Der erste Kontakt
Sera starrte mir plötzlich erstaunt über die Schulter und brach ihre Erzählung je ab. In diesem Augenblick wusste ich, meine Freundin hatte meine Schwester entdeckt. Bevor sie einen Schrei des Erstaunens herausdrücken konnte, presste ich ihr meine Hand gegen den Mund. Doch in der selben Sekunde bemerkte ich, dass auch wir nicht mehr unentdeckt geblieben waren.
Ich wusste nicht was ich tun sollte. Sie ansprechen? Auf sie zugehen? Weglaufen? In diesem Augenblick wollte ich sie nur in die Arme nehmen, weinen, zusammenbrechen, schreien. All das auf einmal, und doch blieb ich still, steif und jeden Muskel angespannt vor ihr stehen und starrte in diese zwei Saphir-tristen Augen die uns nicht einmal zu bemerken schienen. In all meiner Verzweiflung vergaß ich, dass wir nicht allein waren. Sera stieß plötzlich hinter mir hervor und wollte sie belagern, doch ich bremste ihren Übermut augenblicklich. Ich wollte sie rufen, doch ich hatte Angst. Dieser Name, den Namen, der sich seit diesem Tag im weißen Raum in meine Gedanken gebrannt hat, und den ich zu feige war auch nur auszusprechen. Wie sollte ich ihn nun sagen. Er war wie ein mächtiger Zauber, welchen ich nicht zu kontrollieren vermochte, der nicht zurück genommen werden konnte, sobald er gesprochen wurde. Wie konnte ich ihn nur aussprechen?
Angst erfüllte mich, da sie Stumm verblieb.
"Minara", es kam über meine Lippen wie der Atem, den ich stark ein und ausatmete.
Ich wagte es erst nicht ihr überhaupt in die Augen zu blicken, doch als nicht einmal ein Lebenszeichen ihrerseits kam, schaute ich auf. Nicht eine Reaktion, ich bildete mir langsam ein, dass sie bloß ein Illusion war doch als Castiel ihr plötzlich auf die Schulter sprang, fing sie an zu strahlen.
"Castiel! Du bist zurück. Ich habe dich vermisst! Wo warst du?", das Tier kuschelte sich um ihren Hals, bis er wie der Schal auf ihren Schultern lag. Ihre Stimme klang rau und mit einer tiefen Trauer, doch nun etwas fröhlicher. Es sah so aus, als würden die beiden kommunizieren, sie lächelte einige Male kurz, dann aber wieder tief traurig und etwas schockiert. Sie blickte auf doch nicht zu mir sondern durch mich hindurch, drehte sich um und setzte sich ans Ufer des Baches hinter dem Pavillon. Sie strich mit ihren Fingern leicht über die Wasseroberfläche. Castiel hüpfte ihr noch hinterher, jedoch ignorierte sie ihn.
Den Kopf gesenkt, kam er zu uns zurück und setzte sich auf meine Schulter. Ich verstand nicht recht, was hier vor sich ging, doch eins war mir klar; Castiel kannte sie und sie ihn und das allerwichtigste, er hatte es mir verschwiegen.
Ich bewegte mich nicht. Ich schien auch nicht zu atmen. Ich stand fassungslos und mit einem einzigen Gedanken da. Ein Bild, dass sich in meine Gedanken prägte. Das Tier und sie ohne, dass ich bemerkt wurde. Meine. Schwester sah mich nicht, kannte mich nicht, wollte mich nicht.
Wie konnte ich in so wenigen Wochen ein solches Verlangen nach einer Familie entwickeln? Schlimmer noch, gehörte ich zu dieser Familie?
Das Einzige, wozu ich gut zu sein schien, war wohl die verlorene Tochter zurückzubringen, doch nicht mich, sondern meine Schwester. Eine Tiefe Trauer erfüllte mich und Groll schlich ein wenig mit. Enttäuschung war deren Leiter. Ich wollte bloß noch weg und alleine weinen.
Ich drehte mich um und zog in die Richtung aus der ich gekommen war.
Plötzlich ertönte hinter mir ihre Stimme:
"Aleane?"
Ich drehte mich augenblicklich Richtung aus der ihre Stimme tönte. Sie starrte wie eine Blinde an mir vorbei, doch ich half ihr nicht.
"Bist du das, Schwester?"
Ich fragte mich, warum sie mich auf einmal ansprach. Was war hier eigentlich los?
Ich konnte meine Tränen, meine Verzweiflung und aber auch meine neu entflammte Hoffnung verbergen. Ich machte einen Schritt auf sie zu, doch sie weichte wieder zurück. Was wollte diese Frau eigentlich?!
"Nicht böse gemeint, aber könntest du deine Kraft ein wenig bändigen?"
Plötzlich wurde ich wieder auf meine Umwelt bewusst. Der Grund weshalb Sera die letzten Minuten so ruhig war und Castiel nichts gesagt hatten, war, dass beide ohnmächtig am Boden lang. Ich fühlte ihren gleichmäßigen Herzschlag durch den Boden. Ich schloss meine Augen, atmete einige Male tief ein und nach einigen Augenblicken, konnte ich wieder meine Gefühle bändigen. Als ich wieder aufschaute, bemerkte ich erst, dass Minara kaum eine Fingerspitze von mir entfernt stand und ihre Hand vor mir hoch hielt.
Ich zögerte nur kurz, dann hob ich langsam meinen Arm und berührte mit meinen Fingerspitzen sanft ihre Handfläche. Sie senkte Antlitz, lächelte schwach, schloß die Augen und begann zu weinen. Sie lehnte sich an mich und umschlang mich im nächsten Moment mit ihren Armen. Sie war kräftiger, als ich gedacht hatte. Es brauchte mich ebenso einige Zeit bis ich sie in meine Arme schloss.
Eine gefühlte Ewigkeit verharrten wir in dieser Position und trotzdem löste sie die Umarmung viel zu früh wieder, als sie plötzlich zurückschreckte und in gegengesetzte Richtung blickte.
"Du musst gehen. Es kommt jemand", völlig abwesend blickte sie in die Ferne.
Sofort schubste ich Seraxa zum Eingang der Höhle zurück, während ich Castiel beobachtete, der über unseren Köpfen von Ast zu Ast sprang und ab und an wehmütig zu dem Pavillon zurücksah. Am Strand verharrten wir etwas und betrachteten die Abenddämmerung in der Ferne des Ozeans.
In solchen Augenblicken schien die Einsamkeit einen zu zerreißen und das betraf nicht bloß mich sondern auch das verlogene Wiesel neben mir, das ebenso so unglücklich ins Wasser blickte wie ich vor einigen Sekunden. Nun bildete sich nur kochende Wut in meiner Magengegend. Wie konnte er mir das einfach so verschweigen?
Vielleicht habe ich genau den Falschen vertraut.
Plötzlich fiel mir die dritte Person wieder ein, Sera! Augenblicklich drehte ich mich zu ihr um und erschrak beim Anblick von zwei Hundegleichen, weit geöffneten, leuchtenden Augen. Sie strahlte förmlich von innen heraus und schien schon gespannt auf die Hintergrundgeschichte zu dieser etwas bizarren Situation.
Wie sollte ich es erklären ohne zu viel zu erzählen. Ich konnte niemandem trauen, doch ihre Reaktion munterte mich auf.
"Kann ich dir Vertrauen? Wirst du es niemandem erzählen?"
Sie nickte wild mit dem Kopf, sodass es eher aussah als schüttle sie die Haare zu einem Metal-Song.
Niemandem würde ich mehr trauen als ihr. Sie war unschuldig und einfach nur neugierig. Ich verriet ihr alles; von dem Hologramm meiner Mutter, bis hin zu den mysteriösen Umständen, unter welchen meine Eltern verstarben.
Während der ganzen Gesprächs, hörte sie aufmerksam zu und nickte bloß als Antwort. Am Ende blieb sie stumm und starrte leicht verstört auf den Boden. Auch als ich sie noch bat es geheim zu halten, nickte sie ohne den Blick zu heben.