Kapitel 4 - wer ist Lutton
Wieder ein Stöhnen, lauter noch als das Letzte. Auch wenn ich den Blick lieber nicht von der jungen Frau nehmen möchte, dafür traue ich ihr einfach zu wenig über den Weg, kann ich mir nur zu gut vor stellen, was sich dort hinter meinem Rücken ab spielt. Der erschreckend unerfahrene Kaiserling tut genau das, was man in seiner Situation auf keinen Fall tun sollte. Lebenszeichen von sich geben. Das scharrende Rascheln im moderigen Laub verrät mir, das er versucht, sich mit aller Kraft hoch zu stemmen. Dabei spannt er fast übermütig die Armmuskeln an, die aber verhängnisvoller weise mit seiner Schulter verbunden sind, in der wiederum gerade ein hässlicher, roter Pfeil damit beginnt, seine Holz-Öle in der Wunde zu verteilen. Marin´s Gruppe hat diese erstaunliche Entdeckung vor vielen Jahren zuerst gemacht, seitdem ist das seltene, giftige Wurzelholz des Yacc-Baumes noch sehr viel seltener geworden. Ohne Frage sehr effektiv, aber auch verachtenswert, genau wie die Widerhaken, mit denen sie ihre Geschosse versehen.
Sein Versuch auf die Beine, oder zumindest auf die Knie zu kommen, scheitert erbärmlich, der Tölpel bricht in sich zusammen und stößt dabei einen noch gequälteren Laut aus als zuvor. Der Schmerz dürfte ihm bald wieder die Sinne rauben und die sich rasend im Körper ausbreitende Infektion pustet von Minute zu Minute immer stärker an seinem Lebenslicht. Es wird also Zeit zum Handeln. Ich mache mehrere schnelle Schritte rückwärts, steige über ihn hinweg und ziehe ihm das COM aus der implantierten Armhalterung. Die Gefahr, das er es trotzdem noch schafft, das Gerät zu benutzen, ist zwar gering, aber man sollte die Kaiserlichen nicht unterschätzen. Als ich es vom Akkumulator trennen und somit lahm legen will, fällt mein Blick unwillkürlich auf das kleine, silbrig glänzende Display.
LUTTON 1221 AX
Das verdammte Teil war die ganze Zeit ein geschallten und auf Sendung! Wer immer auch am anderen Ende sein mag, er merkt wohl gerade, das er entdeckt wurde – das Display erlischt augenblicklich, das COM ist nur noch ein wertloses Stück kaiserliches Technik-Spielzeug.
„wir haben ein Problem“ sage ich mehr zu mir, als zu meiner neuen, blutrünstigen, jungen Freundin, die ebenfalls gesehen und begriffen hat, was gerade geschehen ist.
„das geht mich nichts an!“ faucht sie, auch wenn ihre angsterfüllten Augen dem lügen strafen, und kommt entschlossen näher. Ihre Coccio habe ich zwar außer Reichweite befördert, aber nicht weit genug, befürchte ich nun, denn sie steuert zielstrebig auf das Gebüsch zu, in dem sich die kleine, aber sehr elegante Armbrust verfangen hat. Sie will es zu ende bringen und verschwinden, so lange es noch geht, keine Frage. Ich bin mir nicht sicher, auf wen sie es gerade mehr abgesehen hat, wem der nächste Schuss aus ihrer Waffe gelten soll. Obwohl die Situation für sie fast ausweglos ist, ich kann locker dreißig Jahre mehr Kampferfahrung aufweisen, scheint sie fest entschlossen ihren Plan in die Tat um zu setzen.
„ich verstehe nicht was du von mir willst, Mädchen“ - irgendwie kann ich mein Unterbewusstsein nicht dazu zwingen, dieses Wort zu unterdrücken. Mittlerweile scheint ihr das aber auch gleichgültig geworden zu sein. „aber an deiner Stelle würde ich keinen Schritt weiter gehen“
Markige Worte, so etwas fällt mir im Ernstfall nur recht selten ein. Wenn die Situation nicht so gefährlich wäre, würde ich mir ein wenig Zeit nehmen, stolz auf mich zu sein. Mit drei geübten Handgriffen ziehe ich Rose aus dem Schulterhalfter, Lege einem neuen Pfeil ein, spanne die Sehne und ziele. Die Geschwindigkeit, in der ich das bewerkstellige, scheint meine Gegnerin zu überraschen, sie bleibt tatsächlich wie angewurzelt stehen, nur wenige Armlängen von ihrer Armbrust entfernt, ebenfalls schon mit einem Pfeil in der rechten Hand.
Einige Augenblicke verstreichen in absoluter Stille. Der abendliche Wald, welcher um die Zeit auch sonnst schon recht geizig ist mit Geräuschen, scheint nun ebenfalls gespannt den Atem an zu halten und komplett zu verstummen. Dann erkenne ich in ihrem Gesicht einen Ausdruck, den ich schon einmal gesehen habe, vor vielen Jahren. Ein selbstgefälliges Grinsen, welches, ohne das die Lippen dafür Worte formen müssten, eindeutig nur eins sagt: Du würdest nicht auf eine junge, hübsche Frau schießen
„Da wäre ich mir nicht so sicher, Mädchen“.
Das verunsichert sie wieder, scheinbar hat der Trick schon des Öfteren funktioniert. Ihr Grinsen verschwindet allmählich, weicht einer lauernden Grimasse.
„Rose hat heute schon zwei Cerlon´s auf dem Gewissen, gerissene, kleine Tiere, wie du sicher weißt, und flink wie der...“
„Deine Armbrust heißt Rose!?“ schießt es spöttisch aus ihr heraus. Nun ist sie wieder ganz Kind, die junge Frau hat sie abgeschüttelt wie eine Schlange ihre zu klein gewordene Haut.
„Du gibst dem Ding wirklich einen Namen?“ Sie zeigt auf Rose als sei sie nur ein gewöhnliches Stück Holz, eine Waffe wie jede Andere! Wie schnell dieses seltsame Wesen doch die Gemütszustände wechseln kann. Erschreckend.
„der Letzte der sich darüber lustig gemacht hat, war einer meiner ältesten Freunde, Mädchen. Er war auch der Einzige, der das durfte“ - ich staune langsam über mich selbst.
„nun mal zurück in deine Ecke, wir haben ein paar Dinge zu klären, bevor ich hier meine Sachen packe und so schnell es geht verschwinde. Das Ding dort wird uns in große Schwierigkeiten bringen, „ ich deute auf das mittlerweile zerlegte COM „und wer immer sich hinter ´Lutton´ verbirgt, er ist sicher schon unterwegs, oder hat seine Schergen auf den Weg geschickt.“
Die kleine Ansprache hat ihre Wirkung nicht verfehlt, denn nun scheint sie sich nicht mehr sicher zu sein, vor wem sie mehr Angst haben soll. Dem silberhaarigen Colte-Kämpfer vor ihr, oder dem Trupp Kaiserlichen mit ihren Edelstahl-Rössern auf dem Weg hier her. Nach einigem Zögern entscheidet sie sich wohl doch für Letztere, und kehrt auf ihre Anfangsposition zurück.
„wir haben nicht viel Zeit“ beginne ich das Verhör im Abendrot „also raus mit der Sprache, was willst du von mir? Warum verfolgst du mich?“
Letzteres ist nur eine Vermutung, auch wenn ich in den vergangenen Stunden immer wieder das Gefühl hatte, heimlich beobachtet zu werden. Wenn das stimmt ist sie eine deutlich bessere Schleicherin als Kämpferin, was wohl auch der Grund sein dürfte, warum ich noch am Leben bin. Es mangelte ihr vermutlich einfach bisher an Gelegenheit, so nah an mich heran zu kommen, um mir einen garantiert tödlichen Schuss zu verpassen. Bei ihrem Geschick mit der Armbrust hätte das schon sehr nah sein müssen. Auch ein vergifteter Pfeil macht noch lang keinen guten Schützen.
Sie sieht mich verächtlich an, als wäre ich es nicht wert, mir ihr Handeln und ihre Motive zu erklären. Wie einen Ochsen der zum Schlachthof getrieben wird, aber noch gar keine Ahnung davon hat, das er eigentlich schon tot ist.
„du bist einer von ihnen. Vermutlich der Letzte. Wenn ich dich getötet habe, sind die Seloc Geschichte, ausgerottet, als Strafe für ihren Verrat. Ich bringe hier nur zu ende, was ihr begonnen habt“