Verrat
Langsam öffnete sie ihre Augen, blinzelte. Ihr Kopf war leer und doch randvoll. Gedanken überschlugen sich und es kam kein klarer Gedanke zustande. Mit starrem Blick fixierte sie eine steinerne Decke über sich, ohne sie wirklich anzusehen. Unglauben machte sich in ihrem Inneren breit.
Vorsichtig atmete sie ein und wieder aus, unfähig etwas anderes zu tun. Wie konnte das sein? War das wirklich geschehen? Sie presste ihre Lippen aufeinander und zog die Augenbrauen zusammen. Nein, niemals.
Wieso? Wieso hatte er ihr das angetan? Wieso nur hatte er ihr den Dolch ins Herz gerammt? Nein, er hatte das nicht getan. Sie atmete demonstrativ aus und schüttelte den Kopf. Das alles hier war falsch, das konnte nicht geschehen sein, das konnte so nicht sein. Ein Mensch konnte doch nicht so grausam sein.
Es gab kaum Licht, es war dunkel. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie kaum etwas sehen konnte. Nur eine einsame Kerze flackerte auf einem Tisch. Im Zug des Windes hin und her, genau wie sie sich fühlte.
Sie wusste, dass es geschehen war und gleichzeitig hoffte sie, dass es nicht so war. Ein hilfloser Versuch weiter an die Menschlichkeit zu glauben. Doch die Menschlichkeit hatte versagt, so kläglich.
Nie hätte Sie geglaubt, dass eine gute Person sich zu etwas Schlechtem verändern könnte, so drastisch. Doch das war geschehen, er hatte sie verraten. Verrat. Das Wort hing wie eine gewaltige, graue Wolke über ihren Gedanken und ließ sie krampfhaft atmen.
Vielleicht war das auch nur ein Missverständnis, vielleicht hatte er nur im Affekt gehandelt. Vielleicht würde er kommen und sich entschuldigen, sie schüttelte erneut den Kopf.
Nüchtern stellte sie fest, dass keine Träne den Weg über ihre Wange fand. Sie empfand eine dumpfe Traurigkeit, sie war nicht verzweifelt, sie regte nicht zum weinen an. Aber sie war da und legte sich über ihr Sein, nahm alles ein.
Sie wusste nicht, was sie tun sollte, sie war nicht fähig zu handeln. Sie lag da und starrte erneut die Decke an. Sie wusste keine Antworten und sie reimte sich Antworten, die nicht wahr waren, die sie selbst im Glauben ließen alles sei in Ordnung.
Und dann waren da noch die wirklichen Antworten. Bedauernd schloss sie ihre Augen. Sie wollte die wirklichen Antworten nicht einmal denken. Sie wollte in ihm kein Monster sehen und doch wusste sie, dass es so war.
Alles würde sich nun ändern. Alles, das sie hatten, war zerstört. Er hatte alles zerstört. Ihre Gedanken begannen wieder zu kreisen. Sie wollte nicht, dass das passierte. Sie wollte diese grausame Trauer nicht fühlen. Sehnlichst wünschte sie, dass sie die Zeit zurückdrehen konnte.