem Mund und ich

konnte nur nicken. Mein Sprachzentrum war viel zu vernebelt, um einen vernünftigen Satz herauszubekommen. Er hob mich von der Mauer und gemeinsam torkelten wir wie betrunken ins Haus. An der Treppe wurde ich gepackt und hing wieder wie ein nasser Sack über Rubys Schulter. Doch am Ende setzte er mich ab und küsste mich erneut stürmisch. „Willst du wirklich? Mach jetzt aber bitte keinen Rückzieher, oder wenn doch, dann gleich. Mir platzt gleich die Hose und noch würde ich die kalte Dusche nehmen, aber ich hoffe, ich muss nich.“ Er sah mich mit einem herzerweichenden Blick an, sodass ich

nicht mal dann in der Lage gewesen wäre, abzulehnen, wenn ich gewollt hätte. Aber ich wollte ihn. Jetzt sofort, am besten gleich hier. Oder vielleicht doch lieber im Zimmer. „Ich würde gern vorher duschen.“ Das bisschen Vernunft, das ich noch besaß, hatte sich eingeschaltet. „Wir gehen zusammen.“ Sein Blick verhieß Vielversprechendes und mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich zog ihn hinter mir her und auf dem Weg zur Dusche, verlor ich bereits eine Menge Klamotten. Ich hatte nur noch meine Unterhose an und Rubys Hände konnten es nicht lassen und eroberten jeden Zentimeter Haut, derer sie habhaft

werden konnten. „So weich und schön. Weißte eigentlich, wie scharf du bist?“ Er erwartete keine Antwort, sondern ging dazu über, nun seine Lippen auf meinen Körper zu drücken und seine Zunge schnellte ab und zu hervor und sorgte so für eine Gänsehaut. Ich hielt mich an seinen Schultern fest, als er sich immer weiter nach unten vorarbeitete und bald den Rand meiner Boxershorts erreicht hatte. „Ruby. Erst duschen.“, ermahnte ich ihn. „Hm und dann vernasch ich dich. Mann biste lecker.“ Er zog sein Shirt aus und seine Hose plus Unterwäsche flogen auf einmal. Ich konnte mich kaum satt sehen, aber er war in der Duschkabine

verschwunden und streckte seine Hand nach mir aus. „Das Ding musste aber noch ausziehen, Winzling.“ Er deutete auf das letzte verbliebene Stück Stoff und plötzlich genierte ich mich. Sein Blick zog mich aus und ich wollte im Erdboden verschwinden. „Mach schon, oder soll ich dich ausziehen? Mach ich gerne.“ Er schickte sich an, wieder aus der Dusche herauszukommen und schnell entkleidete ich mich. „Geht doch. Und nun hopp, komm her, damit wir weitermachen können.“ Gesagt, getan. Und das heiße Wasser war nicht das Einzige, was mich

erhitzte. Was Ruby da mit seiner Zunge anstellte, war ganz sicher nicht erlaubt, aber ich fand es himmlisch und ihm schien es auch zu gefallen, mich zu verwöhnen. Er seifte mich von Kopf bis Fuß ein und hatte Freude dran, alles mit seinen bloßen Händen sauberzumachen und mich damit in den Wahnsinn zu treiben. Soviel Körperkontakt war ich nicht gewohnt und Ruby hatte keinerlei Hemmungen. Ungeniert fasste er alles an, was ihn interessierte. Ich wand mich unter seinen frechen Fingern und stöhnte laut, sodass es in der kleinen Kabine hallte. Das hielt ich nicht lange durch. Zulange war ich abstinent gewesen, aber Ruby zeigte mir deutlich,

was ich vermisst hatte. Die Dusche war neblig und ich konnte Ruby kaum in den Schwaden erkennen. Feine Tröpfchen hatten sich an der Kabine und auf unseren Körpern gesammelt. Interessiert sah ich einen Tropfen, der Rubys Kehle entlang auf seinen Oberkörper zusteuerte und konnte mich nicht beherrschen. Flink glitt meine Zunge über seine Haut und erhaschte den Tropfen. Er schmeckte leicht salzig, nach Ruby und ich wollte mehr. Nun war ich dran, ihn zu erkunden und er hielt einfach still. Das einzige Zeichen, dass ihm gefiel, was ich tat, waren seine Zähne, die sich in seine Unterlippe gruben. Das Ziehen in meinem Unterleib

war eine deutliche Reaktion darauf. Und auch er stand wie eine Eins. Das spürte ich. Bisher hatte ich noch nicht gewagt einen Blick zu riskieren, aber das, was ich tat, ließ ihn ganz und gar nicht kalt. Leicht keuchte er, als ich meine Hand nach unten gleiten ließ und meinen unterdrückten Sehnsüchten freien Lauf. Anscheinend war auch er am Limit, denn es dauerte nicht lange. Sanft erwiderte er die Zärtlichkeiten, aber mich ließ er schmoren. Statt auch mir den Höhepunkt zu gönnen, wusch er mich weiter. Sehr gründlich und wickelte mich dann in ein Handtuch. Ich hatte noch nie so eine erotische Duscherfahrung gemacht, aber ich war

am Ende. Ich wollte ihn. Jetzt! Sofort! Mit Haut und Haar!

Im Hasenbau

Kapitel 8 – Im Hasenbau Der Weg in mein Zimmer wurde immer länger und ich klarer im Kopf. Was tat ich da? Ich konnte es nicht. Es fühlte sich falsch an. Es würde aus den falschen Gründen passieren und mit der falschen Person, mit mir. Ruby hatte etwas Besseres verdient. Er drängte sich auf dem Weg zum Schlafzimmer immer wieder an mich und raubte mir mit seinen Küssen den Atem. So sehr ich es auch genoss, ich musste es beenden. „Ruby!“ Er drückte seine Lippen so fest

auf meine, als ob er ahnte, was jetzt kommen würde. Wahrscheinlich hatte er bemerkt, dass ich mich mit jedem Kuss, jeder Zärtlichkeit weiter versteift hatte. „Es...es tut mir leid.“, stammelte ich und wusste doch, dass es nicht genug war. Er seufze abgrundtief und ich hoffte, dass er mir verzeihen konnte. „Ich wusste, dass es zu schön war, um wahr zu sein.“, brummte er und wandte sich ab. Schnurstracks ging er sich anziehen und lief dann an mir vorbei, die Treppe wieder hinunter. „Warte nicht auf mich.“ „Es ist besser so.“, murmelte ich vor mich hin. Schweren Schrittes ging ich in

mein Zimmer. Ich würde wahrscheinlich sowieso nicht schlafen können, aber es war besser, als hier im Flur herumzustehen. Unruhig wälzte ich mich hin und her. Meine Gedanken fuhren Karussell und ich konnte nichts dagegen machen. Warum hatte ich mich nur darauf eingelassen? Warum musste ich es mir ausgerechnet mit Ruby versauen? Wir würden vielleicht länger zusammenwohnen und da konnte ich einen abgewiesenen Liebhaber nicht gebrauchen. Aber gerade deswegen war es gut, dass ich es verhindert hatte. Lieber so, als die ewige Schwebe und Ungewissheit, ob ich nur ein

Versuchskaninchen war. Ich gab es auf, schlafen zu wollen. Stattdessen stand ich auf und ging in die Bibliothek, meinen neuen Lieblingsort. Da konnte ich die Zeit wenigstens sinnvoll nutzen. Ich machte es mir mit einem der Tagebücher im Sessel bequem und vertiefte mich in meine Lektüre. Mitten in der Nacht – ich musste eingeschlafen sein - wachte ich auf, als die Tür knallte. Das war bestimmt nur Ruby, der zornentbrannt nach oben stapfte. Am nächsten Morgen waren meine Glieder steif und ich verfluchte meine Unvernunft an diesem Ort einzuschlafen. Bequem war anders. Mit

verrenktem Nacken ging ich ins Bad, um zu duschen und schlich in mein Zimmer, um mir neue Klamotten zu holen. Die alten waren völlig zerknittert, da ich darin geschlafen hatte. Wie spät war es überhaupt? Doch ich hätte gar nicht ruhig sein müssen. Das Bett war unangetastet und von Ruby war auch keine Spur zu sehen. Ein Blick auf meinen Wecker zeigte vierzehn Uhr an. „Scheiße!“, ich musste mich nun wirklich beeilen, damit ich zu meiner Verabredung mit Race nicht zu spät kam. Eigentlich war mir nicht danach, aber so kurzfristig abzusagen, fand ich unhöflich. In Windeseile war ich geduscht und ein wenig zurechtgemacht.

Gerade so viel, dass Race nicht auf die Idee kam, ich hätte mich für ihn schick gemacht. Da wir uns in der Bäckerei treffen wollten, konnte ich das Frühstück getrost ausfallen lassen. „Hi Christopher! Du bist ja superpünktlich.“, Race lächelte mich mit einem 1000-Watt-Strahlen an, dass mich sofort für ihn einnahm. Er kam mir entgegen und schlang seine Arme um mich, als ob wir uns schon seit Ewigkeiten kennen würden. Er war warm und herzlich. Deshalb verstand ich umso weniger, warum Ruby ihn nicht mochte. „Wollen wir reingehen? Heute gibt es

Kirsch-Mandel-Torte, die ist echt lecker. Und dann erzählst du mir alles über dich.“ Er zog mich halb hinter sich her und die Bäckerdame vom letzten Mal begrüßte uns freundlich. Zum Glück waren die anderen Frauen nicht anwesend. Auf noch so ein Spektakel hatte ich wirklich keine Lust. Wir holten uns Kaffee und Kuchen und setzten uns in eine der Nischen, in die man von außen nicht schauen konnte. Das war viel angenehmer als vorn, da man so nicht wie auf dem Präsentierteller saß. „Also Christopher, Chris.“ „Christopher.“, fiel ich ein. Ich mochte die Koseform nicht besonders. „Okay. Christopher.“ Er zog meinen

Namen nun so in die Länge, als ob er sich ihn auf der Zunge zergehen lassen wollte. Ich hätte es ihm doch erlauben sollen, denn nun klang es viel intimer als vorher. „Die anderen haben erzählt, dass wir uns beim Lagerfeuer knapp verpasst haben. Schade. Dabei hätten wir unsere Bekanntschaft gleich vertiefen können.“ Er lächelte und ich war mir nicht sicher, ob er es so zweideutig meinte, wie es klang. „Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, war danach einiges los. Ruby und der Doktor sind hier Gesprächsthema Nummer eins. Aber mich interessiert vielmehr deine

Beziehung zu ihm. Du hast vehement abgestritten sein Freund zu sein. Das heißt also, ich darf hoffen?“ Er nahm meine Hand und ich wand mich innerlich. Warum wollten hier alle mit mir zusammen sein? Ich war bei weitem nichts Besonderes und wollte doch zunächst nur Freundschaften knüpfen. Verdammt, wie sollte ich ihn abweisen, ohne ihn gleich komplett zu vergraulen? „Ähm, Race. Also, ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll, aber ich im Moment will ich gar keine Beziehung. Weder mit Ruby, noch mit sonst wem. Mal ganz davon abgesehen, dass er das nur gesagt hat, um die Frauen zu ärgern, die neben uns saßen.“ Er ließ

meine Hand nicht los, im Gegenteil, er strich nun mit seinem Daumen darüber und ich bekam Gänsehaut. „Nein, Darling. Das hat er gesagt, weil ich da war. Er wollte das Revier abstecken. Aber den Gefallen tue ich ihm nicht. Er kann nicht immer gleich alles für sich beanspruchen. Zum Glück ist er so ein Ekelpaket und du bist nicht auf seine hübsches Gesicht hereingefallen.“ Race fand Ruby hübsch? Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Sicher, er sah gut aus. Aber ich hätte nicht gedacht, dass er Races Typ war. „Nun gut, keine Beziehung. Warum nicht? Wer hat dir wehgetan, dass du die

Mauer gleich meterdick aufrichtest?“ Er hatte mit einem Blick die Situation durchschaut. Aber das ging niemanden etwas an. Und Race war im Grunde genommen ein Fremder, vor dem ich mein Seelenleben nicht ausbreiten wollte. Wenn es nach mir ginge, würde die ganze Geschichte in Hamburg totgeschwiegen werden. „Ich will nicht darüber reden. Es ist keine schöne Geschichte.“, reagierte ich also kurz angebunden. „Mh, ich verstehe. Auch wenn du mich damit nur noch neugieriger machst, ich werde dich nicht mehr danach fragen. Aber dann erzähl doch mal, wie du das Leben hier findest. Da wir demnächst in

eine Klasse gehen werden, kannst du immer auf mich zählen. Du brauchst nur etwas zu sagen.“ Er sah mir tief in die Augen und ich hatte das Gefühl, er wolle mich verhexen. „Ich wohne seit kurzem im Haus von Onkel Charles Ich möchte hier zur Schule gehen und das möglichst bis zu meinem Abschluss. Mit einem Auslandsaufenthalt hat man mehr Chancen im Berufsleben und ich möchte mir eine sichere Zukunft aufbauen. Mehr gibt es über mich nicht zu erzählen. Ziemlich kurz, hm?“ Ich grinste schief und hoffte, dass er es auf sich beruhen ließ und wir uns oberflächlicheren Themen zuwandten.

„Eine sichere Zukunft. Das ist aber ein hochgestecktes Ziel. Ich glaube, dass nichts sicher ist. Jeder Tag kann Veränderung bedeuten und man muss nur klug genug sein, sich anzupassen. Dann ist man für alles gewappnet.“ Das klang für mich verdächtig danach, dass er sein Fähnchen in den Wind hielt. Nicht gerade eine anziehende Eigenschaft. „Aber ich weiß, was ich will und bin der Meinung, dass ich stark genug bin, meine Zukunft selbst zu beeinflussen und nicht von äußeren Faktoren abhängig zu sein.“ Wie alt war er nochmal? Das klang sehr erwachsen für

jemanden in unserem Alter. „Was magst du für Musik?“ Ich versuchte unser Gespräch in seichtere Gefilde zu lenken und zum Glück stieg er diesmal darauf ein. Wir unterhielten uns sehr nett über Themen, die uns interessierten und ich stellte fest, dass wir viel gemeinsam hatten. Aber irgendwas irritierte mich an ihm. Niemand konnte so perfekt sein. Vielleicht war ich auch zu misstrauisch. Ich wollte ihm eine Chance geben und zumindest eine Freundschaft konnte nicht schaden. „Ich bring dich noch nach Hause. Keine Widerrede.“, sagte er, als wir ungefähr drei Kaffee getrunken hatten und nicht

mehr ein Stück Torte in uns hineinpasste. Er zückte seine Brieftasche und legte seine Hand auf meine, als ich Geld dazulegen wollte. „Ich mach das schon.“ Aber ich schüttelte den Kopf. Das konnte ich nicht leiden. Trotzig packte ich meinen Anteil dazu. Das war kein wirkliches Date und auch wenn es eins gewesen wäre, war ich niemand der sich aushalten ließ. „Dein Onkel ist in letzter Zeit ganz schön beschäftigt, oder?“ Wir gingen langsam nebeneinander her und ich vermied es Race näher anzusehen. Wenn ich es zu oft tat, lief ich vielleicht doch Gefahr, mich in ihn zu verlieben, weil er

so lieb und aufgeschlossen war. „Ja, leider sehe ich ihn nicht oft. Es war schon eine Überraschung, besonders weil die Familie meiner Mutter nie ein gutes Haar an ihm gelassen hat. Dabei ist er sehr fleißig und mtfühlend. Er war jetzt oft bei Tante Maddy und langsam vermute ich, dass sie das absichtlich macht. Sie scheint ihn sehr zu achten.“ Es fing leicht an zu tröpfeln und wir beeilten uns, sodass wir nicht pitschnass wurden. Aber der Himmel hatte kein Erbarmen mit uns und öffnete seine Schleusen. „Komm schnell. Es gibt eine Scheune in der Nähe, dort können wir uns

unterstellen.“ Meine Hand in seiner rannten wir so schnell wir konnten. Wir erreichten sie außer Atem und ließen uns in das weiche Heu fallen. „Das war knapp. Daran werde ich mich nie gewöhnen, dass es hier plötzlich so stark regnet.“, sagte ich und lauschte dem steten Tropfen auf dem Dach. „Ob das Dach halten wird?“, fragte ich mich laut. „Welches Dach?“ Race lag auf der Seite neben mir mit einem abgestützten Arm und sah mich neugierig an. In der dämmrigen Scheune schienen seine grünen Augen ein wenig wie die einer Katze zu leuchten. „Ach, bei dem Gewitter ist das Dach

über Rubys Zimmer beschädigt worden und er hat es notdürftig geflickt.“ Dass er seitdem in meinem Zimmer schlief, erwähnte ich lieber nicht. „Das war bestimmt Spaß für Ruby, der mag es, Sachen zu reparieren und hilfreiche Dinge zu basteln. Wenn er nur ein bisschen netter wäre.“ Er seufzte und ich fragte mich, ob er doch mehr für Ruby empfand. Nur, dass das garantiert nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Was hatte Race nur gemacht, dass Ruby ihn derart hasste? Aber es stand mir nicht zu, danach zu fragen, also ließ ich es. Aber mir fiel etwas anderes ein. „Mike hat erzählt, dass du gestern ein

Date hattest? Hm.“, ich räusperte mich. Wie sollte ich diese Frage stellen, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen? „War sie nett?“ „Nicht mein Fall. Und bevor du schlecht über mich denkst. Ich nehme nicht alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist.“ Er zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Ich weiß genau, was die anderen über mich erzählen. Ich mag es neue Leute kennenzulernen. Und dabei spielt das Geschlecht keine Rolle. Ich mag intelligente Menschen, die beständig sind und zu ihrer Meinung stehen. Gutes Aussehen kann nicht schaden. Da braucht sich niemand Illusionen machen

und wenn es im Bett nicht klappt, dann sieht es auch düster aus. Schade, dass du mich nicht willst.“ Er seufzte gespielt verzweifelt und ich musste wider Willen lachen. „Da bekomme ich auf der Skala aber wenig Punkte.“ Weder besonders intelligent, noch gutaussehend wusste ich nicht, was ich für die Zukunft wollte. Deshalb wunderte ich mich umso mehr über das, was er als nächstes sagte. „Nun sei nicht so bescheiden. Mit deinem Gesicht und deiner Figur könntest du glatt modeln, nur ein bisschen größer müsstest du dann sein. Aber falls du mal Interesse haben

solltest, ich habe Beziehungen. Und dass du klug bist, davon konnte ich mich in den letzten Stunden selbst überzeugen. Nun geben wir dir noch eine Portion Selbstsicherheit und keiner kann dir mehr widerstehen. Schlimm genug, dass Ruby ein Auge auf dich geworfen hat. Vielleicht sollten wir dich doch nicht noch attraktiver machen.“ Er rückte ein Stück näher ran und strich mit seinen Fingern über meine Wange. Diese Geste war so intim, dass ich instinktiv ein Stück zurückwich. „Und wieder erscheint die Mauer.“ Er sah mich traurig aber verständnisvoll an und spielte stattdessen mit einem Strohhalm.

„Das steht dir überhaupt nicht.“, lachte ich, als er die Situation dadurch auflockerte. Ich hatte in den letzten Stunden mehr mit ihm gelacht, als in den letzten Tagen. „Wieso? Ich bin doch der geborene Stalljunge. Jetzt musst du deine Vorstellungskraft nur so weit ankurbeln, dass ich nur eine Latzhose ohne ein Hemd darunter trage und voilà hast du einen scharfen Tagtraum.“ Allerdings, nur dass nicht Race die Hauptrolle darin spielte. Ich musste mir Ruby ein für allemal aus dem Kopf schlagen! Immerhin hatte ich ihn gestern Nacht, eiskalt auflaufen lassen und glaubte nicht

daran, dass er jemals wieder ein Wort mit mir sprechen würde. „Süß, da wird er rot.“ Den blöden Kommentar konnte er sich echt sparen. „Klappe!“ Ich bewarf ihn mit einer Handvoll Heu und er schaute dumm aus der Wäsche. „Das hätte ich dir gar nicht zugetraut. Die Katze hat Krallen.“ Er lächelte sein umwerfend charmantes Lächeln und mein Herz pochte laut in meiner Brust. „Ich glaube, es hat aufgehört.“ Geschmeidig erhob er sich und reichte mir seine Hand. Sie war warm und leicht schwielig. Mit geringem Kraftaufwand zog er mich hoch und ich dachte bei mir, dass er Rubys Muskeln

durchaus Konkurrenz machte. Wir kamen beim Haus an und verabschiedeten uns freundschaftlich. „Wollen wir uns in der Woche noch einmal treffen? Dann zeig ich dir die Gegend ohne Regen.“ Race sah mich gespannt an und ich konnte nicht anders, als zuzustimmen. „Okay. Ich sims dir, wenn ich Zeit habe. Morgen ist Big Party bei meinen Großeltern, aber vielleicht klappt es den Tag darauf.“ Ich nickte und er ging beschwingt den Weg zurück. Als ich oben in meinem Zimmer war, stand Ruby am Fenster und starrte raus. Von hier hatte man einen guten Blick auf

das Gartentor und daher wusste ich, dass er uns beobachtet hatte. „Du hast Heu im Haar. Nimm dich vor ihm in Acht. Er ist nicht so nett, wie er tut.“, sagte er kurz angebunden und verließ hastig das Zimmer. Ich griff in mein Haar und holte tatsächlich einen Halm daraus hervor. Das musste für einen völlig falschen Eindruck gesorgt haben. Für einen Moment dachte ich, ich hätte rasende Eifersucht gesehen, aber das musste ich mir wohl eingebildet haben. Statt weiter darüber nachzudenken, ging ich in die Galerie. Ich hoffte, mich mit der Schatzsuche von meinen verwirrenden Gefühlen abzulenken. Es tat weh, dass Ruby mich

nun anscheinend mied, aber daran war ich selbst schuld. Doch dass Race so nett war und er mich trotzdem vor ihm warnte, wollte mir einfach nicht in den Kopf gehen. Wieso sollte er mich täuschen? Er hatte doch keinen Grund dafür. Außerdem konnte es auch daher rühren, dass Ruby ihn nicht leiden konnte. Da traute er ihm bestimmt mehr zu, als dahinter war. Unruhig ging ich auf und ab. Was übersah ich?

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Über den Autor

shiversixupi
Mmmmh, ich arbeite im Buchbereich, allerdings ohne die Möglichkeit dort meine Buchsucht auszuleben. Ich mag Science-Fiction, Fantasy, Romanzen und ganz besonders GayRomance. In diesem Bereich schreibe ich auch.
Hobbys: Lesen, singen, stricken, ab und zu zeichnen, ins Kino gehen, Geocaching...

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Karimela Hallo, da bin ich wieder;-)
Hab es endlich geschafft, weiterzulesen. Und natürlich hörst du mittendrin wieder auf - *grummel*
Aber bis dahin hat sich wirklich einiges getan in der Geschichte. Ich denke, da gibt es noch jede Menge Zündstoff und Abenteuer und wie Ruby sich gelegentlich aufführt ... also, da braucht man schon starke Nerven oder noch stärkere Gefühle;.-)) Bin gespannt, wie es weitergeht und harre einer Info deinerseits.
Liebe Grüße
Karimela
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shiversixupi Hallo ^^
oh ja, es gibt eine Menge Zündstoff und ich bin niemand, der es seinen Figuren einfach macht. Das nächste Kapi habe ich angefangen, aber es noch nicht geschafft, weiter zu schreiben. Ruby ist ein sehr spezieller Charakter, aber, wenn ich ehrlich bin, finde ich ihn extrem unterhaltsam, obwohl das für den armen Chris wahrscheinlich alles andere als lustig ist. Er ist einfach trotzdem voller Charme und deshalb verzeiht man ihm die eine oder andere Bemerkung xD Ich bin gespannt, was du zu Race sagst. Meine Kollegin (die mich immer antreibt, weiterzuschreiben) hasst ihn aus tiefstem Herzen und ich bin noch unentschlossen, ob ich ihn verstehen kann...wirst du dann lesen. Es ist noch lange nicht zu Ende *muhahaha* der Plot steht zumindest soweit, dass ich das Ende kenne XP

Liebe Grüße
shivers
Vor langer Zeit - Antworten
Karimela Na, da weißt du mehr, als ich bei jedem meiner Bücher; meine Protas fangen früher oder später immer an, ihr Eigenleben zu führen und wenn die Geschichte fertig ist, bin selbst ich manchmal überrascht, was passiert ist;-))
Aber was Ruby angeht, gebe ich dir gerne recht; er ist anstrengend, manchmal penetrant nervtötend und dann wieder so richtig nett. Und ich denke mal, ich werde deiner Kollegin zustimmen und Race auch nicht mögen. Irgendwie habe ich bei dem ein ganz schlechtes Gefühl. Nun gut, wir werden sehen, was passiert. Ich wünsch dir einen schönen Abend und sage mal bis zum nächsten Mal;-)
LG
Kari
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shiversixupi Re: Das verspricht interessant zu werden -
Zitat: (Original von Karimela am 23.06.2013 - 10:59 Uhr) Da fragt man sich doch gleich, was gibt es in diesem Haus noch so für Geheimnisse und was hat es mit Ruby und seiner Vergangenheit auf sich? Ebenso interessant erscheint mir Christophers Hintergrund, von Onkel Charles mal ganz zu schweigen.
Dein Schreibstil gefällt mir gut und ich bin gespannt auf die Fortsetzung. Da werde ich gerne am Ball bleiben.
Liebe Grüße
Karimela



Danke für deinen lieben Kommentar ^^

Ja, Ruby ist schon ein interessanter Charakter, mit dem wird's nicht langweilig xD. Ich lade im Laufe der Woche noch andere Sachen hoch. Vielleicht gefällt dir dort auch das ein oder andere.

Liebe Grüße

Shiversixupi
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Karimela Das verspricht interessant zu werden - Da fragt man sich doch gleich, was gibt es in diesem Haus noch so für Geheimnisse und was hat es mit Ruby und seiner Vergangenheit auf sich? Ebenso interessant erscheint mir Christophers Hintergrund, von Onkel Charles mal ganz zu schweigen.
Dein Schreibstil gefällt mir gut und ich bin gespannt auf die Fortsetzung. Da werde ich gerne am Ball bleiben.
Liebe Grüße
Karimela
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