Beschreibung
"Ich lebe in einer kleinen Stadt und war ein ganz normales Mädchen": so oder ähnlich beginnen auf dieser Plattform Tausende von Geschichten. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen, meine Erzählung ebenfalls damit zu eröffnen. In meinem speziellen Falle trifft nunmehr weder das Eine noch das Andere zu. Aber der Reihe nach.
In einer kleinen Stadt
„Ich lebe in einer kleinen Stadt und war ein ganz normales Mädchen“: so oder ähnlich beginnen auf dieser Plattform Tausende von Geschichten. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen, meine Erzählung ebenfalls damit zu eröffnen. In meinem speziellen Falle trifft nunmehr weder das Eine noch das Andere zu. Aber der Reihe nach.
Die Party
Es begann vor einigen Jahren, als ich auf dieser angesagten Party einen affengeilen Typen kennen gelernt habe. Er war fast zwei Meter groß, muskulös und hatte schulterlanges, lockiges, blondes Haar. Das Einzige, was mich an diesen Kerl störte, war der leichte Fischgeruch, den er ausströmte. Ich dachte, er wäre Seemann oder würde in einer Fischbratküche arbeiten. Das wäre zwar nicht besonders aufregend gewesen, aber wäre immer noch besser als diese Schlappschwänze, die auf der Fete noch so rumhangen: Banker, Finanzbeamte und so etwas. Nein, da war mir Kevin – so nannte er sich – doch viel lieber.
Eine große Überraschung
Die übliche Frage: „Zu mir oder zu dir?“ beantwortete sich fast von selbst, da ich zu dieser Zeit noch mit Markus zusammenwohnte, der sicherlich wenig Begeisterung gezeigt hätte, wenn ich da mit einem anderen Typen aufgekreuzt wäre. So fuhren wir mit Kevins himmelblauen Cadillac zu seiner Bude. Wir verließen meine kleine Heimatstadt und näherten uns immer mehr der Küste. Gespannt harrte ich der Dinge, die da kommen würden. Ich träumte von einem romantischen Dinner am Nordseestrand bei Mondschein mit leiser Musik im Hintergrund.
Was dann kam, sollte mich wirklich überraschen. Am Strand angekommen nahm mich Kevin in die Arme. Ich blickte in seine wasserblauen Augen. Er flüsterte mir zu: „Ich muss dir etwas gestehen, ich bin ein Wassermann.“ Verwundert antwortete ich: „Und ich bin Jungfrau.“ Das stimmte tatsächlich, wenn auch nur im astrologischen Sinne. So hatte ich auch die Äußerung meines Traumtypen gedeutet. Leider habe ich nicht auf die Feinheiten geachtet, bzw. das Wort „ein“ überhört. Kevin jedenfalls strahlte und sagte: „Denn ist ja alles wunderbar.“ Kurz danach wurde mir schwarz vor Augen.
Ziemlich nass
Als ich wieder erwachte, war es äußerst feucht um mich herum. Ich dachte zuerst, Kevins Wasserbett wäre geplatzt. Aber nein, das Wasser war auch sehr salzig und umschloss uns völlig. Es war auch ausgesprochen kalt und gar nicht gemütlich. Was soll ich sagen: wir befanden uns mitten im Meer! Als ich den Kerl genauer ansah, entdeckte ich, dass er sich ziemlich verwandelt hatte: er war dicklich, hatte eine runzlige Haut und zu allem Überfluss statt eines normalen Unterkörpers einen Fischschwanz. Kevin hatte vorhin also nicht gelogen, ich hatte ihn nur falsch verstanden. Ich schrie auf, was einen Schwarm Makrelen, der sich neben uns befand, unverzüglich vertrieb.
„Nun, meine Geliebte, bist du in meinem Reich“, sagte Kevin mit einer leicht gurgelnde Stimme und ergänzte: „Du wirst für Jahrhunderte meine Gemahlin sein. Wesen unserer Art leben zwar nicht ewig, doch ist uns ein langes Leben vergönnt.“ Das gefiel mir nicht sonderlich und ich hätte ein „Dislike“ gepostet, wenn mir das möglich gewesen wäre. Doch der nächste Internetanschluss war offenbar weit entfernt. Der Typ schien meine Gedanken lesen zu können, denn er fuhr fort: „Es wird anfangs etwas ungewohnt für dich, Undine. So lautet fortan dein Name. Aber es wird dir schon recht bald gefallen, glaube mir. Deine drei Vorgängerinnen taten sich zunächst auch recht schwer damit.“ Ich vermied die Frage, was mit diesen geschehen war und sagte stattdessen: „Also, hör mal, so geht das nicht. Da habe ich nun gar kein Bock drauf. Du bringst mich jetzt sofort zurück!“
„Das geht leider nicht. Schau an dich herab.“
Der Alltagstrott
Nun erlebte ich die nächste Überraschung: mein Oberkörper war wie gewohnt, doch hüftabwärts war ich ein Fisch: ich hatte mich in eine Meerjungfrau verwandelt. Wie sollte ich das nur Markus erklären! Und meine angedachte Modelkarriere war damit wohl auch im Eimer. Das hat man nun davon, wenn man sich abschleppen lässt. Ich muss zugeben, dass es nicht das erste Mal war, dass ich so etwas gemacht habe, aber dieser Abend verlief dann doch – vorsichtig gesagt – etwas unerwartet.
Bald darauf begann Alltagstrott einzusetzen: Seetang ernten, daraus Salat bereiten und dem lieben Herrn Gemahl die Mahlzeiten servieren. Es gab nichts Gesottenes und Gebratenes, denn Feuer machen ist unter Wasser mit leichten Schwierigkeiten verbunden. Das mundete mir gar nicht, dem Herrn Wassermann jedoch sehr. Es schmeckte wirklich fad, auch wenn – naturgemäß – reichlich Salz vorhanden war. Und dann musste ich mich auch noch um den lieben Nachwuchs kümmern! Versuchen Sie einmal, gefühlte acht Dutzend Kinder zu bändigen! Nein, das machte mir alles gar keinen Spaß.
Zehn Jahre später
Zehn Jahre waren vergangen, als ich eines Tages nahe am Ufer schwamm, um mal wieder etwas Abwechslung zu haben. Es war der Jahrestag meiner Entführung in das kühle Nass und da durfte ich machen, was ich wollte. Kevin war da immer sehr großzügig. Ansonsten war das Leben einer Meerjungfrau doch ziemlich öde. Herr Wassermann hatte hingegen zwischendurch immer wieder seinen Spaß und vernaschte am Land immer wieder die jungen Dinger. Jedenfalls schwamm ich da so vor mich hin, als auf einer Luftmatratze eine wahre Sahneschnitte von einem Mann entdeckte. Er war sonnengebräunt, von kräftiger Statur und hatte blondes Haar. Ich winkte ihn freundlich zu und lächelte ihn an. Es war um mich geschehen.
Die Sahneschnitte stellte sich als Dieter vor und sagte, er wäre ein großer Star. „Ich werde etwas aus dir machen“, verkündete er. Tja, der Dieter hat denn auch sein Wort gehalten. So kam es, dass Deutschlands Supertalent wurde, auch wenn ich gar nicht singen kann. Seien Sie übrigens vorsichtig, wenn Sie in meiner kleinen Stadt leben, ein ganz normales Mädchen sind und auf eine Party gehen. Sollte da ein gewisser Kevin auftauchen: Finger weg! Es sei denn, Sie haben Lust darauf mein Schicksal und das meiner drei Vorgängerinnen zu teilen.