Die Patrouille ist unvorsichtig, tolpatschig. Vermutlich recht jung, gerade erst zum Dienst einberufen. Allein hier im Wald, um diese Tageszeit, das hätte ein erfahrener Kaiserling nie gewagt. Ich weiß nicht was er zu finden hofft, aber er ist gut ausgerüstet, das silbrig glänzende Gewehr mit den blauen Ornamenten ist selbst von hier oben im restlichen Sonnenlicht des sterbenden Tages noch gut zu erkennen.
Lang ist es her, das sich eine Patrouille so weit hinaus gewagt hat, die Kaiserfamilie ist darauf bedacht, ihre Truppen fest zusammen zu halten, meist in den großen Garnisonen rings um Lauriton. Also hat er einen Auftrag, eine Mission? Unwahrscheinlich, hier draußen gibt es nichts als endlose Wälder, nicht einmal Dörfer oder armselige Ansiedlungen von denen man Steuern erpressen oder die man von der Landkarte tilgen könnte. Lediglich ein Paar alte Ruinen, vom Krieg zerfressene Straßen und Wege die man nur mit einem Hoover passieren kann, wenn überhaupt.
Das der arme Kerl es tatsächlich bis hier her geschafft hat auf seinem Stahlross, zeugt von erstaunlichem Fahrgeschick oder einer unverschämten Portion Glück. Sicherlich hatte er beides, nur das Letzteres ihn gleich verlassen dürfte, wenn er sich noch weiter in den Wald hinein wagt.
Die vergangenen Monate waren ruhig, von ein paar wenigen, aber dafür außergewöhnlich brutalen Scharmützeln abgesehen. Mehr eine Patt-Situation, in der man sich stillschweigend auf eine Art losen Waffenstillstand geeinigt hat, als wirklich noch ein wütender Krieg. Wir nähern uns nicht den Städten, und sie senden ihre Späher nicht in unsere Wälder. Das es nicht von Dauer sein würde, war beiden Seiten klar, dazu frisst sich der Krieg schon viel zu lange durch dieses Land. Nun hat die Kaiserin also wieder einen Handlanger aus geschickt, um die Lage zu sondieren. Einen einzigen? Sind ihr die Getreuen ausgegangen, mangelt es den lauritanischen Familien plötzlich an Nachwuchs?
Mittlerweile hat er sich bis fast unter den Baum herangepirscht, auf dem ich Stellung bezogen habe. Wüsste er über uns Bescheid, ein wenig mehr wenigstens, hätte er schon längst einen Blick in die Wipfel gewagt, die ihn von allen Seiten einkreisen. Aber nein, er geht unbeirrt gerade aus, sieht sich nur hin und wieder unsicher nach den Seiten um, und folgt dem kleinen, ausgetretenen Pfad durch den Wald. Fast schon wie ein Opferlamm, welches man mit einem gekonnten Fußtritt in die Höhle des Drachens schubst, um zu erfahren, ob er gerade hungrig ist.
Das alles in voller, kaiserlicher Montur, die schwarzen Lederstiefel auf Hochglanz geputzt, der blau-gelbe Anzug in leuchtenden Farben, als käme er gerade frisch vom Schneider. Seine vermutlich recht ausufernde Lockenpracht wurde zu einem Pferdeschwanz zusammen geknotet, ein etwas verzweifelter Versuch, sie notdürftig in Zaum zu halten. Einen Helm trägt er nicht, ungewöhnlich, der gehört eigentlich zur Standart-Ausrüstung. So gibt er eine leichte, weithin sichtbare Beute ab, nicht nur für mich. Der Wald hier ist voll von Tieren, für die ein Mensch nur ein leckeres Abendessen verheißt.
Warum also ist er allein hier draußen? Im Normalfall kein Problem, ein einzelner Soldat, ignorierenswert, kein Grund für ein Blutvergießen. Läge dort hinten im Dickicht nicht ein kleines Lager, in dem noch eine herrliche Cerlon-Suppe auf dem Steamer steht, und gemächlich ihrer vollen Pracht entgegen brodelt. Mein Lager, nur wenige Schritte entfernt, bald schon in Sichtweite, wenn er das Tempo beibehält.
Es wäre leicht ihn von meiner Position aus zu töten. Ein lautloser Schuss schräg von oben durch die Halsschlagader, sauber und schnell, wie immer. Das er keinen Helm trägt, würde das ganze sogar noch einfacher machen. Der Tölpel hätte nicht einmal mehr Zeit seinen COM zu benutzen, um Verstärkung zu rufen. Sicher, sie würden irgendwann nach ihm suchen kommen, andere Tölpel aussenden, aber dann wäre ich schon längst verschwunden, weiter gen Westen, der alten Luri-Straße auf der Spur, raus aus dieser Hölle. Ein Toter mehr oder weniger der ausgeblutet an einem Baumstamm lehnt, wen schert das noch, er wäre nur einer von Tausenden. Millionen.
Dennoch wage ich es noch nicht, ihn an zu greifen. Er soll eine Chance erhalten, sein Vorhaben zu überdenken, sich wieder auf sein blankgeputztes Edelstahl-Ross zu schwingen und zu verschwinden, damit er seinem Vorgesetzten berichten kann, das er nichts Verdächtiges gefunden habe. Aber das eigenartige Gefühl, das hier etwas nicht stimmt, lässt mich nicht los, hängt wie eine große Glocke über der kleinen Lichtung, welche unaufhörlich schrillt.
Er wird langsamer, vorsichtiger. Hat er etwas gehört? Wieder schaut er sich um, hektischer, und endlich wandert sein Blick auch in die Bäume. Da man in einer Mukka-Krone aber locker ein ganzes Pferd verstecken könnte, mit samt Reiter, Gespann und Gefolge, müsste er schon die Augen eines wilden Adlers besitzen, um mich hier oben in der Abenddämmerung zu entdecken. Allerdings gleitet sein Blick auch nur ganz kurz durch die Wipfel meines Baumes und heftet nun an einer nicht weniger dicht belaubten Krone auf der anderen Seite des Weges. Hat er dort etwas entdeckt? Er dreht mir nun den Rücken zu, eigentlich ein idealer Moment zu schießen, einen Besseren werde ich sicherlich nicht bekommen.
Plötzlich höre ich das Sirren eines Pfeils, fast lautlos, aber scharf und schnell. Es kommt aus dem Baum, den die Patrouille gerade noch angestarrt hatte. Ehe ich genau registrieren kann, was geschehen ist, taumelt der Mann schon nach hinten, stößt elendige, kurzatmige Schmerzschreie aus und hält sich zitternd die Schulter. Wem immer dieser Pfeil auch gehören mag, er ist ein schlechter Schütze, ein erbärmlicher. Scheinbar hat das Geschoss die Schulter durchschlagen, denn es ragt auf der anderen Seite blutverschmiert heraus und macht keinerlei Anstalten seinen neuen Platz wieder auf zu geben, egal wie sehr das Opfer auch daran herum zerren mag. Widerhaken, ohne Zweifel, das ist die Handschrift von Paolo´s Gruppe, oder auch Marin´s. Ich halte davon nichts, barbarisch, langsam, schmerzvoll. Unnötig schmerzvoll.
Sein Taumeln wird nun immer chaotischer, ein zäher Bursche, dass muss man ihm lassen, Andere wären schon längst gestürzt, aber er hält sich wacker auf den Beinen. Vom Baum gegenüber dringt ein kurzer, hoher Schrei zu mir herüber, fast ein Kampfessschrei möchte man meinen, wild, verwegen und dennoch schwingt darin unverkennbar Angst mit. Augenblicke später sehe ich wie sich aus dem Zweigen ein Mädchen, vielleicht auch schon eine junge Frau, herab lässt, etwas unsicher Stand findet auf dem rissigen, von Wurzeln durchzogenen Waldboden und ihre Armbrust mit beiden Händen umklammert. Eine Coccio wie es scheint, sehr seltenes Holz, sehr lang schon nicht mehr im Einsatz gesehen, eine Waffe aus einer anderen Zeit. Mir schwant nichts Gutes. Wo kommt sie her? Lauert sie schon länger dort? Warum ist sie mir nicht auf gefallen?
Mittlerweile hat sie sich gefangen, ihr Gesicht ist feuerrot, die Augen fast schwarz, angefüllt mit Mordlust und Hass. Das wilde, fast weiße Haar fällt ihr immer wieder ungestüm ins Gesicht, aber das scheint sie nicht zu bemerken. Ihr Ziel taumelt fast gelähmt vor Angst weiter nach hinten, im gleichen Augenblick hebt sie ihre Waffe, legt einen weiteren Pfeil ein und zielt.
JanosNibor Den ersten Teil verpasst? Keine Ahnung worum es geht? Dann einfach hier nachlesen: http://www.buch-schreiben.net/kurzgeschichte/lesen2.php?story=91531 Viel Spaß! |