Geschichte eines Autors der sich selbst, in der von ihm geschaffenen Welt verliert. Ein weiteres Kapitel meiner Kurzgeschichten-Reihe "Weltreise in Worten", das den Leser, ein zweites Mal, erst nach Tokyo führt und danach, zum ersten Mal, nach Stockholm mitnimmt.
Ich hatte schon immer ein Gespür für einen guten Schluss. Nur bei ihr hat das nie so recht funktioniert.
Als wir uns in Stockholm, nach langen Jahren wieder sahen, war es unsere zweite Begegnung.
Die Einladung eines alten Freundes, war der Grund weshalb ich nach Schweden gereist war.
Ich saß nun in einem Café, unweit meines Hotels in Gamla Stan, als sie sich plötzlich an meinen Tisch setzte.
Da war sie wieder und trug ihr blondes Haar, genau wie damals, mittellang und offen über ihre Schultern.
Sie zündete sich eine Zigarette an und hielt sie dabei, genau wie damals, nur mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand.
Erst als Rauch zu sehen war, gesellte sich der rechte Mittelfinger zu den anderen beiden, um mit ihnen dieses vertraute und für mich doch immer fremde, Terzett zu bilden.
Die dunklen Gläser einer Sonnenbrille, verhinderten den Blick auf ihre tiefblauen Augen,
doch die Erinnerung an Japanische Sternennächte, die sich in diesem Blau gespiegelt hatten,
war lebhafter denn je.
Sie hatten darin geglänzt, wie an windstillen, wellenlosen Tagen, auf der Wasseroberfläche der Bucht von Tokyo.
Da war sie wieder, saß vor mir und rauchte, meine Erinnerung an eine nächtliche Autofahrt von Shinjuku nach Arakawa.
Das erste Mal sollte ich ihr in einer Bar in Shinjuku begegnen.
Ein paar Tage zuvor, hatte mich der Brief eines alten Studienfreundes erreicht, über den ich mich sehr wunderte, denn unser Verhältnis war zwar freundlich, aber doch oberflächlich gewesen und hatte sich nie zu einer tieferen Freundschaft entwickelt, deswegen hatte ich erwartet, nach dem Studium nie wieder von besagtem Freund zu hören.
Der Brief enthielt nicht viel, nur einen nichtssagenden Text mit der Bemerkung, dass jenem Freund mein letzter Roman sehr gefallen hätte, doch an der Art wie dieses Kompliment formuliert war, konnte man merken, dass er nicht mehr als das erste Kapitel gelesen hatte.
Der Brief endete mit der Bitte, nach Tokyo zu kommen und an seinem Ende, stand die Adresse dieser Bar in Shinjuku und das heutige Datum, das, so wie der ganze Brief, mit den abgeschliffenen Lettern einer alten Schreibmaschine getippt worden war.
Dem Kuvert waren Hin- und Rückflugticket beigelegt worden.
Obwohl ich nicht so wirklich Lust hatte, entschied ich mich, doch nach Japan zu reisen.
Was hielt mich auch zuhause? Momentan gab es nichts an dem ich arbeiten konnte, mein Kopf war eine leere Wüste, die von Gedanken momentan gemieden wurde.
Nachdem mein Flugzeug in Tokyo gelandet war, wurde ich am Flughafen von einem jungen Japaner abgeholt, der ein großes Pappschild, mit meinem Namen darauf, hochhielt.
Anscheinend war dieser Mann als mein Fahrer angestellt, das war zumindest auf der lila-weißen Karteikarte, die er mir reichte, in Druckbuchstaben zwischen die dünnen, blauen Linien geschrieben worden.
Wie sich herausstellte sprach dieser Mann, zu meinem Leidwesen, keine Sprache, die mir bekannt war.
Das führte dazu, dass mir nichts anderes übrig blieb, als auf der Rückbank seines schwarzen Porsches 356 A, platz zunehmen und mich von ihm, erst zu meinem Hotel in Shinjuku fahren zu lassen und dann zu dieser Bar, zwei Blocks weiter, nachdem ich an der Hotel-Rezeption die Formalitäten des Check-Ins erledigt hatte (wenigstens dort sprach man Englisch) und mein Gepäck in meinem Zimmer verschwunden war.
Wie es aussah, hatte mein Fahrer genaue Anweisungen von meinem alten Studienfreund erhalten, so das es zwar bedrückend, aber nicht weiter tragisch war,
dass uns jede Kommunikation, außer grober Zeichensprache verwehrt blieb.
War diese Person absichtlich als mein Fahrer ausgewählt worden?
Ich wartete nun schon seit zwei Stunden in dieser Bar, weit über den vereinbarten Zeitpunkt hinaus.
Da ich mich zu diesem Zeitpunkt in einem Land befand in dem, wie ich gehört hatte, viel Wert auf Pünktlichkeit gelegt wurde, erschien mir sein Verhalten doch etwas dreist.
Das Licht in der Taverne schien nur gedämpft, was dem Etablissement zu einer gewissen Film-Noir-Atmosphäre verhalf, die mich unweigerlich an meine ersten, schlechten Krimi-Geschichten, die ich während des Studiums geschrieben hatte, denken ließ.
Wer immer hier für die Musikauswahl zuständig war, hatte sich entschieden, einen alten Dizzie-Gillespie-Hit zu spielen, an dessen Namen ich mich einfach nicht erinnern konnte.
Dann fiel mir plötzlich das blonde Mädchen auf, die mit ihrer schönen, zweifellos Europäischen Gestalt, an einem der Fenstertische saß und dem Abend einen exotischen Hauch von Alles-ist-möglich gab.
Ich setzte mich zu ihr an den Tisch, hoffend, dass unser gemeinsames fremd-sein in diesem Land, einen ausreichenden Grund für ein Gespräch liefern würde, aus dem sich vielleicht mehr ergeben könnte.
„Biiru o futatsu.“, rief ich in die Richtung, wo ich die Bar vermutete, aber ohne wirklich darauf zu achten, ob meine Worte auch genug Kraft hatten um dort anzukommen.
Erst im nächsten Moment wurde mir bewusst, dass ich gerade Japanisch geredet hatte, zumindest hielt ich es dafür, aber anscheinend waren meine Worte nicht nur bis zum Tresen vorgedrungen, sie schienen auch korrekt gewesen zu sein, denn der Barmann brachte die zwei Bier, an die ich gedacht hatte.
Vielleicht konnte er Gedanken lesen und hatte mich verstanden, weil die Sprache der Gedanken universell ist, da sie meistens aus Bildern und nicht aus Worten besteht?
Deswegen ist ein Roman auch nur dann gut, wenn wir uns das Geschehen in Bildern vorstellen können.
Quatsch, niemand kann Gedanken lesen, nicht ohne Augenkontakt, auch kein Japaner.
Ich musste diesen Satz am Flughafen oder in der Lobby des Hotels aufgeschnappt haben.
Als der Barkeeper verschwunden war, sagte das Mädchen in meiner Muttersprache: „Danke, aber ich trinke nichts.“, dabei wendete sie ihre endlos blauen Augen nicht von mir, so dass sich ihr Blick, tief in mein Innerstes bohrte und zwischen meinen Eingeweiden wühlte.
Sie brach den Blickkontakt nicht einmal, als sie sich eine Zigarette anzündete, die sie nur mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand am Filter hielt, während ihr rechter Mittelfinger, auf eine über ihre Lippen gehauchte Wolke wartend, bebte.
Nach einer Weile griff sie sich das Bier und sagte:
„Wissen sie was? Ich habe es mir doch anders überlegt.“
Mein Fahrer war verschwunden als wir die Bar verließen, zumindest war er nirgends zu sehen.
Aber egal! Zum Hotel musste man ja nur ein paar Minuten laufen.
Daraus sollte sich kein Problem ergeben.
Kein Wind wehte in dieser Nacht, das musste heißen, dass sich auch in der Bucht von Tokyo, die Wellen nur schläfrig schaukelnd bewegten, so
dass vielleicht ein einsames Bataillon schwarzen Wassers, das Japanische Festland, zärtlich liebkoste.
Sie lief schweigend neben mir her und wie sie da so ging, konnte ich nicht anders, als unauffällig ihr Gesicht zu mustern, das im fahlen Mondschein leuchtete.
Dabei verfing sich mein Blick auf ein neues in ihren Augen, unvorsichtigen Füßen in Treibsand gleichend.
Ich musste immer wieder hinsehen, doch jedes mal mit dem gleichbleibenden Gefühl, dass es sich bei diesen Pupillen, nur um ein Miniatur-Abbild des Sternenhimmels handelte.
„Was hat dich hierher getrieben? Welcher Wind ließ dich an der Küste einer fremden Sprache und eines unbekannten Landes, Schiffbruch erleiden?“, den zweiten Satz dachte ich nur, ohne ihn auszusprechen.
„Ich muss etwas für meine Schwester erledigen. Sie ist aus gesundheitlichen Gründen ans Bett gefesselt und kann es nicht selbst tun, aber es ist von großer Bedeutung für sie, dass diese Sache erledigt wird.“, das war ihre Antwort, die sie nicht weiter erläuterte und ich traute mich nicht, genauer nachzuhaken, stattdessen bemühte ich meine Vorstellungskraft um dahinter zu kommen, mit welcher Art von Auftrag, ihre Schwester das Mädchen bedacht hatte, dessen Füße neben mir von einer Oase aus Laternenlicht, zur nächsten tanzten.
Es ist so etwas wie die Berufskrankheit mancher Schriftsteller, dass sie es ab und an bevorzugen, sich Antworten auszudenken, anstatt eine simple Frage zu stellen.
Ich für meinen Teil, musste zumindest oft dagegen ankämpfen.
Mittlerweile waren wir im Hotel angekommen und in den Aufzug gestiegen, in dem sich außer uns noch ein paar andere Personen befanden, die man nicht näher beschreiben muss.
In der Vorstellung des einen, leben sie als Gruppe Japanischer Geschäftsleute in blau-schwarzen Nadelstreifenanzügen, die nach einem erfolgreichen Firmen-Meeting, das Resultat ihrer Konferenz, Sake trinkend, schief singend, in einer Karaoke-Bar in Shibuya feiern, bevor es sie alle heimwärts treibt, teilweise zu Eigentums-, teilweise zu Mietwohnungen, teilweise zu einer Person die auf sie wartet, während manche von ihnen nur in eine menschenleere Wohnung zurückkehren.
In der Vorstellung des anderen, befindet sich in der Aufzugkabine, deren Insassen nur ein paar Stahlseile und Gewichte, von einem Sturz in den Tod trennen,
ein Amerikanisches Rentner-Ehepaar, die Kameras um den Hals hängen haben und die Sonnenbrillen tragen, deren Bügel mit einem Band verbunden sind, so dass man sie ebenfalls vor der Brust baumeln lassen kann.
Es scheint ein internationales Erkennungsmerkmal alter Touristen-Ehepaare zu sein, die Kaki-Shorts und unförmige Hüte aus dem gleichen Kaki-farbenen Material tragen, dass sie sich gerne eine Vielzahl von Gegenständen, an Bändern um den Hals hängen, so dass sie ihnen ständig vor der Brust baumeln.
Ob es wohl spezielle Läden oder Versandhäuser, für diese Gegenstände an Schnüren gibt?
Die nötige Verbrauchergruppe, wäre auf jeden Fall vorhanden.
So oder so, was für Personen sich auch immer im Aufzug befanden, es handelte sich bei ihnen um nichtssagende Nebencharaktere, eben die Art von Papierstatisten, die man im Aufzug eines Japanischen Hotels trifft. Was zur Hölle hatte ich hier verloren.
„Was machst du in Tokyo?“, fragte sie mich plötzlich, woraufhin ich meinen Zeigefinger auf die Lippen setzte, ihr bedeutend, leise zu sein.
Ich brach mein Schweigen erst als sich die Aufzugtüren öffneten und uns in den schwach beleuchteten Korridor meiner Etage, ausspuckten.
„Die Japaner sehen es nicht gerne, wenn man im Aufzug spricht. Das gilt als indiskret.“
Fragend sah sie mich mit ihren Augen an, die jede Art von Glanz aufwerteten, in denen sogar das flackernde Licht dieses gespenstisch leeren Flurs, mit einer alten, ja sogar vorsintflutlichen Eleganz, wunderschön schimmerte.
„Ich spiele mit dem Gedanken, einen Roman zu schreiben, dessen Handlung hauptsächlich in Japan stattfindet. Für so eine Geschichte, die in einer relativ fremden Kultur angesiedelt ist, sind umfangreichere Recherchen notwendig, als ein flüchtiger Blick auf die Landkarte.“
„Du schreibst Bücher?“
„Kriminalromane, ich würde sie selbst nicht als Bücher bezeichnen.“
„Worum geht es in diesem Roman, an dem du gerade arbeitest?“
Mir fiel es schwer zu beurteilen, ob diese Frage aus Höflichkeit oder aus Neugier gestellt wurde, aber irgendwie tönte in ihr eine Art von Notwendigkeit, die zugleich unnatürlich wirkte, so als ließe sich der ganze Abend, der restliche, so wie der bereits vergangene, auf diese Frage reduzieren, als wäre das das einzige was zählte, auch zu bedeutend für selbstgewählte Worte.
Die Frage schien sogar fast wichtiger als die Antwort. Der aufdringliche Geruch einer kleinen Prise Deus-Ex-Machina, schob sich durch die Luft.
„Um einen Mann, der von einem alten Studienfreund nach Tokyo eingeladen wird. Dort soll er ihn in einer Bar in Shinjuku treffen, doch der Freund taucht nicht auf.“
„Bist du wegen dieser Geschichte in Japan?“
„Ich habe fast das Gefühl, als wäre es so.“
„Glaubst du ich bin auch eine deiner Figuren?“
Ich überlegte eine Weile.
„Das kann ich nicht sagen. Nicht in diesem Stadium der Geschichte.“
Durch das Mondlicht beleuchtet, das durch die offenen Jalousien, von draußen in mein Zimmer schien, glänzte ihre Haut weiß, wie der Marmor aus dem griechische Göttinnen gemacht waren.
Nur schwach hob sich ihr Körper von den schneefarbenen Laken des frisch gemachten Hotelbettes ab.
Die Knie ihrer angewinkelten Beine, pressten sich an ihre weißen Brüste, wo sie sie mit beiden Armen umschlossen hielt.
In dieser embryonalen Haltung, ging von ihrem Körper etwas goldenes aus. Etwas an ihrem Wesen, das ich immer noch nicht ganz erfassen konnte, erfüllte den Raum mit der pränatal strahlenden Hoffnung, eines noch ungelebten Lebens, voller Optionen.
Aus ihrer Körperhaltung resultierend, bildeten ihre Schamlippen eine dünne Rille, die ich, hinter ihr liegend, sanft streichelte, so dass ihr Körper, voll verletzlicher Erregung zitterte.
Plötzlich wusste ich, dass ich die Reinheit dieses Gemäldes vor mir, nicht so schlicht entweihen durfte, denn die Geschichte musste anders weitergehen.
„Wieso bist du in Japan?“, fragte ich sie ein weiteres mal, im selben Moment wissend, dass sie jetzt weinen würde.
Sie würde weinen, aber nicht wegen irgendeines Schmerzes, den ich ihr zugefügt hatte, sondern wegen der Erleichterung einer fortschreitenden Geschichte.
Und tatsächlich weinte sie wirklich als sie die Worte: „Ich muss es tun.“, in die Nacht wisperte.
„Lass es uns gemeinsam tun.“, sagte ich, während mein rechter Daumen ihre Tränen wegwischte, so wie man einen Vorhang öffnet, der aus wertvoller Seide gemacht ist.
Vor dem Hotel wartete mein Fahrer, an seinen schwarzen Porsche 356 A gelehnt.
Der Deutsche Wagen, der die Nacht mit seinen Scheinwerfer fraß, brachte uns zu einer alten Grundschule in Arakawa, deren unverschlossenes Haupttor uns widerstandslos, Zutritt auf den Pausenhof gewährte.
Mittlerweile hatte ein leiser Wind angefangen zu wehen, so dass sich die Nacht allmählich abkühlte. Auf dem Spielplatz, zu dem sie mich führte, schwang eine unbesetzte Schaukel, an sanft rasselnden Ketten.
Zu sagen, ob es an diesem kälter-werden des Augenblicks oder an dem, was dieser verlassene Ort mit ihr anstellte, lag, dass sie zitterte, dazu war ich mit Sinnen nicht ausreichend versehen worden, bevor man mich in diese Welt gestoßen hatte.
Trotzdem konnte ich die Leere spüren, die an diesem Ort nach einem zu greifen versuchte.
Ich war mir sicher, dass sie sich auch die Kinder vorstellte, die hier tagsüber spielten, ohne deren Lachen oder ihre, für blutige Knie vergossenen Tränen, dies der einsamste und bedrückendste Ort war, den man im ganzen Universum finden konnte.
Erst jetzt bemerkte ich die Pappschachtel, die sie schon die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte.
„Was ist darin?“, fragte ich, nicht der Möglichkeit wegen, Informationen zu erhalten, sondern um den Fluss der Zeit aufrecht zu erhalten.
„Mein Schwager. Er ist... Er war Japaner.“, war ihre gedankenverloren geflüsterte Antwort.
„Dieser Boden auf dem wir stehen, gehört zu seiner alten Grundschule.“
Es schien als wäre der vorhin aufgekommene Wind, nur ein Magenknurren der Nacht gewesen, denn als sie jetzt die Schachtel in ihren Händen öffnete, setzte sich die Luft um uns herum, immer stärker in Bewegung.
Dieser Wind schien es gar nicht erwarten zu können, mit den, zu Asche verbrannten, Überresten jenes Mannes gefüttert zu werden, den ich nie zu Gesicht bekommen hatte und der mein Handeln, zumindest in diesem Moment, doch so entschieden bestimmte.
Zumindest hatte sein Ableben die Schienen gelegt, auf denen nun die Räder meiner Taten gnadenlos vor sich hin rollten.
Als sie den pulverisierten Japaner endlich preisgab, tobte um uns herum schon ein kleiner Orkan, der sich sofort wieder legte, nachdem er den grauen Sand, in alle Ecken des Universums gepustet hatte.
Es war nun komplett windstill.
Sogar die diabolische Schaukel, hing in ihren eisernen Gelenken und wagte es nicht, auch nur das kleinste Quietschen von sich zu geben.
Als wir nach Shinjuku zurück fuhren, wurde mir klar, dass ich heute nicht mehr mit ihr schlafen würde. Wir würden sicherlich die Nacht im selben Bett verbringen, nebeneinander schlafend, aber nicht miteinander.
Doch es würde eine anderes nebeneinander-schlafen sein, als das eines kleinen Mädchens und eines eben so alten Jungen, deren Freundschaft noch nicht durch das Verspüren von erotischen Wünschen beeinflusst wird.
Nein, in diesem nebeneinander-schlafen, lag für mich durchaus eine gewisse Erotik.
Es klingt merkwürdig, aber mit der Asche ihres Schwagers, hatte sie auch ihre Unschuld von sich gegeben. Ihre literarische-Unschuld zumindest.
Mit ihr zu schlafen, war nicht vorgesehen, das war nicht Teil dieser Geschichte und deswegen würde in diesem nebeneinander-schlafen, auch eine größere Erotik liegen, eine größere Bedeutung als in der penetranten Alltäglichkeit eines Ficks.
Nach unserer Ankunft in meinem Hotelzimmer, ließ unsere Müdigkeit, uns nur kurze Zeit die Augen offen halten
und während ich einschlief, glitten alle Worte von mir.
Das erste womit ich nach dem Aufwachen kämpfen musste, war das gleißende Licht der Nachmittagssonne, das meine Netzhaut punktierte.
Jemand musste meinen Schädel, während ich geschlafen hatte, geöffnet haben, um ihn mit Rasierklingen zu füllen und dann wieder zu verschließen, danach musste diese Person mich kräftig geschüttelt haben.
Sie war verschwunden, aber dafür tauchte nun die Frage auf, ob sie überhaupt jemals dagewesen war?
Hatte es sich bei ihr nur um ein Hirngespinst gehandelt, ein reines Geschöpf meiner Phantasie, den entlegenen Winkeln meines Unterbewusstseins entsprungen, welches aufbegehrte, das Leben, der mit Impulsen Tennis spielenden Synapsen, satt hatte?
Unmittelbar nach dem Aufwachen, ist die Erinnerung an einen Traum am deutlichsten.
Wenn man die Lähmung, die wegen des freudigen Schreckens, dass die begrenzten Ressourcen an neuen Tagen, noch nicht aufgebraucht sind, auf einem liegt, nicht überwindet und diesen Traum dokumentiert, dann verwischt er und verliert sich in der Endlosigkeit dieses neuen Tages.
Während ich ein letztes mal, vom schwarzen Porsche 356 A, durch die Straßen und Bezirke der Japanischen Hauptstadt getragen wurde, kam mir die Idee, dass es ganz einfach wäre, den Traum von der Realität zu unterscheiden, ich musste nur meinen Fahrer zur Existenz des blonden Mädchens befragen.
Doch all meine Hoffnungen, wurden im nächsten Moment, von der Erkenntnis unserer beider Unfähigkeit, das Wort des jeweils anderen zu verstehen, zerschmettert.
Irgendwo unter der Haut dieser Enttäuschung spürte ich noch etwas.
Dort zeichneten sich die Umrisse des Wunsches ab, wieder zu schreiben und wurden immer deutlicher.
In mir hatte sich eine Energie angesammelt, in deren Bereich an Möglichkeiten es lag, das Limit meiner irdischen Existenz zu sprengen, um eine Kraft freizusetzen, die Kraft der Worte, die weit größer war, als alle meine sonstigen, physischen Kompetenzen.
Es würde keine Rolle mehr spielen, was Traum und was Realität war, den ich plante bereits einen Blitzkrieg, gegen das Reich, in dem der trostlose Alltag die Gesetze schrieb.
Also begann ich wieder zu arbeiten, verbrachte meine Tage schreibend und meine Nächte damit, die Worte zu leben.
Aber nach ein paar Monaten, begann Verzweiflung sich bei mir einzustellen, denn an einem gewissen Punkt kam ich nicht mehr vorwärts und auch meine sagenhaften Kräfte, begannen zu schwinden.
An sich stimmte alles, war nahezu perfekt, nur ein Schluss wollte mir nicht einfallen.
Bei all meinen anderen Romanen, war es mir immer gelungen, einen Schluss zu finden, der zu all meinen Charakteren passte, der die logische Folge ihrer kurzen Unsterblichkeit von ein paar hundert Seiten war.
Doch diesmal war es so, als hätte sich eine fremde Person unter meine Figuren geschlichen, für die sich einfach kein Schluss finden ließ, die sich geradezu dagegen wehrte.
Ohne passenden Schluss, zerfiel die Ordnung in meinem Kopf zu Anarchie, diesen Anarchismus, wünschte ich jenseits meiner Stirn,
ich wollte ihn in die Welt verbannen, die Anarchismus dringend nötig hatte,
während meine Gedanken Ordnung brauchten.
Eine Kellnerin kam zu uns an den Tisch.
„Vad kan jag bringa. Något att dricka och att äta?“
„Två flaskor med öl.“, antwortete das blonde Mädchen und nachdem die Kellnerin, die zwei Bier gebracht hatte, prostete sie mir mit einem davon zu:
„Kanpai.“
„Das war kein Schwedisch.“, murmelte ich leise.
„Niemand zwingt mich Schwedisch zu sprechen. Außerdem weißt du genau, was „Kanpai“ heißt!“,
sie lächelte, ein freundliches, liebevolles Lächeln, war es, das da auf ihren Lippen platz genommen hatte.
„Wie viele Sprachen sprichst du eigentlich?“, ich hatte diese Frage eher an mich selbst gerichtet, als an sie. Dass sie das sicher wusste, hinderte sie nicht daran, ihre lächelnden Lippen für eine Antwort zu öffnen.
„Nicht mehr als du.“, Ohja, das wusste ich.
„Skål!“, resultierte aus meinem Griff zur Bierflasche.
„Glaubst du, dass du in Stockholm das findest, was du in Tokyo nicht gefunden hast?“
„Ich weiß es nicht.“, antwortete er.
Lächelnd sah die Autorin ihn an. Wie ironisch es doch war, dass sie so lange gebraucht hatte, einen Schluss zu finden, für eine Geschichte über einen Schriftsteller, der daran Verzweifelt, dass seine Geschichte ihm einfach nicht den richtigen Schluss offenbaren will.
Manchmal war es Angst, die sie beim schreiben verspürt hatte, aber ging das nicht vielen Schriftstellern so, dass ihre Figuren nichts von Produkten ihrer Phantasie erkennen ließen, sondern dem Schreiberlingen ein Gefühl vermittelten, als würden sie die Leben, realer Personen lenken, die irgendwo existieren konnten.
Deren Voodoo-Puppen sie auf Papier zeichneten und Schreibgeräte jeglicher Art, zu Folterwerkzeugen werden ließen, die Wahnsinn und Schicksalsschläge auf die Leben irgendwelcher Hiobsgeschöpfe regnen ließen, ohne Aussicht auf Erlösung?
Was für ein Unsinn. Der leidtragende war sie, als Schriftstellerin.
Ein Schriftsteller, der eine Geschichte schreibt, ist wie eine Muschel, in deren Kalkgehäuse eine Perle heranwächst.
Eine Geschichte fertigzustellen, war als würde man diese Muschel aufbrechen.
Denn sowohl einer Perle, als auch der Geschichte, würde so die Möglichkeit genommen, zu wachsen, während sie den gaffenden Blicken der Welt offenbart wurde.
Eine Geschichte ist niemals fertig, aber war es nicht ihre Pflicht als Autorin, eine Entscheidung zu treffen?
Musste man seine Worte nicht irgendwann in einen Zustand der Zeitlosigkeit versetzen, der weder ein VOR, noch ein ZURÜCK kannte?
Ja, man musste dies tun, wenn man nicht wollte, dass die Schönheit der Worte, im Dunkeln verborgen blieb!
Lag der Sinn von Schönheit nicht darin, gesehen zu werden?
Sie jedenfalls, hatte ihren Schluss:
Er hatte die letzten Nächte ruhig und traumlos geschlafen.
Dass er aufgehört hatte, von ihr zu träumen,
konnte nur bedeuten,
dass sie nicht nur im Begriff war sich in eine Nebensächlichkeit zu verwandeln,
sondern sich bereits in eine Nebensächlichkeit verwandelt hatte,
die von ihm nur noch künstlich am Leben erhalten wurde.
Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass er die Einsamkeit fürchtete.
Ohne sie würde diese Einsamkeit seiner Existenz wieder über ihn herfallen.
Er würde allein sein,
so allein wie eine Schaukel, die verloren auf einem Grundschulspielplatz in Arakawa schwingt und deren rasselndes Weinen, niemand hört.
Niemand im ganzen Universum.
Er betete für eine Möglichkeit, sich irgendwann an dieser grausamen Gottheit zu rächen, um wen es sich dabei auch immer handeln würde, die ihn dadurch gestraft hatte, dass sie ihn mittlerweile ein so einsames Leben, leben ließ.
Doch was in diesem Moment eine größere Bedeutung hatte, war dass er sich von seiner Figur, jenem unbekannten blonden Mädchen, trennte.
Es erfüllte ihn mit Trauer, aber er hatte nicht mehr die Kraft, um sie am Leben zu erhalten.
Er musste den Stecker ziehen, auch wenn sie dann aufhören würde zu existieren.
Zeitenwind Die Perle in der Muschel - Ich hatte Dir ja bereits gesagt, dass ich im Hinblick auf Deinen Schreibstil, ans Aufhören gedacht habe. Ich lese Deine Texte wirklich gern. Wunderbar geschrieben .. hier kann ich nur lernen. Gruß vom Trollbär |