Stein der Weisen
Da lag er nun, überdrüssig des Lärms und der Verseuchung des Umfelds der Städte durch die Abfälle der Zivilisation. Schon jetzt sah die Stadt wie viele andere Städte wie eine Müllkippe aus. Dabei galt sie noch als eine der Saubersten.
Die Zukunft sah düster aus. Doch viele Menschen seiner Zeit erkannten dies einfach nicht. Sie glaubten daran, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft im All siedeln würden und damit alle Probleme der Gegenwart aus dem Weg gehen würden.
Das Müllproblem würde zurückgelassen werden auf einem verseuchten Planeten. Dass ihre Wiege damit auch vergessen sein würde, von ihnen selbst verleugnet, zählte in ihren Augen nicht.
Doch diese Vorstellungen waren bloße Illusion, dessen war er sich bewusst. Auch er erkannte nur einen kleinen Teil des Gesamten, aber er erkannte genug, um davon zu sprechen. Doch lange würde man auf dem vermüllten Planeten nicht mehr durchhalten. Eines Tages würde dann die Natur mit ganzer Härte zurückschlagen.
Er lag auf der künstlichen grünen Wiese, gern als ein Liebesnest genommen im Dschungel der Großstadt.Aber ihm war nicht nach Liebe zumute, sondern dachte mehr über das nach, was ihm umgab und sein ganzes Leben beeinflusste.
Auch diese laue Sommernacht brachte ihn nicht von den Gedanken ab.
Das samtene Kunstgras lud immer zum Träumen ein. Dieses Mal ließen sich sogar einige Sterne erkennen, bei dem Smog der Stadt schon eine absolute Seltenheit. Aber auch jene konnten seine brennenden Fragen nicht beantworten und leuchteten nur starr und kalt zu ihm hinunter.
Sie verrieten aber auch die Unfähigkeit des Menschen, zu ihnen zu reisen, um sie zu erforschen und eine Lösung der Probleme auf der Erde zu finden. Allerdings war es sehr fraglich, ob sie überhaupt eine derartige Lösung bieten konnten. Er zweifelte gehörig. Das Verlassen der Welt war, ist und würde auch in Zukunft eine Illusion bleiben. Da konnte man forschen, wie man auch immer wollte, aber eine Lösung würde sich nur sehr schwer finden lassen.
***
Plötzlich schreckte er hoch. Ein kalter Schauer überfuhr seinen Nacken. Im nächsten Moment hörte er ein pfeifendes Geräusch.
Er musste über seine Grübeleien eingeschlafen und durch das Geräusch aus dem Schlaf wieder erweckt worden sein.
Doch woher kam es?
Es schien direkt über ihm zu sein. Als er in den Himmel hinauf schaute, erblickte er eine dunkle Masse, welche das diffuse Licht der Sterne verdeckte.
Für Wolken war diese Masse viel zu tief. Die konnten es nicht sein.
„Fremde Besucher“, durchzuckte es ihn dann. Und sofort kamen in ihm Bilder eines Filmes hoch, in dem Aliens sich die Welt auf brutale Art untertan machten. Hatten diese Masse das Gleiche vor?
„Nein!“ Das konnte nicht sein. Doch da umgab ihn bereits ein grelles Licht und ließ ihn nicht mehr los. Keine Chance zur Flucht wurde ihm gelassen. Er war dem Licht der Fremden ausgeliefert.
Dann wurde er durch das Licht emporgehoben. Das Licht zog ihn hoch, immer mehr der grauen Masse entgegen.
Dann zog ihn die unbekannte Kraft in das Innere der Masse.
Das Licht verschwand und er befand sich stehend auf dem Fußboden in einem fremdartigen, weißgetünchten Raum, der ziemlich steril auf ihn wirkte.
Der einzige Fremdkörper, der neben seiner Person die Perfektheit des Raumes störte, war ein roter pulsierender Kreis an der Decke. Es schien eine Art Seuchenschutz zu sein. Eine Vorkehrung, die Keime abzuhalten, die er möglicherweise mitbrachte.
Nach einigen Minuten war das Prozedere abgeschlossen und ein fremdes Wesen kam in den Raum.
Er hatte Angst vor dem Wesen. Denn es sah so unsagbar anders als ein Mensch aus. Zudem wusste er immer noch nicht, was die Fremden von ihm wollten. Was hatte er von ihnen zu erwarten?
Der Alien kam auf ihn zu.
Da sah er, dass es unbewaffnet war. Lediglich einen schwarzen, nicht sehr großen Stein hielt er in einen seiner unzähligen, tentakelartigen Gliedmaßen, die wohl eine Art Hände darstellten.
Doch vielleicht war auch gerade dieser schwarze Gegenstand eine Waffe! Warum sollte es nicht so sein? Das Wesen war schließlich auch so andersartig.
Er wusste es nicht.
Nach einigen Momenten war das Wesen bei ihm.
Dann streckte es die Hand mit dem schwarzen Gegenstand, den Stein ihm entgegen. Er sollte ihn wohl an sich nehmen.
So fremdartig es war, böse schien es nicht zu sein.
Das Alien nickte ihm aufmunternd zu. Zumindest verstand er die Geste des Wesens so. Er nahm den Stein in die Hand und steckte ihn dann in seine Hosentasche.
Das Wesen nickte ihm noch einmal zu, dann wandte es sich ab und verließ den Raum genauso schnell, wie es gekommen war.
Wie würde es weitergehen, überlegte er.
Doch er brauchte gar nicht lange überlegen. Denn es ging einfach nicht weiter. Die Übergabe des Steines schien der gesamte Kontakt der fremden Wesen mit ihm als Mensch gewesen zu sein.
Um ihn schloss sich das Licht und er wurde von den merkwürdigen Strahlen zurück auf den Kunstrasen gebracht. Danach verschwand das Licht. Und auch das Raumschiff, jene undefinierbare graue Masse, entfernte sich mit dem pfeifenden Geräusch.
Damit war die gesamte Begegnung zu Ende gegangen und hinterließ bei ihm eine Menge an Fragen, deren Antwort er nicht kannte.
***
Hatte er die ganze Sache etwa nur geträumt? Hatte ihm sein eigener Geist einen Streich gespielt? Oder war es doch die Wirklichkeit gewesen?
Ganz schnell ließ sich das für ihn herausfinden, denn da war ja der merkwürdige schwarze Stein, den er vom fremden Wesen überreicht bekommen hatte.
Er fasste in die Hosentasche, in der er glaubte, den Stein versenkt zu haben.
Und tatsächlich ertaste er dort einen Gegenstand.
Der Stein!
Da war klar, dass er nicht geträumt hatte und die ganze surreale Begegnung tatsächlich stattgefunden hatte.
Doch welche Bewandtnis hatte der Stein? Das fremde Wesen hatte ihm ihn ja nicht umsonst überreicht. Er stellte sich diese Frage immer wieder, doch eine Antwort fand er zunächst nicht darauf.
Dann kam ihm die Idee, den Stein einfach mal aus der Tasche zu holen und näher zu betrachten, auch wenn es im fahlen Licht der Sterne sicher nicht sehr viel bringen würde. Vielleicht ließ sich aber so mehr erfahren.
Er holte ihn aus der Tasche und ließ ihn dann offen auf der Hand liegen. Und dann schien tatsächlich etwas vorzugehen!
Eine Stimme aus dem Stein, sie sprach zu ihm. Doch waren es keine offenen und laut hörbaren Worte, sondern eine reine Übertragung in Gedanken. Und so erzählte ihm die Stimme von der grausigen Zukunft der Erde, die schon längst begonnen hatte. Noch würde es eine ungeschriebene Geschichte sein, der man würde entgegenwirken können. Doch bald, so mahnte ihn die Stimme, wäre alles zu spät und die Erde und alle auf ihr lebenden Wesen verloren.
Ihm wurde Schreckliches offenbart. Er konnte es sich nicht mal in seinen schlimmsten Albträumen vorstellen. Die Stimme ließ in ihren Darstellungen nichts aus. Zudem zeigte sie zusätzlich grausame Bilder und Videoclips in seine Gedanken, die ihn in seinem tiefsten Inneren erschütterten. Ein absolutes Grauen schien die Erde zu erwarten.
Eine Zukunft ohne Zukunft!
Was er da nun besaß, konnte man vielleicht den Stein des Weisen nennen. Ob jener es jedoch tatsächlich war, darüber ließe sich mit Bestimmtheit streiten. Da konnte man geteilter Auffassung sein.
Aber für sich hatte er es als seine Feststellung, seine eigene Erkenntnis beschlossen.
Doch wer waren die Wesen gewesen, die ihm die diese Erkenntnis gebracht hatten?
Waren sie Abgesandte Gottes, waren sie selbst Götter oder nur einfach durch den Raum fahrende Wesen, die ein Gespür für den Verlauf der Zukunft einer ihnen fremden Rasse haben?
Eine Antwort darauf ließ sich für ihn nicht finden. Aber ihm war bewusst, dass er die Wahrheit nun verbreiten musste. Er war dazu verdammt, über seinen eigenen bequemen Schatten zu springen. Zu offenbaren, was ihm offenbart worden war.
Die Menschen und ihre Welt hatten trotz aller Probleme eine bessere Zukunft verdient. Das stand für ihn außer Frage. Und er war dazu auserkoren worden, das Schicksal der Erde zu ändern.
Eine große Aufgabe, die viel Kraft und Energie erfordern würde.
Die Wesen waren so etwas wie die Ankunft des Messias, dem Vollkünder. An ihrer Stelle sollte er als Mensch dieses schwere Amt übernehmen. Und er würde es machen, das stand völlig außer Frage. Es hatte nur noch eines kleinen Anstoßes bedurft, um ihn zu mehr zu bewegen, als nur über die Zukunft der Welt zu sinnieren. Ganz gewiss war er sich dessen sicher, dass man ihm den Glauben schenken würde, den man den Fremden gleichzeitig versagt hätte.
Diese schwere Bürde musste nun sein Leben sein, aus dem es kein Entweichen mehr gab. Der Stein, er sollte sein Lehrmeister werden. Er allein besaß das gesamte Wissen, das notwendig war, um die hehren Ziele zu erreichen.
Er verstand die Gedanken des Steins.
Es war egal, ob er den Stein der Weisen darstellte oder nicht. Es war auch egal, ob er als Messias angesehen wurde oder nicht. Es galt, die Botschaft der Fremden und ihres schwarzen Steins zu verbreiten und die Erde einer glücklicheren Zukunft entgegenzubringen.