Kurzgeschichte
Der Sprung aus dem Flugzeug

Der Sprung aus dem Flugzeug
 

Wie kann man seine Höhenangst am besten überwinden? Mit einem Sprung aus dem Flugzeug, natürlich mit Fallschirm, und einem erfahrenen Tandem Instruktor!

„Das kriegst du schon hin mein Schatz! Schliesslich ist es ein Tandemsprung, du fliegst also nicht alleine durch die Lüfte!“ Alleine? Da wäre ich ja die geborene Katastrophe!

„Jaa…“ hauchte ich wenig überzeugt. Mit zittrigen Knien sass ich auf der roten Bank im Flughafen Beromünster im Kanton Luzern. Obwohl die Sonne ihre sommerliche Hitze verströmte, schlugen meine Zähne klappernd aufeinander. Es roch nach Kerosin, Pommes frites und ein wenig Angstschweiss. Du meine Güte! Auf was habe ich mich hier nur wieder eingelassen?! Ich wollte beweisen das ich eine grosse, starke, lernfähige Frau bin die es wagt, über ihren riesigen Schatten der Angst zu springen! Na toll! Jetzt hatte ich den Salat!

„Kannst du jetzt aufstehen Conny? Der Pilot scheint parat zu sein, und die Theorie hast du ja auch durch!“ fragte mein Mann. Seine Stimme klang sehr weit weg, in meinen Ohren rauschte das Blut.

Nichts hab ich durch! Der Instruktor war ein muskelbepackter Strahlemann, auf stämmigen Beinen, jedem Abenteuer gewachsen. Furcht war für ihn ein Fremdwort. Vor Nervosität hatte ich ihm kaum zugehört, als er mir da cool seine Anweisungen gab. Sondern nur in sein gebräuntes Gesicht gestarrt, seine leicht schiefe Nase gemustert und die blond gesträhnten, wilden Locken die im luftig in die hohe Stirn fielen. Sam schaute mich an, aus meerwassergrünen Augen, die goldig gesprenkelt waren, als könnte die Sonne bis auf deren Grund leuchten. Am liebsten hätte ich mich in diesen Tiefen ertränkt.

„Hast du noch Fragen?“ fragte er mich mit seiner tiefen, rauen Stimme die mir einen angenehmen Schauer den Rücken hinunter jagte. Ich lächelte tapfer, schaute zu ihm hoch und schüttelte sprachlos den Kopf.

Der Wind wehte mir meine seidig langen Haare ins Gesicht. Ich spürte wie meine Halsschlagader fest pulsierte und das Herz wild gegen meine Rippen hämmerte. Mit puddingweichen Beinen schleppte ich mich schlafwandlerisch meinem Mann nach in Richtung Flugzeug. Vor dem Pilatus Porter PC-6 blieben wir stehen. Sam klopfte mir aufmunternd auf die Schultern und meinte grinsend zu meinem Mann: „Ich bringe ihren süssen Hintern schon wieder heil auf die Erde zurück!“ Dann verschwanden wir mit ein paar anderen Flugwilligen im Bauch des Fliegers.

Wie in Trance erlebte ich, wie das Flugzeug in den saphirblauen Himmel aufstieg und schnell an Höhe gewann. Sams Witze und seine heitere Stimmung vertrieben mir ein wenig die Angst. Zwischendurch drückte er mir kurz die Hand, oder legte beschützend einen Arm um meine Schultern. Wäre ich nicht so in einer angespannten Extremsituation gewesen, wären eventuell romantische Gefühle in mir hoch gekrochen.

Sam und ich waren fest zusammen verbunden. Ich spürte seinen starken Körper hinter mir, als wären wir ineinander verwachsen. Die Pilotin meldete die Höhe von 4'000 Metern und wünschte uns einen herrlichen Flug. Mein Körper schüttete eine riesen Ladung Adrenalin aus, als Sam und ich aus der offenen Flugzeugtüre ins Nichts hinaus sprangen. Der Schrei blieb mir in der Kehle stecken. Die Freifallgeschwindigkeit raubte mir den Verstand, den Atem, den Herzschlag. Es war als würde ich glücklich sterben, mich in einem Luftstrudel auflösen, in eine Ewigkeit hinein zwirbeln, während wir der Erde entgegen rasten. Ich hörte das wahnsinnige Rauschen, das 1000mal stärker war als mein Blut. Spürte den Wind der an meinen Wangen prickelte wie millionen feine Nadelstiche, doch süss und unglaublich zärtlich. Das Glück umschlang mich und befreite mein Herz mit zarter Liebkosung in den wolkenlosen Himmel. Sam zog nach 50 Sekunden die Reissleine, ein sanfter Ruck, und wir schwebten friedlich und in inniger Harmonie durch die Luft. Vergassen Raum und Zeit, jede Sekunde fühlte sich an wie eine Stunde voller Farben und Glück. Ich lachte und fühlte mich unglaublich frei und betrunken. Unter uns tauchte die Landewiese auf, saftig grünes Gras, auf dem wir sanft mit den Füssen aufsetzten. Meine Knie sackten unter mir weg und ich landete lachend auf meinem Po in den Gräsern. Wie das fächerförmige Rad eines Pfaus, stürzte der Fallschirm hinter uns raschelnd in sich zusammen. Sam hatte sich von mir gelöst und stand nun zufrieden grinsend vor mir und reichte mir seine starke, sehnige Männerhand. Ich liess mich von ihm auf die Beine ziehen und kam mir vor wie ein neugeborenes Fohlen, das gerade laufen lernt. Ich strahlte Sam an aus glücklich funkelnden Augen, und brachte nur ein stotterndes „Danke“ über die Lippen. Er drückte mich kurz an seine breite Brust und strich mir lachend eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Das hast du prima gemacht, Conny! Und deine Flugangst hast du damit bestimmt überwunden!“

Ich grinste noch den ganzen Tag über, als wäre ich auf Drogen. Die Sonne hatte für mich nie heller geschienen als an diesem Tag!
 

Conny B.