Die Alpträume krochen immer wieder nachts zu ihm. Sie versteckten sich in den Falten der Decke und in seinen zerzausten Haaren. Sie warteten auf einen günstigen Augenblick, ihn wieder zu überfallen.
Doch momentan lag er wach, die Augen offen und der Blick an die Decke gerichtet. Solange er wach blieb, konnten sie ihm nichts tun. Aber das mussten sie auch nicht, denn vor seinem inneren Auge geschah alles ein tausendstes mal, immer wieder und wieder, bis er sein Gehirn ausstellte. Keine Gedanken mehr. Und wenn er gedankenlos zur Decke starrte, dann konnte er die Schüsse fast nicht mehr hören. Die Schreie und das Stöhnen war dann ebenfalls fast verblasst.
Nirgendwo konnte er mit seinen Gedanken hin, denn das Denken an sich war verboten in diesen Zeiten, ansonsten erwies es sich als Fluch und brachte einen von innen heraus um. Erdrückt von der Last, die man mit sich herum trug. Er rieb sich die Augen, sie waren viel zu trocken. Wann hatte er zuletzt geweint? Vermutlich damals, als er ein kleiner Junge war. Oder als sie ihn mitgenommen hatten. Doch danach?
„Nicht ein einziges Mal“, flüstert er leise vor sich hin und ein heiseres Lachen klang durch das Zelt. Sein eigenes Lachen, nicht fröhlich, eher monoton und freudlos. Ein gruseliges Gekicher, das sich anstelle des Weinens in sein Leben geschlichen hat.
Aber wenn das Leben kein Glück mehr bereit hält, warum dann Trauer? Warum sollte man Wasser verschwenden, wenn man in sich sicher weiß, dass es nicht besser wird? Morgen würde er das Zelt, in dem er wach lag und sich nicht zu schlafen traute, verlassen und er würde sein Gewehr in die Hand nehmen und es auf den Feind richten. Schuss, ein Leben beendet. Schuss. Zwei. Schuss. Drei. Und am Abend waren um ihn herum unzählige Tote, die er in seinen Träumen wiedersehen würde. Die ihm ins Ohr schrien, dass er niemals zurück konnte. Dass er sie nicht wieder loswerden würde.
Und sie hatten Recht. Selbst wenn das alles einmal zu einem Ende kommen würde, wäre er immer noch dieselbe zerstörte Person, die der Krieg aus ihm gemacht hatte.
Er wäre immer noch dieselbe verängstigte verwirrte Person, die ihre Gefühle verschlossen hatte, damit sie in ihm nicht immer den Wunsch wachriefen, sich das Leben zu nehmen, um wenigstens einen kleinen Ausgleich zu schaffen. Und das Blut an seinen Händen ließ sich nicht abwaschen. Es klebte fest, fast so, als wollte es ihn immer daran erinnern, was er tat. Was er getan hatte.