Was wärst du für deine grösste Liebe zu tun bereit?
Die beiden Prinzessinen waren auf ihr Zimmer gegangen, um weiter zu beratschlagen. Während die jüngere der beiden auf dem Bett sass, arbeitete sich die ältere, Phye, durch ihren Schrank voller Kleider. Im hintersten Ecken eben dieses Schrankes, hatte sie vor einiger Zeit ihre wertvollsten Bücher aufbewahrt. Die welche mit Magie zu tun hatten. Als sie sie endlich gefunden hatte setzte sie sich zu ihrer Schwester auf ihr Bett und legte die Bücher aus.
Leise meinte sie: "Diese fünf Bücher werden dir alles verraten was du zu wissen brauchst."
Deranta erwiderte interessiert: "Was ist mit diesem hier?" Sie deutete auf ein sechstes Buch, welches etwas abseits lag.
Phye sagte: "Dieses werde ich behalten. Du wirst alles was du wissen musst in diesen Büchern hier nachlesen können." Deranta nickte, verkniff sich die Frage was in dem anderen Buch denn stünde. Phye lächelte, froh über die ausgefallene Frage, und meinte: "Wir sollten uns nun zum Abendmahl gesellen. Man wird wohl schon auf uns warten." Deranta nickte folgsam und die beiden Prinzessinen schritten zum Saal, wo das Abendmahl stattfinden sollte. Dort warteten Familie und Angestellte schon auf die beiden. Stumm setzten sie sich auf ihre Plätze und assen ebenso schweigend, während die restliche Familie munter mit einander redete.
Das Mahl war zu Ende, die Prinzessinen wurden in ihre Zimmer begleitet. Vor dem Zimmer küsste Phye ihrer Schwester auf die Stirn und raunte: "Gute Nacht."
Sie nickte: "Bis morgen." Die Prinzessinen traten in ihre nebeneinander liegenden Zimmer und machten sich für die Nacht parat.
Mitten in der Nacht wachte Phye auf. Sie lächelte, tappte zu ihrem Kleiderschrank. Nach einigem Gesuche fand die Prinzessin das, wonach sie suchte. Eine Hose und ein Hemd. Vor einigen Jahren hatte sie es ihrem Bruder gestohlen, da sie nie wusste ob sie es nicht vielleicht doch brauchen könnte. Noch ein paar andere Hosen und Hemden fand sie vor. Ein paar zog sie an, zwei andere Hosen und Hemden steckte sie in einen grossen Lederbeutel. Ausserdem nahm sie eine Kappe mit, ebenfalls von ihrem Bruder. Unter ihrem Bett nahm sie das sechste Buch, welches sie Deranta gezeigt hatte, hervor und tat es ebenfalls in den Beutel. Die anderen Bücher versteckte sie sorgsam wieder in ihrem Schrank, Deranta würde sie schon finden. Ebenfalls nahm sie einen kleineren Lederbeutel, wo ein bisschen Geld darin war, den würde sie vielleicht gebrauchen können. Ebenfalls nahm sie zwei Ketten mit; ihre Lieblingsketten. Dann zog sie noch bequeme Schuhe an und warf sich einen Mantel über. Leise machte sie die Türe auf, schlüpfte hinaus und ein paar Meter weiter in das Zimmer von Deranta. Diese schlief seelenruhig, und Phye schrieb ihr einen kurzen Zettel. Dann kletterte sie aus dem Fenster des Zimmers von Deranta und huschte die Schlosswand hinab. Einige Wachen standen unten, waren aber abgewand. Phye hielt sich im Schatten und schlich sich unbemerkt aus dem Schloss. Schnell lief sie auf die Wiese des Viehs und der Pferde, entdeckte eine Herde nicht weit von ihr. Leider sah sie keinen Drachen, entschied aber dass es besser war so. Sie ging auf die Pferde zu. Einige wenige rannten davon, fast alle blieben stehen. Die Pferde kannte sie schon, wusste welches das schnellste war. Das ihres grössten Bruders Phollos. Sie näherte sich ihm, schwang sich auf des Pferdes Rücken. Sie trieb die prachtvolle Stute an, und schon bald war von der Stadt Ikarus nichts mehr zu erkennen. Phye ritt hinauf in die Berge, in die Richtung des Königreiches Suas'Anoor. Dort waren die Berge höher, und die Wahrscheinlichkeit einen Drachen zu treffen höher. Das Pferd würde sie jeh nach dem in die Wildnis entlassen oder verkaufen, was sich gerade anbieten würde.
Gegen Morgen kam sie in die Gegend einer grösseren Stadt, und sie versteckte ihre Haare unter der Kappe, welche sie mitgenommen hatte. Die Leute sahen sich zu ihr um, waren erstaunt sie ohne Sattel oder Zaumzeug reiten zu sehen. Sofort ritt sie richtung Markt, um Proviant zu kaufen. Ausserdem hatte sie nicht daran gedacht Waffen mitzunehmen. Kein Schutz und auch keine Möglichkeit Tiere zu erlegen. Lächelnd kaufte sie etwas Zwieback, ein Wassergefäss und einen Bogen mit einem Köcher voller Pfeilen.
So schnell die Prinzessin, verkleidet als Junge, nur konnte, verschwand sie aus der Stadt, da der König wahrscheinlich bald erfahren würde dass seine Tochter verschwunden sei.
Ob ihre kleinere Schwester sie wohl verstehen würde?
Die nächsten Tage wünschte sich Varmir, dass er doch etwas schneller gewesen war. Sein Vater hatte sich geweigert seither ein Wort mit ihm zu sprechen und jedes Mal, wenn er selbst das Wort ergreifen wollte, wurde er zum Schweigen gebracht. Zudem nervte den Prinzen die Tatsache, dass er seinen Vater nur noch mit 'Mein König' ansprechen durfte.
Eigentlich war gestern der Tag gewesen, an dem er wieder zu seinem Meister Frokurin Salruhn zurückkehren sollte, doch man hatte ihn schon früh am Morgen in den Thronsaal bestellt. Und da wartete er nun, darauf, dass der König endlich erscheinen würde. Ungeduldig verlagerte er das Gewicht von einem Bein aufs andere. Seine beiden großen Brüder Virodrin und Soruthin hatten ihn begleitet. Während Virodrin ihm immer wieder ein Lachen gab um ihn aufzumuntern, sah der Thronfolger stur gerade aus.
Gerade als Varmir schon die Hoffnung verloren hatte, dass sein Vater erscheinen würde, öffnete sich eine Tür nahe des Throns. Mit langsamen und bedächtigen Schritten ging König Srothrin auf seinen Thron zu. Sofort nahmen die Wachen Stellung an, während sich die Brüder und ihre Schergen auf die Knie nieder ließen. Der könig grinste leicht, dann setzte er sich auf seinen Thron, er wirkte viel fröhlicher als die letzten Tage.
"Erhebt euch!", sprach er und wartete, bis die drei Prinzen ihn wieder ansahen, dann wendete er sich an seinen jüngsten Sohn.
"Varmir, du wirst nicht mehr zu Frokurin Salruhn zurück kehren. Er wurde bereits informiert, dass mein Sohn, Prinz Varmir SoGuhlrim von Suas'Anoor heiraten und das Leben eines Edelmannes hier in der Stadt führen wird!", seine Stimme überschlug sich fast vor Triumph.
Varmir hätte am liebsten aufgeschrien, doch er biss sich auf die Lippen. Sein Vater musste es trotzdem bemerkt haben, denn er schnaubte wütend.
"Keine Widerrede. Lady Faphlia ist bereits auf den Weg hier her. Und jetzt geh. Deine Schwester will dich sehen!", die Stimme des Königs war zu mächtig um einen Widerspruch gelten zu lasssen, so neigte Varmir nur sein Haupt und entfernte sich dann mit seinem Bruder.
"Du hast es gewusst!", warf er ihm wütend vor.
"Nein, ich wusste nichts davon. Aber geahnt habe ich es", meinte Virodrin und umarmte seinen Bruder kurz. "Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen."
Varmir wollte verwirrt fragen, was er damit meinte, doch sein großer Bruder drehte sich ohne ein weiteres Wort weg und ging den Gang entlang auf seine Gemächer zu.
Wütend und enttäuscht trat Varmir an die Tür zu den Gemächern seiner Schwester Varinaruja. Die Wachen hinter ihm waren schon seit einigen Tagen nicht mehr von seiner Seite gewichen, er wusste also, dass es sinnlos war zu hoffen, er könnte ihnen entkommen.
Kaum dass er geklopft hatte, wurde ihm von innen geöffnet. Das schmale aber freundliche Gesicht seiner Schwester sah ihn lächelnd an. Sie sah kurz über seine Schultern.
"Ich habe meine eigenen Wache hier. Bestellt dem König meine Grüße", meinte sie barsch. Sofort verneigten sich die Männer - und gingen. Varmir sah kurz sehnsüchtig über seine Schultern, doch Varinaruja zog ihn bereits in ihr Zimmer.
"Virodrin hat deine Sachen bereits gepackt, in zwei Stunden müssen wir zum Essen erscheinen, wir haben also nicht viel Zeit", meinte sie ohne Umschweife. Blinzelnd sah Varmir sie an.
"Wie...was...du willst mir helfen?", die Einsicht überkam ihn wie eine Erleuchtung und er schlang die Arme um die junge Frau. Diese erwiderte die Umarmung.
"Ja doch, aber dazu müssen wir uns beeilen, also lass mich los", meinte sie grinsend.
Varmir konnte es noch immer nicht fassen. Es war helllichter Tag und seine Geschwister, genauer gesagt Virodrin und Varinaruja, riskierten den Zorn des Königs um ihn aus der Stadt rauszuschleußen. Die beiden wussten, dass er niemals glücklich werden würde hier in Suas'Koor, so halfen sie ihm. Vor etwa einer Stunde waren sie aufgebrochen. Alle drei in die Umhänge der Palastschergen gehüllt. Sie hatten sich Pferde geholt und ritten nun durch die Stadt. Zwar sahen viele verwirrt zu ihnen hoch, doch erkannte keiner die Königskinder.
Auch die Wachen am Stadttor ließen sie unbemerkt passieren und die drei schlugen einen Weg in den Wald ein. Kaum dass das Tor außer Sichtweite war, blieben die drei stehen. Virodrin und Varinaruja sahen ihren Bruder an, das Mädchen hatte Tränen in den Augen. Sie ritt dicht neben ihn und umarmte ihn.
"Lebwohl Kleiner. Ich werde dich vermissen!", flüsterte sie. Dann wendete sie sich ab - und ritt davon. Auch Virodrin verabschiedete sich von Varmir, bevor er seiner Schwester folgte. Eine Weile sah er den beiden nach, dann breitete sich ein Grinsen auf Varmirs Gesicht aus. Er war frei.
Mit einem letzten Blick über die Schultern trieb er sein Pferd tiefer in den Wald hinein. Er musste seinen Meister warnen, bevor ihn die Schergen seines Vaters erreichten. Sie würden ihn gefangen nehmen, da sie sich wohl dachten, dass Varmir zu ihm fliehen würde.