Es war, so glaube ich mich zu erinnern, an einem herrlichen Sommertag 1984. Mein Mann Klaus kam von der Arbeit und rief freudestrahlend: "Wir fliegen nach Moskau!" "Aha. Und wann?" fragte ich. "Wenn alles glatt geht nächstes Jahr am 6. März. Der Schiller, unser Chef kümmert sich schon um die Papiere." "Na Klasse! Hoffentlich lassen die uns da wieder weg. Ich kenne euch doch, überall wo ihr im Rudel auftaucht gibt es nur Probleme." wendete ich besorgt ein. "Ach was, die Parteisocke und ihr Frauen kommt ja mit und werdet schon auf uns aufpassen." versuchte Klaus mich zu beruhigen. Besonders erbaut war ich nicht über diese
Reisepläne, da aus Berichten bekannt war, dass man sich in Moskau, gerade in diesen Zeiten, als Tourist nicht unbedingt frei bewegen konnte. Und mit diesem wilden Haufen von Bauarbeitern, wird das bestimmt kein Zuckerschlecken.
Schon bei dem Gedanken, dass wir uns den ollen Lenin angucken müssten und uns dafür stundenlang anstellen sollten, nur um einen Blick auf einen Toten zu erhaschen, da liefen mir eiskalte Schauer über den Rücken.
Pünktlich, zwei Tage vor geplantem Reisebeginn, flatterte das Visum ins Haus. Jetzt hieß es also Koffer packen und ab zum roten
Platz.
Gegen 5.00 Uhr morgens des 6. März trafen wir am Flughafen in Berlin -Schönefeld ein. Circa 20 Frauen und die 30 Männer aus Rostock wollten Moskau erobern. Die Wartezeit bis zum Abflug, zur Mittagszeit, wurde uns durch ein paar Highlights verkürzt. Erst mal hiess es nun für uns, seitenlange Formulare, natürlich lückenlos und wahrheitsgetreu, auszufüllen.
Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, man hätte einfach in unseren Stasi-Akten geblättert und schon hätten wir Zeit und Papier gespart. Nach nur zwei Stunden ging es zur Zollabfertigung. Wir Frauen
durften ohne große Kontrolle durch die Lichtschranke und die Treppe zum Abflug- Gate hinauf schreiten. Unsere Männer kamen um eine Leibesvisite nicht herum. Von der Empore, die genau über den Kabinen lag, und da diese Teile nach oben hin offen waren, hatten wir Mädels die besten Plätze inne und ich sag euch, die heutigen Menstripshows sind ein müder Abklatsch dessen, was uns hier für Lau geboten wurde. Unsere Sahneschnittchen, allesamt vom Bau und im Alter zwischen 20 bis 40 Jahren, ließen nun genüsslich ihre Hüllen fallen, präsentierten uns ihre wohl geformten Körper. Bis auf wenige Ausnahmen, die jedoch auch ihren Spaß daran hatten, ihre
ruhenden Bauchmuskeln den Zollbeamten und der Damenwelt zu offerieren. Bei einer Weigerung wäre ihnen ein Freiflug nach Sibirien garantiert gewesen.
Gleich nachdem wir in den Lüften schwebten, stellten wir mit Entsetzen fest, dass der Pilot wohl erst kürzlich aus einem Kampffluggeschwader gewechselt haben musste. Dem Iwan machte es einen Heidenspaß mit uns durch jedes Wolkenloch und jede noch so kleine Turbulenz zu fliegen. Es fehlte lediglich ein Looping. Der Flug wurde somit zu einer Achterbahnfahrt für Profis.
Die drei Damen, die vor uns saßen, entzückten uns während der zweistündigen Flugzeit mit einem Kanon
von Brecherovka, naja, leider auch geruchsmäßig. Die Tütchen für das Erbrochene bestanden lediglich aus hauchdünnem Pergamentpapier. Klaus schwärmte noch zusätzlich den armen Frauen lauthals von leckerem fetten Essen, wie Eisbein oder Gänsebraten, vor. Oh man, die wurden immer bleicher und mein eigenes Übelsein war vom Lachen wie weggeblasen.
Endlich war dieser Kamikazeflug überstanden und wir landeten wohlbehalten in Moskau, doch als wir das Flughafengebäude verließen, erstarrten wir zu Eissäulen. In Rostock war doch schon Frühling, wo die
Vöglein zwitscherten und die Osterglocken blühten.
Hier in Moskau wurden wir von Väterchen Frost empfangen. Minus 25°Grad zeigte uns das Thermometer an. Was meint ihr, wie schnell wir bei dieser Arschkälte im Bus saßen .
Im Hotel, direkt neben dem Kreml, erfuhren wir, dass dieses schicke Domizil lediglich zur Einnahme der Mahlzeiten dienen sollte. Nach dem Abendessen bezogen wir dann die Kammern eines anderen Hotels. Diese Schlafburg, wie wir es nannten, bestand aus zwei grauen Betonklötzen. In dem Unsrigen, nur für die Bürger der DDR, befand sich, zur Freude Aller, die
einzigste Nachtbar im Umkreis von gut zehn Kilometern. Somit mussten sich die Gäste aus dem zweiten Haus, heimlich des nächstens in unser Hotel schleichen. Heimlich deswegen, weil es die bösen Nachbarn aus der BRD waren.
Die Nachtbar allerdings war der absolute Brüller. Nicht grösser als ein Partykeller in einem deutschen Reiheneinfamilienhaus. Drei kleine Tischchen mit hellblau lackierten Sprelakartplatten standen, umgeben von in leuchtend rot gehaltenen Sitzbänkchen an der naturbelassenen Kellerwand. Zur Beleuchtung dienten ein paar in mühsamer Heimarbeit eingefärbte Glühbirnen. Doch dann kam sie,
eine echte Babutschka, zur geblümten Kittelschürze und dem bunten Kopftuch trug sie die wärmenden Pantoffeln ihres Mannes. Leise mit einem winzigen Eimerchen bewaffnet schlurfte an uns vorbei. Mit ihrem Putzlappen, der wohl noch aus der Zarenzeit zu sein schien wischte sie die Tischchen ab. Beim Wodka "Sto Gramm" der in Strömen durch alle Kehlen floss, schlossen wir gleich am ersten Abend in Moskau Freundschaft mit dem Klassenfeind.
Kurz nach Mitternacht schlichen wir vorbei an den Consierges, die dort auf jedem der Flure als Wachposten saßen, in die Zimmerchen. Die waren so schmal,
dass die Betten nur hintereinander aufgestellt werden konnten. Als Schrank dienten uns zwei Stühle. Schnell wurden noch die Kakerlaken vertrieben und schon schlummerten wir auf den durchgelegen Matratzen. Um 6.00Uhr wurde der Tag, durch unsanftes wecken von diesen Tanten eingeläutet. Warmes Wasser gab es erst ab 8.00Uhr, allerdings stand der Bus schon gegen 7.00Uhr zur Abfahrt bereit. Nun eine Frage stellte sich uns noch. Was zieht man jetzt an? Genau, Zwiebellook! In Moskau erfrieren? Niemals!
Im gut geheizten Bus ging es zum Frühstück. Durfte unsere Gruppe am Vorabend noch die Marmortreppe der
Luxusherberge am Kreml benutzen,
so wurden wir an diesem und an den folgenden Tagen über eine enge Hintertreppe in den Speisesaal geführt. Wir sollten möglichst mit keinem der Gäste aus den Ländern, die hinter dem eisernen Vorhang lebten, Kontakt aufnehmen können. Nach einem reichhaltigen Mahl startete schon das obligatorische Pflichtprogramm. Einige Punkte wurden kurzerhand gestrichen, so auch der Besuch vom Mausoleum. Die Gründe hießen schlicht und ergreifend, Renovierung des Kreml und die Einbalsamierung des alten Revoluzzers. Zur Paradefeier am 10.März sollte alles im neuem Glanz erstrahlen. So besuchten
wir nur ein paar Museen und den vorgeschriebenen Kulturabend anlässlich des 8.März. Dort wurden wir von Balaikaklängen, singenden Löffel-schnitzerinnen und altersschwachen Tänzern einer Kosakenhorde bei Laune gehalten.
Die restliche Freizeit nutzten wir eigenständig zur Erkundung der Stadt. Jede Menge kleine Geschäfte und das altehrwürdige Kaufhaus "GUM" hatten wir Mädels schnell gefunden. Die Verkaufskultur hingegen war besonders damals in Moskau. Ich versuche es mal kurz zu erklären:- Erst brav anstellten, so konnte man in aller Ruhe aus dem dürftigen Angebot auswählen. Nun
bekam man einen Zettel mit der Nummer des Artikels und ging damit zum bezahlen und lernte neue Leute in der Warteschlange kennen. Elektronische Kassen waren verpönt, der Preis wurde flink mit dem Taigarechner ermittelt. Wieder zurück am Verkaufsstand, überreichte die behandschuhte Verkäuferin einem nun das Gewünschte, außer es war inzwischen vergriffen.
Im Kaufhaus "GUM" war die Abteilung für Damen ein Dessouce Traum in altrosa. Man stelle sich eine riesige Sporthalle vor, meterlange Kleider-stangen, bestückt mit altrosa BH's aus dicker gesteppter Kunstseide und die Höschen, knielange Schlüpfer ebenfalls
altrosa und aus angerautem Flanell. Die Herrenabteilung haben wir uns dann doch verkniffen. Wer unter Höhenangst leidet, sollte die Moskauer Metro meiden. Die längste Rolltreppe ist 126 m lang und es dauert circa 5 Minuten bis man unten oder oben ankommt. Die Metrostationen auf den innerstädtischen Strecken hingegen, luden mit ihrer glorreichen Marmorkunst, durchaus zum Staunen ein.
In einer Gruppe von sechs Leutchen gingen wir am 9.März erneut auf Entdeckungstour. Auf dem Rückweg zum Hotel mußten wir feststellen, wir haben uns verlaufen. Und das bei unseren dürftigen Sprachkenntnissen.
Fast allen drückte schon bald mächtig die
Blase. Es wurde dunkel und die Geschäfte und Kaufhäuser waren längst geschlossen. In den anderen Hotels, an denen wir vorbei kamen, wurde uns der Eintritt verwährt. Einen Portier fragten wir, wo es hier öffentliche Toiletten gäbe. Voller Stolz erklärte der Blödmann uns, dass es seiner Regierung endlich gelungen sei, diese Schandflecke aus der Stadt zu entfernen. Wir dachten nur- schöner Mist, und nu?- Er beschrieb uns noch missmutig den Weg und damit war für ihn das Gespräch beendet. Maik, ein Kollege von Klaus, hatte schon einen hochroten Kopf und meinte er bekäme gleich einen Blasensprung.
Endlich fanden wir eine dunkle Ecke.
Zur Deckung stellten wir uns vor ihn und vergewissert uns nach allen Seiten, das ihn niemand sehen könnte.
Gerade ließ er seinem Bedürfnis, unter erleichternden Stöhnen, freien Lauf, da standen sie plötzlich vor uns; Zwei, bis an die Zähne bewaffnete, Genossen der Moskauer - MILIZ ! Wir wechselten alle sofort die frostgerötete Gesichtsfarbe auf kalkweiss und Kopfkino der grausamsten Art lief bei jedem ab: Sibirien oder nur Zwangsarbeit auf einer Kolchose. Maik fand als erster die Sprache wieder und stotterte verzweifelt mit erhobenen Händen:" I' have bolschoi Drug!" Die Polizisten starrten ihn und seine offene Hose nur entgeistert an,
klopften ihm mitleidig auf die Schultern und erwiderten unter schallenden Gelächter auf den Schritt schauend: "Njet ty maljenkij Drug! "
Hier eine kleine Lektion. Maik wollte sagen: "Ich habe großen Druck auf der Blase." Die Milizer verstanden: " Ich habe einen grossen Freund!" Das Wort "Drug" bedeutet im russischen Freund. Als sie seinen Winzling erblickten, war nun ihre Antwort:"Nein du hast einen kleinen Freund." Wir hatten es inzwischen auch kapiert und sein "kleiner Freund" war wirklich kaum noch zu sehen, wohl auch kein Wunder bei 30 Grad unter Null. Und jetzt stand allerdings der Rest der Truppe
lachend mit gekreuzten Beinen da. Die beiden lustigen Typen liessen uns laufen, zeigten uns sogar noch den richtigen Weg zum Hotel. Wir waren gerettet und konnten uns auf die große Party am nächsten Tag freuen.
Am 10.März saßen wir dann gut gelaunt am Frühstückstisch bis der Schiller uns zu verstehen gab, ruhig auf unseren Plätzen zu sein und auf jeden Fall sitzen zu bleiben. Ungläubig fragten wir nach dem Grund, da erschien auch schon der Hoteldirektor im Saal. Mit ernster und leidender Mine verkündete er uns, das dieser Konstantin Ustinowitsch Tschernenko, das großartige Staatsoberhaupt der UDSSR, in der
Nacht das Zeitliche gesegnet hätte. Weiterhin betonte er, dass ab sofort Staatstrauer gelte und alle Festivitäten abgesagt wären.
Und die Sowjets haben ordentlich getrauert. Mucksmäuschenstill wurde es im sonst so quirrligen Moskau, wie in einer Geisterstadt aus einem Western. Überall fuhren nur Militärpatrouillen und Panzer.
Eigentlich sollte an diesem Tag irgendeine Parade auf dem roten Platz stattfinden und es war purer Zufall, das wir gerade zu dieser Zeit in Moskau weilten. Doch unsere Abschlussparty!, die auf solchen Reisen schon zur Tradition gehörte. - Einfach
abgesagen?Nicht mit uns! So schnell lassen sich die Jungs vom Bau das Feiern nicht verbieten. Kurzerhand wurde alles für einen zünftigen Umtrunk auf den Zimmern organisiert. Den Chef und die rote Socke hatte aus verständlichen Gründen niemand dazu eingeladen. Verteilt auf mehrere Hotelzimmer, jede Menge Wodka für die Männer und Krimsekt für uns Mädels, konnte sie nun starten unsere
Flüsterparty am Kreml.
Auf den Fluren waren Soldaten mit Kalaschnikows postiert und die sahen nicht danach aus, als wollten die mitfeiern.
Trotzdem brannte bei uns die Luft. Leise
summten wir verbotene Rocksongs und spielten dazu Luftgitarre, einer versuchte es sogar mit dem Luftarkkordeon, wir schunkelten und tanzten schweigend. Natürlich trieb uns die Neugier auch zu den Nachbarn. So schlichen wir auf leisen Sohlen, wie bei einer Polonaise, rüber. Neue und alte Witze wurden zum Besten gegeben. Hatte doch jemand mal vergessen wer vor den Türen stand, dem wurde sogleich von mehreren Händen der Mund zugehalten. Kein Auge blieb bei dieser verrückten Party trocken. Und manch einer hatte darum Mühe am nächsten Tag noch eine saubere Unterhose zu finden.
Am Abreisetag, waren wir heilfroh, als
das Flugzeug sich in die Lüfte erhob und uns nach Hause und vorallem zu den Schmetterlingen zurück brachte.
Tschernenko war nur 13 Monate im Amt.
Der nachfolgende Staatschef wurde dann,
Michail Sergejewitsch Gorbatschow!