Beschreibung
Die vorerst letzte Heimathafen-Episode. Dichtung und Wahrheit haben sich brüderlich vereint und sind mit den letzten Staubkörnern des Nachbarhauses entschwunden. Danke für das Lesen und...
Heimathafen. Ingrids Faustschlag
Heute ist niemand mehr auf der Baustelle nebenan. Der letzte Container mit dem Bauschutt ist heute Nacht, so gegen 02.00 Uhr, abgeholt worden. Schicke Arbeitszeiten. Ich habe mich genüsslich noch einmal umgedreht. Aber plötzlich bin ich zu wach zum Einschlafen und zu müde zum Lesen. Ihr kennt das alles, ihr lieben Leser. Und plötzlich schmerzt auch noch mein linkes Auge mit darunter liegender Wange. Ich stehe auf, schaue in den Spiegel und sehe das lilafarbene Auge und, wieso auch immer, eine feuerrote Hand auf meiner Wange abgebildet. Ingrids Hand. Ingrids auf meiner linken Wange.
Das ist schon merkwürdig. Plötzlich stehe ich alleine in der Bäckerei auf dem Marktplatz vor dieser drallen Verkäuferin und als sie mir die sechs Brötchen eingetütet herüber reicht und mir das Wechselgeld in die Hand streicht, wirklich streicht, höre ich sie sagen: „Das frischeste Brötchen finden Sie hier!“ Klar doch, sage ich, deshalb kaufe ich ja hier für uns die Brötchen. Aber der Blick in ihre wasserblauen Augen sagt mir mehr als Zutaten aus Butter, Milch, Wasser und Salz. Gedankenverloren drehe ich mich um und laufe in die Arme von Hertha Kleinstück, die mit einem „Oh, la, la“ mich kurz an sich zieht, auf meine Brötchentüte tippt und meint: „Mein Alfred hat mir die Brötchen immer ans Bett gebracht.“ Ich staune noch ein auf Wiedersehen in Brot und Brötchen und höre im Weggehen die beiden raunen: „Der ist eine Sünde wert.“
Nun gut. Ich bin mit meinen knappen sechzig Jahren ein durchaus attraktiver Mann. Meine Martha wird schon wissen, was sie an mir hat. Sportlich, schlank, aber keineswegs mager, groß gewachsen, dunkelblaue Meeresaugen und kein einziges graues Haar. Na ja, vielleicht ein paar, die ich von Zeit zu Zeit mit einer Pinzette aus den Augenbrauen, der Nase und den Ohren entferne. Merkwürdigerweise wachsen, wenn man älter wird die Haare an Stellen, die vorher völlig unbeteiligt daran waren. Ach, da fällt mir ein. Auf einer Auslandsreise habe ich einmal einen Mann gesehen, dem wuchsen die Haare in einer Pracht aus den genannten drei Stellen, so dass er angefangen hatte, diese miteinander zu einem Kunstwerk zu verbinden. Wow. Auch habe ich relativ wenige Falten. Wenn ich so an gleichaltrige Mitstreiter hier im Örtchen denke, dann bin ich doch irgendwie mit ganz vorne in der Rangliste. Das und einiges Schlüpfrige schießt mir so in blitzeseile durch den Kopf und stimmt mich ungemein fröhlich.
Zunächst hatte mich die üble Nachrede nach Ingrids Niederschlag doch ein bisschen gestört. Peng, krach. Sie steht auf und geht ohne ein Wort, und ich liege im Wein gekocht am Boden. Aber seit geraumer Zeit kann ich mich kaum noch vor eindeutig zweideutigen Angeboten so zu sagen retten. Martha sagt, dass sich das wieder legt. Genau so, wie das andere Gerede.
Elisa, die Frau von Herbert, meinem Freund vom Schützenverein, war bisher die brutalste. Sie griff mir vorgestern auf dem Schützenball beim Tanzen voll in den Schritt. Das werde ich natürlich meiner Martha nicht erzählen, denn dann ist es aus mit dem nächsten Frauentreff bei Elisa. „Ich heiße nicht Ingrid“, säuselte sie noch. Als ob ich das nicht wüsste.
Die Liste ist lang. Ich will euch damit, ihr lieben Leser nicht allzu lange aufhalten. Ich habe schon an Umzug gedacht, aber Martha geht hier nicht weg. Jetzt schon gar nicht und überhaupt nicht. Wie soll ich aber Bruno, meinem wirklich besten Freund, weiter in die Augen sehen? Mit ihm segeln gehen? Mit ihm Dorsche angeln? Mit ihm in einer Koje schlafen? Elisabeth, seine treulose Allerliebste, hat sich mir gezeigt, wie Gott sie schuf und dann…
„Sage mal mein Lieber, wie oft soll ich denn den Herrn Schnarcher noch zum Frühstück bitten, was?“ Marthas Augen strahlen mich an. Toll sieht sie aus in diesem Hauch von Nachthemd und das Licht strahlt auch noch so schön von hinten durch den Stoff hindurch. Sie streckt mir ein Gläschen Sekt entgegen und mir wird klar, dass das Frühstück noch wird warten müssen. Mann o Mann, da habe ich das Glück aber doch auf meiner Seite, was?