Scheiße Passiert, aber halte deinen Kopf oben
Ja, der Tag hatte Potential. Es war Montagmorgen, kurz vor 7. Ich musste arbeiten. Frühstens gegen 5 würde ich hier herauskommen, dabei Dinge tun wo mir nicht unbedingt die Lust danach stand. Ach ja, der Tag hatte Potential; Potential richtig scheiße zu werden.
Erstmal den Computer hochfahren. Wie immer brauchte er dafür viel zu Lange. Während mir der Ladeschirm entgegen strahlte fiel mir ein, das ich später noch eine Besprechung hatte. 'Würg', vier Sesselfurzer und ich. Da musste ich durch. Will doch am Ende des Monats meine Lohntüte erhalten. Einen Kugelschreiber um die Finger drehend, dachte ich an das Wochenende. Wieder einmal stellte ich fest, Montage sind nur scheiße, wenn die Tage davor geil waren. Wäre ich doch besser zu einem langweiligen Familientreffen gefahren. Dann wäre ich heute sicher gerne arbeiten gegangen. Aber so...
Freitagsmittag; „Hey du, ich hab kein Bock mehr, das meiste der Arbeit ist erledigt, mach am Montag den Rest. Zisch dann mal ab. Hau rein.“
Mein Kollege, Raphael, blickte kurz von seinem Formular auf das er auszufüllen versuchte. „Na gut, treib's net zu wild.“
„Du kennst mich.“
Sein Blick war Erwiderung genug, also wechselte er das Thema: „Morgen steht. Komm g'rad so gegen 6 vorbei.“
„Jop, läuft.“
Es ist schon toll wenn man zweieinhalb Tage Wochenende hat, kommt man zu viel mehr, das würde ich an hier mal wieder eindrucksvoll beweisen. Kaum hatte ich meine Wohnungstür aufgeschlossen, führte mich mein Weg direkt ins Schlafzimmer. Alle paar Schritte warf ich ein anderes Kleidungsstück von mir, so kam es das ich mich schließlich nackt auf mein Bett warf. Ohne mir die Mühe zu machen mich in meiner Decke zu verkriechen, umfing mich die warmen Hände des Schlafs.
Gemütlich öffnete ich meine Augen. Die Sonne war mittlerweile weiter gewandert. Sie würde auf der anderen Seite der Wohnung herein scheinen. Darauf bedacht mich wenig zu bewegen, um die letzten Auswirkungen des Schlafs nicht überhastet zu vertreiben, dabei die letzten Erinnerung des Traums Revue passieren zu lassen. Alle Gemütlichkeit verschwand in einem Moment, als meine unvorsichtigen Augen einen Blick auf meinen Wecker erhaschten. Halb 5. „Ach du meine Fresse.“ Jegliche Müdigkeit war verschwunden, dennoch beschloss ich sicher zu gehen.
Quer durch die Wohnung, stellte ich mich unter die Dusche. Riss das kalte Wasser auf. Schon wenige Minuten später war ich nicht nur sauberer sondern auch in der Lage Bäume auszureisen. Wenn ich auf mein Herz hörte, hatte ich dass auch eben getan, so heftig schlug es.
Was mir aber ein wenig mehr Sorgen machte, war ein wenig tiefer zu finden. Das Badetuch um die Hüften gebunden beschloss ich etwas dagegen zu machen. Irgendwo in der Spur der abgelegten Kleidung fand ich mein Jeans, holte das Handy heraus.
Die Nummer war schnell gespeichert, so brauchte ich nicht groß darüber nachzudenken, und schon klingelte es auf der anderen Seite. Ungeduldig wackelte ich mit den Zehen. Auch nach dem fünften Mal ging immer noch niemand ran. So legte ich wieder auf. Verdammt, das Problem blieb und ich wusste nicht wie ich es lösen sollte.
Wenn wir schon einmal bei Problemen sind, da war immer noch das unlösbare Problem, das wir Montagmorgen hatten, auch wenn die folgenden Momente Abwechslung versprachen. Durch die Glastür sah ich wie Raphael kam. Ich warf ihm mein bestes Lächeln entgegen. Anbetracht des Tages war es nicht mehr als ein Gesicht das nach Schlaf schrie. Doch noch immer harmlos im Vergleich zu der Fratze die er zog.
Hatte ein Idiot ihm den Parkplatz geklaut, oder ein Akademiker ihn voll geschwafelt? Das ist schön zu sehen das auch bei anderen Menschen der Tag Potential hatte. Wie er die Tür aufriss, wohl noch mehr als der meine. Mit langen Schritten durchmaß er den Raum. Hatte schon fast seinen Schreibtisch erreicht, der neben meinem stand.
Mein Gruß war nur eine Parodie seines Inhalts: „Einen wunderschönen guten...“
Manchmal kommt eine Dampfwalze dazwischen, manchmal eine Faust. Was es in meinem Fall war konnte ich nicht sagen. Wie lange ich auf dem Boden lag genauso wenig. Wobei zu erst sollte ich klären warum ich auf dem Boden lag.
Es war schön. Man spürte nichts. Starrte nur in die Neonlichter an der Decke, die sich seit kurzem drehten und flackerten. Wenn ich sage man spürte nichts, dann meinte ich es so. Nach meinem Hals hörte es einfach auf, mein Gesicht fing einfach ab dem Augen an. Nichts ist für die Ewigkeit. Ein sanftes Kribbeln kündigte den Untergang an. Wie es auftauchte, so verschwand es auch wieder. Stattdessen durchflutete Schmerz mein Mund, Kiefer, und die Nase.
„Ach du“, fing ich an, brach aber gleich wieder ab. Der Kiefer schmerzte bei jeder Bewegung. Langsam drückte ich meinen Oberkörper hoch. Tastete vorsichtig mein Gesicht ab. Die Nase schien unverletzt, zu mindestens spritzte nicht filmisch Blut heraus. Die Lippen fingen schon an anzuschwellen. Mit der Zunge spürte ich, das meine Zähne noch alle da waren wo sie hingehörten und das ihnen auch kein Splitter fehlte.
Trotz der Schmerzen wollte ich wissen: „Verdammt, für was war das?“
„Du Arsch, hast meine Tochter gefickt!“
„Hä?“ Noch während ich die geistreiche Frage stellte fing ich zu verstehen.
Samstag. Grillparty bei Raphael. Die Sonne schien ihre letzten Strahlen auf den weitläufigen Garten. Alles in allem tummelten sich hier wohl so 20 bis 30 Leutchen. Bei meinem umherschweifenden Blick stellte ich eine altbekannte Tatsache fest: Jetzt bin ich bald 30 und dennoch war ich gottverdammt der jüngste Anwesende. Mir gegenüber stand ein Mann. Stoppeln am Kinn, Brille auf der Nase, die Haare extrem kurz geschnitten – verbargen so das deutliche Grau und die entstehende Platte, aber nicht besonders gut. Wie sein Name war, hatte ich vergessen, war eh nur Schall und Rauch. Er und ein weitere Mann neben mir – er sah ihm völlig aus dem Gesicht geschnitten aus, wenn er nicht ganz andere Merkmale hatte – musste wohl an seinem sozialen Stand und dem Alter liegen – waren in einem Gespräch vertieft was besser war der neue Golf siebzig oder Porsche GTI, oder andere Autos, juckte mich nicht wirklich. Meine Rolle diente eher dem Eindruck als dem Inhalt. Egal wie gut ein Buch ist, es braucht einen eindrucksvollen Umschlag.
Auch wenn ich meine Jugend hinter mir hatte, überlegte ich mir so während des Gespräch, niemals wollte ich so enden. Holla-die-Waldfee, man hat mich überredet älter als 27 zu werden, doch von Langeweile, meine; Reife, war nie die Rede.
Ein paar der anwesenden Gesichter waren mir bekannt, von der Arbeit, von den langen Jahren Bekanntschaft mit Raphael, dennoch gab es niemand mit dem ich unbedingt reden wollte. Frauen waren entweder nicht in meinem Alter oder vergeben, meist sogar beides, wie immer. So ertrug ich das vierrädrige Gelaber, nuckelte hin und wieder vergnügt an meinem Bier.
Endlich war es so weit es gab essen. Mein Magen sagte mir bei den Gerüchen, das er gerne schon vor Stunden bedient werden wollte, aber was soll man machen. Man konnte ihn sich doch nicht vollschlagen noch bevor man zu einer Party ging, wobei es bei meinem Bierkonsum doch sinnvoll gewesen wäre. Was soll's.
Genussvoll schnitt ich mir ein Stück vom meinem Steak ab, biss herzhaft in das saftige Fleisch. Mmh, ich liebte diese Paprika Marinade. Sie war angenehm scharf, brannte lange. Doch der noch leicht warme Nudelsalat half. Das Knoblauchbaguette rundete das ganze ab.
Wenn jetzt die Welt untergehen würde, Scheiß drauf, wenigstens starb ich dann nicht mit einem leeren Magen.
Nach dem Essen verstreute es sich ein wenig. Manche beschlossen sich noch ein wenig in die Ecke zu stellen, oder zu mindestens auf das Grün, andere blieben sitzen genossen ihre Getränke, wie auch ich. Ein kleiner Himbeergeist sollte die Verdauung anregen, oder einfach nur gut schmecken.
Durch den Alkohol hatte mein Körper eine innere Ruhe gefunden, die jäh unterbrochen wurde. Wie so mein verträumter Blick durch den Garten wanderte, bemerkte ich eine Situation die meine komplette Aufmerksamkeit auf sich zog. Raphael war im Gespräch mit einer jungen – ich mag keine Anglizismen, doch halfen hier welche – Gothic Chic. Sie war wohl so um die 20. Im schwächer werden Licht war es schwer Einzelheiten zu erkennen. Die Haare waren dunkel, aber nicht schwarz, mit einer Menge Schminke wurden die Augen schwarz umrandet. Die Lippen blutrot die im Kontrast zu ihrer weißen Haut stand. Das Dekolleté war tief, ließ nicht viel Platz für Imagination. Ihr Körper war verborgen hinter einem dunklen Kleid mit einem Haufen Metall, von Nieten bis Ketten und Karabiner. Es endete an den Knien um dann in hohe Lederstiefel überzugehen, die mit Applikationen dem Kleid Konkurrenz machen konnten.
Was auch immer sie beredeten, es war nicht unbedingt ausgeglichen und in einem ruhigen Ton, sie standen ein gutes Stück entfernt, so verstand ich dennoch kein Wort. Mein Körper spannte sich an, manche Regionen noch mehr, so dass ich sofort aufspringen konnte, wenn sich die beiden von einander entfernten.
Das schöne an heftigen Gesprächen ist das sie schnell zu ende sind, wenigstens meistens. Es war einer der selten Fälle in dem ich tatsächlich Glück hatte. Die Dame riss ihre Hände hoch, drehte sich herum und wollte von dannen stöckeln. Ein Jäger würde vor dem Schuss nicht so genau seine Beute studieren wie ich es tat. Genau in dem Moment als auch Raphael sich herum drehte, sprang ich auf. Die Blicke der anderen Gäste war mir egal. Mein Weg war genau geplant, ging an der Kühlbox mit den Getränken vorbei, meine Hand fand die Hälse zweier Biere. Zwischen Grüppchen und Leuten manövrierte ich mich zu ihr. Passte sie auf dem Weg ab.
„Hey“, nicht sehr einfallsreich, doch auf jeden Fall ein Anfang auf den man aufbauen konnte.
Ihr Blick sagte etwas anderes aus. In dem schwachen Licht sah ich nun in der Nähe, dass ihre Haare dunkelrot waren. Auch wenn es verlockend aussah richtete ich mein Blick in ihr Gesicht. Sie hatte tiefgründige Augen.
„Nicht so böse“, versuchte ich sie zu beschwichtigen, „ich hab sogar ein Bier mitgebracht.“
„Man will mich nicht als Gast auf der Party.“ Das sie nach der Flasche griff, strafte ihre Worte Lügen, oder war es ihr einfach nur egal?
Mit einem kurzen Blick in die Runde stellte ich fest: „Lass die alten Leute Feiern. Ich bräuchte auch ein wenig Abstand, wenigstens ein paar Minuten.“
Wir liefen ein wenig den Garten entlang, bis er in einem Acker endete. Wir liefen weiter.
„Halt, nur weil du uns zusammen weg gehen sahst, denkst du das ich mit Delila geschlafen habe?“ ich hatte mich an eine Säule nicht weit der Kaffeemaschine gelehnt. Die Schmerzen im Kiefer ließen langsam nach, auch wenn es noch immer unangenehm war zu reden, das Trinken war selbst auch nicht viel besser, aber es ging um Kaffee, als quälte man sich da schon einmal hindurch.
„Alten Leute? So viel jünger bist du auch nicht“, in ihrer Stimme schwang die Verachtung der Jugend.“
„Nicht so aggressiv, ich hab da was das dich ein wenig ruhiger macht.“ Ihr fragender Blick, schlug schon bald in Verständnis um, als ich ein kleines Plastiktütchen hervorkramt. „Gibt's hier irgendwo ein Ort wo wir ein wenig ungestört sind?“
„Ah du hast sie nicht gefickt, du hast mit ihr gekifft?“
„Ja“, die Begeisterung mit der ich das sagte, verebbte augenblicklich. Sein Blick half dabei.
Das zweite Mal an diesem Morgen sah ich mir die Neonlichter ganz genau an. Diesmal war mein Gesicht verschont geblieben, oder besser noch jegliche Schmerzen waren daraus verschwunden.
Dieses Schmerzmittel sollte man patentieren lassen. Gut an den Nebenwirkungen muss man noch ein wenig arbeiten; das zusammen krampfen in Fötushaltung, das Rauben des Standvermögens und die Appetitlosigkeit bis hin zur Übelkeit, aber sonst hat ein gut gezielter schlag in den Magen nur Vorteile.
Zum Glück hatte ich gerade meine Tasse abgestellt, sonst würde ich jetzt in brauner Brühe schwimmen.
Röchelnd stellte ich fest: „Verdammt, du solltest an deinen Aggressionen arbeiten.“
„Wenn ich aggressiv wäre, würde ich jetzt nochmal nachtreten.“
„Gerne würde ich das jetzt mit dir ausdiskutieren, doch muss ich in eine Besprechung.“ Wie ein Boxer an den Seilen versuchte ich mich an dem Tisch hochzuziehen. „Also, dann reden wir später nochmal drüber, okay?“ Ohne eine Erwiderung abzuwarten stürzte ich den Kaffee auf Ex, und machte mich auf den Weg zum Besprechungsraum.
Dort angekommen bekam ich genug Verwirrung entgegengeworfen, das man sie abfüllen und in Containern verkaufen konnte.
„Was ist denn mit Ihnen geschehen.“
Soweit es mir gelang erschien, ein Lächeln auf meinem Gesicht. Die geschwollen Lippen müssten es zu einer unansehnlichen Fratze machen. „Ach wissen sie, manchmal kommt der Montag ein wenig härter und reißt einem aus den friedlichen Armen des Wochenendes, was steht heute auf der Agenda?“