Beschreibung
Mein Beitrag zu Storybattle 24. Diesmal aus der Sicht eines Fanatikers. Wenn ich auch fürchte, dass sie ebenso extrem wie wirr geraten ist.
Die vorgegebenen Wörter wurden abgesehen von "Gretchenfrage" verwendet. Der Joker besteht im Satz "Der Tod macht den Tag erst lebenswert" aus "Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt".
Verblendung
Während die Limousine langsam vor dem Gerichtsgebäude vorfuhr, starrte General Bram aus dem Fenster auf das Meer der Journalisten und Schaulustigen, die sich unter einem Dach aus Regenschirmen tummelten. Bedächtig rannen Regentropfen über die Scheibe, verschmolzen zu einem FLUSS, der ihm ewig schien, unendlich, dass sein Blick ihm voller Sehnsucht folgen musste.
Der Anblick schmetterte ihm einmal mehr die Erkenntnis der eigenen Endlichkeit entgegen, ein gallbitteres Wissen darum, dass alles einst versanden musste. Er starrte durch die NEBELWAND, die die Menschenmasse umschlang, auf die blasse Silhouette des Gerichtsgebäudes, welches sich dahinter emporreckte.
Hier endet meine Zukunft, sprach er voller Bedauern, das jedoch nicht ihm selbst sondern dem gesamten Rest der Menschheit galt.
Der Wagen hielt und er inspizierte ein letztes Mal den Sitz seiner nachtschwarzen Uniform, wobei ihm das silberne Dekor entgegenfunkelte.
Tadellos, stellte er fest, worauf ihm nur noch die Aufgabe blieb, zu warten.
Warten, bis die Polizisten kämen, um ihn wie einen Schwerverbrecher durch die Menge zu eskortieren. Ohne Reue blickte er auf seine mageren Hände, aus denen die Sehnen wie Drahtseile hervorstachen.
Mancher würde sagen, es klebe Blut daran.
Er schüttelte den Kopf, denn obwohl er den Tod unzähliger Menschen zu verantworten hatte, empfand er…zumindest keine Schuld.
Die Wagentür wurde geöffnet, der Wind peitschte den eisigen Regen in sein Gesicht, Blitzlicht blendete seine Augen, Fragen über Fragen hämmerten auf ihn ein, obgleich sie, wie allein er wusste, alle sinnlos gestellt wurden. Er würde keine davon beantworten.
Den vier Polizisten, die ihn die letzten Meter zum Gericht eskortieren sollten, warf er einen Blick voller Verachtung zu. Etwas anderes schien auch die Menge nicht für ihn zu empfinden, doch welche Beschimpfungen sie ihm auch entgegenspuckten, er stemmte seinen Stolz dagegen und durchschritt die Reihen mit hocherhobenem Haupt.
Sie wissen gar nichts, zischte er in Gedanken, Sie haben nicht gesehen, was ich gesehen habe. Niemand…
Er trat über die breiten Stufen durch das verglaste Portal, hinter dem zwar der Regen endete, aber immer noch die Kälte flanierte. Unzählige Robenträger wuselten umher, warfen ihm Blicke zu, die sagten, dass seine Zeit und Macht hier enden würden. Erneut wurde ihm bewusst, dass der ganze Prozess eine Farce war, die förmliche Verkündung einer Entscheidung, die längst gefallen war. Man würde nicht nach Tatzeit, ALIBI oder Motiv fragen, sondern eine Ideologie zu Grabe tragen.
Als er den Gerichtssaal erreichte, ebbte das Gemurmel ab, das ihn bis dorthin umschwirrt hatte. Obwohl sich dort nicht weniger Anwälte, Journalisten und Zuschauer aufhielten als in den Vorsälen, regierte Totenstille, während er zur Anklagebank marschierte. Den fünf Richtern, die über ihn urteilen würden, hätte er am liebsten voller Häme salutiert, dennoch zog er es schließlich vor, sich auf seinem Stuhl niederzulassen, die schwarze Schirmmütze auf dem Tisch vor sich abzulegen und einem jeden, der es wagte, ihm ins Gesicht zu sehen, einen Blick entgegenzuschleudern, aus dem nur Kälte sprach.
Auf der rechten Seite des Saals erhob sich eine junge Staatsanwältin, der das schulterlange, blonde Haar auf die schwarze Robe fiel, unter deren Kragen eine PERLENKETTE wie tausend Tränen funkelte.
Wie überaus passend, dachte General Bram, während er unter ihm erneut die Grube endloser Trauer aufriss, dass er sich mühen musste, nicht hineinzustürzen. Nur die Resignation hielt ihn in diesem Moment aufrecht, indem sie selbst die Trauer überflüssig machte.
Alles ist entscheiden, meine letzte Schlacht ist längst geschlagen.
Die Anklageschrift wurde verlesen, wobei er jedoch kaum noch zuhörte, kannte er doch alle, in seinen Augen, anmaßend schwachsinnigen Punkte, die man gegen ihn anführte. Lediglich als die Staatsanwältin das Wort Insubordination in den Mund nahm, horchte er lachend auf, denn es klang so, als hätte sie es nie zuvor ausgesprochen.
Insubordination…jemand, der der Meinung ist, das ganze Militär müsse aufgelöst werden, kann mir gar keine Befehle erteilen!
Plötzlich stach ihm die Ironie entgegen. Nie hatte er gezögert, eine Waffe abzufeuern, doch das eine Mal, als man ihm geboten hatte, sie abzulegen, war er dazu nicht in der Lage gewesen. Das Parlament hatte das ganze Militär auflösen wollen. Man sei schließlich kein Barbarenstaat und Kriege würden ohnehin nicht mehr geführt, zumindest nicht mehr in einer Weise, die von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Alle hassten die Männer und Frauen mit ihren Gewehren, ihren
Uniformen, ihrer Hierarchie, die niemals hinterfragten, was sie taten.
Sie wissen nichts, donnerte es erneut durch seinen Geist, Sie haben nicht gesehen, was ich gesehen habe. Niemand!
Wohin er auch blickte, ob auf Journalisten, Anwälte, Richter oder Zuschauer, aus allen Gesichtern starrten ihm Abscheu und Unverständnis entgegen. Doch auch er verstand nicht; verstand nicht, warum sie alle nicht nachvollziehen konnten, dass zerstückelte Kinder, vergewaltigte Frauen, abgeschlachtete Volksstämme, ethnische Säuberungen und gefolterte Kombattanten keine Ungerechtigkeit waren, die man mit wirtschaftlichen Sanktionen auch nur ansatzweise vergelten konnte.
Während die Staatsanwältin ihre Anklagepunkte herunterrasselte, zuckten laufend seine Mundwinkel und sein Geist brannte danach, jene eine Wahrheit herauszuschreien, die ihn die gnadenlose Welt gelehrt hatte:
Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Blut.
Doch er biss sich auf die Zunge und schwieg, obwohl er sich im selben Augenblick nach dem Warum fragen musste. Welchen Grund hatte er noch, es ihnen nicht entgegenzuschreien? Hätte er einen sang- und klanglosen Untergang gewollt, er hätte seine Waffe
widerstandslos abgeben können. Das hier hingegen war der glanzvolle Fall, der aussichtslose Kampf bis zum Ende, den die Ehre verlangte und den er sich immer gewünscht hatte. Die Entmilitarisierung hätte ihm Waffe, Uniform und Rang geraubt, einen Namen zurückgelassen, eine Hülle ohne Kern, einen Schwertgriff ohne Klinge, einen Ring ohne SIEGEL, ein Nichts. Alles, jeder Funke Verstand, den er je besessen hatte, sagte ihm, dass er dies nicht zulassen dürfte.
Dies ist der einzige Weg, das einzige Ende.
Die Staatsanwältin war gerade beim Hochverrat angelangt, als er aufsprang, womit er jeden Laut im Saal niederschlug und spürte, dass alle Blicke an ihm klebten.
„Was auch immer man mir vorwirft, habe ich getan“, sein Lächeln zauberte Empörung auf die Gesichter der Richter und ließ die Kinnlade der Staatsanwältin herunterklappen, wohingegen sein eigener Verteidiger am Rande der Ohnmacht zu tänzeln schien. Der Vorhang fiel und er wusste, dass seine Vorstellung nicht enttäuschen würde.
„Doch bin ich kein Verräter. Nein, ich bin es, der verraten wurde! Jahrzehnte lang bin ich durch den Dreck gekrochen, habe mit meinem Leben Roulette gespielt und die Fahne hochgehalten, nicht für mein Land, für keinen von Euch“, er wirbelte herum, wobei er
mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf einen jeden im Saal deutete, „sondern weil ich glaubte; weil ich wusste, dass das, was ich tat, gerecht war, dass es richtig war! Ich habe jeden noch so tiefen menschlichen Abgrund gesehen. Ich bin Zeuge von Grausamkeit geworden, die sich die wohlbehüteten Damen und Herren unter diesem Dach nicht einmal ansatzweise vorstellen können. Grausamkeiten, die nicht mit einem Handelsembargo vergolten werden können oder indem man irgendwen ins Exil schickt. Das ist keine Gerechtigkeit!“
„Das ist Wahnsinn!“, donnerte einer der Richter.
„Wahnsinn?“, Bram lächelte nur, „Ja, ich mag in meinem Zorn ertrunken sein, doch noch heute weiß ich, dass dieser Zorn gerecht ist.“
Als er die Worte aussprach, keimte einen Herzschlag lang die Frage in seiner Brust, ob er die GRENZE nicht längst überschritten hatte, zwischen begründeter Verachtung und blankem Hass, zwischen Begeisterung und Fanatismus.
Nein, schrie er sich in Gedanken an, ich habe hinterfragt, ich habe gezweifelt, bis nur noch der Kern, die Wahrheit verblieb, die niemand sonst sehen wollte. Jedes Leben, das auf mein Wort hin ausgelöscht wurde, habe ich bedauert…aber es war notwendig.
„Wir sprechen hier nicht über die Dinge, die Sie während Ihrer Dienstzeit getan haben“, entgegnete die Staatsanwältin, „Es geht allein, um Ihre Weigerung, Ihre Division entwaffnen zu lassen.“
„Es mag Ihnen entgangen sein“, zischte er, „aber genau darüber habe auch ich gesprochen. Ich stehe hier nicht, um meine längst verklungenen Befehle zu rechtfertigen, sondern um Ihnen allen entgegenzuhalten, dass die Entmilitarisierung eine Lüge, ein Fehler ist.“
Der Gerichtssaal tobte, von den Zuschauerplätzen peitschten die Rufe der Ablehnung in seinen Nacken, ein Richter donnerte nach Ruhe, ein anderer sagte nur:
„Das Parlament hat die Entmilitarisierung beschlossen.“
„Aus welchem Grund?“, erwiderte Bram, „Eine derartige Entscheidung kann nur aus den verwirrten Gedanken gänzlich verweichlichter Menschen gequollen sein. Welche Annahme steht dahinter? Glaubt Ihr, die Welt wird sich friedlich in den Armen liegen, wenn nur alle ihre Waffen wegwerfen? Verblendung! Die Menschen werden einander immer hassen und den Hass bricht man nicht mit Worten, Grausamkeit bügelt man nicht mit Wirtschaftssanktionen aus. Ein Handelsembargo hält keine Panzer auf!
Einem Land, das diese Wahrheit verneint, kann ich nicht dienen, und eine Regierung, die dasselbe tut, kann mir keine Befehle erteilen.“
„Mäßigen Sie sich!“, forderte ein weiterer Richter.
„Mäßigen?“, blaffte Bram ihm entgegen, „Sie fordern die einzige Person im Saal, die sich keiner Lüge angemaßt hat, zur Mäßigung auf? Lächerlich!“
Während seine Worte wie Mündungsfeuer verhallten, senkte sich der Blick der Staatsanwältin auf ihn, der vor Verachtung und Endgültigkeit triefte.
„Wenn ich das richtig sehe, haben Sie Ihren Verrat bereits gestanden, Herr Bram?“, zischelte sie.
„Verrat…“, ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, von dem er selbst fürchtete, dass der Wahnsinn darin funkeln musste. In diesem Moment erstrahlte die Klarheit in ihm, dass er selbst den SCHIERLINGSBECHER trinken musste, dass dies der letzte Akt sein musste, die Pointe des Witzes, mit dem er diese verweichlichte Gesellschaft vorführen würde.
Ohne Rang und Uniform, so stach ihm die Gewissheit ins Herz, lohnt es sich ohnehin nicht, zu leben.
Als er zu seiner Phrase ansetzte, kam er sich für einen Moment wie ein Affendompteur vor.
„Wenn ich ein Verräter bin“, flüsterte er, wobei der Saal so leise wurde, dass man selbst eine Nadel hätte fallen hören können, „dann zeigt wenigstens das Rückgrat
und bestraft mich, wie es einem Verräter gebührt…mit dem Tode!“
„Die Todesstrafe ist abgeschafft!“, schallte es von der Richterbank zurück
Das glaubt ihr…
In diesem Saal gab es nichts mehr, dass ihn aufhalten würde; nichts, was Jahrzehnte lang gestählter Disziplin und Schnelligkeit gewachsen war. In diesem Spiel zog er nun die Fäden, führte er die Figuren.
Ein letzter Geniestreich…
Er schnellte herum, schmetterte seine Faust gegen die Kehle des beleibten Gerichtsdieners, der binnen eines Herzschlags zusammensackte. Bevor auch nur jemand blinzeln konnte, hielt er die Dienstwaffe des Mannes in der Hand, der nun ohnmächtig am Boden lag. Schreie echoten durch den Saal, während die übrigen Gerichtsdiener ihrerseits die Waffen zogen und auf ihn zielten.
Furcht...sie stach ihm aus jedem Gesicht entgegen. Haben sie denn nicht zugehört?
Er schluckte die Zweifel herunter, ein letzter Moment des Zögerns, bevor er die Pistole gegen sein Kinn hob.
Wenn ich tot bin und sie mich wirklich für einen Verräter hielten und wenn sie glauben, dass mein Tod richtig war, dann haben sie wenigstens verstanden…
Die letzten Worte brachen durch seine blassen Lippen:
„Der Tod macht den Tag erst lebenswert!“
Der schwarze Vorhang fiel vor General Bram, als er die Augen öffnete und die ersten Strahlen fahlen Sonnenlichts in seine Stube fielen. Sein rechter Zeigefinger zitterte noch, dass er sich fragen musste, ob er wirklich nur geträumt hatte. Übelkeit tobte in seinem Rachen, als hätte er die Blüte einer HERBSTZEITLOSEN verzehrt.
So real…
Langsam schälte er sich aus dem Bett, stützte sich auf den Gehstock, während er ins Bad wankte, wo ihn bereits seine Gardeuniform erwartete. Heute war der Tag gekommen, an dem er dem Beschluss des Parlaments folgen und seine Waffe abgeben würde…widerstandslos.
Ein Entschluss, der ihn bis tief in die Nacht wachgehalten und selbst im Traum nicht losgelassen hatte. Er hatte nun den anderen Weg gesehen, die andere Entscheidung und wie sie enden würde. Doch das war die Entscheidung eines Jünglings, eines Hitzkopfs, nicht die des Mannes, der einen Gehstock brauchte, um vom Bett ins Badezimmer zu gelangen.
Dennoch spürte er, wie sich etwas in der Tiefe seines Herzens danach sehnte, den Traum wahr werden zu lassen.
Das Alter aber hatte das WAGNIS verschlungen und ebenso die Sucht nach blutiger Gerechtigkeit.
Als er die Stube verließ, warf er einen letzten Blick auf das Fenster, über das in kurzen Bahnen vereinzelte Regentropfen kullerten.
Kein Fluss, keine Ewigkeit. Der Tod macht den Tag erst lebenswert? Aber der Tod ist auch ohne uns schon überall, erkannte er, während er seinem Ruhestand entgegenstarrte und seine Lippen zu einem blassen Lächeln verzog.