Niemals würde er, Krixl, diese Tage vergessen, als sie völlig verausgabt in dieses riesige Tal kamen. Erschöpft und niedergeschlagen ließen sie sich nieder. Aus Unachtsamkeit hatten sie vergessen, nach dem Essen erneut die Fesseln der Frauen zu binden. Ja, sie hatten ihnen auch bis heute Fesseln umgelegt, aus Angst, sie würden entfliehen und Reißaus nehmen bei günstiger Gelegenheit.
Was sie nun taten.
Fassungslos schauten sie ihrer Flucht zu.
„Ach, lasst sie laufen. Sie können uns nicht entkommen. Wir wissen doch, dass dieses weite Tal mit seinen hohen Felswänden keinen weiteren Ausgang mehr hat als den, wo wir gerade stehen“, sagte gemächlich Krixl. Denn einige Späher hatten diesen Umstand vorsichtshalber schon ausgekundschaftet.
So sahen sie tatenlos zu, wie sich diese neuen Frauen schreiend und befreit im Tal verstreuten. Dabei verkrochen sie sich in die kleinen Höhlen in den Felswänden, das heißt, nahmen sie regelrecht in Beschlag, indem sie sich darin einnisteten. Aber es war nicht so, dass sie sich vereint in einer Höhle festsetzten, also mehrere Frauen in einer, auch wenn sie noch so groß war. Nein, nur immer eine Frau tat das, dass sie eine Höhle für sich in Anspruch nahm und das so begierig, dass keine andere ihrer neuen Behausung zu Nahe kommen durfte.
Wie konnte denn das sein? Hatten sie denn kein Stammesleben gehabt? Oder wollte sie keines mehr? - Sie wollten also nicht wie wir, die Männer, das gerne taten, zusammenleben.
Aber das war noch nicht einmal das besonders Eigenartige.
Das, was so unglaublich war, war, dass sie dann dazu übergingen, sich ihre Männer auszuwählen. Dabei gingen sie ungeheuer geschickt und planvoll vor, muss man sagen, was wir aber erst lange im Nachhinein als solche raffinierte Handlungsweise erkannten.
Wie wir das erfuhren?
Wir saßen gerade um unser großes Lagerfeuer, das am Anfang der Schlucht aufgetan worden war, damit wir eventuelle Eindringlinge und Verfolger davon abhalten konnten, in unser friedliches Tal einzudringen.
Es war schon Abend, der Tag hatte sich gerade verabschiedet.
Da kam Brüllixsohn, ein gestandener Mann bedenke man, heulend vor Schmerz zu uns Männern gerannt. Was er erzählte, klang unglaubwürdig, angesichts dieses Hüne von einem Mann. Aber doch, er klagte darüber, dass ihn eine Frau gekratzt, gestochen und brutal abgewehrt hatte, als er bei ihr Beischlaf hatte finden wollen.
„Am liebsten würde ich sie umbringen. Was haltet ihr davon?“, stampfte er mit den Füßen auf, so dass Staub aufwirbelte und sein Speer fuhr in den trockenen, krustigen Boden.
„Nein, nein. Du weißt, wie wenig Frauen wir haben! Das können wir uns nicht leisten!“, schlichtete Krixl, die Arme erschrocken in die Höhe gereckt. Das war eine sehr eindringliche Geste, die über den Ernst der Aussage keinerlei Zweifel übrigließ.
„Stimmt!“, räumte Brüllixsohn schließlich ein.
Alle Männer waren amüsiert. Der große Mann hatte sich von einer kleinen Frau in die Schranken weisen lassen! Das war doch zum Totlachen. Es war ihnen zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar, dass diese kleinen Frauen derartig widerspenstig, zäh und willensstark sein konnten. Aber darin sollten sie sich noch ganz gehörig täuschen.
„Also, was hast du ihr angetan?“, rief Wullix lachend, während das Gelächter der anderen wieder abgeebnet war. Er hatte ja gut Lachen, weil ihm diese Frau gestern bereitwillig und liebevoll bei sich in ihrer Einbuchtung aufgenommen hatte. „Zu mir war sie gestern Nacht ausgesprochen nett gewesen!“, sagte er süffisant und zwinkerte mit den Augen in die Runde.
„Nichts, wirklich nichts!“, schwor Brüllixsohn auf seinen mächtigen Vater, den legendären Häuptling.
Es musste also gestimmt haben, was Wullix berichtete. Die Frauen konnten sehr stark, widerspenstig und durchsetzungsfähig sein..
Wir waren ratlos. Es war so widersprüchlich: heute ist diese Frau lieb und brav, morgen wütend und garstig. Was steckte dahinter? Was führte dazu, dass sie verstimmt waren: Was war die Ursache dafür, dass sie erheitert waren? Rätsel über Rätsel.
Wir seufzten ratlos und eingedenk unserer verbrannten Frauen, die im Gegensatz dazu berechenbar, zugänglich, freundlich, willfährig und immer nett waren. Da gab es überhaupt keine Streitereien und Gezänke, wegen nichts, wirklich kaum etwas.
Krixl, wieder einmal Krixl, kam auf eine absonderliche Idee. Aber dafür war er ja schon bekannt, genauso bekannt, dass seine komischen Vorschläge Erfolg zeitigten. So wurde auch dieser Vorschlag befremdlich aufgenommen. Er gebot den friedfertig Behandelten, zu dieser Frau noch einmal hinzugehen.
Müllix, wohl noch immer schmunzelnd über den erbärmlichen Brüllixsohn, kam doch etwas ins Schwitzen bei diesem Gedanken. Wer weiß, ob sie ihn nicht auch jetzt so behandelte wie sie Wullix behandelt hatte. Ach, diese Frauen waren doch unberechenbar. Da aber Krixl drängte und nicht locker ließ, fügte er sich. Dabei ahnten wir nicht, was in den Frauen vorging, Meixis ging aber am nächsten Abend sehr zögerlich, aber immerhin doch los.
Wir anderen lachten darüber, als er wegwar, weil wir bald mit einem furchtbaren Geheule und Geschreie rechneten, aber als nach einer ganzen Perlenkettenzeit das Tal so friedlich blieb wie immer, verstummten wir doch und wurden nachdenklich. Erstaunlich, unglaublich, wer hätte das gedacht: er kam nicht mehr zurück an diesem Abend bis in der Frühe.
Zunächst vermuteten wird, dass dieser Mann vielleicht besonders beliebt war bei den neuen Frauen. Als er aber des nächsten Abend genauso heulend und verkratzt von einer anderen Frau zurückkehrte, verfielen wir in langes Grübeln.
Was steckte dahinter?
„Nein, das Schreien der Frauen bedeutet nicht Angst. Die Frauen fürchten sich keineswegs vor uns.“, behauptete Krixl. „Was aber dann?“, riefen wir bestürzt. Es musste stimmen, denn der Mann wurde ja in der ersten nicht zurückgeschlagen, sondern freudig aufgenommen. Was bedeutete es aber, dass er in der zweiten Nacht von der zweiten Frau zurückgestoßen worden war?
Es konnte doch nicht sein, dass Frauen einmal von diesem Mann in Panik gerieten, beim nächsten wiederum nicht.
Krixls Stunde war wieder einmal gekommen. Er hielt eine lange Rede, die sehr verwirrend und kompliziert war. Er hatte auch kaum dafür Ausdrücke, für dieses so seltsame Verhalten der neuen Frauen. Der Sinn seiner Rede war folgendermaßen:
„Frauen wollen irgendeinen Mann, einen bestimmten. Keine Frau will keinen Mann mit einer anderen Frau teilen. Kein Mann durfte also einmal mit dieser Frau, dann in der nächsten Nacht mit einer anderen Frau schlafen. Jeder Mann durfte nur mit einer Frau schlafen. Frauen wollten nur einen Mann und jeweils einen bestimmten.“
Es entstaunt ein Raunen unter uns. „Eigenartiges Verhalten. Unglaublich!“, stießen wir aus. Aber was blieb uns übrig. Wir akzeptieren es schließlich, was sollten wir schließlich anderes tun? Wir nahmen uns vor, es hinzunehmen. Vielleicht konnten wir etwas bei günstiger Gelegenheit dagegen unternehmen. Abwarten.
Nur, welchen Namen sollten wir der ganzen eigenartigen Verhaltensweise der Frauen geben? Da wir das alles nicht kannten, hatten wir auch dafür kein Wort. Krixl nannte es in seiner Rede „Treue“.
Dieses Wort verursachte stets lustige Erinnerungen, nämlich das kindliche Geheule dieses wirklich hünenhaften Mannes, wie er aus dem Zwielicht kam und wir kaum unseren Augen trauten. So lachten wir jedes Mal, sobald dieses Wort fiel, aber ob aus Freude oder Wehmut, sei dahingestellt.
Danach verhielt sich jeder dementsprechend. Jeden Abend ging der Mann zu seiner jeweiligen Frau, die ihn schon erwartete. Krixl hatte also recht gehabt.
Dass dies Verhalten von Frauen so wichtig, bindend und streng gehandhabt wurde, ersah man daran, dass es eines Tages sogar passierte, dass sich zwei Frauen gegenseitig angriffen, weil ein Mann den anderen Mann verletzt hatte und der Verletzte derjenige Mann der Angreifenden und der Verletzende derjenige Mann der Angegriffenen war.
So weit ging also Treue gar. Unglaublich!
Dieses Treue-Verhalten ging uns wirklich gegen den Strich. Wenn die Frauen so sehr an ihren Männern hingen, was konnte man aber dagegen tun? Uns gingen die Augen nur langsam und mit der Zeit auf: nichts.